UNESCO Weltkulturerbe in Hildesheim: Mariendom und Michaeliskirche

Von Reiner Zittlau

Am 4. Dezember 1985 bestätigte das Welterbe-Komitee der UNESCO den Outstanding Universal Value (OUV), den außergewöhnlichen universellen Wert, der den Mariendom und die Michaeliskirche in Hildesheim auszeichnet. Wie einen großen Schirm spannte das internationale Gremium den begehrten Weltkulturerbetitel über das einstige Benediktinerkloster und die mit ihm verbundenen einzigartigen Kunstwerke aus dem Mariendom auf. Dreieinhalb Jahre zuvor war der Welterbeantrag im ersten Anlauf noch fehlgeschlagen. Grund dafür waren die Zerstörungen und Originalitätsverluste der beiden großen Monumente im Zweiten Weltkrieg. Diese Einschätzung der internationalen Experten hatte der niedersächsischen Denkmalpflege, die für den Antrag verantwortlich war, erheblich zu denken gegeben. Um Erfolg zu haben, musste sie die Expertise gegenüber dem Erstantrag auffächern, die Argumentation von der Michaeliskirche auf den Mariendom erweitern, darin die bernwardinischen Bronzekunstwerke hervorheben und deren Wert mit weiteren Einzelstücken der Kirchenausstattung und des Domschatzes umranken. Im zweiten Anlauf bewahrheitete sich, dass erst mit einer ganzheitlich konzipierten Betrachtung, die auch die geschichtlichen Lebenszusammenhänge vor 1000 Jahren sichtbar macht, die urteilende Fachwelt für die Eintragung in die Welterbe-Liste gewonnen werden konnte. Erst auf dieser Grundlage verlieh die in Paris tagende Welterbe-Konferenz der Michaeliskirche, gemeinsam mit dem Mariendom, die begehrte Auszeichnung Erbe der Menschheit. Der sechste deutsche Welterbe-Titel ging mit dem Beschluss von 1985 nach Niedersachsen. Dreizehn Jahre, nachdem die Mitgliedsstaaten der UNESCO die Welterbe-Konvention verabschiedet hatten, war die internationale Anerkennung für eine der außergewöhnlichsten Kunststätten im Lande ausgesprochen und besiegelt – und sie wurde ein ansehnlicher, auch von manchen skeptischen und streitbaren Bürgern des Landes mitgetragener Erfolg.

Mit welcher konkreten Begründung war der Antrag von 1982 für die hohe Auszeichnung auf den Weg gebracht worden? Als unbestritten gilt, dass St. Michaelis um die erste Jahrtausendwende ein baulicher Endpunkt für die ottonische Kaiserzeit und zugleich ein brillanter Auftakt für die romanische Baukunst unter dem aufstrebenden salischen Kaiserhaus war. In der Fachliteratur wird die Michaeliskirche des einst berühmten Benediktinerklosters in Hildesheim gerne als Schlüsselwerk der romanischen Architektur angesehen. Eine archivalisch belegte Bauwerksstiftung legt es nahe, den Baubeginn im Jahr 996 anzunehmen. Einer von möglicherweise mehreren Grundsteinen stammt jedoch erst aus dem Jahr 1010. Von der Vollendung und Einweihung des Kirchenbaus im Jahr 1033 berichtet eine weitere Schriftquelle. Indes: Selbst, wenn man eine Bauzeit von nur 37 Jahren annimmt, wäre sie angesichts der logistischen Möglichkeiten um die erste Jahrtausendwende sowie im Vergleich zu anderen mittelalterlichen Großbauten ungewöhnlich schnell. Eine kürzere Bauzeit von 23 Jahren von der Grundsteinlegung 1010 im Westquerhaus bis zum relativ sicheren Vollendungsjahr 1033, wäre beispiellos und erscheint deshalb eher unwahrscheinlich.

