Jüdische Friedhöfe ohne Grabsteine in Niedersachsen
Von Birgit Nelissen
Denkt man an jüdische Friedhöfe, so assoziiert man zunächst und ganz selbstverständlich Begräbnisstätten mit Grabsteinen. Dass es in Niedersachsen eine nicht geringe Anzahl jüdischer Begräbnisplätze ohne sichtbar erhaltene Grabsteine gibt, ist wenig bekannt. Tatsächlich weisen ca. 70 der insgesamt 270 jüdischen Begräbnisstätten keine Grabsteine mehr auf, die mittelalterlichen Friedhöfe, die bislang nicht lokalisiert werden konnten, nicht mit eingerechnet.
Häufig sind die Friedhofsareale heute nicht mehr zu erkennen. Sie liegen verborgen unter Weide-, Acker-, Garten- und Grünflächen oder im Wald, mitunter sind sie sogar in Teilen oder vollständig überbaut. Andere sind durch Einfriedungen geschützt und in Erinnerung an die unter dem NS-Regime ausgelöschten jüdischen Gemeinden zu Gedenkorten umgestaltet worden.
Obwohl ihrer Grabsteine beraubt, kommt diesen Begräbnisplätzen nach den Traditionen des Judentums eine große Bedeutung zu. Der Erhalt der Gräber gehört zu den zentralen Aufgaben der jüdischen Gemeinschaften. Religionsgesetzlich besteht die Verpflichtung, die Ruhe der Verstorbenen auf ewig zu wahren und die Grabstätten, die als Besitz des Verstorbenen angesehen werden, unberührt zu lassen.
Sind die jüdischen Friedhöfe mit Grabsteinen in Niedersachsen im Allgemeinen als Kulturdenkmale ausgewiesen, ist die Frage des Denkmalstatus bei Friedhöfen ohne Grabsteine nicht so eindeutig zu beantworten. Entscheidend für die Bewertung ist, ob die Lage der Friedhöfe genau zu bestimmen ist und wie stark in die belegten Flächen eingegriffen wurde. Unabhängig ob Denkmal oder nicht, gehören die Friedhofsgrundstücke in Niedersachsen heute zu den Flächen, die einen besonderen Schutz genießen und vor Eingriffen geschützt werden sollten.
Bei den jüdischen Friedhöfen ohne Grabsteine handelt es sich hauptsächlich um Friedhofsanlagen aus dem 18. und 19. Jahrhundert:
- um Begräbnisplätze jüdischer Gemeinschaften und Privatfriedhöfe im ländlichen Raum, meist von geringer Größe, die im 19. Jahrhundert wegen der verstärkten Abwanderung der Landjuden in größere Gemeinden und Städte aufgegeben bzw. geschlossen wurden,
- um (klein-) städtische Friedhöfe, die aufgrund ihrer ungünstigen Lage oder fehlender Erweiterungsmöglichkeiten geschlossen und durch neue abgelöst wurden,
- um Friedhöfe, die unter dem NS-Regime geschlossen, an politische Gemeinden oder Privatpersonen verkauft und noch im Dritten Reich bzw. in der Nachkriegszeit eingeebnet wurden.
Die zunehmende Verwahrlosung aufgegebener Begräbnisorte und Schändungen begünstigten den Verlust von Grabsteinen. Gravierend wirkte sich vor allem aber die Radikalisierung der antijüdischen Politik unter dem NS-Regime aus, in dessen Folge sich der Hass der Anhänger in Aktionen gegen jüdische Friedhöfe entlud und Begräbnisplätze ganz offiziell geschlossen, verkauft und nach Ablauf der gesetzlichen Ruhefristen eingeebnet werden konnten. Doch auch nach 1945 kam es zu weiteren Verlusten.
Die meisten jüdischen Friedhöfe ohne Grabsteine liegen im ländlichen Raum. Bis zur rechtlichen Gleichstellung im 19. Jahrhundert lebte die Mehrzahl der Juden auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsen auf dem Land, in Dörfern und kleinen Landstädten. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts waren ca. 70 Prozent der Juden dem Landjudentum zuzurechnen, während nur 30 Prozent in Städten mit über 5.000 Einwohnern lebten.
Die Landgemeinden waren in der Regel klein, die Gemeindemitglieder lebten oft weit voneinander entfernt, in verschiedenen Ortschaften. War es den Juden anfänglich nur gestattet, die Toten auf wenigen, zentralen Friedhöfen zu beerdigen, konnten ab Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts – als die Restriktionen zur Einrichtung neuer Friedhöfe gelockert wurden – bei Bedarf auch Begräbnisplätze am eigenen Wohnort eingerichtet werden. Diese waren meist nicht sehr groß und lagen am Rand oder etwas abseits vom Ort.
