Bronzezeitliche Siedlungen
Angesichts der Flächengröße und landschaftlichen Vielfalt Niedersachsens vollzog sich der Wandel vom Spätneolithikum (2800-1800 v. Chr.) zur Bronzezeit (1800-900 v. Chr.) sehr uneinheitlich. Während das östliche Niedersachsen stark durch den mitteldeutschen Raum mit seinen markanten Kulturerscheinungen geprägt war, war der Nordwesten eher an die Entwicklungen in den Niederlanden und im südlichen Skandinavien gekoppelt.
Spätneolithische und bronzezeitliche Häuser und Siedlungen waren der norddeutschen Archäologie über viele Jahrzehnte komplett entgangen. Erst in den letzten drei Jahrzehnten wurden vermehrt Siedlungsplätze mit Hausbefunden entdeckt. In den meisten Fällen handelt es sich um Einzelhöfe oder um Gruppen weniger, gleichzeitig bestehender Höfe mit geringer Ortskontinuität und einem vergleichsweise unauffälligen Fundmaterial, das nur die wichtigsten Dinge des Alltags umfasst und meistens aus Keramik, Stein und Knochen besteht. Wertvolle Bronzen finden sich als Beigaben vor allem in den Gräbern, manchmal auch in Versteckfunden (Horte) bei denen nicht immer klar ist, ob es sich um Gaben an die Götter oder um persönlichen Besitz handelt. Die Häuser sind bis in die jüngere Bronzezeit zweischiffig und liefern keine Belege für eine saisonale Aufstallung von Haustieren, die offenbar erst am Übergang der Späten Bronzezeit zu Frühen Eisenzeit (um 800 v. Chr.) üblich wurde.
Neben einem rechteckigen Haustyp, der Vorbildern aus der mitteldeutschen Aunjetitzer Kultur folgt, gibt es eine typische Bauform mit meist einem apsidialen Giebel im Westen und einem geraden Abschluss im Osten, die oft mit einer antenartigen Konstruktion verbunden ist. Antenartig heißt, dass beide Seitenwände über die Querwand hinaus verlängert wurden, so dass der Eindruck eines regen- und windgeschützten Platzes entsteht, der zum Beispiel für die Lagerung von Brennholz genutzt werden konnte. Apsidial bedeutet, dass die Querwand halbkreisförmig nach außen gestellt wurde, was dem Haus größere Stabilität bei dem vorherrschenden Westwind verlieh. Es gibt aber auch Gebäude, bei denen beide Giebel apsidial ausgebildet sind. Nicht bekannt ist, ob die Häuser auch Fenster hatten oder die offene Herdstelle die einzige Lichtquelle war. Da es keinen Schornstein gab, musste der Rauch des Herdfeuers durch das mit Reet oder Stroh gedeckte Dach abziehen. Das Hausinneren war also häufig verqualmt, und Wärme spendete das Feuer nur in seinem unmittelbaren Umfeld. Vorratsgruben liegen in den meisten Fällen außerhalb der Gebäude, häufig gibt es Hinweise auf Plattformen im Hausinneren, die vielleicht auch im Zusammenhang mit der Vorratswirtschaft stehen – Mäuse und anderes Ungeziefer waren eine ständige Bedrohung der Vorräte, von denen das Überleben der Hausbewohner im Winter abhing. Der in Klein Bünstorf wiederkehrende Befund aus Ochtmissen aus zwei dicht nebeneinander gebauten Häusern kann vielleicht als Hofstellen, die aus einem Wohn- und einem Speicherhaus bestehen, interpretiert werden.
Eine längerfristige Besiedlung – wenn auch nicht ohne Unterbrechungen – findet sich vor allem dort, wo eine besonders günstige verkehrsgeografische Situation vorliegt: so in Hesel am Schnittpunkte alter Wegeverbindungen über einen von Niederungen umgebenen Geestrücken oder in Hitzacker an der Einmündung der Jeetzel in die Elbe. Seit der frühen Bronzezeit liegen die Siedlungen in direkter Nachbarschaft zu den Gräberfeldern, was zeigt, dass die Gemeinschaften der Toten und der Lebenden in einem direkten und engen Kontakt gestanden haben.
Allgemein ist ein auffallender Mangel an Siedlungsbefunden zu beobachten, der offenbar mit bestimmten Bau- und evtl. auch Wirtschaftstraditionen in Verbindung gebracht werden kann. Die Häuser waren relativ leicht gebaut und hinterließen deswegen nur unscheinbare Spuren, die bei Grabungen schwer festzustellen sind. Gleichzeitig wechselten die Siedlungen aber offenbar auch häufig ihren Standort, oft nach ca. einer Generation. Viel länger war aber auch die Lebensdauer der tragenden Holzpfosten nicht. Wurde das alte Haus baufällig und musste es durch ein neues ersetzt werden, erfolgte das dann an einem etwas entfernten Standort, wo vor allem Holz für den Bau und später als Brennholz noch in großen Mengen verfügbar war. In manchen landschaftlichen Großräumen – insbesondere im Weser-Ems-Gebiet – fehlen Siedlungen bzw. deren Hinterlassenschaften bisher im archäologischen Befund weitgehend.
Grundsätzlich handelt es sich bei den spätneolithischen und bronzezeitlichen Siedlungen im heutigen Niedersachsen um kleine Wohnplätze mit eher weilerartigem Charakter oder um Einzelhöfe. Die Struktur der Bestattungsplätze lässt ebenfalls auf kleine Bevölkerungsgruppen schließen. Hinweise auf eine hierarchisierte Siedlungsstruktur fehlen; Befestigungen gibt es nur ganz am Anfang und am Ende des Zeithorizontes.
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