In der dem Erzengel Michael geweihten, doppelchörigen Querhausbasilika treten charakteristische Gestaltungselemente in Erscheinung: die Symmetrie des Innenraumes entlang der Längsachse, die durch vier gleich hohe Arkaden hervorgehobene Ostvierung, das aus dem Vierungsquadrat hervorgehende quadratische Maßsystem der Mittelschiffjoche, der auf die Aachener Pfalzkapelle Karls des Großen Bezug nehmende sächsische Stützenwechsel mit jeweils zwei Säulen zwischen zwei tragenden Pfeilern, die Ringkrypta unter dem Westchor, die inneren Stirnwandaufrisse der Querhäuser mit den zwei großen, vier mittleren und sechs kleineren Bogenstellungen übereinander sowie der zu Strenge und Reduktion auf das Wesentliche neigende Charakter der Würfelkapitelle. In den Ländern nördlich der Alpen zählen diese Gestaltungselemente die Stilmittel auf, die als gemeinsam angewandte Architekturmotive der ottonischen Zeit künstlerisch die Formgebung später begonnener Großbauten mit zwei Querschiffen oder rot-weißen Steinschichtenwechseln vorwegnehmen. Darüber hinaus bezeugt die Michaeliskirche an einigen Stellen eine seltene Steinmetzkompetenz, beispielsweise dadurch, dass man millimetergenau rechtwinklige Natursteinquader herzustellen wusste, die es ermöglichten, sie auf sogenannten Messerfugen fast ohne Verwendung von Mörtel aufzumauern. Diese auf antike Fertigkeiten zurückgehende Technik war in der Erbauungszeit nur wenigen erfahrenen Bauhütten in Mitteleuropa geläufig.

Erwähnung fand bereits im ersten Welterbe-Antrag das Kunstschaffen unter dem Hildesheimer Bischof Bernward (950/960-1022), der einem sächsischen Grafengeschlecht entstammte und 1192/93 heiliggesprochen wurde. Nach Antritt seines Bischofsamts 993 hatte er die Benediktinerabtei als bischöfliches Eigenkloster gegründet, auch um für sich selbst in der Westkrypta eine exklusive Grabstätte einrichten zu lassen. Vor der Übertragung dieses Amts an ihn hatte er den unmittelbaren Zugang zur allerhöchsten Familie gepflegt. Er war politischer Berater Kaiser Ottos II. und seiner byzantinischen Gemahlin Theophanu. Zugleich wirkte er als Mentor Ottos III., ihres auf dem Thron nachfolgenden Sohnes, den er bis zu dessen Tod 1002 in wichtigen Missionen begleitete. Auch sonst verkehrte Bernward europaweit in Diplomatenkreisen. Neben theologischen betrieb er rechtliche, wirtschaftliche und geschichtliche Studien. Auch seine Kenntnisse in den artes mechanicae, den damaligen Handwerkstechniken, sind durch die Lebensbeschreibung seines Biografen Thangmar verbürgt. Bernward muss zu seiner Zeit eine umfassend gebildete Persönlichkeit mit ungewöhnlichen intellektuellen Fähigkeiten gewesen sein. In seinem wie im kaiserlichen Denken war die renovatio imperii Romanorum, die Erneuerung des römischen Reiches, eines der höchsten politischen Ziele – ein Thema, das im Hildesheimer Weltkulturerbe, wie wir sehen werden, heute noch erkennbar ist.

