Siedlungslandschaft Rundlinge im Wendland, Teil 2
Teil 1 des denkmal.themas finden Sie hier.
Die Nachverdichtung der wendländischen Rundlinge
Der Landesausbau scheint sich kontinuierlich fortgesetzt zu haben, ohne in die Siedlungsstruktur der Zeit um 1200 einzugreifen. Aufgrund des seit Mitte des 14. Jahrhunderts eingeschränkten Zuzugsrechtes slawischstämmiger Bevölkerung in die benachbarten deutschen Siedlungsgebiete und Städte wurde nach Lösungen gesucht, dem Bevölkerungsüberschuss in den Dörfern eine wirtschaftliche Grundlage zu geben. Der traditionell ausgeprägte Gartenbau in den altslawischen Siedlungsgebieten mit Hopfenkulturen und die Leinenproduktion wurden im 15. Jahrhundert ausgeweitet, ebenso die Besömmerung der Brache mit der Vierfelderwirtschaft eingeführt. Geringfügig konnte daher seit dem 15. Jahrhundert die Zahl der Hofstellen durch ein bis zwei sogenannte Kötnerstellen erweitert werden. Die neuen Hofplätze wurden an der Hauptzufahrt des Dorfes auf der Gemeinheitsfläche abgeteilt. Diese sogenannten Kötner (Kötter, Köter, Köthner, Kotsassen, Kossater) wurden mit zusätzlich urbar gemachtem Acker- und Gartenland ausgestattet. Sie erhielten auch Zugang zu den Gemeinheitsflächen (Holz- und Weideberechtigung). Die bislang offene Hufeneisenform wurde hierdurch eingeschnürt und zur klassischen Rundlingsform, wie wir sie heute kennen, erweitert.
In der Mitte des 16. Jahrhunderts wurde die Zahl der Hofstellen einheitlich und flächendeckend in allen Rundlingen durch eine vermutlich von oben durch den Landesherrn angeordnete Teilung der Höfe verdoppelt. Auffallend ist auch hier, dass an einer Gleichbehandlung aller festgehalten wurde. Im Zuge des Wüstungsprozesses im und nach dem Dreißigjährigen Krieg wurden im heutigen Landkreis Lüchow-Dannenberg viele dieser nicht überlebensfähigen Teilungen im 17./18. Jahrhundert wieder rückgängig gemacht. Allein im Kerngebiet des Niederen Drawehn mit seinen ertragreichen Böden blieb es bei den Hofteilungen. Neben den bestehenden Haupthäusern entstanden zusätzliche Gebäude, sodass es am Dorfplatz sehr eng wurde. Zwischen den Giebeln verblieb gerade noch genügend Platz für die Hofzufahrt. Auch ein Übergang zur Gutsherrschaft wie östlich der Elbe blieb überall im Wendland aus. Das Siedlungs- und Landschaftsbild, wie es uns in der Kurhannoverschen Landesaufnahme von 1776 entgegentritt, dürfte weitgehend dem der Zeit um 1200 entsprechen. Es lebt fort auch in den slawischen, oft erst im späten Mittelalter entstandenen Flurnamen. Die weilerartigen Rundlinge reihen sich in enger Nachbarschaft an den Geotopengrenzen, ohne dass es, wie in anderen Landesteilen im späten Mittelalter üblich, zu einer Zusammenlegung in größeren Siedlungsverbänden gekommen wäre. Entsprechend wenige totale Ortswüstungen des 14. Jahrhunderts sind bekannt, nämlich nur Klein Satemin bei Satemin und Breese bei Güstritz.
