Das Land Hadeln
Von Birte Rogacki-Thiemann
Das Land Hadeln an der niedersächsischen Unterelbe ist eine historische Landschaft rund um Otterndorf, die bis 1932 deckungsgleich in einem eigenen Kreis Hadeln fortgeführt wurde. Im Zuge mehrerer seitdem durchgeführter Gebiets- und Gemeindereformen ist die historische Landschaft heute nicht mehr in Kreis- und Gemeindegrenzen verständlich. Es handelt sich um das Gebiet rund um Otterndorf, das heute teilweise in der Stadt, größtenteils jedoch im Landkreis Cuxhaven aufgegangen ist.
Die Urbarmachung des fruchtbaren, aber immer wieder von Sturmfluten bedrohten Marschlandes im Land Hadeln geschah durch planmäßige Kolonisation, vermutlich auf Initiative der Bremer Erzbischöfe bereits ab dem 12. Jahrhundert, durchgeführt wurde sie vor allem von Holländern. Das Land wurde systematisch in schmale lange Grünland- und Ackerstreifen unterteilt, die von Entwässerungsgräben getrennt wurden. Diese wiederum waren über Zuggräben an die so genannten „Wettern“ angeschlossen, die ihrerseits an die Elbe und deren Nebenflüsse angebunden wurden. Die dadurch entstandenen so genannten Marschhufendörfer prägen mit ihren langen, streifenartigen, gleichmäßigen Fluren, an deren Enden sich die Rückseiten der zugehörigen Höfe befinden, das Bild der Hadler Landschaft um Altenbruch im Westen, Nordleda und Ihlienworth im Süden und Belum im Osten bis heute, wenngleich es kaum bauliche Reste der frühen Hofgebäude gibt. Vor der Eindeichung wurde vor allem Viehzucht betrieben, die Möglichkeiten für den Ackerbau waren begrenzt auf Gerste, Hafer und Pferdebohnen, daneben war auch der Fischfang ein wichtiger Erwerbszweig. Nach dem Bau der Seedeiche wurde schließlich auch der Anbau von Weizen und Roggen möglich, was die Grundlage für den späteren Wohlstand in den Marschen lieferte. Ein beherrschendes Moment im Hadler Land war somit schon immer das Thema Wasser gewesen. Neben Deichen und Kanälen im Marschland erhielten die Bewohner des Landes Hadeln schon 1219, nach der so genannten „Marcellusflut“, das Recht, an der Medem Schleusen und Sielanlagen zu bauen. Die Otterndorfer Schleusen an den Mündungsarmen der Medem gehen somit bereits auf Vorgängerbauten des 15. Jahrhunderts zurück. Der große Wohlstand der Marschbauern im Hadler Land durch Getreideanbau führte vor allem im 18. Jahrhundert zum Bau großer Wohn-/Wirtschaftsgebäude, von denen sich einige bis heute erhalten haben.
In der Sakralarchitektur setzte sich im 12. Jahrhundert im Land Hadeln der Massivbau durch. In rascher Folge entstanden nach einem im Wesentlichen einheitlichen Typ mit schlichtem Rechtecksaal mit eingezogenem rechteckigem oder quadratischem Chor die Kirchen in Altenbruch, Belum, Lüdingworth, Ihlienworth und Nordleda. Als Baumaterial diente Feldstein, der auf der Geest in Form von Graniten und Gneisen vorkam. Die Kirchensäle waren sämtlich flach gedeckt. Eine Besonderheit stellt der gleichzeitig mit dem Schiff um 1200 begonnene Westbau der St. Nicolaikirche in Altenbruch (Stadt Cuxhaven) dar, der in seinen Ausmaßen einem Westwerk ähnelt und in zwei unabhängigen Turmspitzen ausläuft. Im Turmbau der Kirche war das Archiv des Landes Hadeln untergebracht; so befand sich hier auch das Landessiegel, das als Wappengestalt den heiligen Bischof Nikolaus, den Schutzpatron des Landes Hadeln (heute Wappengestalt des Landkreises Cuxhaven) zeigt. Üblich waren bei den Hadler Kirchen ansonsten einfache quadratische Türme, die nicht selten auch nachträglich angefügt wurden. Der Wohlstand der Hadler Bauern zeichnet sich in besonders wertvollen Ausstattungen der Kirchen von Altenbruch, Lüdigworth, Ihlienworth und Otterndorf ab, die nicht selten auf bäuerliche Stiftungen des 17. und 18. Jahrhunderts zurückzuführen sind; die drei großen Backsteinkirchen St. Jacobi in Lüdingworth, St. Nicolai in Altenbruch und St. Severi in Otterndorf werden vor Ort daher auch als „Bauerndome“ bezeichnet.
