Hannovers Stadtfriedhöfe

Von Katrin Bohley-Zittlau

Ein Spaziergang über die historischen Stadtfriedhöfe gleicht einem Streifzug durch die Hannoversche Kulturgeschichte. Nicht nur Generationen von hier geborenen und zugezogenen Hannoveranern, auch viele namhafte Persönlichkeiten, die in Hannover gelebt und gewirkt haben, sind hier bestattet. Die verschiedenen Grabmale – von Mausoleen und Obelisken über Stelen und Kreuze bis hin zu aufwendig architektonisch und skulptural gestalteten Ruhestätten aus unterschiedlichsten Materialien – spiegeln bis heute den Geschmack ihrer jeweiligen Entstehungszeit wider. Zugleich kann man an den Friedhofsanlagen besonders gut die unterschiedlichen künstlerischen Gestaltungsweisen ablesen, die zwischen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und den 1960er Jahren in der Gartenkunst vorherrschten.

Als erster kommunaler Friedhof ist weit südlich des historischen Stadtkerns, am Rande der Döhrener Feldmark, ab 1861 der Stadtfriedhof Engesohde angelegt worden. Die Gesamtplanung des 1864 eröffneten „Zentralfriedhofs“, der die innerstädtischen Begräbnisplätze der Gartenkirche, der Neustädter- und der Nicolaigemeinde ersetzte, lag in den Händen des Stadtbaumeisters Ludwig Droste. Nach seinen Entwürfen sind auch die repräsentativen Eingangsbauten an der heutigen Orli-Wald-Allee mit ihren Arkadenhallen und den eckturmartigen Mausoleen erbaut worden. Aufgrund des rapiden Bevölkerungswachstums mussten die ursprünglich elf Abteilungen zwischen 1871 und 1880 nach Westen und Süden auf 41 Abteilungen erweitert werden – die Einwohnerzahl Hannovers hatte sich von 60.000 im Jahr 1861 auf 120.000 im Jahr 1880 verdoppelt. Die einzelnen Quartiere wurden durch ein rechtwinkliges Wegeraster erschlossen. Die Plätze in der Arkadenhalle sowie entlang der Friedhofsmauern und der Hauptwege waren den Erbbegräbnissen vorbehalten, die bis heute das breite Spektrum bürgerlicher Sepulkralkultur des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts widerspiegeln und wichtige Blickpunkte innerhalb der von Hecken gerahmten Wege in den einzelnen Abteilungen bilden. Ab 1891 war der Engesohder Friedhof nur noch der Neuanlage von Erbbegräbnissen vorbehalten, und ab 1911 entschied sogar eine „Kommission zur Prüfung der Grabmalsentwürfe“ über die Genehmigung neuer Grabstätten – was die große Zahl an aufwendigen, individuell und künstlerisch gestalteten Grabdenkmalen erklärt, die in klassizistischen und neugotischen bis hin zu modernen Formen errichtet wurden. Unter den vielen bedeutenden Grabdenkmälern des Engesohder Friedhofs finden sich die Ruhestätten von Georg Ludwig Friedrich Laves, Georg Kestner, Conrad Wilhelm Hase, Ludwig Droste, Karl Elkart, Kurt Schwitters und Wilhelm Hauschild ebenso wie die Gräber der Stadtdirektoren Heinrich Tramm und Johann Carl Hermann Rasch. Die Erbbegräbnisse und Mausoleen der Familien Ebeling, Heimann und Köhler sowie der Familien Wallbrecht, Schlüter und Wilkening sind Beispiele für besonders repräsentative Grabmale von hoher künstlerischer Qualität.

