Die Kanzelaltäre des Johann Caspar Mohr im Hildesheimer Raum
Kanzelaltäre sind im barocken Niedersachsen allgegenwärtig. Die Entwicklung und Verbreitung ging insbesondere aus den Herrscherhäusern hervor. Für das Kurfürstentum Hannover sind Johann Paul Heumann (1703 – 1759) als Oberhofbaumeister und Johann Friedrich Ziesenis (1715 – 1787) als Bildhauer zu nennen, die den Kanzelaltar verbreiteten. Im Hildesheimer Stift führte das Fehlen eines protestantischen Hofes zu einer freieren Entfaltung des Kanzelaltars. Während die Kanzelaltäre von Ziesenis eher schlicht ausfallen – beispielsweise seien hier die Kanzelaltäre der Liebfrauenkirche in Neustadt am Rübenberge oder der Kirche in Helstorf genannt, findet im Hildesheimer Land eine barocke Prachtentfaltung statt. Während in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Ernst Dietrich Bartels (1679 – 1762) eine Vielzahl von Kirchen ausstattete (zum Beispiel: St. Matthäus in Algermissen), fertigte die Werkstatt des Johann Caspar Mohr in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einige besondere Werke.
Bei Kanzelaltären gibt es verschiedene Typen, die zu unterscheiden sind. Erst einmal ist der Kanzelaltar aber ein Zusammenschluss des Altars mit der darüber liegenden Kanzel zu einem architektonischen Element. Hier vollzieht der Kanzelaltar symbolisch die Verbindung von Wort und Sakrament. Häufig wird zusätzlich noch die Orgel als drittes Element Teil des Kanzelaltars und auch der Taufstein wird unmittelbar an den Kanzelaltar angegliedert. Folglich stehen alle sogenannten Prinzipalstücke in einer Achse und entsprechen damit der gewünschten Axialität im Luthertum. Sie werden damit zum gottesdienstlichen Zentrum der Kirche. Auch dem barocken Wunsch nach Symmetrie kann so Folge geleistet werden. In Dorfkirchen werden häufig breite Altarwände gestaltet, die mit seitlichen Zugängen zur dahinterliegenden Sakristei ausgestattet sind (z.B. Landwehrhagen: St. Peter und Paul).
Über den Bildhauer Johann Caspar Mohr ist nur wenig bekannt. Sein Geburtsdatum und seine Herkunft sind unbekannt, ebenso sein beruflicher Werdegang. Er betrieb allerdings eine Werkstatt in Hildesheim und ist hier am 5. Dezember 1796 verstorben. Seine Werkstatt arbeitete, wie die seines Vorgängers Bartels, für die katholische sowie die lutherische Konfession. Den ersten bekannten Altar schuf Mohr 1757 in der katholischen Kirche St. Stephanus in Dinklar. Kurze Zeit später musste er schon in Liebenburg tätig sein, denn um 1758 wurde hier die Schlosskirche Mariä Verkündigung errichtet und ausgestattet. Hier arbeitete er erstmalig mit dem berühmten Freskomaler Joseph Gregor Winck (1710 – 1781), dem Orgelbauer Johann Conrad Müller (1704 – 1798) und dem Vergolder Albert Gentemann aus Hildesheim zusammen. Winck lieferte dabei die Entwürfe für die Ausstattung und die prächtigen Fresken, Mohr fertigte die Bildhauerarbeiten. Dabei entstanden der Altar mit Drehtabernakel samt Bekrönung, der in Rokoko-Ornamenten verzierten Kanzel und den Altarbildrahmen sowie der blütenbesetzten Zierleiste, die das Deckenbild rahmt. Auch der nördliche Seitenaltar wird ihm zugeschrieben, wobei das Altargemälde jünger ist. Im Jahr 1760 wurde die Schlosskapelle Liebenburg vollendet. Das nächste bekannte Werk Mohrs befindet sich in Goslar in der Stephanikirche. Im Jahr 1764 wird Mohr mit der Fertigung einer Altarwand beauftragt, womit er bis 1766 beschäftigt war. Was Mohr in der Zwischenzeit ggf. noch anfertigte, ist nicht bekannt. Im Jahr 1769 vollendet er den Kanzelaltar und den Orgelprospekt in der evangelischen St. Petri Kirche in Schellerten. 1772 wird auch in der evangelischen Kirche in Mehrum ein Kanzelaltar von Mohr aufgestellt. Auch hier fertigt er den Orgelprospekt an. Zuletzt tritt er 1778 in der St. Laurentius Kirche in Hohenhameln auf und erschafft erneut Kanzelaltar und Orgelprospekt. In allen drei evangelischen Dorfkirchen arbeitete er wieder mit dem Freskanten Joseph Gregor Winck, dem Orgelbauer Johann Conrad Müller und dem Vergolder Albert Gentemann zusammen.
