Der Ort Laatzen und seine Städtische Siedlung
Von Jürgen Vogel
Die Bedeutung des Ortsnamens "Laatzen" konnte von Historikern bis heute nicht eindeutig geklärt werden. Aus mittelalterlichen Urkunden geht hervor, dass Laatzen damals "Lathusen" hieß. Zahlreiche frühgeschichtliche Funde im Raum Laatzen haben belegt, dass das heutige Laatzener Gebiet seit der Altsteinzeit immer wieder von Menschen aufgesucht und besiedelt wurde. Die hier gefundenen Urnen stammen beispielsweise aus der römischen Kaiserzeit (zwischen 0 und 375 n. Chr.). Etliche Tonscherben und Tongefäße wurden vor ca. 35 Jahren auf einer Wiese unter der Grasoberfläche in der Laatzener Leinemasch gefunden. Im Bereich der Urnenfeldstraße in Alt-Laatzen befand sich in der römischen Kaiserzeit eine Grabstätte ("Urnenfeld").
Die älteste Nennung von "Laatzen" stammt aus dem Jahr 1227. Urkunden des 13. und 14. Jahrhunderts belegen, dass Laatzen ein Dorf von zumeist abhängigen Bauern war. Die Familie von Lathusen war der größte Grundherr im Ort. Die Besitzrechte dieser Familie gingen später überwiegend auf das Kloster Marienrode über, zum kleineren Teil aber auch an andere Adelige, so beispielsweise an die Familie von Limburg. Die erste Erwähnung der alten Laatzener Kapelle, eines der südlichsten Bauwerke der norddeutschen Backsteingotik, stammt vom 13. Januar 1325. In dieser Zeit entstand wohl auch das erste freie Eigentum der Laatzener Bauern aus ehemals "hörigem" Besitz. Mit Döhren und Wülfel gehörte Laatzen danach zum sogenannten "Kleinen Freien". Die Freien durften ihre Höfe ohne Genehmigung des Obereigentümers verkaufen, konnten die Jagd ausüben und hatten das Recht, Handwerk und Gewerbe ohne Konzession zu betreiben. Dafür hatten die Freien Königszins zu zahlen und die Pflicht zur Heerfolge. Relativ unabhängig von den politischen Herrschaftsrechten blieb die wirtschaftliche und soziale Struktur bis tief in das 19. Jahrhundert bäuerlich.
Laatzen entwickelte sich von da an ständig weiter und wurde eine Industriearbeitersiedlung mit zunächst noch deutlich ländlichem Charakter. Der Zweite Weltkrieg traf mit schweren Bombenangriffen zwischen 1943 und 1945 auch Laatzen. Bei diesen Bombenangriffen wurde auch das Wohnhaus Am Bergdahle 3 in der Städtischen Siedlung beschädigt. Als besonderes "Mahnmal" gegen den Krieg haben die ehemaligen Bewohner des Hauses die Reste der explodierten Fliegerbombe in ihrem Vorgarten aufgestellt.
In der Nachkriegszeit setzte sich mit dem neuen Aufschwung die Umwandlung vom alten Dorf Laatzen zu einer zunehmend städtischen Ansiedlung weiter fort.
Am 1. Januar 1964 schlossen sich Grasdorf und Laatzen zur neuen Gemeinde Laatzen zusammen, die am 21. Juni 1968 Stadtrechte erhielt. Durch die Gebietsreform vom 1. März 1974 wurden die Gemeinden Gleidingen, Ingeln, Oesselse und Rethen/Leine mit der Stadt Laatzen vereinigt. Am 1. Januar 1981 wurden schließlich Gebietsteile der Stadt Hannover mit damals mehr als einhundert Einwohnern in die Gemeinde Laatzen eingegliedert. Bis zum 31. Dezember 2004 gehörte Laatzen zum damaligen Regierungsbezirk Hannover, der wie alle anderen niedersächsischen Regierungsbezirke aufgelöst wurde.