Aufgrund der geringen Anzahl und den überwiegend bescheidenen Vermögensverhältnissen ihrer Mitglieder waren kleine ländliche Gemeinden mit der Unterhaltung ihrer Friedhöfe oft stark belastet und allenfalls in der Lage, einfache Instandhaltungsmaßnahmen durchzuführen. Besonders die Friedhöfe ohne Einfriedungen, bei denen die Weide- und Wegerechte nicht abgelöst werden konnten und die wiederholt von Schändungen betroffen waren, stellten die Gemeinden vor große Herausforderungen. Bereits 1861 beklagte der Hannoversche Landrabbiner Samuel Ephraim Meyer den oft "unwürdigen Zustand" der Friedhöfe. Als ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer mehr Landjuden in größere Gemeinden und Städte abwanderten und in der Folge ländliche Synagogengemeinden aufgelöst werden mussten, blieben, wie es sein Nachfolger, Selig Gronemann, 1896 treffend formulierte, "nur die Friedhöfe wie herrenloses Terrain zurück". Die Anschlussgemeinden und die wenigen verbliebenen Juden waren oft nicht imstande, die Pflege der weit verstreuten Begräbnisstätten aufrechtzuerhalten, so dass viele Friedhöfe verfielen. Entsprechend verhielt es sich auch mit den Privatfriedhöfen, die nach dem Wegzug des Familienverbandes verwaist zurückblieben.
Mit der Zeit verblasste das Wissen um die aufgegebenen Begräbnisplätze, nach der Auslöschung der meisten jüdischen Gemeinden und dem Verlust von Gemeindeunterlagen in der NS-Zeit gerieten manche ganz in Vergessenheit.
Im (klein-) städtischen Kontext weisen vor allem ältere Begräbnisplätze, die aufgrund ihrer ungünstigen Lage oder fehlender Erweiterungsmöglichkeiten nicht weiter belegt und durch neue abgelöst wurden, keine Grabsteine mehr auf.
In Hessisch Oldendorf hatte die Lage des seit Ende des 17. Jahrhunderts gepachteten Begräbnisplatzes im Nordabschnitt des Walles direkt am neu eingerichteten Promenadenweg in den 1830er Jahren zu dessen Schließung und zur Anlage eines neuen Friedhofes geführt. In Haren war es vermutlich die Furcht vor Überschwemmungen durch die nahe gelegene Ems und die weite Entfernung zum Ort, die 1908 die Schließung des alten Begräbnisplatzes und die Überführung der Grabsteine auf den neu angelegten Friedhof bedingte.
In seltenen Fällen kam es wie in Haren auch zur Umsetzung von Grabsteinen oder zur offiziellen Aufhebung von Begräbnisstätten. Betroffen waren auf der einen Seite Friedhofsareale im Stadtgebiet, die gegen hygienische Auflagen verstießen oder den geplanten Stadtumbau behinderten, auf der anderen Seite Friedhöfe, deren Fortbestand gefährdet erschien.
Den Osnabrücker Friedhof, der im Mittelalter vor dem Heger Tor eingerichtet worden war und im 19. Jahrhundert durch das Anwachsen der Stadt inmitten eines Wohngebiets lag, ließ die Stadt 1876 zunächst aus gesundheitspolizeilichen Gründen schließen. Als das Gelände für die Erweiterung des Straßenraums beansprucht wurde, wurden die Gebeine und Grabsteine 1892 auf den neu eingerichteten jüdischen Friedhof in Osnabrück übertragen. Anfang der 1950er Jahre wurden die drei verbliebenen Grabsteine des 1751 angelegten jüdischen Friedhof in Landwürden, der nicht zum Eigentum der jüdischen Gemeinde gehörte, auf den Friedhof in Ovelgönne überführt.
Nicht immer ist nachvollziehbar, wann und unter welchen Umständen es zum Verlust von Grabsteinen kam. Natürliche Verfallsprozesse, aber auch Zerstörungen und Diebstähle im Laufe der Jahrhunderte dürften eine Rolle gespielt haben. Verheerend wirkte sich in erster Linie aber das immer radikalere Vorgehen gegen die jüdischen Friedhöfe unter dem NS-Regime aus.
Als in der NS-Zeit unter wachsendem Verfolgungsdruck immer mehr Juden Deutschland verließen und der Verfall der jüdischen Friedhöfe nicht mehr aufzuhalten war, rückten die jüdischen Begräbnisplätze in den Blickpunkt systemkonformer Landräte und Bürgermeister, die anstrengten, die Friedhöfe aus dem Stadt- und Landschaftsbild zu verbannen. Der Unmut richtete sich hierbei vor allem gegen Friedhöfe, die im Ortsbild präsent waren und an zentraler oder exponierter Stelle lagen.