Zur Entlastung des voll belegten Engesohder Friedhofs, besonders für Bestattungen in Reihengräbern, war 1888-90 nordwestlich von Herrenhausen der Stöckener Friedhof als zweiter großer Stadtfriedhof angelegt worden. Die erste, rund 23 Hektar große und ebenfalls streng axial-symmetrische Anlage geht auf eine Planung des damaligen Stadtbaudirektors Paul Rowald zurück, der auch die neugotischen Eingangsbauten mit der zentralen Kapelle und den flankierenden Leichenhallen entwarf. Die Gestaltung der Schmuckanlagen rund um die Eingangsbauten hatte Julius Trip übernommen, der später der erste Gartendirektor Hannovers und seit 1890 Leiter der neu gegründeten Städtischen Gartenverwaltung war. Sein wesentlicher Anteil, der den Stöckener Friedhof bis heute prägt und ihn so besonders macht, ist jedoch die Erweiterung ab 1901: Trip entwarf einen weitläufigen Parkfriedhof, in dem ein künstlich angelegter Teich mit Urneninsel das wesentliche Gestaltungselement bildete. Der Aushub des Teiches konnte zugleich zur Aufschüttung und landschaftlichen Modellierung des Geländes verwendet werden. Südlich an die von hohen Bäumen umstandene Wasserfläche schließt sich eine hippodromförmig angelegte Abteilung an. Wie ein Kranz sollten sich die landschaftlichen Partien auf einer Fläche von 15 Hektar um den älteren Teil des Friedhofs legen. So wollte Trip “die Vorzüge der architektonischen und der rein landschaftlichen Behandlung miteinander vereinigen“. Wichtig war ihm, „Bäume und Gehölzmassen so zu verteilen, dass das Auge von keinem Standpunkte aus frei über größere Grabflächen schweifen“ konnte.

Mit der Planung der Insel, auf der ab 1910 ausschließlich Urnen beigesetzt wurden, reagierte die Stadt auf die zunehmende Nachfrage nach Feuerbestattungen. Ein eigenes Krematorium sollte Hannover jedoch erst 1924 auf dem Seelhorster Friedhofs bekommen. Bis dahin war der nächstgelegene Ort für Einäscherungen die Stadt Bremen. Direkt südlich des Engesohder Friedhofs, an der Alten Döhrener Straße, hatte der Hannoversche Feuerbestattungsverein schon 1903 einen eingefriedeten Urnenhain anlegen lassen.

Diese Form der Bestattung war auch möglich auf dem 1904-08 angelegten Hauptfriedhof von Linden, das damals noch eine selbständige Stadt war. Er wurde von Carl Arend entworfen, unter der Leitung von Johannes Balcke angelegt und ersetzte die drei vorhandenen Begräbnisstätten Lindens, deren Kapazitäten infolge der raschen Industrialisierung und des damit verbundenen rapiden Bevölkerungsanstiegs nicht mehr ausreichten. Das einst 17 Hektar große Terrain des heutigen Stadtfriedhofs Ricklingen wurde nach und nach auf insgesamt 54 Hektar erweitert, wobei der symmetrische Grundcharakter der Anlage stets erhalten blieb. Der Friedhof wird durch ein doppeltes Achsenkreuz erschlossen, in dessen Schnittpunkt sich die 1910 erbaute Friedhofskapelle erhebt. Linear gesetzte Hecken sowie Hain- und Rotbuchenalleen, Kastanien-, Fichten- und Weißdornalleen sowie die den Haupteingang und die Kapelle verbindende breite Allee aus Amerikanischen Roteichen gliedern seine Fläche und rahmen die einzelnen Abteilungen. Dadurch entstehen abgeschlossene Partien mit einem jeweils individuellen Charakter. Neben der Kapelle bieten auch Brunnen, Schöpfbecken oder Gehölzgruppen markante Blickpunkte innerhalb der Gesamtanlage. Für die Errichtung der Grabmale gab es ein einheitliches Konzept, das auf eine harmonische Gesamtwirkung innerhalb der einzelnen Abteilungen und der Gesamtanlage des Friedhofs zielte: Materialien wie Glas oder polierter Marmor waren verboten, und für Grabmale, die mehr als einen Meter Höhe aufwiesen, mussten hohe Steuern entrichtet werden. Das lässt sich in den einzelnen Abteilungen bis heute nachvollziehen.

