Bronzezeitliche Siedlungen

Von Michael Geschwinde

Angesichts der Flächengröße und landschaftlichen Vielfalt Niedersachsens vollzog sich der Wandel vom Spätneolithikum (2800-1800 v. Chr.) zur Bronzezeit (1800-900 v. Chr.) sehr uneinheitlich. Während das östliche Niedersachsen stark durch den mitteldeutschen Raum mit seinen markanten Kulturerscheinungen geprägt war, war der Nordwesten eher an die Entwicklungen in den Niederlanden und im südlichen Skandinavien gekoppelt.

Spätneolithische und bronzezeitliche Häuser und Siedlungen waren der norddeutschen Archäologie über viele Jahrzehnte komplett entgangen. Erst in den letzten drei Jahrzehnten wurden vermehrt Siedlungsplätze mit Hausbefunden entdeckt. In den meisten Fällen handelt es sich um Einzelhöfe oder um Gruppen weniger, gleichzeitig bestehender Höfe mit geringer Ortskontinuität und einem vergleichsweise unauffälligen Fundmaterial, das nur die wichtigsten Dinge des Alltags umfasst und meistens aus Keramik, Stein und Knochen besteht. Wertvolle Bronzen finden sich als Beigaben vor allem in den Gräbern, manchmal auch in Versteckfunden (Horte) bei denen nicht immer klar ist, ob es sich um Gaben an die Götter oder um persönlichen Besitz handelt. Die Häuser sind bis in die jüngere Bronzezeit zweischiffig und liefern keine Belege für eine saisonale Aufstallung von Haustieren, die offenbar erst am Übergang der Späten Bronzezeit zu Frühen Eisenzeit (um 800 v. Chr.) üblich wurde.

Neben einem rechteckigen Haustyp, der Vorbildern aus der mitteldeutschen Aunjetitzer Kultur folgt, gibt es eine typische Bauform mit meist einem apsidialen Giebel im Westen und einem geraden Abschluss im Osten, die oft mit einer antenartigen Konstruktion verbunden ist. Antenartig heißt, dass beide Seitenwände über die Querwand hinaus verlängert wurden, so dass der Eindruck eines regen- und windgeschützten Platzes entsteht, der zum Beispiel für die Lagerung von Brennholz genutzt werden konnte. Apsidial bedeutet, dass die Querwand halbkreisförmig nach außen gestellt wurde, was dem Haus größere Stabilität bei dem vorherrschenden Westwind verlieh. Es gibt aber auch Gebäude, bei denen beide Giebel apsidial ausgebildet sind. Nicht bekannt ist, ob die Häuser auch Fenster hatten oder die offene Herdstelle die einzige Lichtquelle war. Da es keinen Schornstein gab, musste der Rauch des Herdfeuers durch das mit Reet oder Stroh gedeckte Dach abziehen. Das  Hausinneren war also häufig verqualmt, und Wärme spendete das Feuer nur in seinem unmittelbaren Umfeld. Vorratsgruben liegen in den meisten Fällen außerhalb der Gebäude, häufig gibt es Hinweise auf Plattformen im Hausinneren, die vielleicht auch im Zusammenhang mit der Vorratswirtschaft stehen – Mäuse und anderes Ungeziefer waren eine ständige Bedrohung der Vorräte, von denen das Überleben der Hausbewohner im Winter abhing. Der in Klein Bünstorf wiederkehrende Befund aus Ochtmissen aus zwei dicht nebeneinander gebauten Häusern kann vielleicht als Hofstellen, die aus einem Wohn- und einem Speicherhaus bestehen, interpretiert werden.

Eine längerfristige Besiedlung – wenn auch nicht ohne Unterbrechungen – findet sich vor allem dort, wo eine besonders günstige verkehrsgeografische Situation vorliegt: so in Hesel am Schnittpunkte alter Wegeverbindungen über einen von Niederungen umgebenen Geestrücken oder in Hitzacker an der Einmündung der Jeetzel in die Elbe. Seit der frühen Bronzezeit liegen die Siedlungen in direkter Nachbarschaft zu den Gräberfeldern, was zeigt, dass die Gemeinschaften der Toten und der Lebenden in einem direkten und engen Kontakt gestanden haben.  

