Synagogen in Niedersachsen

Von Mirko Przystawik, Katrin Keßler und Ulrich Knufinke

Bis zur Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 bildeten Synagogen einen integrativen Teil der deutschen Städte- und Dorfbilder. Für das Land Niedersachsen in seinen heutigen Grenzen sind über 500 von ihnen durch bauliche, textliche oder bildliche Zeugnisse für die Zeit zwischen dem Mittelalter und heute belegt. Noch etwa 60 von ihnen sind ganz oder in Teilen erhalten, 18 stehen unter Denkmalschutz und von sieben weiteren sind archäologische Fundstellen belegt. Nach der Schoah bildeten sich hier neue jüdische Gemeinden, so dass zur Zeit ca. 14 aktive Synagogen existieren, die das Zentrum eines regen Gemeindelebens jüdischer Gemeinschaften in Niedersachsen bilden.

Der Begriff Synagoge leitet sich vom griechischen Wort synago (= zusammenführen, vereinigen, verbinden) ab. Die Synagoge ist demnach der Raum der Versammlung (hebr. bet knesset) für die jüdischen Gemeinden und wird im Hebräischen auch bet tfila (= Haus des Gebets) genannt. Diese Begriffe, wie auch der im Mittelalter und der frühen Neuzeit gebräuchliche Begriff „Schul“, mögen verdeutlichen, dass die Funktion der Synagogen – historisch gesehen – nicht nur der Versammlung der Gläubigen zum gemeinsamen Gebet bzw. dem Gottesdienst diente, sondern auch andere Funktionen aufnahm, wie Unterricht oder weltliche Gemeindeversammlungen.

Die untenstehende Liste mit Synagogen und Betsälen wird im Projekt „Niedersachsen – Eine jüdische Topographie“ erarbeitet und im Projektverlauf sukzessive erweitert. Den Anfang machen die 18 unter Denkmalschutz stehenden Objekte. Während aus Sicht der jüdischen Gemeinden selbst keine Unterscheidung gemacht wird, verwendet dieses Portal den Begriff „Synagoge“ für Gebäude, die primär für diesen Zweck gebaut wurden, und den Begriff „jüdischer Betsaal“ für Synagogen, die als untergeordnete Teile in einem zumeist bereits bestehenden Gebäude eingerichtet wurden.

Jüdische Gemeinden mit Synagogen, Friedhöfen und anderen religiösen, kulturellen und sozialen Einrichtungen sind hier seit dem Mittelalter belegt. Die frühesten archivalische Quellen zu Synagogen deuten in das erste Drittel des 14. Jahrhunderts (Braunschweig 1320, Hameln Anfang 14. Jh., Helmstedt 1320, Osnabrück 1309). Durch die Pogrome des Mittelalters und damit einhergehende Vertreibungen der Jüdinnen und Juden sind keine baulichen Reste von Synagogen dieser Zeit erhalten.

Erst für die Phase der Wiederansiedlung in der Neuzeit sind bildliche, schriftliche und materielle Zeugnisse von jüdischen Betsälen und Synagogengebäuden zu finden. Sie reichen zurück bis ins 18. Jahrhundert. Sich neu konstituierende jüdische Gemeinden versammelten sich zu dieser Zeit häufig zum gemeinsamen Gebet in Räumen von Wohnungen von Gemeindemitgliedern oder in eigens angemieteten Räumen. Es handelte sich hierbei z. T. um einfache Wohnräume, die groß genug waren, um das Quorum von mindestens zehn religionsmündigen Männern (in liberalen Gemeinden heute auch Frauen) aufzunehmen und genügend Sitzplätze (ggf. mit Pulten für Gebetbücher) für sie zu bieten. Für die Lesung aus den Torarollen war darüber hinaus ein Lesepult und ein Schrein zur deren Aufbewahrung nötig. Neben wenigen religionsgesetzlichen Voraussetzungen für die Gestaltung eines Synagogenraumes, wie z. B. einem Sichtschutz für den getrennten Sitzbereich der Frauen, gab es kaum materielle Vorschriften für deren Einrichtung. So konnten die frühen jüdischen Betsäle genauso schnell wieder aufgegeben werden, wie sie eingerichtet wurden. Es ist daher möglich, dass eine Vielzahl von ihnen räumlich noch vorhanden ist. Unter den archivalisch bekannten Synagogen und Betsälen finden sich über 300, von denen nicht systematisch erfasst ist, ob und inwieweit noch materielle Reste der einstigen jüdischen Nutzung vorhanden sind. Dies ist zum Teil der Umstand geschuldet, dass eine eindeutige Identifizierung der Gebäude bzw. auch der Räume in Bestandsgebäuden fehlt. Das Projekt zur „Jüdischen Topographie Niedersachsen“ rückt damit erstmals auch ein Großteil der Synagogen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, die nicht im Zuge der Pogromnacht 1938 zerstört worden sind. Zu diesen Bauten gehören zum Beispiel die Betsäle in Wolfenbüttel in der Harzstraße 12 und Rhüden Auf den Steinen.

