Die Architektur des Wiederaufbaus in der Stadt Emden
Die ostfriesische Seehafenstadt Emden wurde im Zweiten Weltkrieg durch die Luftangriffe der Alliierten und insbesondere durch die nur 18 Minuten andauernde Bombardierung am 6. September 1944 zu großen Teilen zerstört. Vor allem die Kernstadt innerhalb der Wallanlagen war betroffen. Das historische Stadtbild und bedeutende Baudenkmale gingen unwiederbringlich verloren. Während im Stadtteil Klein-Faldern, im Behördenviertel oder an der Ringstraße auch größere zusammenhängende Gebäudegruppen verschont blieben, haben in der Altstadt westlich des Ratsdelftes nur einzelne Bauwerke den Krieg überstanden, die alleinstehend an die alte Stadt erinnern. Die Neue Kirche in Groß-Faldern ist eines der wenigen bedeutenden Baudenkmale, das nach der Kriegszerstörung rekonstruierend wiederhergestellt wurde. Vorrangig entstanden neue Gebäude, Wohn- und Geschäftshäuser, die bis heute das Erscheinungsbild der Stadt bestimmen, wobei die Architektur des Wiederaufbaus in Emden eine ganz eigene Ausprägung erfahren hat.
Das Wiederaufbaukonzept
Vor dem Krieg hatte Emden eine pittoreske Altstadt, durchzogen von den Delften und Stadtgräben sowie umgeben von den Grünflächen der Wallanlagen. Auf dem mittelalterlichen Stadtgrundriss bildeten schmale, meist giebelständige Bürgerhäuser in enger Reihung geschlossene Straßen- und Platzräume. Die Kirchen, das Rathaus oder die Waage am Neuen Markt waren die städtebaulichen Dominanten. Daneben gaben die Gebäude des Historismus, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden, sowie die qualitätvollen Bauten im Stil des norddeutschen Backsteinexpressionismus aus den 1920er Jahren dem Stadtzentrum eine wesentliche Prägung.
Dieses historisch gewachsene Stadtbild wurde im Zweiten Weltkrieg weitgehend verwüstet. Massive Hochbunker, die in den Jahren 1941-42 zum Schutz der Bevölkerung errichtet wurden, ragten aus der Trümmerlandschaft hervor. Neben der Herstellung von dringend benötigtem Wohnraum war in den ersten Nachkriegsjahren die Schutträumung zu bewältigen. Stadtplaner und Politiker sahen die flächige Zerstörung aber auch als Chance, vergangene Epochen hinter sich zu lassen und eine neue, funktionale Stadt zu errichten. Die kleinteilige Grundstücksparzellierung stand einer zeitgemäßen Stadtentwicklung entgegen. Die engen Straßenräume waren dem zunehmenden Verkehrsaufkommen nicht gewachsen, und die zahlreichen Wasserläufe galten als Brutstätten für Krankheiten und Epidemien. Der Emder Stadtbaurat Peter Diederichs forderte einen von Nostalgie und Emotionen befreiten Neubeginn: „Wir sollen ja nicht die Erinnerung an das alte Emden auslöschen, aber wir sollen uns davon trennen. Unsere wehmütige Erinnerung führt ins Mittelalter, unsere Tat aber, der Neuaufbau der Stadt, entsteht im zwanzigsten Jahrhundert und führt hinein in das einundzwanzigste.“ Dem gegenüber gab es Stimmen, die sich für den Wiederaufbau der alten Stadt aussprachen. Vom Denkmal- und Museumsrat Nordwestdeutschland wurde empfohlen, den mittelalterlichen Grundriss als identitätsstiftendes Zeugnis der Geschichte beizubehalten.Im Sommer 1945 wurde vom Stadtplanungsamt ein erster Flächennutzungsplan erstellt, der auf bereits bestehende Konzepte zurückgriff. Es folgte ein Gestaltungsplan mit Neuregulierung der Fluchtlinien und Verkehrsführung, um den Wiederaufbau zu lenken und städtebaulichen Missständen zu begegnen. Die weitere Bearbeitung und konkrete Bauvorhaben mussten jedoch zurückgestellt