Die Gemeinheitsteilungsverordnung von 1802, die Ablösungsverordnung von 1831 und das Verkoppelungsgesetz von 1843 im Königreich Hannover haben auch außerhalb der Ortslagen eine Zeitenwende eingeleitet. Aus vom Grundherrn abhängigen Bauern mit Grundabgaben und Dienstpflichten wurden frei wirtschaftende Eigentümer. Weite Teile der Gemeinheitsflächen, wie die das Dorf umgebenden Gehölze und Wiesen, wurden in Sektoren aufgeteilt und den Hofplätzen als rückwärtige Erweiterungsfläche unmittelbar zugeordnet. In dieser Form blieben sie bis heute weitgehend erhalten. Die Gemeinheitsflächen im Ödland von Heide und Moor wurden soweit möglich urbar gemacht. In der niederen Geest war dieser Zuwachs der Ackerflächen zwischen 1786 und 1885 mit nur 7,6% auffallend gering im Vergleich zu anderen Regionen des heutigen Landkreises mit bis zu 65,9%. Das Wegenetz wurde tiefgreifend erneuert bzw. erstmalig angelegt. Nur wenige der alten über- und zwischenörtlichen Wegeverbindungen sind nach der Flurbereinigung im 20. und 21. Jahrhundert erhalten geblieben. Als Baudenkmale ausgewiesen sind ein Teilstück der sogenannten Alten Clenzer Heerstraße (zwischen Köhlen und Lüchow) und die Kirchwege in den nach wie vor schwer zugänglichen Niederungsgebieten (zwischen Püggen und Zeetze, Bussau und Guhreitzen sowie Gühlitz und Mammoißel). Die Heerstraße durchzieht die Siedlungslandschaft ohne Siedlungskontakt auf den trockenen, ganzjährig befahrbaren Geestrücken. Sie wird mit den beiden Richtplätzen der Ämter Wustrow und Lüchow und der gepflasterten Steigung am Schückberg beim Bauern-Chronisten Johann Parum Schultze (1677-1740) mehrfach erwähnt. Wichtige archäologische Fundstellen, die sich an diesem Weg reihen, verweisen auf ein hohes Alter. Aufgrund der Verlegung der Straßentrasse um 1870 in die Niederung über die Dörfer Lensian und Jeetzel blieb die alte Trasse als breiter Feldweg erhalten.
Die mit Ablösung und Verkoppelung einsetzende Ausweitung der Stallhaltung hat im späten 19. Jahrhundert zu einem Wandel im Hausbau geführt. Die Hofgrundstücke wurden mit zusätzlichen Stallungen verdichtet. Das nicht weiter entwickelbare niederdeutsche Hallenhaus als Wohn-/Stall-/Speicherhaus wurde durch neue monofunktionale Hausformen abgelöst. Der rasche Zusammenbruch der häuslichen Leinenproduktion als Nebenerwerb der vollbäuerlichen Schichten und als Haupterwerb der unterbäuerlichen Schichten um 1880 bedeutete den Beginn einer teilweise bis heute anhaltenden Landflucht.
Der Strukturwandel in der Landwirtschaft erreicht die Rundlinge
Verstärkt ab den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts kommen strukturelle Probleme der modernen Agrarindustrie hinzu. Sie haben mit dem Höfesterben dazu beigetragen, dass der historische Haus- und Hofbestand der Rundlinge weitgehend erhalten blieb. Bereits in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde gegen Leerstand und Verfall der Rundlinge mobil gemacht, als Großstädter aus Hamburg und Berlin das Landleben für sich entdeckten. Schließlich kam es 1969 zur Gründung des gemeinnützigen Rundlingsvereins. Mit der Anti-Atomkraft-Bewegung der siebziger und achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts rückte das Wendland zusätzlich in den Fokus städtischer Eliten aus Hamburg, Berlin und Hannover. Alternative Lebens- und Wohnprojekte wurden in den Rundlingen etabliert. Ökologischer Landbau, Naturschutz und Archehöfe, die sich der Zucht historischer Nutztierrassen verschrieben haben, gelten heute als Markenzeichen einer Region, die auf Nachhaltigkeit setzt. Im Rahmen des Klimawandels mit stark sinkenden Grundwasserständen ist heute die Rückbesinnung auf einen ressourcenschonenden und klimaneutralen Umgang zwingender denn je. Dazu kann die Siedlungslandschaft Rundlinge im Wendland als Modellregion nachhaltigen Wirtschaftens seit dem 12. Jahrhundert einen wichtigen Beitrag leisten.
Bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurde der größte Teil der Hofstellen durch bäuerliche Familienbetriebe im Haupt- oder Nebenerwerb bewirtschaftet. Als Folge des Strukturwandels in der Landwirtschaft sind aktuell innerhalb der Siedlungslandschaft nur noch rund 25 landwirtschaftliche Betriebe im Haupt- und Nebenerwerb tätig. Die historischen Wirtschaftsgebäude, Haupthäuser und Hofplätze fallen fast gänzlich aus der Nutzung. Rundlingsdörfer ohne Landwirtschaft, Tierhaltung, Gartenbau und Sonderkulturen sind allerdings kaum vorstellbar.