Nachweislich stand Bernward als vielseitiger spiritus rector Pate für die inschriftlich auf 1015 datierten, aus zwei Bronzetafeln bestehenden Türflügel des Mariendoms, die jeweils 1,8 Tonnen wiegen und 4,72 Meter hoch sind. Ihr ursprünglicher Einbauort wurde von einigen Forschern in der Michaeliskirche vermutet, weil die auf einer Querleiste eingravierte Inschrift sie einem Engelstempel zuweist. Durch diese Bezeichnung können sie mit dem Weihetitel der Michaeliskirche verbunden gewesen sein, aber auch mit der Domvorhalle, für die ebenfalls ein Patrozinium des Erzengels Michael existiert. Die Türen mit den beiden Reliefzyklen, auf denen Szenen aus der alttestamentarischen Genesis und aus dem Leben Christi typologisch einander gegenübergestellt sind, waren eine erstaunliche und einzigartige gusstechnische Leistung ihrer Zeit. Außerdem waren sie durch die bildlichen Erzählweisen eine Innovation, für die kein Vorbild nachweisbar ist. Die links absteigende und rechts aufsteigende Lesefolge lässt sich als stumme Predigt verstehen: Mit der Vertreibung Adam und Evas aus dem Paradies führt sie den Betrachtern den Absturz der Menschheit in die Tiefe vor Augen, mit der Auferstehung Christi lässt sie die Erlösung der Gläubigen als Wiederaufstieg ins Himmelreich erkennen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach war Bernward auch der Ideengeber für die Christussäule aus Bronze, die jahrhundertelang in der Michaeliskirche hinter dem Hauptaltar stand und nicht im Mariendom, in dem sie sich heute befindet. Sie ist mit einem spiralförmig aufsteigenden Reliefband geschmückt und enthält auf dem Säulenschaft, der aus einem Stück besteht, mit 28 figürlichen Szenen aus dem Leben Christi eine signifikant höhere Anzahl an modellierten künstlerischen Arbeiten als die Bronzetüren. Mindestens ebenso kunstfertige Gießer wie die der Bronzetüren hatten diese einzeln stehende Säule nach den in Rom tatsächlich auch damals noch sichtbaren Vorbildern der beiden kaiserlich-antiken Triumphsäulen der Kaiser Traian und Marc-Aurel aus dem zweiten Jahrhundert gegossen. Die Hildesheimer Christussäule ist es, die bildlich ein besonders sprechendes Zeugnis für die politische Auffassung des herrschenden Hochadels ablegt, das Kaisertum mit dem christlichen Machtanspruch legitimiere sich aus der Nachfolge der römerzeitlichen Imperatoren. Antike Traditionen aufgreifend, lässt sich der Versuch, das alte bewunderte römische Staatssystem wiederherzustellen, von Historikern vielfach nachweisen.

Während des gesamten Mittelalters findet man Türflügel aus einem Stück entweder nur mit wenigen Ornamenten versehen oder aus vielen Einzelteilen zusammengesetzt. Die Integration von achtteiligen figürlichen Szenen in jeweils eine Gussform musste damals wie ein technisches Wunder wirken. Monumentalplastiken, die in einem Stück aus Metall gegossen waren, gab es vorher fast nur in antiken Zeiten. An die technische Herausforderung hatte man sich erst seit Karl dem Großen wieder herangewagt – und dann lediglich auf Geheiß allerhöchster Förderer. Bernward, der diesen Kreisen angehörte, gilt als ein solcher. Gerade die monumentalen Bronzekunstwerke in Hildesheim bezeugen mindestens eine, wahrscheinlich aber doch mehrere Persönlichkeiten mit künstlerisch brillanten sowie gusstechnisch exzeptionellen Fertigkeiten. Es liegt nahe, dass Bernward aufgrund seiner Bildung einer der führenden Köpfe für deren Konzeption war. Verblüffenderweise gab es für solche Leistungen so gut wie keine Nachfolger. Die technisch gelungene Herstellung von großformatigen Gusshohlkörpern mit figürlichen Oberflächen, für die Säule sogar in gewundener Form, sollte bis zum Ende des Mittelalters nahezu einzigartig bleiben. Die wenigen späteren Versuche gerade in Italien, Monumentaltüren oder Großplastiken aus Bronze anzufertigen, liefen überwiegend darauf hinaus, mehrere Einzelteile zusammenzusetzen – ein Herstellungsweg, der in der Entwicklungsgeschichte künstlerischer Gusstechniken auch die zunehmende Rationalisierung der Arbeit erkennen lässt.