In Laatzen gibt es etliche Baudenkmäler, darunter die "Städtische Siedlung" in Alt-Laatzen, die in den Jahren 1919 bis 1921 nach Plänen des Stadtbaurats Paul Wolf gebaut wurde. Sie besteht aus den Wohnhäusern der Straßen Urnenfeldstraße 9 bis 17, Am Bergdahle 1 bis 21, Am Brocksberg 1 bis 15, Am Heckenweg 1 bis 3, Am Lindenplatz 1 bis 23, Deisterblick 1, 2 und 4 und Steiler Weg 8 bis 17. Hinter den Häusern befinden sich Gärten. Die Wohnhäuser mit den Hausnummern 1 bis 8 der Urnenfeldstraße wurden abgerissen und in den 1970er Jahren durch ein dreigeschossiges Mehrfamilienwohnhaus ersetzt. Bei den Ausschachtungsarbeiten wurden verschiedene Urnen gefunden. Eine der Straßen der Siedlung erhielt entsprechend den Namen "Urnenfeldstraße".
Als Gartenstadtsiedlung für städtische Arbeiter und kinderreiche Familien wurde die "Städtische Siedlung" auf dem Gelände einer stillgelegten und abgerissenen Ziegelei erbaut (am Brocksberg befand sich Mitte des 19. Jahrhunderts die erste Ziegelei Laatzens). Sie besteht aus typisierten, massiven Einfamilien- und Doppelhäusern und am Lindenplatz aus Reihenhäusern. Es wurden auf dem 26 Morgen großen Gelände insgesamt 108 Wohneinheiten (die zunächst vorgesehenen 94 Wohnungen wurden im Bauverlauf um 14 Wohnungen erweitert) errichtet. Im Herbst des Jahres 1919 konnten die ersten Wohnungen bezogen werden, die letzten Wohnungen dann im Juni 1921. Die Häuser der Siedlung lagen in "landschaftlich reizvollem" Gelände an der Peripherie der Gemeinde Laatzen in der Niederung der Leine. Es bot sich ein schöner Ausblick auf den Deister. Von der damaligen Hildesheimer Landstraße (heute Hildesheimer Straße) durchzieht eine große Hauptachse ("Am Bergdahle") die Siedlung, die – in Anpassung an die Geländegeometrie – zweimal gebrochen und damit in drei Straßenzüge "zerlegt" ist. Es ergibt sich somit eine Häusergruppe aus Einfamilien- und Doppelhäusern, die zum Spielplatz am "Lindenplatz", dem Mittelpunkt der Siedlung, führt. Hier gruppieren sich eingeschossige, teils mit Ziergiebeln versehene Reihenhäuser. Insgesamt gibt es in der Siedlung vier verschiedene Haustypen, wobei die Gärten zwischen 300 und 900 Quadratmetern groß sind. Die Ausführungskosten ohne Grunderwerb, jedoch einschließlich Straßenkosten und sonstigen Nebenkosten, betrugen rund 3.700.000 Mark. Die Wohnhäuser der Städtischen Siedlung waren hauptsächlich für die Beschäftigten der Laatzener Ziegeleien vorgesehen. Durch die hinter den Häusern vorhandenen Gärten konnten die Bewohner Obst und Gemüse ernten und zum Teil sogar Hühner und Kaninchen für die Selbstversorgung halten.
Am Lindenplatz wurden damals ein Konsum-Einkaufsladen und ein Gasthaus beziehungsweise eine "Kneipe" gebaut. Beide Gebäude wurden im Zweiten Weltkrieg im Jahr 1943 durch Fliegerbomben schwer beschädigt und anschließend abgerissen.Der Ton für die Herstellung der roten Backsteine, mit der sämtliche Wohnhäuser der Städtischen Siedlung gebaut wurden, stammt aus Laatzener Ziegeleien. Im Bereich der heutigen Stadt Laatzen gab es sechs Ziegeleien, die einen wichtigen Industriezweig in den damaligen Gemeinden Rethen, Grasdorf und Laatzen darstellten. Die erste Ziegelei wurde im Jahr 1850 in Grasdorf errichtet. Der Ton wurde in Pferdefuhrwerken und später in "Ziegeleiloren", die auf Schienen fuhren, transportiert. In den Ziegeleiloren wurden auch Rohsteine von in den Ziegeleien vorhandenen Steinpressen zu Trockenschuppen und danach zu Brennöfen transportiert. Gebrannt wurden die roten Backsteine zum Beispiel in der Firma "Hannoversche Kunstziegelei C & F Hauer" in der Gemeinde Laatzen (Am Brabrinke, in der Nähe des Bahnhofs Wülfel).
