Ehem. Augusta Viktoria-Heim
- Landkreis
- Uelzen
- Samtgemeinde
- Bevensen-Ebstorf [Sg]
- Gemeinde
- Bad Bevensen, Stadt
- Gemarkung
- Bevensen
- Orts-/Stadtteil/Lage
- Bad Bevensen
- Adresse
- Ebstorfer Straße 50
- Objekttyp
- Erholungsheim
- Baujahr
- 1909
- bis
- 1910
- Personen
- Brandes, Paul
Hakenholz, Paul
- Denkmalstatus
- Einzeldenkmal (gemäß § 3 Abs. 2 NDSchG)
- Bedeutung
- geschichtlich, wissenschaftlich, städtebaulich
- Im Denkmalverzeichnis
- Ja
- Objekt-ID
- 31081785
- Objekt-Nr.
- 14
- Fachbereich
- Bau und Kunst
- Beschreibung
- Zwei Baukörper, durch niedrigen Zwischentrakt verbunden. Anderthalb- bis zweigeschossige verputzte Massivbauten, Drempel und Zwerchgiebel in Fachwerk. Satteldächer in Hohlpfannendeckung. Architekten: Hakenholz und Brandes, Hannover. 1909/10.
- Denkmalbegründung
- Am nordwestlichen Ortsrand von Bad Bevensen auf einem üppig eingegrünten Grundstück ist das Erholungsheim in nordöstlich-südwestlicher Längsausdehnung eingebettet. In derselben Ausrichtung, also parallel dazu, fällt das Grundstück nach Nordwesten hin von 48m über NN auf 35m NN ab. Die Tuberkulose ist eine bakterielle Infektionskrankheit, die auch als Schwindsucht, Weiße Pest oder Motten bezeichnet wurde. Erst 1882 gelang Robert Koch die Beschreibung des Erregers. Die häufigste Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion, also ein infektiöses Aerosol beim Husten, das seine Ansteckungsfähigkeit bei Durchlüftung und durch natürliche UV-Lichtquellen einbüßt. Die Krankheit galt im 19. und 20. Jahrhundert als die endemische Krankheit der städtischen Armen. In der Altersgruppe der 15 bis 40jährigen war um 1880 jeder zweite Todesfall darauf zurückzuführen. Erste, heute als Spezialkliniken bezeichnete, Einrichtungen entstanden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in England, so beispielsweise das Brompton Hospital. Das erste Tuberkulose Sanatorium in Deutschland, die späteren Lungenheilstätten, wurde 1855 in Görbersdorf durch Hermann Brehmer errichtet, der sich für die hygienisch-diätetische Behandlungsmethode einsetzte. Diese wurde von seinem ehemaligen Assistenzarzt dem geheimen Sanitätsrath Dr. Peter Dettweiler um die sogenannte Freiluftliegekur erweitert, die baulich die Errichtung von Liegehallen erforderte. Da diese Art der Behandlung den gehobenen Gesellschaftsschichten vorbehalten war, initiierte bereits Dettweiler 1892 die Gründung der ersten deutschen Volksheilstätte für unbemittelte Lungenkranke durch den Frankfurter Verein für Rekonvaleszenten-Anstalten in Ruppertshain. Unterstützt wurde dieser mit 200.000 Mark von Freifrau von Rothschild. Dieser Initiative folgte eine rege Vereinstätigkeit, wie in Bevensen durch den Vaterländischen Frauenverein und die nach den sozialen Fürsorgegesetzen gebildeten Kranken- und Invaliden-Versicherungsanstalten. Die Bauten der Lungenheilstätten hatten sich, aufgrund der Ansteckungsgefahr, abseits von Ortschaften zu befinden und die als unentbehrlich geltenden Liegehallen sowie die „[…] bequeme Benutzung sonniger Plätze im Freien […]“aufzuweisen. Folgende Forderungen werden, nach zeitgenössisch aktuellen Forschungen, an den Bauplatz gestellt: „[E]ine durch Berg und Wald gegen die rauhen Nord- und Ostwinde geschützte Lage […], der Sonne freien Zutritt lassen und auf geneigter Ebene liegen zur leichten Ableitung des Verbrauchs- und Regenwassers […], eine weite, mit Wald bestandene Umgebung – gemischter Bestand mit vielem Nadelholz wird bevorzugt – gute Gelegenheit zur Bewegung im Freien auf ebenen und sanft ansteigenden Wegen“. Und auch die Anlage von Obst- und Gemüsegärten mit blühenden Pflanzen „[…] zur Ausschmückung der Anstaltsräume […]“ wird empfohlen. Weitere Grundsätze für Entwurf und Bau wurden vom Deutschen Centralkomitee zur Errichtung von Heilstätten für Lungenkranke aufgestellt: „`Die Stellung der Gebäude ist so zu treffen, daß durch sie weiterer Windschutz erreicht wird.