Der Stellenwert der Bronzetüren und der Christussäule wurde insofern zur Speerspitze der Welterbe-Argumentation. Wegen ihrer unangefochtenen Konkurrenzlosigkeit war aber auch die 200 Jahre jüngere, in ihren Ausmaßen beispiellose Bilderdecke von St. Michaelis aus dem 13. Jahrhundert mit der Darstellung der Wurzel Jesse ein gewichtiges Argument für den Welterbe-Antrag. Schließlich zählte man die sogenannten Seligpreisungen in den Arkadenzwickeln des südlichen Seitenschiffs sowie den Figurenschmuck an der nördlichen Chorschranke im Westquerhaus von St. Michaelis zu den nennenswerten Kunsterzeugnissen der Zeit um 1200 hinzu. Diese Kunstwerke aus modelliertem Stuck gingen von einer Künstlergruppe in der Harzregion aus, die durch ihre figürlichen und farblichen Darstellungsfähigkeiten in Norddeutschland ein besonderes Augenmerk der Kunstwissenschaft hervorgerufen hatte.

Trotz dieser Argumentationsmöglichkeiten brauchte die Welterbe-Nominierung der Michaeliskirche im zweiten Anlauf eine flankierende Betrachtung, um das ambitionierte Vorhaben, Weltkulturerbe zu werden, zum angestrebten Erfolg zu führen. Denn vom 16. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Michaeliskirche jahrhundertelang Verfall und gravierende bauliche Veränderungen erlebt. Die schweren Zerstörungen Hildesheims im Zweiten Weltkrieg hatten das bedeutungsvolle Monument sozusagen entblößt und entkernt. Und die in den 1950er Jahren favorisierte Rekonstruktion eines idealisierten, aber letztlich nicht beweisbaren Ursprungszustands, beraubte sie schließlich fast ihrer gesamten Baugeschichte. So nahmen die Verfasser des zweiten Welterbe-Antrags den Mariendom, obgleich er im Zweiten Weltkrieg noch viel schwerer als die Michaeliskirche zerstört worden war, als Gehäuse für eine außergewöhnlich große Zahl von historischen Ausstattungsstücken in die Welterbe-Expertise auf. Immerhin war er durch die hochrangigen mittelalterlichen Bischofspersönlichkeiten eng mit der Michaeliskirche verknüpft. Zusammengenommen gaben die Kunstwerke im Mariendom und in seinem Domschatz einen einzigartigen Überblick über die Gestaltung und die Einrichtung einer Kirche, wie sie in romanischer Zeit üblich waren. Man benannte eigens die das Himmlische Jerusalem symbolisierenden Radleuchter der Bischöfe Azelin und Hezilo aus dem 11. Jahrhundert, die Schreine für die heiligen Epiphanius und Godehard aus dem 12. Jahrhundert, das um 1230 gegossene Taufbecken aus der Zeit Bischof Konrads, den steinernen Lettner von 1546, die Gobelins aus der Zeit um 1620, den Maria-Immaculata-Altar von 1729-31 sowie summarisch die zum Domschatz gehörenden Exponate aus dem Dommuseum, unter denen Handschriften, Holzskulpturen oder auch Goldschmiedearbeiten wie beispielsweise die beiden Bernwardskreuze hervortreten. Baulich zählte man im Bestandsverzeichnis des Welterbe-Antrags zusätzlich zu dem größtenteils nach 1945 wiederaufgebauten Domgebäude immerhin auch seine erhalten gebliebene Ostkrypta sowie seine nur teilzerstörten Annexbauten mit dem dreiflügelig-doppelgeschossigen Kreuzgang, der Laurentius- und der Antoniuskapelle, dem sogenannten Rittersaal, weiteren Räumen der Domschatzkammer sowie der freistehenden Annenkapelle inmitten des Kreuzganghofs auf.