Seit 1935 erreichten immer mehr Anfragen die Berliner Zentrale des Deutschen Gemeindetages, welche rechtlichen Schritte eingeleitet werden könnten, um die jüdischen Friedhöfe zu beseitigen. Eine systematische Zerstörung scheiterte allerdings am geltenden Bestattungsrecht der Länder, das eine Schließung nur aus gesundheitspolizeilichen Gründen – etwa bei Überbelegung oder hygienischer Gefährdung – erlaubte und eine gesetzliche Ruhezeit von mindestens 30 Jahren nach Schließung des Friedhofs festschrieb.
Die "Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens" vom 3. Dezember 1938, die den Zwangsverkauf jüdischen Grundeigentums erlaubte, machte schließlich ein konkretes Vorgehen gegen die jüdischen Friedhöfe möglich. Auf Grundlage der 10. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 4. Juli 1939 wurden die jüdischen Kultusgemeinden bis 1941 zwangsweise in "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" eingegliedert. Damit gingen auch die jüdischen Friedhöfe formal in das Eigentum der Reichsvereinigung über. 1942 wies das Reichssicherheitshauptamt die Reichsvereinigung an, die Begräbnisplätze den politischen Gemeinden zum Kauf anzubieten. Das Interesse der Gemeinden war allerdings eher verhalten, da der Kauf an verschiedene Auflagen wie die Einhaltung der gesetzlichen Liegefristen, die Instandhaltung des Friedhofs und der Gräber, das Besuchsrecht für Hinterbliebene und das Offenhalten für behördlich genehmigte Beerdigungen geknüpft war. Im August 1943 wurde das Vermögen der Reichsvereinigung schließlich beschlagnahmt und unter die Verwaltung des Reichsfinanzministeriums gestellt.
Im Januar 1944 ordnete der Reichsfinanzminister in einem weiteren Erlass an, die jüdischen Friedhöfe den Kommunen nochmals zum Kauf anzubieten, diesmal aber zusammen mit den Grabsteinen. Eine Vertragsklausel schloss das Reich hierbei von jeglicher Haftung aus. Die Grabsteine verblieben rechtlich im Eigentum der Grabstelleninhaber. Die Grabdenkmäler sollten bis zum Ablauf der Ruhefristen stehen bleiben oder so verwahrt werden, dass sie dem Eigentümer jederzeit zur Verfügung gestellt werden konnten. Manche Gemeinde akzeptierte die Klausel und erwarb den jüdischen Friedhof samt Grabsteinen. In der Regel bestand aber wenig Interesse, vor allem erregte der Haftungsausschluss großen Unmut. Immer wieder traten auch Privatpersonen als Käufer auf. In der Regel handelte es sich um Anrainer, die ihr Grundstück durch Zukauf auf vergrößern wollten. Am 6. Januar 1944 hob ein neuerlicher Erlass des Reichsministers der Finanzen schließlich die ungeliebte Klausel auf.
Auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsen hatte vor allem ein Erlass des Regierungspräsidenten von Hannover vom 27. Oktober 1938 weitreichende Folgen. Ihn ihm ordnete er an, die jüdischen Friedhöfe des Regierungsbezirks landespolizeilich zu schließen und für Friedhöfe, bei denen die letzte Beerdigung mindestens 30 (oder sogar 40) Jahre zurücklag, die landespolizeiliche Genehmigung zur Einebnung zu erteilen. Für die kleine Zahl der verbliebenen Juden sollten einzelne Friedhöfe offengehalten, die übrigen schnellstmöglich geschlossen und nach Ablauf der Ruhefristen eingeebnet werden. Landräte und Oberbürgermeister wurden aufgefordert, genaue Angaben zu den jüdischen Friedhöfen und zur Zahl der noch ansässigen Juden zu machen, damit die notwendigen Schritte eingeleitet werden konnten.
Verheerend wirkten sich auch die mutwilligen Angriffe auf die jüdischen Friedhöfe aus, besonders in der Reichspogromnacht. Hinzu kamen die reichsweit durchgeführten Metallsammelaktionen, bei denen systematisch Metallteile von Grabstätten sowie Einfriedungen und Tore aus Metall entfernt wurden. Mit der Demontage, die vielerorts von der SA und Hitlerjugend durchgeführt wurden, gingen oft auch Beschädigungen und Zerstörungen von Grabsteinen einher.
