Schuhleistenfabrik Fagus-Werk - Zentraler Produktionskomplex
- Landkreis
- Hildesheim
- Gemeinde
- Alfeld (Leine), Stadt
- Gemarkung
- Alfeld (Leine)
- Orts-/Stadtteil/Lage
- Alfeld
- Adresse
- Hannoversche Straße 58
- Objekttyp
- Fabrikgebäude
- Baujahr
- 1911
- bis
- 1914
- Personen
- Werner, Eduard
Meyer, Adolf
Gropius, Walter Adolf Georg (1883-1969)
- Denkmalstatus
- Einzeldenkmal (gemäß § 3 Abs. 2 NDSchG)
- Bedeutung
- geschichtlich, künstlerisch, wissenschaftlich, städtebaulich
- Im Denkmalverzeichnis
- Ja
- Objekt-ID
- 34576896
- Objekt-Nr.
- 3
- Fachbereich
- Bau und Kunst
- Denkmalthema
- Welterbe Welterbe-Fagus-Werk
- Beschreibung
- Im zentralen, rechteckig angelegten Kernbereich der Fabrikanlage sind Funktionsbauten unterschiedlicher Kubatur von der Anlieferung des Buchenholzes bis zum Versand der fertigen Schuhleisten aneinandergereiht und baulich miteinander verbunden. Im Vergleich mit vielen heutigen Industriearchitekturen kann man den Funktionseinheiten ihre unterschiedliche Nutzung zwar noch ablesen. Gleichwohl erkennt man, dass die aufeinanderfolgenden Arbeitsvorgänge in der Schuhleistenherstellung eine durchrationalisierte Fabrikationsstraße im modernen Sinn entstehen ließen, wie sie der Bauherr Carl Benscheidt vor der Werksgründung bei einer Reise in die Vereinigten Staaten kennen gelernt hatte. Mit dem Fagus-Werk ist tatsächlich einer der ersten Industriekomplexe in Europa mit ineinandergreifenden Funktionen entstanden. In diesem Werkskomplex sollte die Produktionseinheit trotz der heterogen wirkenden Einzelbaukörper ein bauliches Gesamtbild erzeugen, das durch die Verwendung des gelben Klinkers untermalt wird. Genau diesen wirtschaftsgeschichtlich-gestalterischen Aspekt hatte die UNESCO in ihrer Welterbeanerkennung besonders hervorgehoben. In dem zentralen Produktionsbereich entstand, ab Herbst 1910 von dem Hannoverschen Architekten Eduard Werner geplant, an einem Ende die eingeschossige Sägerei, aufgemauert in der für das Fagus-Werk typischen Bauweise mit gelben Klinkern und großen, ein- bis zweibahnigen Eisenfenstern. Der brandgeschädigten und rekonstruierten Sägerei, in der heute technische Büros untergebracht sind, folgt über die gesamte Rechteckbreite des Areals das fünfgeschossige, mit Holzlamellenfenstern belüftete Lagerhaus, in dem die Holzrohlinge gedämpft, desinfiziert und natürlich getrocknet wurden. Als Fachwerkbau mit vier Obergeschossen, aufgerichtet in mehreren Bauabschnitten, setzt es auf einem vollgeschossigen unteren Klinkersockel auf. Während die drei mittleren Geschosse mit dem grobgekörnten hellen Rauhputz und den kehlenartigen Gesimsbändern äußerlich bereits modern wirken, ist das von einer langgestreckten Lüftungslaterne nach oben abgeschlossene Dachgeschoss mit regionstypischen roten Sandsteinplatten verkleidet. Seit der im Jahr 2000 in Hannover veranstalteten Weltausstellung sind in dem mit einem bauzeitlichen Aufzug versehenen, ehemaligen Lagerhaus Dauer- und Wechselausstellungsflächen eingerichtet worden, die einen Ersatz der Lamellenfenster