Backsteine gab und gibt es heute mit verschiedenen Abmessungen. Das alte Reichsformat geht zurück auf das Format der ersten industriell hergestellten Backsteine aus dem 19. Jahrhundert und misst 25 x 12 x 6,5 Zentimeter. Dieses historische Format wurde 1872 als Norm für alle Staatsbauten im Norddeutschen Bund eingeführt, setzte sich jedoch auch schnell für Privatgebäude durch. Sämtliche Häuser der Städtischen Siedlung sind mit roten Mauersteinen im Reichsformat gemauert worden.
Ein Mauerwerksverband besteht aus Steinen, die im Wechsel von „Läufern“ (mit der Längsseite nach außen) und „Bindern“ (mit der Stirnseite nach außen) gesetzt sind. Heutzutage wird Mauerwerk meistens in einem sogenannten wilden Verband mit vorwiegend nebeneinanderliegenden Läufern gemauert, nur vereinzelt werden dann Binder und zwar quasi wahllos, das heißt "wild", von den Maurern eingesetzt. Bei einem Kreuzverband dagegen wechseln sich Binder- und Läuferschichten regelmäßig ab, im Gegensatz zum Blockverband sind jedoch auch die Läuferschichten zueinander versetzt. Somit sind beim Kreuzverband die Stoßfugen der Binderschichten übereinander angeordnet, während die Stoßfugen der Läuferschichten jeweils um eine halbe Steinlänge versetzt sind. Die Wohnhäuser der Städtischen Siedlung sind alle im Kreuzverband gemauert worden.
Die Häuser der Städtischen Siedlung besaßen alle weiße Holzfenster mit der seinerzeit üblichen Einfachverglasung. Die Fenster hatten Sprossen. Nur wenige der Wohnhäuser besitzen heute noch die originalen Holzfenster, bei den meisten wurden sie durch weiße Kunststofffenster ersetzt.
Die Dächer der Häuser waren seinerzeit mit roten Tondachziegeln (sogenannte "norddeutsche Pfannendeckung") eingedeckt. Einige Häuser sind inzwischen mit dunklen Betondachsteinen eingedeckt worden (sogenannte "Frankfurter Pfannen").
Besonders eindrucksvoll stellen sich die mit roten Backstein-Ornamenten verzierten Giebel der Wohnhäuser dar, die jeweils individuell gestaltet sind, so teilweise rautenförmig, mit schrägen, quadratisch angeordneten oder versetzten Backsteinen oder mit gemauerten Rundbögen über den Fenstern. Besonders markant sind zudem die grün-weißen Holzhaustüren der Wohnhäuser der Städtischen Siedlung. Einige Häuser der Siedlung haben noch eine alte oder eine wie im seinerzeitigen Originalzustand neu getischlerte Holzhaustür. Bei mehreren Häusern sind jedoch später nur einfarbige Holzhaustüren eingebaut worden.
Wenngleich die Wohneinheiten in den 1970er Jahren privatisiert wurden und einige der Häuser mittlerweile überformt sind, bietet sich noch immer ein abwechslungsreiches Straßenbild durch teils trauf-, teils giebelständige Bauten, Sichtachsen, Vorgärten und rückwärtige Nutzgärten auf langgestreckten Parzellen.
Zum Weiterlesen:
Quellen im Stadtarchiv Laatzen
Stadtgeschichte Laatzen online
Die Städtische Siedlung Laatzen im Denkmalatlas Niedersachsen
Der Autor, Prof. Dr.-Ing. Jürgen Vogel, ist studierter Bauingenieur und war vor seinem Ruhestand 2019 als Fachingenieur für Geotechnik bei der Ingenieurgesellschaft Dr.-Ing. Meihorst und Partner GmbH in Hannover, sowie als Professor für Geotechnik an der Hochschule in Hildesheim tätig.