Das niederdeutsche Hallenhaus
Das niederdeutsche Hallenhaus in den wendländischen Rundlingen vermittelt in seiner archaisch anmutenden Erscheinungsform eines Alles-unter-einem-Dach-Gebäudes von beachtlicher Größe ein regionaltypisches Phänomen vernakularer (regional-verbundener) Architektur. Trotz des Rückgangs der Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe hat sich das historische Erscheinungsbild bäuerlicher Hofstellen mit ihren charakteristischen Wohn-/Wirtschaftsgebäuden vielfach erhalten. Die typischen Steilgiebel, insbesondere die zum Dorfplatz ausgerichteten Giebel mit den Dielentoren, sind mit ihren erhaltenen Inschriften, Dekorationsformen in Fachwerk und Ausfachungen in Backstein als Schmuck- und Ziergiebel ausgebildet. Das niederdeutsche Hallenhaus, als Schwellrahmenbau auf Feldsteinfundamenten mit Innengerüst, geschossübergreifender Ständerbauweise, befahrbarer Längsdiele, rückwärtigem Kammerfach, separierter Küche, gebundenem System (d.h. Dachgebinden und Ständern in einer Einheit) und Unterrähmkonstruktion ist fast flächendeckend in seiner letzten Entwicklungsstufe als Vierständerbau erhalten geblieben. Das ältere, vor 1600 dominante Zweiständer-Flettdielenhaus mit Luchtbalken und Herdstelle auf der Diele bildet heute die seltene Ausnahme. Die zwischen 1600 und 1750 weit verbreiteten Dreiständerbauten mit Küchenstube waren noch als Rauchhaus ausgebildet, ebenso wie die ihnen nachfolgenden Vierständer bis um 1850. Auch sie verschwinden derzeit zunehmend aus den Dörfern. Erhalten blieb die letzte Entwicklungsstufe des Vierständer-Hallenhauses aus der wirtschaftlichen Blütezeit in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit Schornstein, separierter Küche, Räucherkammer im Zwischenboden und geräumiger Eckstube.
Die natürlichen Ressourcen im Hausbau
Die natürlich vorkommenden Feld- und Lesesteine dienten als Baustoff für die Fundamente, Pflasterungen und Wegemarkierungen. Sand, Lehm, Weidenruten sowie die gespaltene Staakhölzer konnten für die Ausfachungen der Fachwerkwände verwendet werden. Die Eichen der Hof- und Gemeindewälder standen für die Fachwerkreparatur zur Verfügung und das Roggenlangstroh für die Dacheindeckungen. Alle diese natürlichen, regenerativen und kompostierbaren Baustoffe wurden durch die bäuerlichen Bauherren in Nachbarschaftshilfe aus dem direkten Umfeld der Dörfer bezogen. Dieses nachhaltige Spektrum an lokal verfügbaren Baustoffen ist im Kerngebiet des Niederen Drawehn in einer ungewöhnlichen Dichte, Konzentration und Qualität bis heute überall sichtbar.