Dieses Idealbild eines Reformfriedhofs, der die sozialen Unterschiede nivellieren sollte, lässt sich besonders gut an dem heute mit 68 Hektar Fläche größten Friedhof der Stadt ablesen, dem Stadtfriedhof Seelhorst, den der damalige Stadtgartendirektor Hermann Kube ab 1919 im Süden von Hannover als formal streng gegliederte Anlage plante. Die schon bestehenden Friedhöfe der eingemeindeten Orte Döhren und Wülfel bezog Kube in seine Planungen ein. Im Wesentlichen hat der Seelhorster Friedhof trotz späterer Veränderungen und Erweiterungen seinen grundlegenden Charakter behalten und ist damit eines der besterhaltenen Beispiele solcher Gesamtanlagen, das zudem in der konsequent geometrischen Gestaltung an die barocke Gartenkunst der Herrenhäuser Gärten mit ihrem Parterre, den Wasserbecken und Bosketts erinnert. Kubes Handschrift findet sich auch in den umgestalteten Abteilungen des Engesohder und Stöckener Friedhofs sowie im Erweiterungsbereich der 1920er Jahre in Ricklingen wieder. Den Grundriss in Seelhorst bildet wieder ein strenges Achsenkreuz, in dessen Schnittpunkt sich der zwischen 1921 und 1924 nach Entwürfen von Paul Wolf und Konrad Wittmann im expressionistischen Stil erbaute Gebäudekomplex von Kapellen, Krematorium und Betriebsgebäuden erhebt. Vom einstigen westlichen Haupteingang führt eine breite, vierreihige Lindenallee darauf zu, die in ihren Maßen exakt der Mausoleumsallee des Berggartens in Herrenhausen entspricht. Auf beiden Seiten dieser Hauptachse sind symmetrisch die einzelnen Abteilungen für Erd- und Urnengräber angeordnet, die bis heute zum Großteil durch linear gesetzte Hainbuchen- und Thujahecken sowie Buchen-, Linden-, Kastanien- und Eichenalleen gegliedert und gerahmt werden. Hinter dem 1997 stillgelegten Krematorium nimmt ein lang gestrecktes und deutlich abgesenktes Wasserbecken die Funktion der Mittelachse wieder auf. Es wird von einheitlich bepflanzten Urnenabteilungen flankiert, an denen das Gestaltungskonzept besonders gut ablesbar ist: Nicht nur die Anordnung, auch Größe und Steinart der Grabsteine sowie die Höhe der Hecken waren genau festgelegt. Das Wasserbecken und die Urnenabteilungen sind von Kastenlinden eingefasst, die die optische Überleitung zum Kolumbarium schaffen, das mit seinem Halbrund den Abschluss der großen Ost-West­Achse bildet.

Waren schon ab 1914 in einzelnen Abteilungen der Stadtfriedhöfe Kriegsgräberstätten für die Opfer des Ersten Weltkriegs angelegt worden, so kam es während des Zweiten Weltkriegs nochmals zu deutlichen Veränderungen. Ab 1939 wurden tausende Kriegsopfer auf allen Hannoverschen Stadtfriedhöfen beigesetzt, ab 1943 kamen die Bestattungen der zivilen Opfer von Luftangriffen hinzu. Die Kriegsgräberfelder und Gedenkstätten prägen bis heute das Gesicht ganzer Abteilungen der Stadtfriedhöfe und erinnern an die Opfer von Krieg und Gewalt, Konzentrationslagern und Zwangsarbeit. In den 1950er und 1960er Jahren sind die Kriegsgräberstätten zum großen Teil nochmals umgestaltet und durch Umbettungen in hainartige Ehrenanlagen zusammengefasst worden.

