Die St. Sylvesterkirche in Quakenbrück
Kultureller Mittelpunkt des im nördlichen Landkreis Osnabrück gelegenen Artlandes, einer aufgrund fruchtbarer Böden entstandenen Kulturlandschaft mit einem bis heute außerordentlich reichen und qualitätvollen Bestand ländlicher Baukultur, ist die Stadt Quakenbrück. Sie ist Sitz der Samtgemeinde Artland und hat ein von vielen Fachwerkbauten und ehemaligen Burgmannshöfen geprägtes Ortsbild innerhalb des alten Stadtkerns erhalten. Es wird überragt von den Türmen der ev.- luth. St. Sylvesterkirche, der kath. Marienkirche und der „Hohen Pforte“, einem ehemaligen Stadttor.
Die Geschichte Quakenbrücks als Grenzfestung des Fürstbistums Osnabrück nach Norden ist eng mit der Geschichte der St. Sylvesterkirche verbunden. 1235 gründete Bischof Konrad I. eine Stiftsburg, die zahlreiche Burgmannsgeschlechter anzog. Zur kirchlichen Versorgung der Siedlung entstand ein dem Heiligen Sylvester gewidmetes Kollegiatsstift mit einer „basilika“. Zwischen Burg und Stiftskirche entwickelte sich mit Markt und Rathaus die bürgerliche Siedlung.
1504 wurde in Quakenbrück Hermann Bonnus geboren, der Reformator des Osnabrücker Landes und erste Superintendent von Lübeck. Sein Geburtshaus ist erhalten und wird derzeit restauriert. Von 1543 an begann er im Auftrag von Bischof Franz von Waldeck von Quakenbrück aus das Reformationswerk. Sein Handexemplar der 1534 in Lübeck gedruckten niederdeutschen Bibel schenkte er der Kirche seiner Geburtsstadt. Diese wird jährlich am Sonntag Trinitatis öffentlich in der St. Sylvesterkirche ausgelegt. In der „Capitulatio perpetua“, der „immerwährenden Übereinkunft“ von 1651 als Ergebnis der Friedensverhandlungen nach dem Dreißigjährigen Krieg, sowie weiteren Verträgen wurde die St. Sylvesterkirche den Protestanten zugesprochen, da zum maßgeblichen Zeitpunkt am 1. Januar 1624 die Mehrheit der Bürger Quakenbrücks evangelisch war.
Die inmitten eines stillen alten Kirchhofes mit zahlreichen Grabdenkmalen liegende ehemalige Stiftskirche stellt sich heute als dreischiffige Hallenkirche dar, die im Äußeren und Inneren in der Grundform sehr einheitlich wirkt. Im Grundriss und Mauerwerk verbirgt sich die Ursprungs„basilika“ des 13. Jahrhunderts. Auf eine Basilika oder Stufenhalle deuten neben Veränderungen im Inneren auch die Außenwände hin, die in den unteren Teilen aus Raseneisenstein, oben und in den Quergiebeln aus Ziegeln bestehen.
Unter einem steil aufragenden Satteldach werden zwei fast quadratische Mittelschiffjoche von längsrechteckigen Seitenschiffjochen mit je zwei Querdächern mit Dreiecksgiebeln flankiert. Der ursprünglich gerade geschlossene Chor mit dreiteiligen Maßwerkfenstern stammt aus dem 13. Jahrhundert und erhielt um 1470 einen 5/8-Chorschluss. In dieser Zeit wurde auch die Halle mit Kreuzrippengewölben versehen. 1913/14 frei gelegte ornamentale Gewölbemalereien datieren von 1471. Die im späten 15. Jahrhundert angefügte Sakristei nimmt mit ihrer Inschrift Bezug auf die Rückführung des zwischenzeitlich für über 200 Jahre nach Bramsche verlegten Stiftes nach Quakenbrück im Jahr 1489. Quakenbrück war zu einer blühenden Kleinstadt mit einem frommen Gemeinwesen geworden, das durch Memorienstiftungen die Einkünfte des Stiftes ständig verbesserte. Eine an der südlichen Chorwand seit 1316 angebaute Kapelle, die 1653 in eine Lateinschule umgewandelt wurde, musste 1893 wegen Baufälligkeit abgerissen werden.
