Speer II aus dem altpaläolithischen Wildpferdjagdlager von Schöningen

Von Henning Haßmann

Bei den Ausgrabungen im Braunkohletagebau Schöningen gelang 1994 die Entdeckung einer Weltsensation: Unter den bis zu 15 m mächtigen Ablagerungen aus dem Eiszeitalter konnte das Team vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege Fundstellen des Urmenschen in unterschiedlichen „Stockwerken“ aufspüren und untersuchen. Feucht und luftdicht eingebettet in ein andernorts durch jüngere Eisvorstöße vollständig zerstörtes Schichtpaket hat sich ein Jagdlager perfekt erhalten. Hier hatten die steinzeitlichen Jäger vor etwa 300.000 Jahren an einem Seeufer Wildpferde erlegt, gerastet und die ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen der Welt hinterlassen: Neun sorgfältig bearbeitete hölzerne Wurfspeere und ein beidseitig angespitztes kurzes Wurfholz deuten auf unerwartet hohe Fähigkeiten dieser Menschen hin.

Der 229 cm lange Speer II mit einem maximalen Durchmesser von 3,7 cm ist nahezu vollständig erhalten. Sein Schwerpunkt befindet sich von vorne bei einem Drittel der Waffenlänge. Der dünne Stamm wurde sorgfältig mit Feuersteinklingen von Ästen befreit, entrindet und aufwendig geglättet. Die dünne Bastschicht unter der Rinde wurde nur an der Spitze abgeschält, die wegen des weichen Markkanals im Inneren des Stammes leicht exzentrisch und damit stabiler gestaltet wurde. Auffällig sind Spuren von Insektenfraß unter der Rinde. Die 45 bis 55 Jahre alte, im Frühsommer gefällte Fichte ist klimabedingt viel langsamer gewachsen als heutige Bäume in Norddeutschland, was eine höhere Jahrringdichte und Festigkeit zur Folge hat. Die ballistischen Eigenschaften entsprechen modernen Wettkampfspeeren. Experimente zeigten Wurfweiten von 80 m, jedoch beste Trefferquoten unter 20 m Distanz.
Erkennbar wird eine organisierte Großwildjagd auf schnell fliehende Herden, die ohne planendes Handeln und Kommunikationsvermögen undenkbar wäre. Die kognitiven Fähigkeiten der Urmenschen aus der Zeit der frühesten Besiedlung Mitteleuropas wurden in der Forschung lange unterschätzt. Der Heidelbergmensch war nicht Spielball der Natur, sondern verfügte über hohe technologische Fähigkeiten, ausgefeilte Jagdstrategien und ein komplexes Sozialgefüge. Die weltweite Bedeutung dieser Fundstelle liegt auch in einer kontinuierlichen, seit über 35 Jahren andauernden interdisziplinären Forschungstätigkeit mit derzeit 30 beteiligten Forschungseinrichtungen – präsentiert im Forschungsmuseum Schöningen.

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