Nach 1945 waren schätzungsweise 80-90 Prozent der Begräbnisplätze beschädigt, die Mehrzahl der jüdischen Friedhöfe in Niedersachsen hatte jedoch NS-Regime und Krieg überdauert. Oft war es die vorgeschriebene Liegefrist, die die Friedhöfe vor einer vollständigen Zerstörung bewahrt hatte. Dessen ungeachtet gab es aber auch eine nicht geringe Zahl an Friedhöfen, die ihrer Grabsteine vollständig beraubt worden waren, einerseits auf Grundlage der geltenden Rechtsprechung, andererseits aus Eigenmächtigkeit der neuen Eigentümer, die das Friedhofsareal schon vor Ablauf der Ruhefristen einebneten.
Auch in der Nachkriegszeit kam es noch in einzelnen Fällen zum vollständigen Verlust von Grabsteinen. Betroffen waren vor allem Begräbnisplätze, die nach dem Krieg nicht rückerstattet wurden. So wies der heute als Weide genutzte Begräbnisplatz in Lüthorst, der von privater Seite erworben und aufgrund des zu geringen Streitwerts nicht rückerstattet wurde, noch Anfang der 1960er Jahre Grabsteine auf.
Mit den abgeräumten Grabsteinen wurde sehr unterschiedlich verfahren. Sie wurden teilweise eingelagert, teilweise vernichtet, an Steinmetze verkauft oder als Baumaterial weiterverwendet, immer wieder verarbeitete man sie auch zu Straßenschotter. Die freien Friedhofsflächen nutzte man als Gärten, Weiden und Äcker oder gestaltete sie zu Grünflächen um. In wenigen Fällen kam es auch zur teilweisen oder kompletten Überbauung von Grundstücken, wie in Bad Bevensen.
In der Nachkriegszeit war viel Wissen über die jüdischen Friedhöfe verloren gegangen. Die meisten der jüdischen Gemeinden waren ausgelöscht, wichtige Gemeindeunterlagen vernichtet, viele deutsche Juden lebten im Exil oder waren infolge der Schoa umgekommen. Mühsam mussten wieder Informationen zu den jüdischen Friedhöfen zusammengetragen werden. Eine lückenlose Dokumentation, insbesondere von länger aufgegebenen Begräbnisplätze und der Privatfriedhöfe, war oft nicht möglich.
1950 bestimmte der Niedersächsische Minister des Innern im Einvernehmen mit dem Kultusministerium und nach Anhörung des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Hannover, "die jüdischen Friedhöfe, die in der nationalsozialistischen Zeit beschädigt oder zerstört worden sind, […] wieder instandzusetzen" und sicherte hierfür eine vorläufige Kostenübernahme zu. Vielfach waren es Juden gewesen, die die Instandsetzung der Friedhöfe angemahnt hatten.
Die Instandsetzung der Begräbnisplätze ohne Grabsteine und ihre Umgestaltung zu Gedenkorten erfolgte in den 1950er und 1960er Jahren. Planung, Ausschreibung, Vergabe, Überwachung und Abnahme der Arbeiten übernahm der jüdische Garten- und Landschaftsarchitekt Rudolf Stichnothe aus Hannover, der beim Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen bis kurz vor seinem Tod 1978 für die Betreuung der pflegeverwaisten Friedhöfe zuständig war.
Stichnothe gestaltete die Friedhofsgrundstücke in der Regel zu Rasenflächen um und bepflanzte sie mit einer Anzahl heimischer Bäume und mehrjähriger Blüten- und Wildgehölze. Friedhöfe ohne Einfriedung umgab er bevorzugt mit einem Jägerzaun. Die Eingangspforte glich er gestalterisch an die Einfriedung an, neue Torpfosten bestanden häufig aus roten Ziegelsteinen mit Abdeckplatte aus hellem Sandstein.
In der Mitte der Parzelle sah er einen Gedenkstein oder eine Gedenkplatte aus Naturstein vor, auf die vom Eingang des Friedhofs ein Weg aus Natursteinplatten zuführte. Die Gedenksteine sind oft mit einem Davidstern und einer Inschrift – einem Auszug aus der Thora in deutscher und hebräischer Sprache sowie "einem erklärenden und ermahnenden Text" – versehen.