werden, als Ende 1946 die Landesregierung des neu gegründeten Bundeslandes Niedersachsen entschied, dass für den Wiederaufbau kriegszerstörter Städte ein städtebaulicher Wettbewerb durchzuführen sei. In Emden, das zu den stark verwüsteten Städten in Deutschland zählte, wurde der Wettbewerb im Mai 1947 ausgelobt. Dabei formulierte das Bauamt Gestaltungsvorschläge und hob den besonderen Charakter Emdens als Seehafenstadt hervor. Im Preisgericht waren Vertreter der Stadt Emden und des Landes Niedersachsen, renommierte Stadtplaner sowie der niedersächsische Landeskonservator vertreten. Neben den 31 eingereichten Wettbewerbsentwürfen wurde außer Konkurrenz auch ein Plan von Hans Mausbach vom Emder Stadtplanungsamt vorgelegt, der von einigen Preisrichtern zum Vergleich herangezogen wurde. Zur Beurteilung der Wettbewerbsbeiträge einigte sich das Preisgericht auf wesentliche Kriterien: die Erhaltung des Grundcharakters und des spezifischen Maßstabes der Stadt, die Berücksichtigung bestehender Infrastruktur und Gebäude, die Einbeziehung der Delfte und Grünanlagen, die Verkehrsführung sowie die Realisierungsmöglichkeiten.
Die Wettbewerbsbeiträge zeigten insgesamt gute Planungsansätze, aber kein Entwurf eignete sich uneingeschränkt zur Umsetzung. Entwürfe, die sich zu stark an der mittelalterlichen Grundrissstruktur und dem alten Stadtbild orientierten, wurden abgelehnt. So schied auch der Wettbewerbsbeitrag des Bremer Architekten Bernhard Wessel aus, der unmittelbar am Westufer des Ratsdelftes aneinandergereihte Giebelhäuser vorsah, die in historisierender Architektur und mit Verwendung von Spolien das alte Emden abbilden sollten. Zentral war die Frage der Verkehrsführung, wobei eine Erschließung über die Südspitze von Schreyers Hoek mit der Überbrückung von Faldern- und Ratsdelft grundsätzlich negativ bewertet wurde. Schlussendlich wurde kein erster Preis vergeben, sondern es gab zwei zweite Preise und einen dritten Preis. Drei weitere Entwürfe wurden angekauft.
Den Auftrag, auf Basis der bisherigen Planungen und Wettbewerbsergebnisse Richtlinien für die Neugestaltung der Stadt zu entwickeln, erhielt eine Arbeitsgemeinschaft, die sich aus den beiden zweiten Preisträgern Jan Wilhelm Prendel und Hans Stosberg sowie dem Leiter des Emder Planungs- und Hochbauamtes Alfred Langeheine zusammensetze. Der gemeinschaftlich entwickelte Neugestaltungsplan wurde am 11. Mai 1948 vom Stadtrat beschlossen und Grundlage für den Fluchtlinienplan von 1949. Nach dessen Veröffentlichung kam es zu zahlreichen Widersprüchen von Eigentümern, die sich durch veränderte Baulinien und Grundstückszuschnitte benachteiligt sahen. Das Stadtplanungsamt berücksichtigte einzelne Eingaben, hielt im Grundsatz aber an dem Entwurf fest. Am 20. Juli 1950 wurde der Flächennutzungsplan vom Emder Bauausschuss angenommen und schließlich am 20. Dezember 1950 von den zuständigen Ministerien genehmigt. Das Gesetz zur Durchführung der Ortsplanung und des Aufbaus in den Gemeinden (Aufbaugesetz) vom 9. Mai 1949 bildete die rechtliche Grundlage für die erforderliche Neueinteilung der Grundstücke, um Straßenräume aufzuweiten und großzügigere Neubauten zu ermöglichen. In Ergänzung des Flächennutzungsplanes wurden mit der Ortssatzung der Stadt Emden über besondere Anforderungen der Baugestaltung und Pflege des Ortsbildes (Baupflegesatzung), veröffentlicht am 3. Januar 1953, detaillierte Gestaltungsleitlinien festgesetzt. In der Innenstadt waren neue Gebäude in geschlossenen