In Schellerten errichtet Mohr einen Kanzelaltar in konkaver Form. Dieser ist in drei Zonen aufgeteilt. In der Mitte steht der Altartisch mit einer Abendmahlsdarstellung darüber und der Kanzel. Eine Abendmahlsdarstellung am Altar ist von Luther ausdrücklich so gewünscht und findet sich daher auch häufig am Kanzelaltar. Die Sakramente, Abendmahl und Taufe, finden damit am Altar bzw. unmittelbar um diesen herum statt, sodass Wort und Sakrament zu einer symbolischen Einheit werden. Die Kanzel wird von einem Schalldeckel überfangen, worüber sich der Auferstandene Christus auf der Weltkugel mit Siegesfahne und Segensgestus zeigt. Flankiert wird er von zwei Engeln. Die seitlichen Zonen werden im Sockelgeschoss von Türen durchbrochen, die in die hinter dem Altar liegende Sakristei führen. Über den Türen stehen in Nischen zwei Figuren: Moses mit einer Tafel der zehn Gebote und Johannes der Täufer mit einem Lamm. Die Darstellung der Figuren, wobei Moses aus dem Alten Testament stammt und Johannes der Täufer das Neue Testament repräsentiert, ist typisch für Kanzelaltäre. Die Gegenüberstellung von Sünde durch die Gesetzestafel und der Vergebungslehre des Evangeliums ist auch an weiteren Altären Mohrs zu sehen. Der Darstellung von Christus als dem Auferstandenen überfängt den Konflikt zwischen Sünde und Vergebung und signalisiert der Gemeinde, dass Jesus durch seinen Opfertod diesen Konflikt durchbrochen hat und die Sünden vergeben werden. Die drei Zonen des Altars sind durch korinthische Säulen in roter Marmoroptik unterteilt. Die Kanzel wird zusätzlich von zwei grauen, korinthischen Pilastern gerahmt. Die Kanzel ist besonders ausgeprägt mit Rokoko-Ornamentik gestaltet und wird von zwei weiteren Engelsfiguren begleitet. Im Schalldeckel ist eine Taube zu sehen, die den Heiligen Geist darstellt. Die Predigt wird damit auf eine neue Ebene erhoben, in der das Wort zum Werk des Heiligen Geistes wird.
In der evangelischen Kirche in Mehrum fertigt Mohr einen Kanzelaltar, datiert auf das Jahr 1772. Dieser Kanzelaltar ist konvex geformt. Auch hier errichtet Mohr einen ähnlichen Aufbau mit drei Zonen. Die Kanzel erscheint mittig, darunter befinden sich eine weitere Abendmahlsdarstellung und der Altar. Am Altar lässt sich außerdem noch ein bauzeitliches Kniebrett finden, auf dem für das Abendmahl oder die Konfirmation gekniet werden konnte. Die Flanken des Altars geben wieder Zutritt zur Sakristei, die sich hinter der Altarwand befindet. Über den Türen steht Moses mit den zehn Geboten, ihm gegenüber Aaron. Ähnlich wie in Schellerten werden auch hier die Flanken durch rötliche, marmorähnliche Säulen korinthischer Ordnung unterteilt, während die Kanzel durch zwei rötliche Pilaster gerahmt ist. Im Altarauszug werden Jesus Christus, Gottvater und die Taube des Heiligen Geistes auf Wolken dargestellt, die vor einem Strahlenkranz sitzen und zwischen sich die Weltkugel tragen. Diese Trinitätsdarstellung verwendete Mohr bereits in Goslar in der Kirche St. Stephan. Die Figuren sind fast identisch: die Haltung der Beine, Christus mit dem Kreuz und der Aufschrift INRI in seiner rechten Hand, die linke Hand mit der Wunde auf seine Brust gelegt, daneben Gottvater, der mit der linken Hand einen Segensgestus ausführt. Umgeben sind beide Dreifaltigkeitsdarstellungen von zwei anbetenden Engeln, die auf Giebelstücken sitzen.