Die gesellschaftlichen und politischen Unruhen des 14. bis 17. Jahrhunderts berührten selbstverständlich auch das Land Hadeln. Nach der Säkularisation des Erzbistums Bremen-Verden im Westfälischen Frieden 1648 behielt das Land Hadeln – anders als die umliegenden Gebiete – insofern eine Sonderrolle bei, als dass es in der offiziellen Kartendarstellung anlässlich des Säkularisationsvorganges als eigenes Gebiet auftaucht. Nachdem 1689 das askanische Haus von Sachsen-Lauenburg erloschen war, wurde Hadeln unter kaiserliche Landeshoheit und Verwaltung gestellt, was 1731 dazu führte, dass es unter kurhannoversche Herrschaft geriet – die Selbstverwaltung des Landes Hadeln blieb auch dabei weitgehend unangetastet. Das 1663 errichtete Otterndorfer Amtshaus im ehemaligen Schlossbezirk wich 1773 einem schlichten zweigeschossigen Neubau. 1799 wurde die letzte öffentliche Versammlung auf dem Warningsacker abgehalten, danach diente das Landes- oder Ständehaus in Otterndorf diesem Zweck. Im Zuge der Erhebung zum Königreich Hannover erhielt Hadeln 1814 zwei Deputiertensitze in der Landstände- und Ritterschaftsversammlung und war damit überdurchschnittlich gut vertreten. 1833 ließen sich die Kirchspiele des Landes Hadeln zum letzten Mal die alte Verfassung vom Landesherrn (damals Wilhelm IV., König des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland sowie in Personalunion König von Hannover) bestätigen, 1837 löste der neue König von Hannover, Ernst August, die Hadler Ständeversammlung erstmals auf. Somit war das 19. Jahrhundert für das Land Hadeln die Zeit des Umbruchs. Der von Hannover aus betriebene Chaussee- und Kanalbau legte neue Grundlagen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung. So wurde zwischen 1843 und 1856 die Chaussee von Ritzebüttel nach Stade (die heutige Bundesstraße 73) angelegt und 1850 bis 1855 die Chaussee von Ritzebüttel nach Bremerhaven (L 243). Bis dahin war der Verkehr fast ausschließlich auf die Entwässerungskanäle und Wasserwege beschränkt gewesen. Mit der Annektierung Hannovers durch die Preußen 1866 war dann auch das Ende des offiziellen Status des Landes Hadeln eingeleitet. 1879 wurden durch die neue preußische Justizverwaltung die Aufgaben der Hadler Kirchspielgerichte dermaßen beschnitten, dass es schließlich 1884 endgültig zur Auflösung der Hadler Stände kam. Die 1883 bis 1885 durchgeführte preußische Verwaltungsreform konstituierte schließlich den Kreis Hadeln, der zumindest noch die alten Grenzen umfasste, bis es 1932 dann zur Zusammenlegung mit dem Kreis Neuhaus/Oste kam. Zeitgleich wurden dann die ehemaligen Kirchspiele in klassische Landgemeinden umgewandelt. 1885 war im Übrigen auch das Kirchengericht Hadeln aufgelöst worden, dessen Aufgaben anschließend das Konsistorium Stade der Generaldiözese Bremen-Verden übernahm.