Der Funktionswandel auf den Höfen
Die multifunktionalen Haustypen wie das Haupthaus mit Wohn-, Stall- und Speicherfunktion, die Längs- oder Querdurchfahrtsscheune mit Stallung und Remise, das Backhaus mit Schmiede und Gesindewohnung, das Schweinehaus mit Futterküche und Abortanlage prägen die Hofstellen. Daneben gab es nur wenige monofunktionale Haustypen, wie den Schweinekoben, den Speicher und die Flachsdarre. Schon in der Nachkriegszeit beginnt der Bruch mit der Nutzungskontinuität. Aus integriert betriebenem Landbau auf den Hofstellen mit Ackerbau und Tierzucht wurden nach Abschaffung der Tierhaltung hoch spezialisierte Ackerbaubetriebe. Nach längeren Leerständen entstanden frühzeitig erste, extensive Umnutzungs- und Erhaltungskonzepte. Eine neue Wertschätzung durch die meist städtisch sozialisierten Neubürger setzte ein. Oftmals wurde dabei von der Substanz gelebt. Die Bauunterhaltung wurde auf das Notwendigste reduziert. Bei den heute nur noch rund 25 landwirtschaftlichen Betrieben im Haupt- oder Nebenerwerb erfolgte nur in wenigen Ausnahmefällen eine Aussiedelung in den Außenbereich. Dennoch wurden bäuerliche Familienbetriebe innerhalb der Rundlinge zum Auslaufmodell. Der Verlust für die Landschafts- und Dorfpflege ist nicht übersehbar. Zusammen mit Gartenbau, Sonderkulturen, Nebenerwerbslandwirtschaft, Reiterhöfen, Tierhaltung und Tierzucht können nur wenige dieser landwirtschaftlichen Nebengebäude adäquat oder im Sinne ihrer ursprünglichen Bestimmung weiter genutzt werden. Neue Wirtschaftsgebäude, wie die großen, klimatisierten Kartoffelhallen entstehen in Randlage der Dörfer.
Milieuschutz und Denkmalschutz gehören zusammen
Kommunale Selbstverwaltung, politische Eigenständigkeit, gesellschaftliches Engagement, Skepsis gegenüber obrigkeits- und zentralstaatlichem Handeln, anarchische und ökologische Lebenskonzepte sowie ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein beim Schutz der natürlichen Ressourcen sind über die Jahrhunderte bis in die Gegenwart bei den Bewohnern der Rundlinge präsent geblieben. Der Rundling dient nicht nur als Kulisse sondern ist auch als Ausdruck alternativer Lebensformen fest in den Dorfgemeinschaften und Dorfvereinen verankert. Das Verständnis für die Bewahrung des baukulturellen Erbes und der baukulturellen Identität bedarf der ständigen Pflege und Unterstützung, auch von Außen.
Die Identifikation der Bewohner mit ihren Rundlingen ist hoch, ebenso groß die Projektion von urbanen Sehnsüchten eines heilen Landlebens. Sie drückt sich aus in vielfältigen Projekten der Aneignung. Kulturprojekte und kulturelle Zentren für Handwerk, bildende Kunst, Film, Theater und Literatur sind in vielen Rundlingen seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden. Die bekannteste Aktionsform, „die kulturelle Landpartie“, zieht seit rund 30 Jahren ein breites Publikum in den Landkreis und besonders in die Rundlingslandschaft des Niederen Drawehn. Das 1979 durch die Samtgemeinde Lüchow gegründete Stipendiatenhaus für Schriftsteller und Komponisten, der „Künstlerhof Schreyahn“, nutzt eine historische Hofstelle in dem gleichnamigen Rundling auch für kulturelle Veranstaltungen.
Rundlingsverein und Denkmalpflege
Eine zentrale Rolle beim Erhalt der sich zu über 90 Prozent in privater Hand befindlichen historischen Gebäude kommt dem im Jahr 1969 gegründeten „Rundlingsverein“ zu. Neben der wissenschaftlichen Arbeit zur fortlaufenden Bestandserfassung der Rundlingsdörfer und dem Aufbau und Betrieb des Rundlingsmuseums in Lübeln vermittelt der Rundlingsverein in engem Austausch mit der ansässigen Bevölkerung die besonderen Werte und Merkmale der historischen Dorfform und ihrer Gebäudesubstanz. Für das ehrenamtliche Engagement zum Erhalt der Rundlingsdörfer über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten wurde der Rundlingsverein am 11. Juni 2015 in Oslo mit dem Grand Prix des europäischen Kulturerbepreises „Europa Nostra Awards“ ausgezeichnet und am 22. Oktober 2021 in Berlin mit der „Silbernen Halbkugel“ des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz.
