Die ostfriesische Insel Spiekeroog

Von Birte Rogacki-Thiemann

Die nördlichste Gemeinde Ostfrieslands ist das Nordseeheilbad Spiekeroog, eine der sieben ostfriesischen Inseln im Niedersächsischen Wattenmeer. Das „-oog“ ist ein niederdeutsches Wort für Insel oder Eiland, das jedoch nur in Komposita vorkommt, d.h. als Annex an einen Namen angehängt – auch die Nachbarinseln Langeoog und Wangerooge habe das „oog(e)“ in ihren Namen. Mit über 50 Denkmalen ist Spiekeroog, gemessen an seiner Größe von unter 20 Quadratkilometern, die denkmalreichste der ostfriesischen Inseln. Verwaltungstechnisch gehört sie zum Landkreis Wittmund. Die Denkmallandschaft ist naturgemäß geprägt vom Meer und von der abgeschiedenen Lage, eine Anreise ist nur tideabhängig möglich. Die grundsätzlich vorhandene Wanderung der ostfriesischen Inseln aufgrund der Gezeitenströmungen sowie der in der Regel vorherrschenden Westwinde von Nordwest nach Südost ist bei Spiekeroog am wenigsten stark ausgeprägt, sodass der Ort Spiekeroog im Gegensatz zu den anderen ostfriesischen Inseldörfern in den letzten Jahrhunderten nicht verlegt werden musste. Das Dorf befindet sich auf der dem Festland zugewandten Südseite der Insel, nach Norden und Westen schließen sich ausgedehnte Dünenlandschaften an, dahinter folgt der lange Strand. Hinzu kommt, dass auch die Spiekerooger Infrastruktur oder Bausubstanz nie über die Maßen vergrößert und modernisiert worden ist, was den Erhalt mehrerer jahrhundertealter Friesenhäuser begünstigt, die im historischen Ortskern zusammen mit seinen schmalen Wegen und seinem alten und – für eine Nordseeinsel auch eher untypisch – relativ umfangreichen Baumbestand das Ortsbild prägen. Die hier vorkommenden krüppelwüchsigen Eichen und Schwarzkiefern, Erlen, Zitterpappeln und Ebereschen geben Spiekeroog auch den Beinamen „Grüne Insel“.

Die Frühgeschichte von Spiekeroog liegt weitgehend im Dunkeln, erstmals urkundlich sicher erwähnt ist die Insel zur Häuptlingszeit (1350-1464), als die Insel der Familie tom Brok gehörte. Die eigentliche Geschichtsschreibung beginnt im 17. Jahrhundert: 1625 lebten 13 Familien auf der Insel, die ihren Lebensunterhalt bis Ende des 18. Jahrhunderts vor allem durch Walfang bestritten. Zu diesem Zeitpunkt begann dann auch auf Spiekeroog das Einsetzen des Bädertourismus, nachweislich ab 1820 gab es hier Feriengäste und Erholungssuchende, um 1850 boten bereits 30 Häuser Fremdenzimmer an. 1885 wurde eine 1,7 Kilometer lange Pferdebahn vom Inseldorf zum Weststrand eingerichtet, die heute als Museumsbahn wieder touristisch genutzt wird. Die heutige Einwohnerzahl von Spiekeroog beträgt etwa 850.

Das älteste erhaltene Bauwerk der Insel ist die Alte Inselkirche, die von 1696 stammt und damit gleichzeitig die älteste Kirche aller ostfriesischen Inseln ist. Ihr Standort zwischen den beiden ältesten Straßen, Noorderloog und Süderloog bildet den Kern des Ortes. Diese Kirche ist bereits der dritte Kirchenbau auf der Insel gewesen, 1961 folgte für die zahlreichen Sommergäste mit der Neuen Inselkirche am Norderloog der vierte Bau nach Entwurf des Bremer Architekten Hans Eschebach.

Das älteste Haus der Insel ist das Alte Inselhaus in der Süderloog 4, das 1705 erbaut wurde. Seit den 1950er Jahren hält sich die These, dass dieses (wie auch einige der anderen alten Häuser auf Spiekeroog) mit einem so genannten „Schwimmdach“ (das bei Sturmfluten von der unteren Konstruktion losgelöst als „Rettungsfloß“ dienen soll) ausgestattet sein soll. Tatsächlich besitzt das Alte Inselhaus, das heute ein Café und Restaurant beherbergt, ein zweiständriges Innengerüst mit Hochrähmgefüge von geringer Vertiefung und mit aufgezapftem Rähm und durchgezapften Ankerbalken mit insgesamt fünf Gebinden. Der Grundriss war ursprünglich wohl in drei Querzonen (im Westen und in der Mitte zum Wohnen, im Osten der Wirtschaftsbereich mit wohl nachträglicher zweiter kleiner Küche im Osten) aufgeteilt. Die These vom Schwimmdachhaus, die ebenso für das Drifthuus, das Huus Puppenstuuv und das Doppelhaus Noorderloog 15/17 im Raum steht, lässt sich weder anhand der baulichen Untersuchung des Alten Inselhauses noch in den Quellen tatsächlich nachweisen. Weitere alte Wohnhäuser Spiekeroogs bietet die aus drei ehemaligen Schifferhäusern bestehende Häuserzeile an der Nordseite der Straße Süderloog, die somit ebenfalls zur frühen Bebauung des Inseldorfes gehört und die Entwicklung des Ortes von einem reinen Schifferdorf zu einem Badeort dokumentiert. Diese Entwicklung spiegelt die Erweiterung der Wohnhäuser um Veranden für den Aufenthalt der Gäste straßenbildprägend wider.

