Emanuel Bruno Quaet-Faslem (1785–1851): Ein flämischer Architekt baut in Niedersachsen

Von Ulrich Knufinke

Emanuel Bruno Quaet-Faslem, geboren 1785 im heute belgischen Dendermonde, gestorben 1851 in Nienburg/Weser, gehört als Architekt zu den immer noch kaum bekannten Baumeistern des Klassizismus in Norddeutschland. Aus seiner Generation stammen weitaus berühmtere Baumeister wie Karl Friedrich Schinkel (1781–1841), Leo von Klenze (1784–1864) und Georg Ludwig Friedrich Laves (1788–1864), Leiter des Bauwesens im Königreich Hannover, oder Friedrich August Ludwig Hellner (1791–1862), der in seiner Zeit wohl produktivste Architekt evangelischer Kirchen in Norddeutschland. Doch wie kaum ein anderer verkörpert Quaet-Faslem die Protagonisten der Modernisierung, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts grundlegende Veränderungen in der Wirtschaft, im Verkehr und in der Bildungspolitik vorantrieben – mit Bedeutung weit über die Architektur hinaus.

Quaet-Faslems Lebensweg ist bemerkenswert: Nach einem Architektur- und Ingenieurstudium in Gent arbeitete er als Straßen- und Wasserbauingenieur im inzwischen von den französischen Revolutionsarmeen eroberten Flandern. Mit Napoleons Truppen kam er ca. 1812 nach Norddeutschland. Er leitete eine der umfangreichsten Infrastrukturmaßnahmen jener Zeit, den Bau einer über weite Strecken schnurgeraden, modernen militärischen und ökonomischen Anforderungen entsprechenden Chaussee zwischen Bremen und Osnabrück (heute die Bundesstraße 51).

Seit 1812 verheiratet mit Johanna Catharina Richter aus Bassum, verließ Quaet-Faslem Norddeutschland nicht, als die französische Herrschaft endete. Die Familie ließ sich in Nienburg/Weser nieder, seinerzeit eine kleine, ehemalige Garnisonsstadt mit erheblichen wirtschaftlichen Problemen. Dort ließ er 1821 auf den ehemaligen Wallanlagen eine schlichte, aber großzügige Villa errichten, die heute als Quaet-Faslem-Haus Teil des Museums Nienburg ist. Sie war seinerzeit das größte und repräsentativste Privatgebäude der Stadt und ist heute eines der wenigen in Deutschland erhaltenen klassizistischen Architektenwohnhäuser.

In Nienburg stieg der vielseitig interessierte und engagierte Quaet-Faslem, der sich als glühender Anhänger des 1814 ausgerufenen Königreichs Hannover präsentierte, rasch zu einem geachteten Bürger auf – und erhielt 1821 die Bürgerwürde. Wichtige Bauten in der Stadt wurden von ihm entworfen, darunter die Bürgerschule (1824/25, 1945 zerstört) und die Synagoge (1823, 1938 zerstört). Als „Baurath“ betrieb er aber auch die Umgestaltung der zahlreichen Fachwerkgiebel der Stadt in schlicht verputzte, traufständige Steinfassaden. So erhielt Nienburg nach und nach ein vom rationalen, schlichten flämisch-französischen Klassizismus geprägtes Gesicht, das bis heute in etlichen Beispielen erkennbar ist.

Städtebaulich von Bedeutung war Quaet-Faslems Umgestaltung des ehemaligen Schlossareals zu einem von einer Baumreihe umstandenen Paradeplatz ab 1826. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts standen dort Kasernen der Nienburger Garnison. Der Platz war vergleichbar mit dem Waterloo-Platz in Hannover mit der Waterloo-Säule von Laves (errichtet ab 1826, von Quaet-Faslem eingereichte Wettbewerbsentwürfe kamen nicht zum Zuge) oder mit dem heutigen Löwenwall in Braunschweig von Peter Joseph Krahe (angelegt ab 1812). Um den Paradeplatz gruppierten sich die genannte Bürgerschule, die Gebäude der Amtsverwaltung, das Gefängnis (entworfen von Carl Friedrich Leopold Hagemann, 1817) und die Synagoge Nienburgs. Heute ist der Schlossplatz teilweise überbaut, bis auf das Gefängnis sind die klassizistischen Bauten zerstört.

Weitere öffentliche Bauaufgaben Quaet-Faslems waren Umbauten an der Martinskirche oder der Ausbau eines Hauses zum Rathaus (heute Teil der Stadtverwaltung), als das alte Rathaus zum Gerichtsgebäude umgenutzt wurde. Außerhalb der alten Stadtgrenzen geht auf ihn der so genannte „Scheibenplatz“ zurück, Nienburgs erste öffentliche Parkanlage mit der Schießbahn des Nienburger Scheibenschießens (angelegt ab 1826).

Ein Sommerhaus für einen befreundeten Händler (Villa Uhrlaub, 1821) und ein Logengebäude (Parkhaus, um 1830, heute Teil eines Seniorenheims) für die Freimaurerloge, deren Mitglied Quaet-Faslem war, entstanden außerhalb der damaligen Stadt an der Weser bzw. an der Hannoverschen Straße – auch das Umfeld Nienburgs erhielt damit klassizistische Akzente.