Straßenzügen vorrangig traufständig mit rot-braunen, hell verfugten Backsteinfassaden von einheitlicher Höhe zu errichten. Satteldächer mit 50° Dachneigung sollten mit naturroten Pfannen eingedeckt und möglichst ohne Dachaufbauten hergestellt werden. Über den freier gestalteten Erdgeschosszonen waren in den Obergeschossen hochrechteckige Öffnungen mit sprossengegliederten, weiß gestrichenen Fenstern anzulegen. Baukörper sollten „einfach und klar“ gestaltet werden, „Ueberladungen mit Verzierungen, schwere Kastengesimse, unförmigen Gesimsverkröpfungen und alle entstellenden Bauteile oder Gliederungen“ waren unzulässig. Die Verwendung von Werkstein zur Trennung von Erd- und Obergeschoss sowie für die Umrahmung von Tür- und Fensteröffnungen wurde jedoch ausdrücklich erwünscht. Mit dem Flächennutzungsplan und der Baupflegesatzung lagen somit die städtebaulichen und gestalterischen Leitlinien vor, die in den nachfolgenden Jahren die Grundlage für den Wiederaufbau der Stadt Emden bildeten.
Die Architektur des Wiederaufbaus
In prominenter Lage am Ratsdelft entstanden in den 1950er Jahren Wohn- und Geschäftshäuser, die besonders beispielgebend für die Wiederaufbauarchitektur in Emden stehen. Die weitgehende Kriegszerstörung dieses zentralen Stadtbereiches ermöglichte eine Neukonzeption. Im Rahmen des städtebaulichen Wettbewerbes wurde die Bedeutung der Delfte für den Charakter der Seehafenstadt hervorgehoben und die Entscheidung zur Erhaltung dieser Wasserflächen getroffen. Der Rathausplatz sowie der nördlich anschließende, ursprünglich 1887 als öffentliche Grünfläche angelegte Stadtgarten wurden zu einem innerstädtischen Platz weiterentwickelt. Zugunsten der weiträumigen Platzanlage wurde auf eine Wiederbebauung von Grundstücken verzichtet, die direkt an den Stadtgarten grenzten.
Als eines der ersten Gebäude wurde 1950-51 das heute als Otto-Huus bezeichnete Wohn- und Geschäftshaus an der Straßenecke Am Delft/ Große Straße errichtet. Nach Entwürfen des Emder Architekturbüros Janssen & Latta entstand auf alter Parzelle ein schmales Haus mit vorkragendem Erker und Volutengiebel. Die Gestaltung orientierte sich nicht am Vorkriegszustand, suchte durch die historisierende Architektursprache dennoch eine Anknüpfung an das verlorene Stadtbild. Einen ebenfalls traditionellen Entwurf hat der Emder Architekt Risius 1949 für den Neubau der Stadtsparkasse Am Delft 3 vorgelegt, von dem giebelständig geplanten Gebäude wurde als erster Bauabschnitt jedoch nur das Erdgeschoss realisiert. Für die erweiterte Neubauplanung aus dem Jahr 1954 zeichnete das Architekturbüro Janssen & Latta verantwortlich, das einen langgestreckten, traufständigen Backsteinbau mit Satteldach und erkerartig vorgezogenem Seitenrisalit plante. Mit Bezug zur Nachkriegsmoderne der 1950er Jahre wurden die beiden Vollgeschosse und der Schildgiebel vollständig als Betonrasterfassade ausgebildet. Die zu horizontalen Bändern aneinandergereihten Obergeschossfenster erhielten wiederum eine traditionelle Sprossengliederung und in den Brüstungsfeldern des Risalits dekorative, goldfarbene Symbole. Mit dem Hotel Delfthalle wurde die Straßenzeile 1957 um ein weiteres giebelständiges Gebäude ergänzt, das nach Entwurf des Emder Architekten Herbert Schrom die regional- und traditionsgebundene Backsteinarchitektur mit dem Motiv der Rasterfassade verknüpfte. Im Ergebnis entstand auf der Westseite des Ratsdelftes mit dem Wechsel von Giebel- und Traufstellung eine stadtbildprägende Gebäudegruppe.