´ Zu diesem Zweck wird vielfach das möglichst nach Süden gerichtete Hauptgebäude mit gebrochener oder bogenförmiger Front gestaltet, und die sich in der Verlängerung anschließenden Liegehallen werden als schützende Flügel vorgezogen.“ „Auf Erweiterungsfähigkeit der Anstalt ist Bedacht zu nehmen.“ Dieser Punkt findet Berücksichtigung in den Planungen und stellt sich im Lageplan des Augusta Victoria-Heims als Spiegelung des westlichen Annexes am Mittelbau dar. Wissend um die bedeutende Ausdehnung, die ein solcher Komplex entfalten kann, wird empfohlen, die Vorzüge der Bauweise geschlossener Hauptgebäude mit der mehrerer Einzelgebäude zu verbinden. So soll der Zusammenschluss gleichartiger Gemüter zu behaglichen Familiengruppen genauso ermöglicht werden, wie die Übersichtlichkeit und die ständige Aufsicht. Hinzu tritt der Vorteil der verkürzten Verkehrswege. Auch dieser Empfehlung sind die Architekten des Bevensener Heims gefolgt. Von der architektonischen Ausführung der Fassaden wird vor allem die freundliche Einfügung in die Landschaft gefordert. Orientierten sich die ersten Heilanstalten typologisch und stilistisch noch an Schlossbauten, sind die Bauten der „zweiten Generation“ eher der Reformarchitektur verpflichtet. Diese hat ihre Wurzeln im arts and crafts movement, einer englischen, ästhetischen Reformbewegung, die 1859 ihren ersten architektonischen Niederschlag im red house von Philip Webb fand. Errichtet unter Verwendung regionaltypischer Baudetails und Materialien fand Webb vor allem in der Abgrenzung zum Barock seine raumbildnerischen Grundsätze. In Deutschland wurden diese Ideen vom Deutschen Werkbund rezipiert und wurden durch die Publikation Hermann Muthesius´ Das englische Haus von 1904 verbreitet. Den neu entwickelten Raumvorstellungen folgend, die der sogenannte „freie Grundriss“ ermöglichte, wurden die Räume entsprechend ihren Nutzungen nach den Himmelsrichtungen orientiert und durch große Fensteröffnungen mit dem Garten in Verbindung gesetzt. Dadurch entstehen auch im Äußeren ablesbar, eigenständige Baukörper mit jeweils eigenen Dächern, die miteinander verschränkt und im Zusammenspiel mit der materialgerechten Verwendung regionaler Baudetails für eine belebte und damit als malerisch empfundene Gesamterscheinung sorgen sollten. Das Objekt erfüllt in seiner Ausführung nahezu alle zeitgenössischen medizinischen und architektonischen Anforderungen. So befindet es sich abseits der Ortslage und bietet durch die Disposition entlang des Hanges und den Bewuchs Schutz vor direkter Windeinwirkung. Zudem sind auf dem weitläufigen Grundstück die Möglichkeiten für Bewegung im Freien und der empfohlene Obst- und Gemüseanbau mit Blumen (teil-)realisiert worden. Die umgesetzte Erweiterungsfähigkeit des Neubaus ist bereits oben angesprochen worden und auch der Problematik einer überdimensionierten Ausdehnung des Gebäudekomplexes wurde durch einen giebelständigen und einen traufständigen Bau, die durch einen eingeschossigen quergelagerten Baukörper verbunden