"Bauhaus-Stil" in Niedersachsen
Der Begriff „Bauhaus-Stil“
Der „Bauhaus-Stil“ ist eine geläufige Bezeichnung für moderne Architektur der 1920er Jahre, mit der Vorstellungen von kubischen Bauformen mit Flachdächern und glatten, weiß verputzten Fassaden verbunden sind. Bauten wie das Bauhaus-Schulgebäude und die Meisterhäuser in Dessau, die Weißenhof-Siedlung in Stuttgart, Berliner Wohnquartiere wie die Weiße Stadt und die Siemensstadt, oder auch die Bauten von Otto Haesler in Celle gelten als ikonische Beispiele für den „Bauhaus-Stil“.
Schon diese Auswahl verdeutlicht, dass Bauten im „Bauhaus-Stil“ in der Regel nichts mit dem Bauhaus zu tun haben. Weder an der Weißenhof-Siedlung, den Berliner Wohnquartieren noch an den Bauten in Celle war das Bauhaus, das von Walter Gropius 1919 als Kunstgewerbeschule gegründet wurde, beteiligt. Nur wenige Bauten im „Bauhaus-Stil“ stammen konkret von Bauhaus-Lehrern, wie etwa die Fabrikbauten des Fagus-Werks oder der Landmaschinenfabrik Kappe in Alfeld. Auch Entwürfe von Bauhaus-Schülern, wie Hans Martin Frickes Ziegenbockstation in Osterholz-Scharmbeck, sind selten. Vielmehr ist der Begriff „Bauhaus-Stil“ als eine Bezeichnung für Häuser zu verstehen, die formale Analogien zu den Dessauer Bauhaus-Bauten aufweisen.
Dieser Stilbegriff stellt eine Ordnung nach zeitbedingten Erscheinungsformen her. Die namentliche Verknüpfung mit dem Bauhaus schafft einen abstrakten semantischen Bezug zu der in ihrer Zeit stilprägenden Bildungsstätte, ohne dass dabei eine konkrete inhaltliche Verbindung zu ihr bestehen muss. Der Begriff „Bauhaus-Stil“ charakterisiert somit einen Phänotyp der modernen Architektur während der Weimarer Republik. Zeitgenössisch waren allerdings andere Begriffe geläufig, etwa „Neue Baukunst“, „Neue Sachlichkeit“ oder „Internationaler Stil“. Sie alle verbindet, dass neuartige Architekturformen beschrieben werden, die sich in den 1920er Jahren als sichtbarer Ausdruck einer neuen Zeit entwickelt haben. Bei dieser neuen Zeit handelt es sich um den Genotyp der modernen Architektur.
Die Moderne ist eine Epoche, die sich im 19. Jahrhundert auf Basis neuer geistiger und technischer Grundlagen wie der Aufklärung oder der Industriellen Revolution entwickelt hat. Gegenüber früheren Zeitaltern markiert sie einen tiefgreifenden historischen Umbruch. Die Baukunst des 19. Jahrhunderts reagierte, in Anbetracht des rasanten zeitgenössischen Wandels, zunächst mit Rückgriffen auf bewährte Entwurfsmuster der Baugeschichte. Unter dem Schlagwort des Historismus entfalteten sich verschiedene Stilvarianten, von der Neoromanik bis zum Neobarock. Erst mit der Wende zum 20. Jahrhundert kamen Reformbestrebungen auf, die eine ästhetisch autonome moderne Architektur zum Ziel hatten.
Zum Durchbruch gelangt die moderne Architektur nach dem Ende des Deutschen Kaiserreichs infolge der Niederlage im Ersten Weltkrieg. Der Aufbruchsgeist der neuen Zeit wird von Philipp Scheidemann bei der Ausrufung der Republik am 9. November 1918 mit den Worten beschworen:
„Es lebe das Neue!“. Dementsprechend wird „Neues Bauen“ zum Schlagwort der modernen Architektur in der Weimarer Republik. Dieser 1919 von Erwin Gutkind geprägte Begriff beschreibt allerdings keinen konkreten Stil, sondern vielmehr eine Geisteshaltung.
Im geistigen Umfeld der Weimarer Republik, für das politische, technische, gesellschaftliche als auch ästhetische Faktoren prägend sind, entwickeln sich neue architektonische Ausdrucksformen. Hoher Stellenwert kommt den funktionalen und konstruktiven Grundlagen des Bauens zu, die nach dem Motto „form follows function“ zum Leitbild der Moderne werden. Neuartige Bauaufgaben wie Warenhäuser, Volksschulen oder Arbeiterwohnsiedlungen, die überwiegend ohne historische Vorbilder sind, beherrschen das Aufgabenspektrum der Zeit. Generell stellt das Neue Bauen ein Phänomen der Großstadt dar, die durch urbane Verdichtung sowie eine funktionale Entmischung gekennzeichnet ist, die 1933 auf dem IV. CIAM-Kongress in der „Charta von Athen“ zum Leitbild für die Stadt der Moderne erklärt wird.
Der „Bauhaus-Stil“ reflektiert eine Geisteshaltung seiner Zeit. Eine konsistente Definition existiert jedoch nicht. Als Stilbegriff bezieht er sich zwar in erster Linie auf formale Merkmale, doch ebenso sind auch funktionale und konstruktive Aspekte von Relevanz.
Grundlegend für den „Bauhaus-Stil“ ist der bewusste Bruch mit der Vergangenheit. Historisch überlieferte Gestaltungsmuster werden abgelehnt, an die Stelle der Anwendung traditioneller Formen tritt das Streben nach neuartiger Gestaltung. Bauformen gelten nicht mehr als historisch gegeben, sondern werden erst aus dem Wesen der Bauaufgabe entwickelt. Die Abkehr vom Realismus der klassischen Form geht mit einer Ästhetik der Abstraktion und der Reduktion einher, die nach dem Motto „less is more“ das Bild der modernen Architektur prägt.
Charakteristisch für den „Bauhaus-Stil“ ist der ideelle Bezug zur gegenwärtigen Welt. Die Industrielle Revolution und ihre Auswirkungen prägen die Architektur der 1920er Jahre in weit stärkerer Weise als noch im 19. Jahrhundert, Modularität und Serialität werden zu Wesensmerkmalen für den „Bauhaus-Stil“. Der Einsatz moderner Materialien wie Stahl, Beton oder Flachglas erlaubt neuartige Konstruktionen, etwa den Skelettbau. Der „Bauhaus-Stil“ erhält dadurch die Möglichkeit, durch eine entmaterialisierte Wirkung mit klassischen Sehgewohnheiten tektonischer Formgebung zu brechen.
Beeinflusst wird der „Bauhaus-Stil“ auch durch Impulse aus der zeitgenössischen Kunst. Das Spiel mit Geometrien führt zu kubischen Kompositionen aus stereometrischen Raumformen sowie der Verwendung prägnanter Farben. Asymmetrie wird zu einem wichtigen Merkmal architektonischer Gestaltung. Darin kommt auch ein neuartiges Streben nach Dynamik zum Ausdruck, das durch wachsende Erfahrungen von Mobilität und Geschwindigkeit inspiriert ist und sich in linearen Formen und horizontaler Gliederung widerspiegelt. Der „Bauhaus-Stil“ stellt insofern ein ästhetisches Prinzip dar, dem der Wille zur neuen Form zugrunde liegt.