Das bedeutendste Bauwerk am Ratsdelft und ein herausragendes Beispiel der Wiederaufbauarchitektur in Emden ist das Rathaus. Am 6. September 1944 wurde das repräsentative Renaissance-Rathaus, das 1574-76 durch den aus Antwerpen stammenden Stadtbaumeister Laurens van Steenwinkel errichtet worden war, weitgehend zerstört. Nachdem Pläne zum Wiederaufbau als Geschäftshaus scheiterten, entschied die Stadt Emden 1950 das Bauwerk für eine öffentliche Nutzung als Museum und Kulturhaus wiederherzustellen. Im Jahr 1953 wurde ein Architektenwettbewerb ausgelobt, der auch die städtebauliche Konzeption des Rathausviertels beinhaltete. Eine Arbeitsgemeinschaft von Bremer Ingenieuren erhielt den ersten Preis, stand für eine Beauftragung aber nicht zur Verfügung. So wurde der zweitplatzierte Architekt Bernhard Wessel aus Bremen, dessen Entwurf nach Auffassung des Preisgerichtes „künstlerisches Feingefühl“ erkennen ließ, gemeinsam mit den Emder Architekten Hans-Diedrich Janssen und Franz Latta mit der Weiterbearbeitung beauftragt. Im Januar 1959 wurde mit den Arbeiten begonnen, und genau 18 Jahre nach Kriegszerstörung wurde das Rathaus am 6. September 1962 eröffnet. Das Gebäude lässt durch die Kubatur und Details deutliche Bezüge zum renaissancezeitlichen Rathaus erkennen, zumal das erhaltene Sockelmauerwerk wiederverwendet und Spolien eingebaut wurden. Durch die moderne Interpretation zeigt der Bau aber eine eigenständige, qualitätvolle Architektur mit zeittypischen Gestaltungsmerkmalen der 1950er Jahre. Die dreigeschossigen Wohn- und Geschäftshäuser an der Brückstraße und Neutorstraße, die in den 1950er Jahren in traditioneller Backsteinarchitektur errichtet wurden, bilden den städtebaulichen Rahmen des Rathauses und unterstreichen durch den Maßstabssprung dessen dominante Wirkung.
Eine weitere Gebäudegruppe, die exemplarisch die besondere Ausprägung des Baustils der 1950er Jahre in der Emder Innenstadt dokumentiert, ist im Bereich der kleinen Platzanlage Zwischen beiden Sielen/ Neuer Markt zu verorten. Unter Beibehaltung des historischen Stadtgrundrisses wurden die Neubauten mit einheitlicher Architektursprache errichtet. So entstanden dreigeschossige Backsteinfassaden mit hochrechteckigen Fensteröffnungen und einzelnen Bauteilen aus Betonstein. Profilierte, hell gefasste Traufgesimse leiten zu den ziegelgedeckten Steildächern über. Die bereits 1949 nach Entwurf von Janssen & Latta erbaute Löwenapotheke rezipiert den Vorkriegszustand durch die besondere Gestaltung des Haupteingangs mit der Doppelarkade aus Betonwerkstein und der vergoldeten Löwenfigur.
Freistehend auf dem Ostteil des Neuen Marktes befindet sich die sogenannte Waage. Von dem Anfang des 19. Jahrhunderts errichteten Bau stand nach dem Krieg noch das Außenmauerwerk, und so wurde die Waage zunächst als „wiederaufbaufähiges Gebäude“ erfasst. Erste Konzepte unter Verwendung der erhaltenen Fassaden kamen jedoch nicht zur Ausführung. Im August 1952 wurde die Ruine abgetragen, und bis 1954 erfolgte der Neubau nach Entwurf der Architekten Janssen & Latta. Die neue Waage wiederholt die Kubatur und freistehende Position des Vorkriegsgebäudes und bildet damit wieder den städtebaulichen Bezugspunkt des Neuen Marktes. Im Einklang mit der Baupflegesatzung von 1953 wurden backsteinsichtige Lochfassaden mit wenigen, gut gestalteten Details errichtet.