waren, begegnet. Nach Westen schließt der in die Tiefe versetzte Liegeflügel an. Während dieser nach Norden massive bzw. Fachwerkwände aufweist, ist er nach Süden als Holzkonstruktion geöffnet und wird nahezu ganzjährig nutzbar gewesen sein. Im Zusammenspiel mit der sehr lebendigen Dachlandschaft, ist ein zeitgenössisch moderner Funktionsbau auf hohem ästhetischen Niveau entstanden. Die Architekten Hakenholz und Brandes aus Hannover erwiesen sich als Virtuosen des Heilstättenbaus, wohl auch durch bereits erworbene, umfangreiche Erfahrungen mit Vorgängerbauten. Ihre Beauftragung erfolgte nicht zufällig, ihr gingen der Vorschlag Kaiserin Augustas dem Zentralkomitee des Roten Kreuzes gegenüber, in ihrer Heilstättenplanung verstärkt Frauen und Kinder in den Blick zu nehmen und die anschließende Errichtung der Heilanstalt in Hohenlychen (Provinz Brandenburg) 1902 voraus. In der Provinz Hannover hatten sich Hakenholz und Brandes bereits 1903 durch den Erweiterungsbau des Genesungsheims Friedrichshöhe für die Landesversicherungsanstalt in Pyrmont einen Namen gemacht. Es folgte 1906/07 der Bau der Heilstätte Müllrose für die Ortskrankenkasse für den Gewerbebetrieb der Kaufleute, Handelsleute und Apotheker in Berlin und die ersten Bauten für die Heilstätte Heidehaus bei Hannover. Als Bauherr tritt der Verband des Vaterländischen Frauen Zweig-Vereins in der Provinz Hannover auf. Der Vaterländische Frauenverein (VFV) war 1866, im Jahr der Schlacht bei Langensalza, von der preußischen Königin, der späteren Kaiserin Augusta gegründet worden und war eine der Vorgängerinstitutionen des Deutschen Roten Kreuzes. Erste Vorsitzende zur Errichtungszeit des Bevensener Baus 1909 war Charlotte Clementine von Itzenplitz. Die Gründung und Protektion durch die Königin bzw. Kaiserin ebenso wie der Vorsitz einer Angehörigen des Adels lässt Rückschlüsse auf die Mitglieder vor Ort zu. Diese Damen werden dem gehobenen Bürgertum angehört haben. Wohltätigkeit durch die Wahrnehmung karitativer Aufgaben und Funktionen gehörte in diesen Gesellschaftsschichten zum weiblichen Tätigkeitsspektrum. Auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsen befanden sich weniger als 20 Heilstätten. Greifbar sind davon 14, von denen sechs noch Bestand haben. In die Liste der Kulturdenkmale sind neben dem Augusta Victoria-Heim lediglich das Genesungsheim Friedrichshöhe und das sogenannte Heidehaus bei Hannover eingetragen. Das Objekt hat demnach geschichtliche Bedeutung aufgrund des Zeugnis- und Schauwertes durch die beispielhafte Ausprägung eines Gebäudetypus, als Werk überregional bekannter Architekten, für Medizingeschichte und für Sozialgeschichte, wissenschaftliche Bedeutung mit Seltenheitswert und städtebauliche Bedeutung von prägendem Einfluss als Element des räumlichen Gefüges einer Anlage. Der Erhalt des Objektes liegt schließlich aufgrund der vorstehend detailliert beschriebenen geschichtlichen, wissenschaftlichen und städtebaulichen Bedeutung im öffentlichen Interesse. Von Bedeutung ist im Hinblick auf die geschichtliche und städtebauliche Bedeutung vor allem die Geschlossenheit und damit mithin die Authentizität der Anlage, die es vermag, über die historischen Raum- und Funktionsbeziehungen Zeugnis abzulegen. Hinzu treten die Seltenheit und der gute Erhaltungszustand derartig vollständiger Objekte in Niedersachsen.
- Literatur
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
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