Als typische Vertreter des Synagogenbaus des 18. Jahrhunderts können die Bauten in Hornburg und Osterode am Harz gelten. Die beiden Fachwerkbauten standen in zweiter Reihe hinter einem Vorderhaus und waren von der Straße aus nicht einsehbar – öffentlich sichtbare jüdische Gebetshäuser wurden von der christlichen Mehrheit seinerzeit nicht geduldet. Die im Grundriss quadratischen Bauten waren entlang einer Ost-West-Achse orientiert: Vor der Ostwand fand der Toraschrein seinen Platz; hierbei konnte der Schrein entweder in den Synagogenraum integriert sein, wie in Hornburg, oder einen Erker ausbilden, der hier in Osterode zwar verloren ist. Jedoch lässt er sich anhand baulicher Spuren in der Fachwerkstruktur nachweisen. Das Aussehen der barocken Synagogeneinrichtung ist gut überliefert: Im Braunschweigischen Landesmuseum hat sich die Einrichtung aus Hornburg erhalten. Sie bildet seit 1924 das Kernstück der jüdischen Abteilung des Museums. Das Zentrum der Synagoge bildete hierbei ein zentrales, erhöhtes Podium, von dem aus die Torarollen verlesen wurden. Im Westen, dem Toraschrein gegenüber, befand sich eine Empore für die Frauen – die Geschlechtertrennung war seinerzeit in Synagogen üblich und ist es in orthodoxen Bethäusern bis heute. Während das Äußere der barocken Synagogen eher zurückhaltend gestaltet war, zeigte sich ihr kultureller Reichtum im Inneren mit aufwendigen Schnitzereien, farblichen Fassungen und Wandmalereien.

Von dem 1810 in Seesen eingeweihten „Jacobstempel“ ging aus Niedersachsen eine bedeutende Reform im Synagogenbau und im jüdischen Gottesdienst aus, die weltweit Wirkungen zeitigen sollte. Der braunschweigische Hoffaktor und Landrabbiner Israel Jacobson (1768–1828) hatte in Seesen 1801 eine der frühen jüdischen Reformschulen gegründet, an der jüdische und bald auch christliche Kinder im Sinne der Aufklärung unterrichtet werden sollten. Kinder aus nah und fern gingen dort zur Schule und erlebten im „Tempel“ jüdische Gottesdienste, wie es sie zuvor nicht gegeben hatte: mit Orgel- und Chormusik, mit deutschsprachigen Predigten und in einem Raum, der eher an eine protestantische Kirche erinnerte.