Auch der Kirchenbau in Emden folgte im Grundsatz dem Konzept des regional- und traditionsgebundenen Wiederaufbaus, wobei je nach Ausgangssituation unterschiedliche Wege genommen wurden.
Die evangelisch-reformierte Große Kirche am südwestlichen Rand der Altstadt wurde bei einem Bombenangriff am 11. Dezember 1943 schwer zerstört. Erhalten blieben die Außenmauern und Arkaden der spätmittelalterlichen Choranlage sowie der Schaft des neugotischen Glockenturmes an der Nordseite. Um möglichst schnell und kostengünstig einen neuen Gottesdienstraum zu erhalten, wurde 1948-49 auf der Grundfläche des eingeebneten Kirchenschiffes die sogenannte Schweizer Kirche errichtet. Mit Hilfe von Spenden reformierter Gemeinden aus der Schweiz wurde der Bau finanziert und im Rahmen des Notkirchenprogramms des Evangelischen Hilfswerkes nach einem Typenentwurf des Architekten Otto Bartning in Fertigteilbauweise realisiert. Abweichend vom Bautyp wurde anstelle eines Tonnendaches ein ziegelgedecktes Satteldach hergestellt. Die Außenwände wurden aus Backsteinen der kriegszerstörten Großen Kirche gemauert, so dass das äußere Erscheinungsbild im Ergebnis eine in Emden typische Wiederaufbauarchitektur zeigt.
Östlich des Kirchenneubaus blieben die dreischiffige Choranlage und der Turmschaft der Großen Kirche zunächst als Ruine stehen. Im Jahr 1954 fasste die evangelisch-reformierte Gemeinde den Beschluss zum Abbruch. Durch Zuschüsse konnte der Verlust abgewendet werden, und die Ruinensicherung erfolgte durch das Staatshochbauamt unter der Leitung von Regierungsbaurat Dietrich Rohlfs Hermann Müller-Stüler. 1961 legte Müller-Stüler auch Pläne zum Wiederaufbau des Glockenturmes vor, die Mitte der 1960er Jahre unter Verwendung des neugotischen Turmstumpfes ausgeführt wurden. Aufgegriffen wurde der Vorkriegszustand mit diagonal gestellten Ecktürmchen, anstelle des ursprünglichen Turmabschlusses mit vier Giebeln wurde der massive Schaft aber um ein Glockengeschoss erhöht. Der hoch aufragende, kupfergedeckte Turmhelm erreicht abschließend eine Höhe von 65 Metern und bildet seither den prägenden Blickpunkt in der Emder Stadtsilhouette. In den Jahren 1992-95 wurde schließlich die Ruine der ehemaligen Choranlage nach Planung des Architekten Jochen Bunse für die Nutzung als Bibliothek aufgebaut. Dabei folgte das äußere Erscheinungsbild unter Erhaltung des Backsteinmauerwerkes und mit schiefergedeckten Satteldächern der historischen Vorlage.