mit Isolierglasfenstern erforderlich gemacht hatten. In dem an das Lagerhaus anschließenden Trockengebäude mit den einst 30 beheizbaren, schachtartigen Trockenkammern, das ebenfalls als gelber, weitgehend konventioneller Klinkerbau errichtet wurde, unterzog man das bereist zugeschnittene Rohholz einem für die Schuhleistenbearbeitung notwendigen Nachtrocknungsprozess. Seit den 2000er Jahren wurden in das mit nur wenigen Fensteröffnungen versehene, ohne innere Aufteilung leerstehende Trockengebäude Ingenieurbüros mithilfe eines reversiblen hölzernen Innengerüsts und unter Beibehaltung einiger Elemente der Trockenkammerinstallationen eingebaut. Zur Belichtung der Büros wurden 2006 neue Fensteröffnungen in die Hofwand gegenüber vom Lagerhaus eingefügt. Auf die Entwürfe Eduard Werners gehen weiterhin das Gebäude des Kesselhauses, das später äußerlich als Teil des Maschinenhauses erscheint, sowie der bahnseitige Treppenhaustrakt des Hauptgebäudes und die erste querliegende Achse des sogenannten Arbeitssaals zurück. Diese drei Gebäudeteile sowie die Sägerei, das Lagerhaus und das Trockengebäude sind leicht erkennbar in der schlichten Architektursprache des aus Hannover stammenden Erstarchitekten Eduard Werner gehalten. Auf dessen fertige Planungen konnte sein Nachfolger Walter Gropius lediglich mit der kehlenartigen Gesimsausbildung für die Fassaden von Lagerhaus und Trockengebäude Einfluss nehmen. Die zweite Hälfte des 1911-14 errichteten rechteckigen Kernbereichs der Fabrikanlage trägt demgegenüber sofort erkennbar die Handschrift des bekannten Architekten Walter Gropius. Unmittelbar an das Trockenhaus hatte jener den mit einem ungewöhnlich breiten Fensterband ausgestatteten sowie mit Sheds überdachten Arbeitssaal angefügt. Durch das breite Panoramafenster, die Markisen und die Shedluken ist mit dieser Fabrikationshalle eine bei Fabriken ungewöhnlich aufwändige Belichtungs-, Lüftungs- und Wärmesteuerung an den Arbeitsplätzen gelungen. Zweiseitig den Arbeitssaal rahmend schmiegt sich das dreigeschossige Hauptgebäude an, in dem unten Modell-, Pack- und Versandräume, oben Verwaltungs- und Büroräume untergebracht sind. Dieser L-förmige Fabriktrakt ist mit seinen vorgehängten Fensterbahnen und den blauweißen Markisen das weltberühmt gewordene Wahrzeichen des Fagus-Werks geworden. In einem Teil des Kellers ist das bis in die Anfangszeiten der Schuleistenproduktion zurückreichende Schuhleistendepot untergebracht, das seit 2018 in einer kleinen Werksausstellung begehbar ist. Ebenfalls mit einer charakteristischen, wandhohen Glasfassade versehen ist das zur Bahnseite hin das ältere Kesselhaus aufstockende und ergänzende Maschinenhaus, das man 1915-16 an das Trockengebäude anbaute. Hier wurde angesichts des ausgebrochenen Krieges die elektrische Energie für den Maschinenbetrieb und die Arbeitsbeleuchtung autark erzeugt. Die Abgase des großen Dampfkessels sowie später der zusätzlichen Ölbrenner wurden über den hohen Schornstein abgeleitet, der das Fagus-Werk bis heute als ‚landmark‘ weithin sichtbar macht.