Nach der Franzosenzeit Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelten sich die Synagogenarchitekturen von unscheinbaren Hinterhäusern zu freistehenden prachtvollen Gebäuden. Die Stellung der Synagoge im Stadtraum korrelierte dabei mit dem Fortschreiten der Verbürgerlichung der Jüdinnen und Juden in der Stadtgesellschaft. Die 1841 eingeweihte Synagoge in Dornum liegt repräsentativ an der Straße, die Schloss und Marktplatz verbindet. Der Ziegelbau mit Walmdach folgt der ortsüblichen Gestaltung für Wohnhäuser, lediglich eine hebräische Inschrift am Portal und die Rundbogenfenster wiesen auf die sakrale Nutzung hin. Das Gebäude, das seit den 1990er Jahren als Gedenkstätte fungiert, wurde im Laufe der Zeit mehrfach renoviert und umgebaut. So wurden durch die jüdische Gemeinde im Jahr 1896 Sitzbänke eingebaut. Eine Elektrifizierung erfolgte im Jahr 1920. Trotz des Verkaufs an eine benachbarte Tischlerei zwei Tage zuvor, wurde die Synagoge in der Pogromnacht 1938 geschändet, ihre Fenster eingeschlagen und die Inneneinrichtung zerstört. Mit dem Umbau zu einem Geschäft Ende der 1950er Jahre wurde die Fassade der Synagoge abgetragen und ca. 1 m nach Westen versetzt. Auch wurde die Nordwand aufgrund von statischen Problemen mit einer Innenschale ertüchtigt. Im Zuge der Umnutzung zur Gedenkstätte in den 1990er Jahren wurde die Westfassade abgetragen und an ursprünglicher Stelle rekonstruiert. Im Zuge dieser Maßnahmen wurden auch weitere Veränderungen an den Fassaden vorgenommen, von denen sich einige noch heute ablesen lassen, so wurde die Ostwand um den Toraschrein samt den nebenstehenden Fenstern rekonstruiert. Im Inneren fand man bei archäologischen Grabungen unterhalb der Frauenempore eine Struktur, die sich als jüdisches Ritualbad, als Mikwe, interpretieren lässt.

Spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts war der Synagogenbau zu einer Standardaufgabe für Architekten geworden. Der jüdische Architekt Edwin Oppler entwickelte mit seinen Entwürfen wegweisende Konzepte für den Synagogenbau, die weithin rezipiert wurden. Seine zwischen Neo-Romanik und Neo-Gotik tendierenden Synagogen für Hannover und Breslau können als Schlüsselbauten gelten und wurden weithin rezipiert.

Die jüdische Gemeinde in Eldagsen verpflichtete mit Ernst Bösser (1837–1908) einen Architekten, der vor Aufnahme einer eigenständigen Tätigkeit im Büro von Edwin Oppler (1831–1880) angestellt gewesen war. Bösser war zudem ein glühender Anhänger von Conrad Wilhelm Hase (1818–1902) und wird Ihnen vermutlich bestens als Architekt der Villa Rümpler in Hannover bekannt sein, die heute der Dienstsitz des Niedersächsischen Landesamts für Denkmalpflege bildet. Etwa zeitgleich zur Villa realisierte Bösser zwischen 1866 und 1868 seinen Entwurf für die Synagoge in Eldagsen. Der zweigeschossige Ziegelbau ist über griechischem Kreuz errichtet. Den Ostarm besetzte der Toraschrein, der in einer Auslucht vor das Gebäude trat; ihm gegenüber im Westen war die Frauenempore angeordnet. Im Süden schließt sich ein Gebäudeteil an, der im Erdgeschoss die jüdische Schule und im Obergeschoss die Wohnung des Lehrers aufnahm. Die straßenseitige Nordfassade des Gebäudes wurde im Zuge einer Umnutzung zum Wohnhaus in der Nachkriegszeit stark überformt. Anstelle der Rechteckfenster war ursprünglich eine dreiteilige Gliederung mit neogotischen Lanzettfenstern vorhanden.

Die Synagogen in Braunschweig (eingeweiht 1873–75) und Wolfenbüttel (1893), beide vom christlichen Architekten Constantin Uhde (1836–1905) in Mischungen aus romanischen und orientalischen Formen errichtet, folgten in ihrer Ausstattung den inzwischen weiterentwickelten und differenzierten Ideen der Gottesdienstreform. Vor allem waren sie aber Bauwerke, die mit den zeitgenössischen öffentlichen und kirchlichen Bauten in den diversen Stilen des Historismus „auf Augenhöhe“ standen – in Wolfenbüttel sogar mit einer für Synagogen unüblichen Doppelturm-Front, wie sie bei Kirchen typisch war.