Anfang des 20. Jahrhunderts ließen sich außerhalb des Ortskerns wohlhabendere Gäste eigene Sommerhäuser errichteten, um nicht auf Pensionen und Gästehäuser angewiesen zu sein. Zu diesen im Stile der Reformarchitektur errichteten Häusern gehören das 1909 entstandene Haus des Verlegers August Klasing am Westend 10 ebenso wie das 1912 erbaute Haus Schreiber. Mit seiner erhaltenen wandfesten Innenausstattung dokumentiert es noch die Wohnverhältnisse vor dem Ersten Weltkrieg. Einige bedeutende Bauten stammen aus den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts. So ist das Gästehaus Fresena (Friederikenweg 15) hervorzuheben, das 1928 als Sommerhaus im Heimatschutzstil mit dem Bezug zum traditionellen Gulfhaus errichtet wurde, sowie ebenso das Wohnhaus mit Garten am Kaapdünenweg 2 und das Logierhaus Süderloog 45 mit tiefer liegendem Garten. Merkmal dieses und vergleichbarer Inselgärten ist die Lage in einer künstlichen Senke innerhalb der Dünen. In Gärten dieser Art wurden von den Insulanern in Ermangelung größerer Ackerflächen Gemüse zur Selbstversorgung angebaut. Die Wälle, die zum Teil auch mit Backsteinmauerwerk verstärkt waren, dienten dem Schutz vor den Nordseewinden und den für die Dünenlandschaft typischen Sandverwehungen. Das Wohnhaus Süderloog 45 ist mit seiner aus der Bauzeit überkommenen Grundstruktur, dem Hauswirtschaftsbereich im Tiefparterre und der vorgelagerten Veranda ein inseltypisches Beispiel für den Wohnungsbau nach dem Ersten Weltkrieg, der in der Regel eine doppelte Nutzung als Wohnhaus und für die Beherbergung von Touristen vorsah. Das Gebäude zeigt charakteristische Merkmale des Reformstils und steht stellvertretend für die regionale Bauweise mit dem ortstypischen Material Backstein sowie für die Ausprägung eines lokalen Bautyps einerseits und die eines zeittypischen Baustils andrerseits. Durch seine Lage am ehemaligen Ortsrand von Spiekeroog ist das Haus ein Zeugnis der gewachsenen Struktur des Ortes und dessen Ausdehnung in den 1920er Jahren und trägt zum Straßenbild bei.

Die jüngere Baugeschichte ist in den Spiekerooger Denkmalen eher wenig vertreten. 1969 wurde Spiekeroog offiziell der Titel Nordseeheilbad verliehen, was einen weiteren Anstieg der Touristenzahlen bedeutete, 1981 wurde der heutige Hafen in Betrieb genommen und gleichzeitig der alte Anleger stillgelegt, 2009 wurden seine Reste abgetragen.

Ein besonderes Denkmal stellt der so genannte "Drinkeldodenkarkhoff", was soviel heißt wie der „Kirchhof (Friedhof) der Ertrunkenen“, dar. Angelegt wurde er für die Opfer des Auswandererschiffes Johanne, das mit 216 Personen an Bord auf seiner Jungfernfahrt von Bremen nach New York am 6. November 1854 vor Spiekeroog strandete. Bei dem Unglück kamen 77 Personen ums Leben. Dieser Friedhof mit Gedenkstätte hat eine orts- und sozialgeschichtliche Bedeutung. Die Gedenkstätte erinnert daran, dass im Zuge des Unglücks die ersten Rettungsstationen an der deutschen Nordseeküste eingerichtet wurden und dass aus dieser Initiative heraus sich 1865 dann die "Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger" entwickelte.

Der Denkmalort Spiekeroog bietet somit einige interessante Denkmale, die gleichsam die Entwicklung des Seebades wie auch den kleinen geschlossenen Inselkosmos mitten in der Nordsee selbst widerspiegeln.

 

Zum Weiterlesen:

Johannes Meyer-Deepen, Meertinus P. D. Meijering: Spiekeroog – Geschichte einer ostfriesischen Insel, Spiekeroog 1989

Volker Gläntzer: Sehr nah am Wasser, für sehr schwankenden Grund - Das "Schwimmdachhaus" in Ostfriesland, in: Nina Hennig / Michael Schimek (Hg.): Nah am Wasser, auf schwankendem Grund - Der Bauplatz und sein Haus (27. Jahrestagung des Arbeitskreises für Hausforschung in Nordwestdeutschland), Aurich 2016, S. 35-61

Johannes Meyer-Deepen, Das Alte Inselhaus auf Spiekeroog, Esens 1976

Johannes Walter: Die Ostfriesischen Inseln, Stuttgart 2001

Gotthard Fürer: Der Untergang der Dreimastbark Johanne - Das Schicksal hessischer Auswanderer vor Spiekeroog 1854, Esens 2013

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