Außerhalb Nienburgs sind weitere Projekte Quaet-Faslems im Raum Osnabrück erhalten. Zwischen 1835 und 38 entstand die katholische Petruskirche in (Melle-) Gesmold, ein ungewöhnlicher, zwölfeckiger Zentralbau mit Säulenkranz und Kuppel im Inneren. Für die Familie von Hammerstein, Schlossherren in Gesmold und Patrone der Kirche, hatte Quaet-Faslem um 1835 auch eine Neugestaltung des Umfelds des Wasserschlosses Gesmold zu einer englischen Parkanlage entworfen. Diese Planung, wie auch die für eine Orangerie auf dem Schlossgelände, wurde jedoch nicht umgesetzt.

Etwas jünger als die Gesmolder Kirche ist die evangelische Walburgis-Kirche in (Ostercappeln-) Venne (1842–47). Der dreischiffige Bau mit seitlichen Emporen changiert zwischen klassizistischen Proportionen und neugotischen Gestaltungselementen wie spitzbogigen Fenstern mit hölzernem Maßwerk. Stilistisch ähnlich ist die so genannte Diedrichsburg, ein Jagdhaus mit Aussichtsturm auf einem Berg bei Melle, die Quaet-Faslem für eine andere adelige Familie entwarf.

Doch Quaet-Faslems Interessen bezogen sich nicht allein auf Architektur, Städtebau und Gartengestaltung. Vielmehr engagierte er sich seit seiner Ankunft in Nienburg für die ökonomische und infrastrukturelle Modernisierung der Stadt. Er war Mitbegründer der Sparkasse, förderte aber auch die Feuerwehr. Mit einem Hafenbauprojekt an der Weser scheiterte Quaet-Faslem an der Zögerlichkeit seiner Mitbürger, doch seine Initiative zu Entwässerung und Abbau des Nienburger Moores – Torf war in der sonst rohstoffarmen Region ein wichtiger Brennstoff für die frühe industrielle Entwicklung – hatte er mehr Erfolg. Wohl maßgeblich seinem Einfluss und seiner Vernetzung im Königreich Hannover verdankt es sich, dass die Bahnstrecke zwischen Hannover und Bremen über Nienburg gelegt wurde. Erst durch diese 1847 eröffnete Strecke konnte sich die Stadt zum Industriestandort entwickeln und vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasant wachsen.

Ähnlich folgenreich für die regionale Modernisierung und Industrialisierung war Quaet-Faslems Wirken als Gründer der Nienburger Realschule, die jungen Leuten neben ihrer Schulzeit bzw. ihrer praktischen Ausbildung in einem Handwerk eine grundlegende technische Bildung vermittelte. In einem Anbau seines Wohnhauses unterrichtete er ab 1831 eine rasch wachsende Zahl von Schülern. Er unterhielt einen umfangreichen Bestand physikalisch-technischer Geräte und Lehrmodelle, eine Bibliothek und eine Sammlung von Stichvorlagen zeitgenössischen Kunsthandwerks und historischer Architektur für den Unterricht im Zeichnen und Gestalten. Mit Ausstellungen und feierlichen Preisverleihungen an die Jahrgangsbesten machte Quaet-Faslem sein Bildungsanliegen zu einer öffentlichen Angelegenheit, an der sich Bürgertum und Handwerkerschaft beteiligten. Als mit Quaet-Faslems Tod im Jahr 1851 die bis dahin private, aber staatlich anerkannte Realschule schließen musste, betrieb man in Nienburg umgehend die Gründung einer entsprechenden neuen Bildungseinrichtung: 1853 wurde die staatliche Baugewerk-Schule Nienburg (bis 2009 Fachhochschule Nienburg) eröffnet, die sich immer wieder Quaet-Faslems als Vorläufer erinnerte.

Quaet-Faslems Bedeutung als „Patriarch“, als „Macher“ und nicht zuletzt als gut im Königreich Hannover vernetzter Fürsprecher Nienburgs (zeitweilig war er Abgeordneter der Ständeversammlung) wurde von den Bürgerinnen und Bürgern offenbar anerkannt. Sein selbstbewusstes Auftreten wurde in Anekdoten gespiegelt, die lange sein Bild in der Nachwelt bestimmten. Quaet-Faslems Grab auf dem Friedhof an der Verdener Straße, auf dem sich auch einige klassizistische Grabmale, vielleicht von ihm entworfen, befinden, wird bis heute als Ehrengrab gepflegt. Doch vor allem sein Hauptwerk, das Quaet-Faslem-Haus, stellt Besucherinnen und Besuchern bis heute den Gestaltungs- und Repräsentationswillen des Architekten vor Augen, der in der Zeit des klassizistischen Rationalismus, in den Jahren der napoleonischen Herrschaft geprägt wurde. Die Jahrzehnte seines Wirkens in Nienburg waren nicht nur die Zeit der politischen Restauration und des kulturellen „Biedermeiers“, sondern auch – und viel mehr – die Phase des Aufbruchs in die industrialisierte Moderne mit all ihren positiven und negativen Umwälzungen.     

 

Zum Weiterlesen:

  • Gatter, Frank u.a.: Quaet-Faslem. 10. 11. 1785–2. 7. 1851. Wereldburger, Leraar, Architect. Weltbürger, Lehrer, Baumeister. Dendermonde, Nienburg/Weser 1985.
  • Knufinke, Ulrich: Emanuel Bruno Quaet-Faslem. 1785–1851. Ein Architekt des Klassizismus. Nienburg/Weser 2010.
  • Knufinke, Ulrich: Klassizismus in den Landkreisen Diepholz und Nienburg/Weser. Ein Wegweiser zur Architektur Emanuel Bruno Quaet-Faslems und seiner Zeit. Diepholz 2011.

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