Die 1774-75 an der Bollwerkstraße errichtete Martin-Luther-Kirche der evangelisch-lutherischen Gemeinde ging am 6./7. Juni 1942 vollständig verloren. Der Neubau wurde 1956-58 nach Entwurf des Konsistorialbaumeisters Dr. Ernst Witt in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Architekten Horst Fischer errichtet und durch Landesbischof Hanns Lillje am 14. Dezember 1958 seiner Bestimmung übergeben. Losgelöst vom kriegszerstörten Kirchengebäude entwarfen die Architekten einen monumentalen Backsteinbau mit Lochfassaden und Satteldach. Markant ist die Stellung des schlanken, 50 Meter hohen Glockenturmes unmittelbar am Alten Graben. Im Inneren zeigt die große Kirchenhalle eine außerordentliche Schlichtheit mit flacher Holzkassettendecke, weiße Putzflächen kontrastieren mit teils steinsichtigen Wandabschnitten. Mit 1.200 Plätzen handelte es sich um den größten Kirchenbau der Landeskirche Hannover nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die katholische Kirche St. Michael war nach dem Luftangriff am 6. September 1944 bis auf die Außenmauern ausgebrannt. Es handelte sich um einen klassizistischen Saalbau, der 1803-06 an der Straße Hof von Holland in Groß-Faldern nach Plänen des Bauinspektors Joseph B. Winck aus Oldenburg errichtet wurde. Die westliche Putzfassade war mit Pilastern und Dreiecksgiebel als Portikus gestaltet und wurde 1890 durch einen Dachreiter ergänzt. 1946-50 erfolgte der Wiederaufbau auf den Grundmauern der kriegszerstörten Kirche nach Entwürfen des bekannten Kölner Kirchenbaumeisters Dominikus Böhm. Dieser orientierte sich am historischen Zustand und wiederholte die markante Position des Dachreiters über dem Westgiebel. Nach Norden hat der Kirchenbaumeister die halbrunden Fensteröffnungen vom klassizistischen Vorgängerbau übernommen und durch eine zweite Reihe Lünettenfenster ergänzt. Nach Süden wurde ein Seitenschiff unter abgeschlepptem Dach angebaut. Insgesamt blieb der backsteinsichtige Kirchenbau schlicht und reiht sich ein in die typische Architektur der Stadt Emden.
Nur wenige Gebäude in der Innenstadt von Emden wurden abweichend von dem traditionellen Wiederaufbaukonzept im Stil der Nachkriegsmoderne gestaltet. So wurde unmittelbar am Alten Graben 1955-58 der Neubau der Berufs- und Handelsschule nach einem Entwurf von Alfred Langeheine sechsgeschossig mit Rasterfassade und Flachdach errichtet. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite eröffnete im April 1958 das Kaufhaus Hertie, das sich viergeschossig in typischer Warenhausarchitektur präsentierte. Und auf Schreyers Hoek baute die Neue Heimat Ende der 1950er Jahre eine Wohnsiedlung, die mit einem achtgeschossigen Wohnhochhaus mit Staffelgeschoss einen markanten Blickpunkt am Ratsdelft platzierte.
Das Ergebnis
Nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgten kriegszerstörte Städte in Deutschland unterschiedliche Wiederaufbaukonzepte. Im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne stand auf der einen Seite die Absicht, durch Kontinuität und historisch orientierte Rekonstruktionen das verlorene und vertraute Stadtbild wiederzugewinnen. Den Gegensatz bildeten Konzepte des radikalen Neubeginns. Die Kriegszerstörung wurde zum Anlass genommen, überkommene Strukturen aufzulösen und eine zeitgemäße, funktionale Stadtentwicklung einzuleiten. Für Stadtplaner und politische Entscheidungsträger wurden die Leitbilder des modernen Städtebaus zum Planungsziel: die autogerechte Stadt, die aufgelockerte Stadt oder die Stadtlandschaft. Die Denkmalpflege spielte häufig nur eine untergeordnete Rolle. Die Landeshauptstadt Hannover wurde unter dem Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht in den 1950er Jahren nach diesen Idealen umgebaut und historische Stadtstrukturen wurden aufgegeben. Die Erinnerung an die alte Stadt wurde mit wenigen Straßenzügen von erhaltenen und teils translozierten Fachwerkfassaden auf eine sogenannte Traditionsinsel beschränkt. Ähnliche Planungsansätze wurden auch in Braunschweig und Osnabrück verfolgt.