Welche Intentionen Stichnothe mit seinen Entwürfen verfolgte, lässt sich sehr gut am Beispiel des in der NS-Zeit völlig zerstörten Diepholzer Friedhofs nachvollziehen. Nach eigener Aussage war es ihm wichtig, eine Gedenkstätte zu schaffen, "die in einfacher aber doch eindringlicher Form die Menschen ansprechen sollte". Gleichzeitig sollte sich der Begräbnisplatz gestalterisch in die Landschaft einpassen und von außen nur bedingt einsehbar sein, um ihn so vermutlich vor Schändungen zu schützen: "Die gesamte Fläche muss rein äusserlich mit einem festen Zaun gegen die Umgebung abgeschlossen werden. Eine starke Rahmenpflanzung unterstreicht diese Abschirmung. Lediglich aus der nördlichen Richtung, also von der Strasse ist ein Einblick auf die Innenfläche vorgesehen. Als Kernstück dieser Innenfläche ist ein Gedenkstein geplant, der den religiösen Vorschriften entsprechend mit seiner Ansichtsfläche nach Osten gekehrt ist. Ein einfacher mit Sandsteinplatten befestigter Weg, führt von der Strasse zu diesem Mahnmal. Einige Bäume, die in zwanglosen Gruppen angeordnet werden, dienen der Auflockerung des Gesamtbildes und der Eingliederung in die Friedhof umgebende Landschaft."
Heute hat sich das Erscheinungsbild der Friedhöfe meistens verändert. Eingangstore, manchmal auch die Einfriedungen, wurden ersetzt. Angestoßen durch die in den 1980er Jahren gegründeten Geschichtswerkstätten und Gedenkstätteninitiativen, die sich der Geschichte der Juden In Niedersachsen in wissenschaftlicher Form annäherten, vollzog sich ein Wandel in der Erinnerungskultur. In der Folge informieren die Inschriften der neu aufgestellten Gedenksteine und -tafeln nun häufig über die Geschichte der ausgelöschten jüdischen Gemeinden oder erinnern namentlich an ihre Mitglieder. Daneben entwickelten sich auch neue, individuellere Ausdrucksformen des Gedenkens wie in Diepholz, wo man wiederaufgefundene Bruchstücke von Grabsteinen in ein 1997 errichtetes Mahnmal integrierte.
Durch die Beschäftigung mit der Geschichte der jüdischen Friedhöfe war es vereinzelt sogar möglich, verschollen geglaubte Grabsteine wieder aufzuspüren. Im Fall des jüdischen Friedhofs von Ebergötzen, der seiner Grabsteine komplett beraubt wurde, konnten Grabsteinfragmente, die in der NS-Zeit in die Stützmauer des nahe gelegenen Aufmarschplatzes am Kriegerdenkmal verbaut wurden, gesichert werden. In naher Zukunft sollen sie – integriert in ein Lapidarium – den Weg zurück auf das Friedhofsgelände finden.
Zum Weiterlesen:
- Sänger, Falk-Reimar: Die jüdischen Friedhöfe im Regierungsbezirk Lüneburg. In: Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen, 18. Jg., 1998, Nr. 4, S. 166-168.
- Wirsching, Andreas: Jüdische Friedhöfe in Deutschland 1933-1957. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 50. Jg., 2002, H. 1, S. 1-50.
- Obenaus, Herbert (Hg.): Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen. 2 Bde. Göttingen 2005.
- Obenaus, Sibylle: Jüdische Friedhöfe auf dem Lande im Kurfürstentum, im Königreich und in der preußischen Provinz Hannover bis 1914. In: Obenaus, Herbert (Hg.): Landjuden in Nordwestdeutschland. Vorträge des Arbeitskreises Geschichte der Juden in der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen; Bd. 224). Hannover 2005, S. 261-284.
- Schulze, Peter: Jüdische Friedhöfe in Niedersachsen 1938-1945. In: Juden in Niedersachsen 1938-1945. Forschungsansätze und Forschungsdesiderate. Tagung in Hannover, 24.-25. März 2011, hg. vom Arbeitskreis Geschichte der Juden in der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, S. 56-61.
- Obenaus, Sibylle: Die jüdischen Friedhöfe im (alten) Regierungsbezirk Lüneburg von 1938 bis zum Kriegsende 1945. In: Juden in Niedersachsen 1938-1945. Forschungsansätze und Forschungsdesiderate. Tagung in Hannover, 24.-25. März 2011, hg. vom Arbeitskreis Geschichte der Juden in der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, S. 80-88.
- Wiedemann, Wilfried: Verwaiste Erinnerungsorte – Jüdische Friedhöfe auf dem Gebiet des Landes Niedersachsen. In: Schomann, Rainer u.a. (Hg.): Unter der Grasnarbe. Freiraumgestaltungen in Niedersachsen während der NS-Diktatur als denkmalpflegerisches Thema. Dokumentation der Tagung vom 26.-29. März 2014 in Hannover (Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen; Bd. 45). Petersberg 2015, S. 125-133.