Nachdem die Stadt Hannover während des Zweiten Weltkriegs mehr als die Hälfte ihrer Bevölkerung verloren hatte, ist die Einwohnerzahl bis Ende der 1950er Jahre aufgrund des Zuzugs tausender Flüchtlinge und Vertriebener auf eine halbe Million angestiegen. Die Stadtfriedhöfe waren erneut voll ausgelastet, und durch gestalterische Veränderungen versuchte man, die Belegungsdichte auf den bestehenden Friedhöfen zu erhöhen. In den 1960er Jahren sind sie teilweise auch erweitert worden. Ein anderes Verständnis von Gestaltung bewirkte häufig eine Abänderung der vorhandenen strengen Wegeachsen, die einst wassergebundenen Wege wurden befestigt, die Wegebreite reduziert, Alleen und Hecken beseitigt und neue, maschinengerechte Grabraster angelegt. Bei der Neuanlage des 1968 am nordöstlichen Stadtrand eröffneten Stadtfriedhofs Lahe bildeten diese eher technisch ausgerichteten Prinzipien die zeitgemäßen Gestaltungsgrundsätze. Doch seit den 1990er Jahren werden auf den historischen Friedhöfen teilweise die alten Strukturen wiederhergestellt, Hecken und Alleen nachgepflanzt.

Nicht nur veränderte Gestaltungsauffassungen, neue Friedhofsordnungen oder ökonomische Zwänge haben das Gesicht der Hannoverschen Friedhöfe im Laufe der Zeit verändert. Ihr gestalterisches Grundgerüst, die Alleen und die Heckenabteilungen, sind jedoch zum Großteil erhalten. Und denen macht der Klimawandel wie vielen städtischen Grünanlagen sichtlich zu schaffen. Auch der demographische Wandel und die veränderte Bestattungskultur beschäftigen die Friedhofsverwaltungen. Die Nachfrage nach anonymen Urnenbegräbnissen, Grabstätten in Friedwäldern oder Seebestattungen nimmt stetig zu. In der Hansestadt Bremen kann man seit 2014 eine Urne von Angehörigen sogar mit nach Hause nehmen. Dadurch sind die Friedhöfe immer weniger dicht belegt, manche Flächen ganz aufgegeben und in naturnahe Wiesen umgewandelt. Weniger Bestattungen bedeuten indes auch weniger Einnahmen, um die Anlagen zu pflegen und zu erhalten. So gibt es mittlerweile auf nahezu allen größeren historischen Friedhöfen die Möglichkeit, Patenschaften für denkmalgeschützte Grabstellen zu übernehmen. Oder man kann sich in einer bestehenden historischen Grabstelle bestatten lassen. Auch eine größere Zahl von Urnenbeisetzungen in Erbbegräbnissen mit gemeinschaftlichem Blumenschmuck und somit weniger Pflegeaufwand gibt es immer häufiger – auch in besonders gefragten Lagen auf dem Stöckener und dem Engesohder Friedhof.

Die Gefährdung von denkmalwerten Friedhöfen, sei es durch Auflassung und Überformung, Bebauungsverdichtung oder durch den Klimawandel, wird in Zukunft nicht abnehmen. Die Friedhöfe gehören zu den grünen Lungen der Städte und tragen dazu bei, das Stadtklima zu verbessern. Als Biotope bieten sie zudem Pflanzen und Tieren einen Lebensraum und sind damit ein wichtiger Teil der urbanen Ökologie. Die historischen Friedhöfe erzählen von Menschen und ihren Biographien, von Kultur- und Sozialgeschichte genauso wie von Bau- und Gartenkunst. Sie sind Rückzugsorte, bieten Trost und Ruhe. Diesen großen Schatz der Hannoverschen Stadtgeschichte gilt es auf Dauer und nachhaltig zu bewahren.


Zum Weiterlesen:

Landeshauptstadt Hannover: Stadtfriedhof Engesohde, Hannover 2015
Landeshauptstadt Hannover: Stadtfriedhof Stöcken, Hannover 2009
Landeshauptstadt Hannover: Stadtfriedhof Ricklingen, Hannover 2002
Landeshauptstadt Hannover: Stadtfriedhof Seelhorst, Hannover 2020

W. R. Röhrbein, K. Mlynek (Hrsg.): Stadtlexikon Hannover. Von den Anfängen bis in die Gegenwart, Hannover 2009, S. 586ff.

N. Fischer: Vom Gottesacker zum Krematorium: Eine Sozialgeschichte der Friedhöfe in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert, Hamburg 1996

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