In Emden wurde ebenfalls die Notwendigkeit erkannt, den kleinteiligen und dicht bebauten Stadtgrundriss den modernen Anforderungen anzupassen. Die schmalen Straßen waren dem zunehmenden Verkehrsaufkommen nicht mehr gewachsen. Geschäftsinhaber und Eigentümer verlangten nach breiten Straßenfronten, um Schaufenster und gut belichtete Wohnungen realisieren zu können. Andererseits bestand trotz der umfassenden Kriegszerstörung die Absicht, den Charakter der Seehafenstadt zu bewahren und gewohnte Straßen- und Platzräume zu erhalten. So wurde im Rahmen des städtebaulichen Wettbewerbes festgelegt, dass der historische Stadtgrundriss, die Wasserflächen von Rats- und Falderndelft sowie die Wallanlagen als prägende Merkmale grundsätzlich Bestand hatten. Anpassungen erfolgten durch die Aufweitung von Straßen sowie durch die Um- und Zusammenlegung von Grundstücken. Nicht der Wiederaufbau, sondern der traditionsbezogene Neuaufbau war das erklärte Ziel. Die Flächennutzungsplanung mit neu definierten Fluchtlinien und die Vorgaben der Baupflegesatzung bildeten schließlich die planungs- und baurechtliche Grundlage für Neubauten. Im Ergebnis entwickelte sich in Emden in den Jahren des Wiederaufbaus ein Stadtbild, das von bemerkenswerter Einheitlichkeit geprägt ist. Auf Basis des historischen Stadtgrundrisses und unter Berücksichtigung von Material und Maßstab entstand mit einem Grundkanon von gemeinsamen Gestaltungselementen eine Architektur, die nicht unmittelbar an den Vorkriegszustand anknüpfte, jedoch identitätsstiftende Bezüge herstellte. Eine historisierende, giebelständige Bebauung wurde vom Stadtplanungsamt abgelehnt. So entstanden backsteinsichtige Neubauten vorrangig traufständig in geschlossenen Straßenzeilen. Die ziegelgedeckten Sattel- und Walmdächer wurden mit einheitlichen Dachneigungen, Trauf- und Firsthöhen gebaut. Über den frei gestalteten Erdgeschossen mit großen Schaufensterflächen bildeten die Obergeschosse regelmäßige Lochfassaden mit hochrechteckigen, gegliederten Fenstern. Durch einzelne Baudetails oder Elemente aus Beton- und Kunststein wurde die Uniformität durchbrochen. Wiederholt wurden Schildgiebel mit Schulter- und Firststaffeln, profilierte Traufgesimse oder besondere Ziegelsetzungen im Mauerwerk hergestellt. Bei einzelnen Gebäuden wurde mit einer Betonrasterfassade auch ein typisches Gestaltungsmerkmal der frühen Nachkriegsmoderne übernommen, ohne die traditionelle Grundhaltung der Architektur aufzugeben. Verantwortlich zeichneten vorrangig Emder Architekten. Für den Wiederauf- und Neubau von Kirchen oder öffentlichen Gebäuden wurden auch namhafte, überregional bekannte Kirchenbauarchitekten und Regierungsbaumeister beauftragt.
Im Jahr 1959 lobte der niedersächsische Landeskonservator Dr. Oskar Karpa, „dass Emden von allen schwer zerstörten Städten die einzige Stadt sei, die sich ihre Eigenart in neuzeitlicher Form bewahrt habe.“ Die Einweihung des Rathauses 1962 sowie der Aufbau des Glockenturmes der Großen Kirche Mitte der 1960er Jahre markieren schließlich einen Höhe- und Schlusspunkt des Wiederaufbaus der Stadt Emden. Durch ausdrucksstarke Einzelbauten und stadtbildprägende Gebäudegruppen, die einen hohen Zeugniswert haben und als Baudenkmale ausgewiesen sind, wird die besondere Ausprägung der Emder Nachkriegsarchitektur beispielhaft dokumentiert und gewürdigt.Zum Weiterlesen
Schmidt, Aiko (Hrsg.): Aus Trümmern sich erhoben. Zerstörung und Neuaufbau der Stadt Emden. Band 41 der Veröffentlichungen des Ostfriesischen Landesmuseums Emden. Emden, 2015
Schröer, Bernhard: Emden 1945-1961. Ein Bericht über den Wiederaufstieg der Stadt. Soltau, 1962
Diederichs, Peter: Emden. Neuplanung einer deutschen Seehafenstadt im Lande Niedersachsen. Bremen, 1948
Diederichs, Peter: Plan und Wirklichkeit im Neuaufbau Emdens. In: Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden, Band 29. Aurich, 1949. S. 65 – S. 80