Mit beiden Strängen der Darlegung – dem auf die Architektur und dem auf die Ausstattungen bezogenen – konnten die Hildesheimer Michaeliskirche und der Mariendom ihre baulich zwar reduzierte, aber im Gesamtbild immer noch vielschichtige Authentizität (Echtheit) und ihre den kirchlich-liturgischen Kunstwerken innewohnende Integrität (Unversehrtheit), den Welterbe-Anforderungen entsprechend, nachweisen. Heute muss man sich allerdings bewusst machen, dass mit der zweiten Antragstellung weniger die Materialität des im Kriege fast vollständig zerstörten und danach relativ frei wiederaufgebauten Dombauwerks gemeint war, als die tatsächlich stilbildende Gestaltung und Wirkung der Michaeliskirche, die trotz ihrer Purifizierung und ihrer baulichen Veränderungen im 20. Jahrhundert immer noch erlebbar ist. Die baulichen Hüllen von Michaeliskirche und Mariendom erklären sich in ihrem Outstanding Universal Value als tausendjährige Ausstattungsensembles, die nicht nur mit den frühromanischen Gestaltungselementen, sondern viel mehr noch mit den zahlreichen besonders herausgearbeiteten Ausstattungsexponaten von Weltrang aufwarten können, die in beiden Kirchen sowie im Dommuseum präsentiert werden. In ihrer Zusammengehörigkeit werden mittelalterlich-sakrale Lebensumstände der römisch-deutschen Kaiserzeit um die erste Jahrtausendwende in Hildesheim erlebbar.

In diesem Sinne hatten sich die Fachleute bei der Michaeliskirche mit der seit dem 19. Jahrhundert wieder erschaffenen Ikone der Romanik zu befassen. Den Mariendom dagegen betrachteten sie als Aufbewahrungsstätte wichtiger Kunstwerke und des Domschatzes, die Annexbauten des Domkonvents als baulich authentisch überlieferte Botschaften seiner einst vorhandenen Unversehrtheit. Daraus mag sich erklären, warum ein solcherart verflochtenes Verständnis der Hildesheimer Welterbestätte in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Kopfschütteln hervorgerufen hat. Gleichwohl konnten die komplexen Verständnisnuancen den Titel Erbe der Menschheit nicht erschüttern. Denn im abschließenden Ergebnis aller kritischen Fragen umfasst die Welterbestätte in Hildesheim tatsächlich ein außergewöhnliches und erstrangiges Zeugnis religiöser Kunst aus der Zeit der ersten Jahrtausendwende im deutsch-römischen Kaiserreich des hohen Mittelalters. Mit der Aufnahme in die Welterbeliste bescheinigte die UNESCO 1985 der Hildesheimer Kunststätte, dass erstens die Bernwardinischen Bronzewerke im Mariendom sowie die bemalte Mittelschiffdecke von St. Michaelis Meisterwerke der menschlichen Schöpferkraft darstellen, dass zweitens die Gestaltung von St. Michaelis einen großen Einfluss auf die Entwicklung der mittelalterlichen Architektur ausgeübt hat, und dass drittens beide Kirchen mit ihren künstlerischen Ausstattungen einer untergegangenen Kultur angehören, die ein nicht zu übertreffendes Gesamtverständnis der Ausschmückung romanischer Kirchen im westlichen Abendland ermöglichen. Mit der Bestätigung dieser drei UNESCO-Anforderungen wird weltweit kein Ort mit Alleinstellungsmerkmalen gleicher Art zu finden sein.
Woran orientieren sich Schutz und Pflege der Welterbestätte?

