Moorkultivierung und Moorkolonisation zwischen Ems und Elbe

Von Elke Onnen

Die Moorkultivierung und damit verbunden die Moorkolonisation war in der Neuzeit über Jahrhunderte hinweg eine große Aufgabe für die einzelnen Länder zwischen Ems und Elbe. Der Fokus dieses Beitrags liegt auf dem 18. Jahrhundert, als es das Bestreben der Landesherren war, die Wirtschaft ihrer Länder mittels Landgewinnung durch Urbarmachung von Moor- und Heideflächen sowie Eindeichungen zu stärken. Ein weiterer Aspekt war die Peublierung, das heißt, der planmäßige Zuwachs von möglichst qualifizierten Untertanen, die als Kolonisten in den durch den Dreißigjährigen Krieg wüst gewordenen Orten bzw. in neugegründeten Dörfern angesetzt wurden. Ausschlaggebend für die Kultivierung und damit letztendlich auch für die Kolonisation war außer der Bodenbeschaffenheit die Nähe zu den Absatzmärkten und, damit verbunden, die Verkehrsanbindungen. Oft standen sich schneller Gewinn und die langfristige Gewinnung von fruchtbarem Land gegenüber. So sind zwei Arten der Kultivierung zu nennen:  Moorbrandkultur und Urbarmachung durch sukzessive Düngung der behutsamer abgetorften Flächen. Grundvoraussetzung bei beiden Methoden ist die Entwässerung des Moores.

Die Region zwischen Ems und Elbe teilten sich im 18. Jahrhundert verschiedene Staaten – von West nach Ost waren dies die Grafschaft Bentheim, das Fürstbistum Münster, das Fürstentum Ostfriesland (seit 1744 preußische Provinz), das Herzogtum Oldenburg und Kurhannover. Zu den großen Moorgebieten im Nordwesten gehörte das rund 200 qkm große Bourtanger Moor im niederländisch-deutschen Grenzgebiet. Auf deutscher Seite erstreckte es sich von der Gemeinde Rhede (Ldkrs. Emsland) bis nach Wietmarschen (Ldkrs. Grafschaft Bentheim). In der Grafschaft Bentheim begann die Moorkolonisation Mitte des 17. Jahrhunderts mit der Gründung von Ernstdorf 1655 (heute Alte Piccardie) unter Graf Ernst Wilhelm zu Bentheim und Steinfurt (1623–1693), ausgeführt von Johan Picardt (1600-1670). Das Beispiel in der Grafschaft Bentheim zeigt, dass Urbarmachung und Besiedlung im Interesse des Landesherrn war – die Durchführung jedoch in den Händen einzelner Personen lag. Das konnten Staatsbedienstete wie Jürgen Christian Findorff (1720-1792) in Kurhannover sein, aber auch Privatunternehmer (Entrepreneure), die die neuvermessenen Moorflächen pachteten. In den Städten übernahmen häufig Kompanien (beispielsweise die Norder Fehnkompanie) die Funktion der (Ober-)Pächter