Im Westen der Kirche steht ein mächtiger, das Stadtbild Quakenbrücks prägender 68 m hoher Turm, der vermutlich auf einen älteren niedrigeren romanischen Turm zurückgeht. Dieser passte nach Anlage der Rippengewölbe und der damit verbundenen Erhöhung des Kirchendaches nicht mehr in das Gesamtbild und wurde zwischen 1489 und 1499 als „hoher“ Turm errichtet. Das spitz aufragende Helmdach wurde 1703 bei einem Sturm zerstört und 1704 durch einen hohen barocken Turmhelm mit einer offenen Laterne mit geschwungener Haube von dem Verdener Zimmermeister Johann Segelkorn ersetzt.
Die St. Sylvesterkirche beeindruckt heute in besonderem Maße durch ihre reich erhaltene qualitätvolle Ausstattung, die vom späten 13. bis ins 19. Jahrhundert reicht und neben der bemerkenswerten Raumschale den Kircheninnenraum prägt. Hier sind hauptsächlich zu nennen ein großes Triumphkreuz aus dem späten 13. Jahrhundert, das spätgotische reichgeschmückte eichene Chorgestühl und ein geschlossenes, geschnitztes Kirchengestühl im Schiff mit Wappen und Ornamenten aus dem Ende des 16./Anfang des 17. Jahrhunderts, ein spätgotisches Sakramentshaus um 1500 und ein zweistöckiger Altar von 1661/62 mit Bildern des Osnabrücker Malers Hermann Klostermann. Kanzel und Lettner stammen aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts. Die hölzerne Taufe wurde 1721 gestiftet, die bekrönende Figur des reich verzierten Deckels leider 1971 gestohlen und durch eine stark vereinfachte Schnitzerei ersetzt. Im Chor und an der Südwand des Mittelschiffes hängen reich in Sandstein und Holz gestaltete Epitaphe des 16. und 17. Jahrhunderts. Ein Bronze-Türgriff aus dem 14. Jahrhundert, beachtenswerte Kronleuchter im Schiff und Chor aus dem 17. Jahrhundert, die bis heute mit Kerzen bestückt werden, ein selten erhaltener spätmittelalterlicher Palmesel und eine reiche Sammlung von Pastorenbildern seit dem 16. Jahrhundert in der Sakristei haben die Jahrhunderte überdauert. Eine Besonderheit stellt die im Friedensjahr 1648 gestiftete Uhr dar, die sich im Kirchenschiff über der Tür, die zum Turm führt, befindet.
Aufgrund ihrer geschichtlichen und baukünstlerischen Bedeutung sowie ihrer reichen überkommenen Ausstattung stellt die St. Sylvesterkirche ein in der nordwestlichen Bundesrepublik beeindruckendes seltenes Zeugnis sakraler Baukunst dar. Sie ist ein überzeugendes Beispiel für das erhaltenswerte kulturelle Erbe. Über 50 Jahre nach der letzten größeren Renovierung 1961 machten starke Verschmutzungen infolge einer unzulänglichen Heizungsanlage und Schäden an Putz und Malereien erneut eine umfassende Restaurierung des Innenraumes dringend erforderlich.
Dabei wurde nach gründlichen restauratorischen Voruntersuchungen das Konzept verfolgt, den überkommenen Zustand der Restaurierung von 1961 in allen Bereichen möglichst vollständig zu erhalten, d.h., eine seit 1961 an das Erscheinungsbild des späten 15. Jahrhunderts angelehnte Gestaltung der Raumschale, in die sich die reiche Ausstattung aus den verschiedenen Jahrhunderten farblich zu einem harmonischen Gesamtbild einfügt.
Die Finanzierung des Vorhabens mit Kosten von rd. 1 Million Euro war ein finanzieller Kraftakt für die Gemeinde, der nur neben kirchlichen Mitteln mithilfe von Zuwendungen des Bundes aus dem Denkmalschutz-Sonderprogramm, Mitteln des Landes, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, zahlreichen Spenden und Beschaffung von Eigenmitteln durch Grundstücksverkäufe bewerkstelligt werden konnte.
Am 4. Dezember 2016 konnte nach Beendigung der Arbeiten die Kirchengemeinde mit großer Freude den ihr vertrauten Kirchenraum– befreit von den Verunreinigungen und Schäden der vergangenen 55 Jahre – mit einem Festgottesdienst wieder in Nutzung nehmen.
Der Text wurde erstmals veröffentlicht in den Berichten zur Denkmalpflege in Niedersachsen, 37. Jg. (2017), Heft 2.
1 Christian Wüst (Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Sylvester,Quakenbrück)
2 Wiebke Dreeßen (NiedersächsischesLandesamt für Denkmalpflege)