Im Sinne von § 3 Absatz 2 des niedersächsischen Denkmalschutzgesetzes kommt den Bau- und Kunstwerken der Welterbestätte in Hildesheim neben ihrer bahnbrechenden künstlerischen Bedeutung eine außergewöhnliche geschichtliche Bedeutung zu, die sich wegen der mittelalterlich-kaiserlichen, der kirchlich-gesellschaftlichen sowie der kunsthandwerklich-technischen Zeugnisfacetten in zahllosen Publikationen niederschlägt. Mit der umfassenden Erforschung beider Baudenkmale, von St. Michaelis und Mariendom, die man in den letzten Jahrzehnten verfolgte, lässt sich schließlich auch die seit dem 19. Jahrhundert aufgebaute, euphemistische Aneignung der romanischen Kunst als spezifisch deutscher Nationalstil erkennen und überwinden. Die Baudenkmalpflege, die Restaurierung und die öffentliche Betrachtung der letzten dreißig Jahre hatten sich gleichermaßen mit der jüngeren und der jüngsten Schicht der Monumente zu befassen. Insofern steht die wissenschaftliche Bedeutung der Michaeliskirche und des Mariendoms sowie ihrer Ausstattungen für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Betrachtung außer Frage. Da die dem Welterbe zugewiesenen Bau- und Kunstwerke in der kunstwissenschaftlichen Fachliteratur durchgehend zu den künstlerisch erstrangigen Beispielen ihrer Gattung zählen, hat die ortsgebundene Erhaltung des von der UNESCO anerkannten Welterbe-Ensembles in Hildesheim einen besonders hohen Stellenwert in Niedersachsen. Die mittels Denkmalschutzgesetz verbürgte Erhaltung liegt deshalb ohne Einschränkung im öffentlichen Interesse.

Mit dem beachtenswerten Westflügel seines Kreuzgangs – neben der Basilika letzter verbliebener Bauteil des hochmittelalterlichen Benediktinerklosters – ist die Michaeliskirche unter Einschluss jüngerer Baulichkeiten auf dem Michaelishügel auch als Gruppe baulicher Anlagen nach § 3 Absatz 3 ins Denkmalverzeichnis des Landes Niedersachsen eingetragen. Dementsprechend ist der Mariendom mit seinen Annexbauten des ehemaligen Domkonvents und einem Großteil der ebenfalls jüngeren Bebauung der sogenannten Domimmunität in der niedersächsischen Denkmalliste verzeichnet. In einer kriegsbedingt ihres baulichen Reichtums hochgradig beraubten Stadt wie Hildesheim sind die städtebaulichen Schutzfunktionen für besonders exponierte Baudenkmale, die sich auch noch auf den Hügelkuppen der Stadt erheben, bis heute besonders wichtig. Erwähnt sei dazu, dass die Benediktiner von Beginn ihrer Bautätigkeit an, und im Gegensatz beispielsweise zu den Zisterziensern, die erhöhte Lage ihrer Klöster und deren dominante Wirkung grundsätzlich bevorzugten – ein Markenzeichen, das auch für den heutigen Betrachter auf den ersten Blick wahrnehmbar ist.

Da jedoch der sogenannte Umgebungsschutz der föderal erlassenen deutschen Denkmalschutzgesetze die empfindlichen Umgebungsschutzansprüche von Welterbestätten nicht umfassend gewährleisten kann, legte ein Expertengremium aus Fachleuten, Eigentümer- und Administrationsvertretern 2007/08 eine für alle städtebaulichen Planungen in Hildesheim geltende Pufferzone für die Welterbestätte fest. Sie umfasst das Gebiet der gesamten Altstadt sowie eine breite Schneise vom Moritzberg aus. Die Pufferzone, die, vom Stadtrat akzeptiert, der UNESCO übermittelt wurde, soll die Panoramasicht auf die beiden Kirchhügel sowie auf die Welterbemonumente selbst vor optischen Beeinträchtigungen durch bauliche Anlagen mit einer unangemessenen Höhe, Kubatur oder Gestaltung schützen. Deshalb werden der Erhalt sowie die angemessene Gestaltung der Umgebung des UNESCO Welterbes einer besonderen landesrechtlichen Schutzklausel gemäß § 2 Absatz 3 des 2011 novellierten Denkmalschutzgesetzes unterstellt. Weitere Rahmenbedingungen zur behutsamen Stadtentwicklung, zu Art und Maß der Bauweise, der baulichen Nutzung und der Grundstücksflächen werden durch das bundesdeutsche Baugesetzbuch vorgegeben. Die Verbindung von Bau- und Planungsrecht mit dem Niedersächsischen Denkmalschutzgesetz verspricht schließlich einen Schutz auf mehreren Ebenen – entsprechend der baugeschichtlichen, der architektonischen und der künstlerischen Bedeutung der Hildesheimer Kirchenbauten.