Das Bourtanger Moor wurde auf niederländischer Seite bereits seit dem späten 16. Jahrhundert trockengelegt und systematisch besiedelt. Es entstanden die vorbildhaften Fehnsiedlungen, die gekennzeichnet sind durch die aufgereihten Siedlerstellen (Kolonate) entlang eines Hauptkanals und weiteren Nebenkanälen. Auf deutscher Seite wurde 1630 im Fürstbistum Münster durch den Drosten des Emslandes, Dietrich von Velen (1591–1657), die erste Fehnsiedlung gegründet, nachdem er die halb verfallene Papenburg als Lehen erhalten hatte. Von Velen ließ einen Kanal als Verbindung zur Ems graben. Die als Fehntjers bekannten Siedler betrieben hauptsächlich Schifffahrt, daher gab es auch mehrere Schifffahrtsschulen in der Region wie die Seefahrtsschule in Timmel und vor allem zahlreiche Werften – bis heute ist Papenburg dadurch weltweit bekannt. Zu einer weiteren Besiedlung des Bourtanger Moores im Emsland kam es erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Nachdem der Grenzverlauf zwischen dem Fürstbistum und den Niederlanden 1784 geklärt war, ließ Fürstbischof Maximilian Franz (1756-1801) 1788 20 neue Dörfer gründen, u.a. Rütenbrock, Schwartenberg, Neubörger (alle Ldkrs. Emsland) und Gehlenberg (Ldkrs. Cloppenburg).
Das Fürstentum Ostfriesland begann in den 1630er Jahren mit der Anlegung von Kanälen und dem Ansetzen von Kolonisten. Die älteste Fehnsiedlung (Großefehn 1633; Ldkrs. Aurich) geht jedoch auf eine Initiative Emder Bürger zurück. Vor allem die städtischen Gründungen dienten der schnellen Gewinnung von Torf durch Moorbrandkultur, bei der die Torfgewinnung im Vordergrund stand, denn die Städte und auch die Marschbauern benötigten in der holzarmen Region Torf als Brennmaterial. Im Westen von Ostfriesland entstanden bedingt durch die Nähe zur Ems und damit aufgrund der guten Transportwege zahlreiche Fehndörfer (z.B. Westrhauderfehn 1766, Ldkrs. Leer) mit ihrer charakteristischen Siedlungsstruktur, gebildet durch den Hauptkanal und die Nebenkanäle, die Wiecken. Nachdem Ostfriesland 1744 an Preußen gefallen war, wurde schon 1746 auf königlichen Befehl Spetzerfehn gegründet. Die Siedlungstätigkeit brach durch den Siebenjährigen Krieg ein und wurde anschließend durch das Urbarmachungsedikt 1765 von Friedrich II., dem Großen, wieder forciert, obwohl der Fokus der preußischen Binnenkolonisation nicht auf der neuen Provinz im Westen lag, sondern auf der Mark Brandenburg (Stichwort Oderbruch), Pommern und der Neumark. Durch das Edikt wurde der rechtliche Rahmen für die Besiedlung festgelegt und die zentrale Frage (wem gehört das Moor?) geklärt. Das Moor gehörte nun eindeutig dem Landesherrn. Bisher galt in der Regel das sog. Auftreckrecht, d.h. die Bauern nahmen das Moor vom Rand her nach und nach in Besitz, so dass oft sehr schmale und sehr lange Hofparzellen (bis zu 4 km) entstanden. Dieses althergebrachte Prinzip ist bis heute auf vielen Flurkarten nachvollziehbar. Eine der ersten Kolonien, die nach Bekanntmachung des Edikts, gegründet wurde, ist Moordorf (Ldkrs. Aurich). Die Siedlungstätigkeit zog sich von 1767 bis 1817 hin, ausschlaggebend dafür war auch, dass hier kein Hauptkanal gegraben wurde. Im Unterschied zu den Fehndörfern wurde bei den Moordörfern nämlich auf die Anlegung des Hauptkanals verzichtet, da es in diesen Fällen nicht als staatliche Aufgabe angesehen wurde. Die Moordörfer lagen abseits der Städte und damit der Hauptabsatzmärkte, ein Verkauf von Torf war nur an die Marschenbauern möglich. Dadurch waren sie ärmer als die durch den Handel und die Seefahrt florierenden Fehndörfer. Gemeinsam ist ihnen jedoch der Umstand, dass die ersten Unterkünfte der neuen Siedler nur primitive Plaggenhütten waren, die nach und nach durch einfache Häuser aus Lehm ersetzt wurden. Ab ca. 1790 ist zu beobachten, dass die Außenwände durch Backsteinmauern ersetzt wurden bzw. reine Backsteinbauten entstanden, die sich in ihrem Aufbau und ihrer Kubatur an den traditionellen ostfriesischen Gulfhäusern orientierten. Doch mit der schnellen Gewinnung von Torfabbau durch Brandrodung wurde Raubbau am Boden betrieben. Torfbrand ermöglicht eine schnelle Nutzung des Bodens für den Anbau von Buchweizen, jedoch ist er schon nach ein paar Jahren so ausgelaugt, dass jahrzehntelang keine landwirtschaftliche Bearbeitung mehr möglich ist. Ein anderes Konzept als die Fehnsiedlungen verfolgte Kurhannover. Die Kultivierung der Moorflächen zwischen Weser und Elbe (Teufelsmoor und Großes Moor bei Bremervörde) ist eng mit dem Namen Jürgen Christian Findorff (1720-1892) verbunden. Als kurhannoverscher Baubeamter hatte er die notwendige technische Ausbildung für die Landvermessung. Die Moore waren bis dato Niemandsland, nur an den Rändern wurde unkontrolliert und unsystematisch Torf von den ansässigen Bauern abgestochen. Findorff wurde 1771 zum Moorkommissar ernannt – eine eigens für ihn geschaffene Stelle, die seiner Rolle und seiner Verdienste bei der Moorkultivierung Rechnung trug. Sein oberstes Ziel war nicht der Torfabbau, sondern die Gewinnung von landwirtschaftlichen Nutzflächen, Ackerflächen sowie Grün- und Weideland. Dass seine Vorgaben nicht nur theoretischer Natur waren, zeigt die Tatsache, dass Findorff ein eigenes Kolonat in Mehedorf bewirtschaftete und hier sozusagen den „Praxistest“ machte, so experimentierte er mit neuen Nutzpflanzen, die er sich aus den Gewächshäusern von Herrenhausen liefern ließ. Seine Erkenntnisse z.B. bei der Einführung neuer Nutzpflanzen gab er in seinem „Moorkatechismus“ weiter. Von der Erstbebauung der Siedlerstellen aus dem 18. Jahrhundert ist wie andernorts auch kein Beispiel überliefert. Bauliche Zeugnisse der Kolonisierung in Kurhannover sind (außer den Kanälen und dem Hafen in Osterholz) die von Findorff gebauten Kirchen, u.a. Gnarrenburg und Grasberg. Die Struktur der Reihensiedlungen mit ihren schmalen Parzellen lässt sich bis heute nachvollziehen, besonders in Ostendorf, gegründet 1767. Natürlich war bei der Urbarmachung der Moore ein Entwässerungssystem mit Gräben und auch Kanälen unerlässlich – die beiden großen Kanalbauprojekte in Kurhannover waren der Oste-Hamme-Kanal (1769-1790) und der Oste-Schwinge-Kanal (ab 1772), um so eine Schiffsverbindung zwischen Weser und Ems, bzw. zwischen Bremen und Hamburg zu schaffen.
Torf war in der Region zwischen Ems und Elbe auch als Brennmaterial für Ziegeleien, Muschelkalkbrennereien (Fugen) und anderen Industriebetrieben von entscheidender Bedeutung, exemplarisch ist hier die Glashütte bei Fahrendorf zu nennen. Die Industrialisierung spielte im 19. Jahrhundert und bis ins frühe 20. Jahrhundert eine zentrale Rolle bei der Urbarmachung weiterer Moorflächen – vor allem im Großherzogtum Oldenburg, so wurde zum Beispiel 1850 in Augustfehn (Ldkrs. Ammerland) eine Eisenhütte gegründet.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und dem Zweiten Weltkrieg in der Region zwischen Ems und Elbe eine Vielzahl von neuen Dörfern gegründet wurden. Es war im Interesse der einzelnen Staaten, ihre Steuereinnahmen durch neue Untertanen und fruchtbares Ackerland sowie Industriebetriebe zu erhöhen. Die Organisation lag in staatlicher Hand, wurde aber auch auf Pächter übertragen, die dann in Eigenregie die Kultivierung und Kolonisation vorantrieben. Moorkultivierung und Moorkolonisation gingen Hand in Hand, die Motivation und Ausführung war jedoch unterschiedlich, je nachdem, ob der Fokus auf einem sofortigen Gewinn durch exzessiven Torfabbau oder auf einer schnellen Ausbeutung lag oder die Gewinnung von landwirtschaftlichen Nutzflächen das Ziel war. Anreiz für die neuen Siedler war die Möglichkeit, eine eigene Lebensgrundlage zu schaffen, angeworben wurden sie durch verschiedene Edikte der Landesherren. Ihnen wurde per Los eine Siedlerstelle zugeteilt, sie erhielten u.a. Abgabefreiheit und Baukostenzuschüsse. Kolonisten waren vor allem Landarbeiter, Kleinbauern, seltener Flüchtlinge aus dem „Ausland“ wie die Pfälzer, die sich in Ostfriesland niederließen. Ein Beispiel für ein Kolonistenhaus der Zeit um 1800 ist in Plaggenburg (Stadt Aurich) das sog. „Pfälzerhaus“. Entgegen der landläufigen Meinung handelt es sich bei den Siedlern also nicht um Sträflinge oder völlig mittellose „Landstreicher“, sondern Voraussetzung für die Erlangung eines Kolonats waren gewisse Eigenmittel und Kenntnisse, so mussten beispielsweise im Teufelsmoor die Kolonisten Vieh für die Eigenversorgung und die Düngung des abgetorften Bodens mitbringen. In allen Orten haben sich aus der Zeit der Neugründungen kaum baulichen Zeugnisse erhalten – eine Ausnahme bilden Kirchen und natürlich die Kanäle mit ihren Brücken und Schleusen, wobei letztere überwiegend erneuert wurden. Bis heute aber prägen die Moorkultivierung und Moorkolonisation mit ihren Kanälen und Brücken und mit den charakteristischen Siedlungsgrundrissen die Region zwischen Ems und Elbe.