- Denkmalbegründung
- Insbesondere der Kernbereich des Fagus-Werks veranschaulicht den gestalterischen Traditionsbruch zwischen konventioneller und innovativer Architektur zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Innerhalb eines einzigen Baukomplexes stehen sich die herkömmlich schlichten Gebäude des Hannoverschen Architekten Eduard Werner und des jungen ehrgeizigen Architekten Walter Gropius aus Berlin gegenüber. Mit den Bauten von Walter Gropius steht das Fagus-Werk architekturgeschichtlich nicht nur am Beginn der Bauhausbewegung kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Es symbolisiert darüber hinaus eine erste Synthese von europäischen und nordamerikanischen Innovationsimpulsen, die das „Neue Bauen“ des 20. Jahrhunderts nach dem Ersten Weltkrieg folgenreich in Gang setzten. Künstlerisch spiegelt insbesondere die innovative Glasgestaltung der Gropiusbauten eine richtungweisende Ästhetik der Architektur zu Beginn des 20. Jahrhunderts wider. Wirtschaftsgeschichtlich bildet das Fagus-Werk in der Anordnung der Gebäude beispielhaft die rationalisierte Funktionalität von industriellen Arbeitsabläufen nach amerikanischem Vorbild ab. Dabei hat das auf die arbeitenden Menschen hinzielende Belichtungs- und Temperierungskonzept insbesondere des sogenannten Arbeitssaales eine eigenständige sozialgeschichtliche Bedeutung für die industrielle Neuorientierung in der Arbeitsethik. Mit beiden Bedeutungsaspekten markiert es einen epochalen Wandel in der Industrieproduktion, der bis heute anschaulich erlebbar ist und lange Zeit vorbildlich war. Mit dem Fagus-Werk warf der Unternehmensgründer Carl Benscheidt ein richtungweisendes Schlaglicht auf die damals dringend notwendige Humanisierung industrieller Arbeit. Die gesellschaftliche Debatte dazu durchzog das ganze 20. Jahrhundert als politisches Thema. Seine wissenschaftliche Bedeutung verdankt das Fagus-Werk der facettenreichen Rezeption in der architekturgeschichtlichen Forschung und in zahllosen Publikationen. Städtebauliche Bedeutung erzielt das Fagus-Werk, indem es mit der berühmten Ansicht seines Treppenhaustraktes auf die Zufahrt von der Hannoverschen Straße her ausgerichtet ist. Viel mehr noch kommen die von der Bahnseite aus sichtbaren Glasfassaden zur Geltung, die für alle vorüberfahrenden Reisenden als ‚Eyecatcher‘ wahrnehmbar sind. Der markante Schornstein mit der auffälligen Gliederung und dem Firmensignet erzeugt schließlich die Fernwirkung als ‚landmark‘. Die optischen Signale des Fagus-Werks markieren nach 1900 den Wandel zu einem Selbstbewusstsein der Industrieunternehmen, die zunehmend ihre Ausdrucksfähigkeit und ihren Stellenwert gegenüber den gesellschaftlichen oder kirchlichen Repräsentationsbauten aus früheren Zeiten geltend machten. Folgende Erkenntnisse begründen das öffentliche Interesse an der Erhaltung der besonderen Werksarchitektur: Das Fagus-Werk ist ein erstrangiges Kunstwerk im Industriebau und ein epochales Schlüsselwerk der Architekturgeschichte des 20. Jahrhundert. Es gilt darüber hinaus als Lehrstück zu Erforschung und Verständnis der Kunstinnovationen seiner Entstehungszeit. Da der ursprüngliche Baubestand nahezu unverändert erhalten ist und alle Reparaturen an den ursprünglichen Gebäuden mit Respekt vor dem Original erfolgten, sind auch die hohen UNESCO-Anforderungen an den außerordentlichen universellen Wert (OUV), die Unversehrtheit (Integrity) und an die Echtheit (Authenticity) der Werksanlage erfüllt.
- Gruppen (ID | Typ | Beschreibung)
- 34574742 | Fabrik (Baukomplex) | Schuhleistenfabrik Fagus-Werk
- Literatur
-
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ADABweb
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