In Hohenhameln vollendet Mohr sechs Jahre später seine letzte bekannte Arbeit. Auch dieser Kanzelaltar hat eine konvexe Form und erscheint als Altarwand, hinter der sich die Sakristei befindet. Im Vergleich zu den Kanzelaltären in Schellerten und Mehrum ist der Altar deutlich schmuckloser und weniger raumgreifend. Der zum Ende des 18. Jahrhunderts einsetzende Klassizismus in Form des Zopfstils findet in Hohenhameln Einzug. Über dem Altartisch befand sich früher eine Darstellung des Abendmahls, die geschwungene Kanzel darüber trägt nur noch wenig Ornamentik, der Schalldeckel ist deutlich kleiner. Auch am Gebälk der Altarwand fällt auf, dass die vielen Vorsprünge, sogenannte Verkröpfungen, hier reduziert sind. Hinzu kommt ein Zinnenfries, der bei vielen Gebäuden des Klassizismus ein beliebtes Motiv ist. An einigen Stellen, wo zuvor Rokoko-Ornamente zu finden waren, zeigt sich der neue Stil, der Zopfstil. Dennoch verzichtet Mohr nicht gänzlich auf Rocaillen, zum Beispiel über den Figuren in den Nischen bleibt der aus Schellerten und Mehrum bekannte Rokoko-Fächer erhalten. Im Altarauszug verschwinden die barocken Figuren und ein göttliches Dreieck im Strahlenkranz wird von Engeln umgeben. Dennoch tritt über dem Schalldeckel ein neues Motiv auf: Ein Pelikan, der seine Jungen mit seinem eigenen Blut füttert. Diese Darstellung geht zurück auf den sogenannten Physiologus, eine frühchristliche Lehre über die Natur. Dabei wurden Beobachtungen aus der Natur christlich umgedeutet. Der Pelikan verfüttert sich dabei selbst an seine Jungen, was sinnbildlich für den Kreuzigungstod Christi steht. Auch die vier Evangelisten, die in den Nischen und auf dem Gebälk stehen, repräsentieren das Evangelium.
In Mohrs bekannter Tätigkeitsphase von 1757 bis 1778 fertigte er insgesamt sechs Altäre, von denen drei Kanzelaltäre sind. Zudem baute er für den Hildesheimer Orgelbauer Johann Conrad Müller einige Orgelprospekte, die auch noch erhalten geblieben sind. Diese befinden sich ebenfalls in Schellerten, Mehrum und Hohenhameln, aber auch in der Schlosskirche Liebenburg und vermutlich gab es ebenso einen in der Schlosskirche des 1891 abgebrannten Lustschlosses Ruthe bei Sarstedt. Die Schaffenszeit Mohrs war geprägt von einem Stilwechsel des ausklingenden Barocks hin zu einem klareren, einfacheren Klassizismus. Sein letztes Werk in Hohenhameln zeugt von dieser Umbruchphase, bei der Mohr bereits neue Ornamente des Zopfstils verwendete. Ob und wo Mohr weitere Kirchenausstattungen ausgeführt hat, ist bisher unbekannt. Dennoch war Johann Caspar Mohr im Hildesheimer Umland ein bedeutender und erfolgreicher Bildhauer. Seine aus Holz gefertigten Werke begeistern. Die Zusammenarbeit mit Joseph Gregor Winck in Liebenburg führte zu einem künstlerischen Meisterwerk im Norddeutschen Raum.
Zum Weiterlesen:
Hartmut Mai: Der evangelische Kanzelaltar. Geschichte und Bedeutung, Halle, Saale 1969, S. 15-27; 56-59; 93-98; 110-121
Rolf Bothe: Kirche, Kunst und Kanzel. Luther und die Folgen der Reformation, Köln/Weimar/Wien 2017, S. 97f.
Helga Stein: Künstler und Hildesheim. Viele Nachrichten in vielen Jahren zusammengetragen und ohne Ende …, Hildesheim 2023, S. 125; 263; 396f.
Kathrin Ellwardt: Evangelischer Kirchenbau in Deutschland, Petersberg 2008