Hervorgegangen ist die Modellregion der Siedlungslandschaft Rundlinge im Wendland aus einer Analyse des Gesamtbestandes von bis zu 210 Rundlingen im Landkreis Lüchow-Dannenberg durch den Rundlingsverein bis 2014. Auf dieser Grundlage wurde für den Welterbe-Prozess die Auswahl mit den 19 Rundlingsdörfern getroffen. Generell wurden jene Dörfer ausgewählt, die als repräsentativ für den besonders prägnanten Rundling des Drawehn‐Typs gelten. Zu seinen wesentlichen Merkmalen gehören das Haupthaus unmittelbar am Dorfplatz und die kreisrund geschlossene Rundlingsform. Das Erhaltungsinteresse von Rundlingsverein, Denkmalpflege und Landkreis gilt jedoch allen der über 100 erhaltenen Rundlingsdörfer im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Insofern steht die Sichtbarmachung einer Modellregion exemplarisch für alle historischen Rundlings- und bäuerlichen Kulturlandschaften auch über die Landkreisgrenzen hinaus. Die Siedlungslandschaft Rundlinge im Wendland gehört zum reichen Schatz historischer Kulturlandschaften in Niedersachsen und ist ein weiteres und besonders einzigartiges Aushängeschild für den Landkreis Lüchow-Dannenberg.
Die Rundlinge auf dem Sprung ins 21. Jahrhundert
Eine besondere Verletzbarkeit der Siedlungslandschaft ergibt sich aus der Dynamik eines fortschreitenden Landnutzungswandels. Die Materialität, die Konstruktion und das Volumen der in Fachwerk errichteten Wirtschaftsgebäude sind in der modernen Landwirtschaft kaum noch nutzbar oder nicht mehr mit den rechtlichen Vorgaben für Tierschutz und Lagerhaltung vereinbar. Ein signifikantes Risiko, welches das Erscheinungsbild der historischen Siedlungslandschaft künftig beinträchtigen könnte, ist der vermehrte Flächenbedarf für erneuerbare Energien. Vor allem Windenergieanlagen mit aktuellen Höhen von 250 m sind geeignet, die nur kleinräumige Siedlungslandschaft der Rundlingsdörfer zu dominieren und deren visuelle Integrität signifikant zu stören. Die Installation von PV-Anlagen auf den Dächern ist schon jetzt nach Einzelfallprüfung möglich. Großflächige PV-Anlagen in unmittelbarer Nähe zu den Rundlingen wären hingegen als problematisch zu bewerten.
Ein weiteres Risiko für die hervorragend erhaltene Dorftypologie könnte durch Verluste rückseitiger Wirtschaftsgebäude oder unangemessene Modernisierungen und Umnutzungen der Hallenhäuser entstehen. Gemäß dem Prinzip Binnen- vor Außenentwicklung wird die Erschließung auch der rückwärtigen Gebäude eines Hofplatzes konsequent über die Zufahrt vom Dorfplatz erfolgen. Eine Übernutzung der bislang offenen Dachräume mit ihren geschlossenen Dachflächen durch einen intensiven Ausbau zu Wohnzwecken gilt es mit verträglichen und auch wirtschaftlich vertretbaren Umnutzungskonzepten zu begegnen. Dies betrifft neben den großen Hallenhäusern vor allem auch die ähnlich großvolumigen Scheunen.
Die natürlichen Ressourcen im Klimawandel
Sowohl in der Sanierung als auch im Ersatzneubau sind die vor Ort vorhandenen, historischen Baumaterialien wie Feld- und Lesesteine, Holz, Ziegel und Lehm als prägende Baustoffe des regionaltypischen Bauens einzusetzen. Die wertvollen Ressourcen historischer Baustoffe gilt es daher zu fördern, z.B. durch regionale Baustoffdepots und den verstärkten Einsatz des modernen Holzbaus.
Die historischen Wegebreiten und -ränder sind allerorts verstärkt in den Fokus geraten, nachdem über Jahrzehnte der intensive Ackerbau diese für Ökologie, Landschafts- und Siedlungsbild bedeutsamen Flächen bewirtschaftet hat. Sie werden auch im Rahmen der Biotopvernetzung mit ortstypischer Bepflanzung zunehmend gepflegt und, wo erforderlich, wiederhergestellt. Gleiches gilt für die teilweise kanalisierten und begradigten, natürlichen Bachläufe und Mühlgräben, wie in Lübeln und Gühlitz.