Zum Weiterlesen:

Eugenie Berg: Die Kultivierung der nordwestdeutschen Hochmoore. Oldenburger Forschungen. Neue Folge Band 20. Oldenburg 2004.

Karsten Müller Scheeßel: Jürgen Christian Findorff und die kurhannoversche Moorkolonisation im 18. Jahrhundert, Fischerhude 2020.

Nina Hennig/Michael Schimek: Die Besiedlung Ostfrieslands in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter Friedrich dem Großen, in: ANTIKON 2014 Fachwerkarchitektur – Gemeinsames Erbe. Die friderizianische Kolonisation. Szczecin, 2015, S. 77-95.

Alwin Hanschmidt: Grenzsicherung – Torfabbau – Landgewinnung. Moorkolonisation im Emsland im 17. Und 18. Jahrhundert. In: Márta Fata (Hrsg.): Melioration und Migration. Wasser und Gesellschaft in Mittel- und Osteuropa vom 17. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Stuttgart 2022, S. 27-52.

Michael Haverkamp: Binnenkolonisierung, Moorkultivierung und Torfwirtschaft im Emsland unter besonderer Berücksichtigung des südlichen Bourtanger Moores – Entwicklungslinien und Forschungsstand. In: TELMA (Berichte der Deutschen Gesellschaft für Moor- und Torfkunde, 2011 Band 41, S. 257-282  https://e-docs.geo-leo.de/handle/11858/7307

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