Beide Synagogen Uhdes wurden in der Zeit des Nationalsozialismus zerstört, wie auch die anderen Synagogen und Betsäle in der Region verloren oder umgebaut sind. In Braunschweig blieb jedoch das neben der Synagoge von Uhde errichtete jüdische Gemeindehaus erhalten, das nach dem Zweiten Weltkrieg zur Heimat der neu gegründeten jüdischen Gemeinde wurde. 2006 baute man in den Hof einen neuen Synagogensaal ein. Er schließt direkt an die Betonwand des Bunkers an, den die Nationalsozialisten auf dem Grundstück der Synagoge errichtet hatten – ein gelungenes Zusammenspiel historischer Mauern und moderner Architektur, wie es im zeitgenössischen Synagogenbau nur selten anzutreffen ist. Von dem Entwurf Constantin Uhdes ist das Gemeindehaus erhalten geblieben, in dem 1983 durch den Architekten Wiesemann wieder ein jüdischer Betsaal eingerichtet wurde. Nach dem Zuzug von Jüdinnen und Juden aus den Staaten der ehemaligen UdSSR wuchs die jüdische Gemeinde Braunschweig an, so dass eine größere Synagoge notwendig wurde. Der im Dezember 2006 eingeweihte Neubau des Architekten Klaus Zugermeier positionierte sich in den Hof des Gemeindehauses und schloss eine Bunkeraußenwand in seine Gestaltung mit ein. Er bildet damit den dritten Synagogenbau, der auf dem Areal errichtet wurde und knüpft – wenn auch in einer gebrochenen Kontinuität – an die jüdische Vorkriegsnutzung an.

Auch die jüdische Gemeinde in Oldenburg bediente sich bei der Neueinrichtung ihrer Synagoge eines bestehenden Gebäudes. Nachdem die Synagoge in der Peterstraße aus dem Jahr 1854 in der Pogromnacht 1938 zerstört worden war, konnte die jüdische Nachkriegsgemeinde einen Betsaal in der Cäcilienstraße einrichten. Aufgrund von Mitgliederschwund löste sich die Gemeinde jedoch Ende der 1960er Jahre wieder auf. Durch eine Initiative gründete sich die jüdische Gemeinde Oldenburg Anfang der 1990er Jahre neu. Als Ersatz für die zerstörte Synagoge, auf deren Grundstück 1967 und 1990 Mahnmale errichtet wurden, erhielt die Gemeinde von der Stadt Oldenburg eine ehemalige Baptistenkappelle. Diese wurde umgebaut und in ihrem Obergeschoss ein jüdischer Betsaal eingerichtet. Das Gebäude war zwischen 1867 und 1868 durch den Architekten Queße als Baptistenkapelle errichtet worden. Ab 1906 diente es der Guttempler-Loge als Vereinshaus, seit 1916 dem Peter-Friedrich-Ludwigs-Hospital als Isolierhaus. Es schlossen sich Nutzungen als Schule und Labor an, bevor die jüdische Gemeinde Oldenburg es 1994 als Gemeindehaus mit Synagoge umnutzte. In diesem Zuge wurde auch eine Inschriftentafel aus der zerstörten Synagoge als Spolie über das Hauptportal eingesetzt.

Mit den erhaltenen Synagogen zeigt sich im Land Niedersachsen ein breites Spektrum an verschiedenen Bauten und Erhaltungszuständen. Die Gebäude stehen in dabei stets in einer Folge von Nutzungen, Renovierungen, Umnutzungen, baulichen Veränderungen und Adaptionen. Bis auf die Nachkriegssynagogen stehen die Gebäude dabei in einer gebrochenen Nutzungskontinuität. Als materielle Zeugnisse spiegeln sie jedoch die einst reiche jüdische Kultur und Geschichte wider und bilden als Mahnmale wichtige Bestandteile der lokalen und regionalen Erinnerungskultur.


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