Denkmalpflege ergänzt Baupflege
Die erstmalige Erfassung der Baudenkmale im Landkreis Lüchow-Dannenberg erfolgte von 1978 bis 1982 durch die verzeichnisführende Denkmalfachbehörde des Landes unmittelbar mit Inkrafttreten des Niedersächsischen Denkmalschutzgesetzes. Aufgrund des Engagements des Rundlingsvereins hat sich das Augenmerk von den Haupthäusern zunehmend auf die Neben- und Wirtschaftsgebäude verlagert. Während die Haupthäuser weniger von Leerstand als von Unternutzung betroffen sind, hat sich die Situation für viele der rückwärtigen Hofgebäude seitdem deutlich verschärft. Bei ihnen macht sich eine teilweise über Jahrzehnte fehlende Bauunterhaltung bemerkbar. Aufgrund des großen Bauvolumens erreicht aber auch der Erhalt der Haupthäuser die Grenzen der wirtschaftlichen Zumutbarkeit. Viele Haupthäuser werden derzeit nur zeitweise als Liebhaberobjekte bzw. Sommerhäuser oder eingeschränkt mit Ein- bis Zwei-Personenhaushalten auf nur einem geringen Teil der vorhandenen Grundfläche bewohnt. Die starke Überalterung der Bewohner und deren oft prekäre wirtschaftliche Lage haben den ohnehin vorhandenen Sanierungsstau punktuell noch verstärkt. Dieser Rückstand in der Bauunterhaltung hat allerdings erheblich dazu beigetragen, dass Eingriffe in die Bausubstanz unterblieben. Auch bei den ausgewiesenen Baudenkmalen können kaum die denkmalbedingten Mehraufwendungen abgefangen werden. Für einen Teil der Bewohner und Bauherren laufen die lukrativen steuerlichen Anreize ins Leere. Aufgrund des bedenklichen Zustandes vieler Scheunen wird der Fokus notwendiger Erhaltungsmaßnahmen verstärkt auf diese Gebäudegattung gelegt. Die rückwärtigen, vom Dorfplatz nur schwer einsehbaren Scheunen waren bislang ebenso wie die Backhäuser, Speicher und Flachsdarren nicht ausreichend bewertet und dokumentiert. Diesem Mangel konnte während einer Erfassungskampagne zwischen 2021 bis 2024 abgeholfen werden.
In jüngerer Zeit, befördert durch den Dorfentwicklungsplan auf Grundlage der Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung der integrierten ländlichen Entwicklung (ZILE) seit 2017, zeigt sich eine Trendwende. Der bewusste und verstärkte Zuzug junger Familien hat zu einer steigenden Nachfrage aber auch zu steigenden Immobilienpreisen geführt. Aufgrund der enormen Größe der Hofplätze scheint die Zukunft in Bauherrenmodellen zu liegen. Diese werden zumindest von der jüngeren Bevölkerung durchaus als Möglichkeit erkannt und genutzt. Dem Mangel an günstigen Mietobjekten wird durch Umnutzung und Sanierung in Form von Niedrigkosten-Projekten entgegengewirkt. Diese Trendwende galt es mit zusätzlichen Förderanreizen zu unterstützen. Die Maßnahme der Dorferneuerung läuft noch bis 2027. Profitieren können neben den Dorfteichen und -plätzen im öffentlichen Raum alle Hofstellen unabhängig von ihrer Denkmalbedeutung.
Zusätzliche Gefährdungspotentiale entstehen für die Siedlungslandschaft mit den fortlaufend sinkenden Grundwasserständen, die sich schon jetzt negativ auf den Bestand alter Eichen und Buchen sowie auf die Erlenbruchwälder und die Verschlammung der Dorfteiche auswirken. Die Zunahme von Extremereignissen (Sturm) erhöht das Entwurzelungsrisiko der durch mangelnde Wasserversorgung gefährdeten großen Laubbäume in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Scheunen. Eine dringend notwendige Wiedervernässung der noch erhaltenen Erlenbrüche, Moore und Wiesen der Niederungen könnte in enger Abstimmung von Landwirtschaft, Wasserwirtschaft sowie Natur- und Denkmalschutz zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes beitragen. Das erfolgreiche Projekt des gemeinnützigen Vereins „WildeWieseWendland“ setzt sich eine artenreiche und nachhaltige Bewirtschaftung der Wiesen im gesamten Landkreis zum Ziel. Die ambitionierten Klimaziele des Landkreises lassen sich nur im Einklang mit der Siedlungslandschaft Rundlinge im Wendland verwirklichen. Auch hier wird der Modellcharakter greifbar.