Den größten Anteil an den Baudenkmalen in dem durch die Landwirtschaft geprägten Land Hadeln haben bis heute die Bauten der bäuerlichen Kultur, die das Landschaftsbild entscheidend prägen. Dabei spiegeln die Hofanlagen mit Haupt- und Nebengebäuden sowohl bestimmte Gebäudetypen als auch die Strukturveränderungen, denen die Landwirtschaft unterworfen war, wider. Als Grundtypus herrscht auch im Land Hadeln das niederdeutsche Hallenhaus in Zweiständerkonstruktion vor, bei dem ein Innengerüst aus zwei die Dachlast tragenden Ständerreihen bedingen, dass die Außenhaut keine Last tragen muss und daher auch häufig ersetzt wurde. Es handelt sich dabei in der Regel um Unterrähmgefüge, bei denen die Ständer durch ein längs verlaufendes Rähm verbunden werden, auf dem die seitlich überstehenden Dachbalken aufliegen. Die Wohn-/Wirtschaftsgebäude des Landes Hadeln sind teilweise sehr groß – dies bedingt, wie bereits erwähnt, durch den großen Wohlstand der Hadler Bauern v.a. ab dem 18. Jahrhundert. Anders als bei vergleichbaren Bauten in Geestlage sind hier Wohn- und Wirtschaftsteil nicht selten gleich lang, was zugleich die Länge des über beiden Bereichen liegenden Daches, das zur Lagerung des ausgedroschenen Getreides diente, erheblich vergrößerte. Beispiele hierfür finden sich in Altenbruch und Lüdingworth. Zu den wohlhabenden Hofanlagen gehörten zudem zahlreiche Nebengebäude wie Scheunen, Ställe, Backhäuser, Speicher, Altenteiler und manchmal Heuerhäuser. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wurden die zumeist reetgedeckten Gebäude in Fachwerk mit Lehm- oder Backsteinausfachung ausgeführt, anschließend ist ein allmählicher Wechsel zum Backstein zu beobachten, der zunächst v.a. in den Wohnteilen vorkommt, Beispiele hierfür gibt es noch in Ihlienworth-Medemstade. Anders als ansonsten im Landkreis Cuxhaven sind die Nebengebäude im Land Hadeln häufig ebenfalls komplett in Fachwerk errichtet. Kennzeichnend sind große Scheunen, in denen auch Vieh gehalten wurde und die konstruktiv den Wohn-/Wirtschaftsgebäuden entsprechen und Kornscheunen, deren vorherrschendes Merkmal eine einseitige Kübbung sowie eine senkrechte Verbretterung der Fassaden ist.
Daneben gibt es im Land Hadeln, bedingt durch seine Lage am Meer sowie am ebenfalls tideabhängigen Mündungsarm der Niederelbe, zahlreiche besondere technikgeschichtliche Bauten wassertechnischer Anlagen. Diese sind im Interesse des Küsten- und Landesschutzes zugleich jedoch ständiger Veränderung unterworfen, sodass sich nur wenige Bauwerke in ursprünglicher Form erhalten haben. Nach wiederholten schweren Überschwemmungen im Sietland wurde zwischen 1852 und 1854 der Hadelner (Hadler) Kanal angelegt, der zuvor bereits mehrmals projektiert, aber nie realisiert worden war. Auf 34 Kilometern Länge verläuft dieser Kanal zwischen Otterndorf und dem südlich gelegenen Bederkesa; hiermit wurden die Grundlagen geschaffen für zahlreiche in den 1920er und 1930er Jahren errichtete Schöpfwerke, von denen im Land Hadeln dem Stufenschöpfwerk an der Medem in Ihlienworth und dem Mündungsschöpfwerk in Otterndorf eine regional- und technikgeschichtliche Bedeutung zukommt. Das bis dahin wirtschaftlich abgehängte Hadler Sietland erlebte anschließend einen beachtlichen wirtschaftlichen Aufschwung, wozu letztlich dann auch noch 1881 die Fertigstellung der Eisenbahnlinie von Stade nach Cuxhaven durch das Land Hadeln beitrug.
Das Land Hadeln, das es als solches heute nur noch als historische Landschaft gibt, ist somit durch seine spezielle Denkmallandschaft, die sich aus einer wechselvollen Geschichte entwickelt hat, noch immer als individuelle Region erfahrbar.
zum Weiterlesen:
Doris Böker: Landkreis Cuxhaven (Baudenkmale in Niedersachsen NBd. 19), Hameln 1997
Eduard Rüther: Hadler Chronik – Quellenbuch zur Geschichte des Landes Hadeln, 1932 (neu herausgegeben Bremerhaven 1979)
Rudolf Lembcke (Hg.): Kreis Land Hadeln – Geschichte und Gegenwart, Otterndorf 1976
Ernst Dieterichs: Der Warningsacker, der Landtagsplatz des freien Landes Hadeln – Ein Überblick über die Hadelner Selbstverwaltung. in: Stader Jahrbuch 1955 (Stader Archiv Neue Folge 45), S. 103–126