Indessen gelten die Erhaltungspflichten aus dem UNESCO-Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt mit ihren Anforderungen sowohl für die durchaus abweichend voneinander zu behandelnden Kirchen als auch für die in der Welterbe-Anerkennung der UNESCO als artistic treasures bezeichneten Ausstattungen. Dazu zählen ohne Einschränkung die zum Kircheninventar gehörenden Kunstwerke von Michaeliskirche und Mariendom, die heute im Dommuseum präsentiert werden. Wesentlich für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Hildesheimer Welterbestätte und ihrer urbanen Umgebung ist es aber, bei allen Planungen Abstimmungsprozesse vorzusehen, die sämtliche Belange von Relevanz zu Wort kommen lassen, insbesondere wenn es um konkurrierende Bauvolumina oder Bauhöhen von Neubauten geht. Indes gehören zu einem konstruktiven Zusammenspiel nicht nur bau-, planungs- und ordnungsrechtliche Vorgaben sowie kirchliche, museale und denkmalpflegerische Aspekte, sondern im weiteren Sinne die öffentlichen Anliegen, die das Augenmerk auf das Ansehen der Welterbestätte und ihre global sichtbare Repräsentation werfen. In diesem Sinne äußerte 2006 die damalige Präsidentin der deutschen Kultusministerkonferenz Ute Erdsiek-Rave im sogenannten Welterbe-Manual: Kunst und Kultur verbinden Menschen, Regionen und Nationen, sie stiften Identität und dienen zugleich als grenzüberschreitende, verbindende Sprache. Deshalb ist es unsere Pflicht, Kunst und Kultur zu respektieren – im Sinne der UNESCO-Konvention von 1972



Hinweise auf weiterführende Literatur

Binding, Günther: St. Michaelis in Hildesheim, Einführung, Forschungsstand und Datierung, in: St. Michaelis in Hildesheim, Forschungsergebnisse zur bauarchäologischen Untersuchung im Jahr 2006 (Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 34) Hameln 2008, S. 6-73.

Brandt, Michael (Hg.): Abglanz des Himmels, Romanik in Hildesheim, Regensburg 2001.

Brandt, Michael, Arne Eggebrecht (Hg.): Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen, Mainz 1993

Dehio, Georg: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler Bremen Niedersachsen, München/Berlin 1992, S. 695-710 (Mariendom), 723-728 (St. Michaelis).

Domkapitel Hildesheim (Hg.): Der Hildesheimer Mariendom – Kathedrale und Welterbe, Regensburg 2014.

Grote, Rolf-Jürgen, Vera Kellner (Hg.): Die Bilderdecke der Hildesheimer Michaeliskirche – Erforschung eines Weltkulturerbes (Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 28 u.a.), München/Berlin 2002.

Höhl, Claudia: Das Taufbecken des Wilbernus – Schätze aus dem Dom zu Hildesheim, Regensburg 2009.

Knapp, Ulrich (Hg.): Der Hildesheimer Dom – Zerstörung und Wiederaufbau, Petersberg, 1999.

Kruse, Karl Bernhard (Hg.): Der Heziloleuchter im Hildesheimer Dom, Regensburg, 2015.

Kruse, Karl Bernhard: Die Baugeschichte des Hildesheimer Doms, Hildesheim 2017.

Lutz, Gerhard, Angela Weyer (Hg.): 1000 Jahre St. Michael in Hildesheim – Kirche, Kloster, Stifter (Schriften des Hornemann Instituts, Band 14) Petersberg, 2012.

Mende, Ursula: Die Bronzetüren des Mittelalters 800-1200, München 1983, S. 28-33, 135f.

Suckale, Robert: Geschichte der Kunst in Deutschland, Köln ²2005, S. 41-47.

Zittlau, Reiner: Alte und Neue Blickwinkel auf die Hildesheimer Welterbe-Monumente, in: Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen, Heft 1, 2016, S. 2-7.


Das Hildesheimer Weltkulturerbe auf den Seiten der UNESCO

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