Planungsrecht ergänzt Denkmalrecht
Die Förderung der regionalen Baukultur alleine wird jedoch nicht ausreichen, um die Rundlingsstruktur zu erhalten. Auch die Möglichkeiten des Naturschutz-, Denkmal- und Planungsrechtes gilt es unterstützend auszuschöpfen. Hierfür erforderliche Schritte der Raumplanung befinden sich seit 2013 in der Landes- und Regionalplanung in Umsetzung, bedürfen aber der Ergänzung durch entsprechende Schritte in der Bauleitplanung der Samtgemeinde. Die Vermittlung der Handlungsziele und die Beteiligung der Öffentlichkeit erfolgt zusätzlich über die informelle Planung wie den zuletzt 2023 fortgeschriebenen Dorfentwicklungsplan von 2018 und der noch einzuleitenden städtebaulichen Rahmenplanung. Sie sind zwar ohne rechtliche Verbindlichkeit, bilden aber einen fortschreibungsfähigen Handlungsrahmen. Hierzu gehört auch der in Entstehung befindliche Gestaltungsleitfaden zum baulichen Umgang mit den Rundlingen, der die Spielräume absteckt und erläutert.
Die erste und bislang letztmalige Erfassung der Baudenkmale von 1978-81 beruhte auf der Erfassung von Hofstellen aus dem öffentlichen Raum heraus. Nur bei einer besonders hohen Dichte und Qualität erhaltener Hofanlagen wurde die Dorfanlage in Gänze als Ensemble ausgewiesen. Diese Möglichkeit zur Ausweisung ländlicher Siedlungen als Gruppen baulicher Anlagen wurde in Niedersachsen bislang selten angewendet. Die wenigen Beispiele konzentrieren sich im Wesentlichen auf das Rundlingsgebiet im Wendland. Aus der für Niedersachsen neuen Perspektive einer Siedlungslandschaft werden derzeit im Rahmen einer Nacherfassung sämtliche der 19 erhaltenen Rundlinge mit Dorfplatz, Hofwäldern und Hofwiesen als Gruppen baulicher Anlagen (Ensemble) ausgewiesen und neu bewertet. Zu den bis 2024 ausgewiesenen, rund 240 Objekten innerhalb der 19 Rundlinge wird es moderat zu einigen Neuausweisungen kommen. Dabei wird es sich nicht nur um Gebäude handeln, sondern auch um andere Formen baulicher Anlagen wie Dorfplätze, Dorfteiche, Flachsrotten, Wegweiser, Kohlgärten, Kirchwege und Sandgruben. Die Gesamtzahl der Baudenkmale wird sich dadurch unter Anlegung eines strengen und landesweit einheitlichen Maßstabes geringfügig erhöhen. Das aufwändige Anhörungs-, Beteiligungs- und Benachrichtigungsverfahren mit den Gemeinden und Eigentümern wird in Kürze anlaufen und soll in 2025 abgeschlossen werden.
Kulturlandschaftsschutz ist vielschichtig
Zur Pflege und zum Erhalt der historischen Kultur- und Siedlungslandschaft kann die Denkmalpflege nur einige Bausteine wie das Denkmalverzeichnis und Anregungen zum Gestaltungsleitfaden hinzusteuern. Von alleine werden sich die Rundlinge auf Dauer nicht erhalten. Nur im Verbund mit Tourismus, Naturschutz, Klimamanagement, Wasserbau und Landwirtschaft sind die ambitionierten Ziele zur Wahrung und Weiterentwicklung der Siedlungslandschaft zu erreichen. Dabei geht es auch um die Pflege und den Ausbau des Fuß-, Wander-, Rad- und Reitwegenetzes, der historischen Straßen und des ländlichen Wegenetzes generell. Zusätzliche Rundwanderwege mit Zertifizierung als „Qualitätsweg Wanderbares Deutschland“ nach den Kriterien des Deutschen Wandervereins im Sinne eines sanften und hochwertigen Tourismus mit Natur- und Dorfscouts bedürfen ebenso der Förderung wie die Anlage von Naturbeobachtungsstationen und Rastplätzen mit Schutzhütten. Maßnahmen der Landschaftspflege, der Renaturierung, des Grundwasserschutzes und der Biotopvernetzung gilt es zielgenau im Sinne der Siedlungslandschaft zu entwickeln. Hierzu gehören auch die Entschlammung der Feuerlösch- und Mühlteiche, die Renaturierung der alten Bachläufe, die Wiederherstellung der oft mit Bauschutt verfüllten Flachsrotten, die Wiedervernässung der dorfnahen Bruchwiesen sowie die Nacherfassung, Bestimmung und Kultivierung historischer Kernobstgehölze. Neben den zahlenmäßig wenigen ausgewiesenen Baudenkmalen gibt es einen großen Bestand an sonstiger erhaltenswerter Bausubstanz, der enorme Potenziale birgt. Die Liste ließe sich beliebig verlängern, zeigt aber auch die Komplexität der Aufgabe. Denkmalpflege kann diesen Prozess unterstützen, aber nicht ersetzen.