Allgemein ist ein auffallender Mangel an Siedlungsbefunden zu beobachten, der offenbar mit bestimmten Bau- und evtl. auch Wirtschaftstraditionen in Verbindung gebracht werden kann. Die Häuser waren relativ leicht gebaut und hinterließen deswegen nur unscheinbare Spuren, die bei Grabungen schwer festzustellen sind. Gleichzeitig wechselten die Siedlungen aber offenbar auch häufig ihren Standort, oft nach ca. einer Generation. Viel länger war aber  auch die Lebensdauer der tragenden Holzpfosten nicht. Wurde das alte Haus baufällig und musste es durch ein neues ersetzt werden, erfolgte das dann an einem etwas entfernten Standort, wo vor allem Holz für den Bau und später als Brennholz noch in großen Mengen verfügbar war. In manchen landschaftlichen Großräumen – insbesondere im Weser-Ems-Gebiet – fehlen Siedlungen bzw. deren Hinterlassenschaften bisher im archäologischen Befund weitgehend.

Grundsätzlich handelt es sich bei den spätneolithischen und bronzezeitlichen Siedlungen im heutigen Niedersachsen um kleine Wohnplätze mit eher weilerartigem Charakter oder um Einzelhöfe. Die Struktur der Bestattungsplätze lässt ebenfalls auf kleine Bevölkerungsgruppen schließen. Hinweise auf eine hierarchisierte Siedlungsstruktur fehlen; Befestigungen gibt es nur ganz am Anfang und am Ende des Zeithorizontes.

Zum Weiterlesen:

  • J. J. Assendorp (Hrsg.), Forschungen zur bronzezeitlichen Besiedlung in Nord- und Mitteleuropa. Internat. Arch. 38 (Espelkamp 1997).
  • J. J. Assendorp, Die bronzezeitliche Siedlung in Hitzacker, Niedersachsen. In: J. J. Assendorp (Hrsg.), Forschungen zur bronzezeitlichen Besiedlung in Nord- und Mitteleuropa. Internat. Arch. 38 (Espelkamp 1997) 51–59.
  • R. Bärenfänger, Von der Steinzeit bis zum Mittelalter. Ergebnisse archäologischer Forschung in Hesel. In: P. Weßels, Hesel. „Wüste Fläche, dürre Wildnis und magere Heidepflanzen“. Der Weg eines Bauerndorfes in die Moderne (Weener 1998) 19–72.
  • P. Donat, Häuser der Bronze- und Eisenzeit im mittleren Europa. Weimarer Monogr. Ur- u. Frühgesch. 43 (Langenweißbach 2018).
  • E. Först, Die spätbronzezeitlichen Siedlungsbefunde von Hamburg-Marmstorf. In: J. J. Assendorp (Hrsg.), Forschungen zur bronzezeitlichen Besiedlung in Nord- und Mitteleuropa. Internat. Arch. 38 (Espelkamp 1997) 40–50.
  • D.C. Franke, Endlich ein Dach über dem Kopf. Arch. Niedersachsen 18, 2015, 31–34.
  • J. E. Fries, Mehr als gedacht – Häuser und Gehöfte der vorrömischen Eisenzeit zwischen Weser und Vechte. In: M. Meyer (Hrsg.), Haus – Gehöft – Weiler – Siedlung. Siedlungen der Vorrömischen Eisenzeit im nördlichen Mitteleuropa. Internationale Tagung Berlin 20.–22. März 2009. Berliner Arch. Forsch. 8 (Rahden/Westf. 2010) 343–355.
  • W. Gebers, Die jungbronzezeitlichen Häuser von Ochtmissen Fundstelle 33, Stadt Lüneburg. Bautyp und funktionale Aspekte der Innengliederung der Häuser vom Typ Ochtmissen. In: J. J. Assendorp (Hrsg.), Forschungen zur bronzezeitlichen Besiedlung in Nord- und Mitteleuropa. Internat. Arch. 38 (Espelkamp 1997) 60–74.
  • M. Geschwinde, I. Heske, Siedlungskammern des Spätneolithikums und der frühen Bronzezeit in Niedersachsen: Kontinuitäten und Brüche. In: H. meller, S. Friederich, M. Küßner, H. Stäuble, R. Risch (Hrsg.), Siedlungsarchäologie des Endneolithikums und der frühen Bronzezeit, Tagungen des Landesmuseum für Vorgeschichte Halle 20/II, 635-356.
  • I. Heske, Ernten und Speichern. Siedlungen und Nahrungsdistribution nördlich der Mittelgebirgszone von der frühen Bronzezeit bis in die frühe Eisenzeit im Kontext zur nordischen Bronzezeit/key note lecture. In K.-H. Willroth (Hrsg.), Elemente bronzezeitlicher Siedlungslandschaften in Deutschland. Workshop Nordkolleg Rendsburg, 09.–10. November 2018 (in Vorb.).
  • H. Keuneke/H. Schwieger, Spätkaiserzeitliche Langhäuser bei Klein-Bünstorf, Kreis Uelzen. Die Kunde 4/5, 1943, 59–88.
  • N. Kreibig, Die bronze- und kaiserzeitliche Siedlung von Nenndorf, Ldkr. Wittmund. Beitr. Arch. Niedersachsen 11 (Rahden/Westf. 2006).
  • F. Laux, Vor- und frühgeschichtliche Hausgrundrisse aus dem Großraum der Lüneburger Heide. Kritische Anmerkungen zu deren Datierung. Die Kunde NF. 50, 1999, 75–90.
  • J.-P. Schmidt, Neue Erkenntnisse zu bronzezeitlichen Siedlungen in Nordostdeutschland. In: M. Meyer (Hrsg.), Haus – Gehöft – Weiler – Siedlung. Siedlungen der Vorrömischen Eisenzeit im nördlichen Mitteleuropa. Internat. Tagung Berlin 20.–22. März 2009. Berliner Arch. Forsch. 8 (Rahden/Westf. 2010) 85–99.
  • W. Schwarz, Bronzezeitliche Hausgrundrisse von Hesel. Die Kunde N.F. 47, 1996, 21–50.
  • W. Schwarz, Hausgrundrisse der Bronzezeit in der Gemarkung Hesel, Ldkr. Leer. In: J. J. Assendorp (Hrsg.), Forschungen zur bronzezeitlichen Besiedlung in Nord- und Mitteleuropa. Internat. Arch. 38 (Espelkamp 1997) 75–86.
  • E. Strahl, Erste Bauern in der deutschen Marsch. Die jungbronzezeitliche Siedlung Rodenkirchen-Hahnenknooper Mühle, Ldkr. Wesermarsch. In: M. Fansa/F. Both/H. Haßmann (Hrsg.), Archäologie/Land/Niedersachsen. 25 Jahre Denkmalschutzgesetz – 400.000 Jahre Geschichte (Stuttgart 2004) 516–519.
  • H. Thieme, Hausgrundrisse und Bestattungen der frühbronzezeitlichen Aunjetitzer Kultur in Esbeck, Ldkr. Helmstedt. In: K. Wilhelmi (Hrsg.), Ausgrabungen in Niedersachsen. Archäologische Denkmalpflege 1979–1984 (Stuttgart 1985) 142–143.
  • K.-H. Willroth, Krieger, Häuptlinge oder „nur“ freie Bauern. Zum Wandel in der Bronzezeitforschung. In: W. Bündesheimer/H. Keiling (Hrsg.), Zur Bronzezeit in Norddeutschland. Freie Lauenburgische Akademie für Wissenschaft und Kultur. Beitr. Wiss. u. Kultur 3 (Neumünster 1999) 39–66.
  • W. H. Zimmermann, Miszellen zu einer Archäologie des Wohnens. Arch. Niedersachsen 18, 2015, 8–25.

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