Zum Weiterlesen:
Brather, Sebastian: Rundlinge, Slaven und Landesausbau. Archäologische Überlegungen zur hochmittelalterlichen Besiedlung im Wendland. In: Hannoversches Wendland, 19 (2016-2020), S.169-196
Eitzen, Gerhard: Bauernhausforschung in Deutschland. Gesammelte Aufsätze 1938-1980. (Veröffentlichungen des Landwirtschaftsmuseums Lüneburger Heide, Bd.14), Heidenau 2006
Hennings, Karl: Das hannoversche Wendland. Festschrift dem Central-Ausschusse der königlichen Landwirtschafts-Gesellschaft zu Celle bei seiner Anwesenheit im Wendlande im Sommer 1862, Lüchow 1862
Johannsen, Carl Ingwer (1979): Das niederdeutsche Hallenhaus und seine Nebengebäude im Landkreis Lüchow-Dannenberg. (Diss. Braunschweig 1974), Hannover 1979
Krenzlin, Anneliese: Die Kulturlandschaft des hannöverschen Wendlands, in: Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, Bd.28, Heft 4, Stuttgart 1931, S. 271-362
Meibeyer, Wolfgang: Die Rundlingsdörfer im östlichen Niedersachsen. Ihre Verbreitung, Entstehung und Beziehung zur slawischen Siedlung in Niedersachsen. (Braunschweiger Geographische Studien, Bd.1), Braunschweig 1964
Möller, Katharina: Güstritz an der Schwelle zum Christentum – das spätslawische Gräberfeld im Niederen Drawehn. In: Hannoversches Wendland, Band 18, 2021-2015, S. 277-300
Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege (Hrsg.): Siedlungslandschaft Rundlinge im Wendland – Der Weg zum Welterbeantrag. (Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen, Bd.50), Petersberg 2019, mit Beiträgen von Wolfgang Meibeyer, Matthias Hardt, Anne Klammt, Michael Schmidt, Britta Rudolf, Susann Harder, Kerstin Duncker, Ilka Burkhardt-Liebig/ Burghard Kulow und Thomas Gunzelmann
Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege (Hrsg.): Siedlungslandschaft Rundlinge im Wendland, In: Denkmalpflege. Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen, 41. Jahrgang, Dezember 2021, Heft 4/2021, mit Beiträgen von Ilka Burkhardt-Liebig, Thomas Kellmann, Dirk Wübbenhorst u.a.
Oelsch, Reinhold: Fontes Linguae Dravenaeno-Polabicae et Chronica Venedica J.P.Schultzii, Köln / Graz 1967
Osten, Gerhard: Siedlungsbild und mittelalterliche Agrarverfassung im nordöstlichen Niedersachsen. In: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bd.41/42, 1970, S.1-49
Schmidt, Michael / Wübbenhorst, Dirk: Handreichung zur Instandsetzung historischer Hallenhäuser und Wirtschaftsgebäude im Gebiet der als Welterbe vorgeschlagenen Siedlungslandschaft Rundlinge im Wendland, Cottbus 2019
Saile, Thomas: Slawen in Niedersachsen. Zur westlichen Peripherie der slawischen Ökumene vom 6. bis 12. Jahrhundert. (Göttinger Schriften zur Vor- und Frühgeschichte, Bd. 30), Göttingen 2007
weiterführende Links:
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