30 Jahre Feldforschung auf dem Kronsberg bei Rullstorf
Die Grabungen auf dem Kronsberg, in der Gemarkung Rullstorf im Landkreis Lüneburg, die vom Beginn der 1980er Jahre mit Unterbrechungen bis 2008 durchgeführt wurden, haben weit über die heimatkundlichen Fragestellungen hinaus Bedeutung erlangt. Sie beleuchten die vorgeschichtlichen und die historischen Ereignisse in der Siedlungslandschaft an der Unterelbe und stellen die archäologische Forschung auf eine ganz neue Grundlage.
Zur Forschungsgeschichte
Bevor ich im Einzelnen Ergebnisse dieser langjährigen Grabungen vorstelle und den Stand der wissenschaftlichen Bearbeitung darstelle, hier einige Anmerkungen zum Werdegang des Rullstorfer Denkmalpflegeprojektes.
Schon seit der Entdeckungsgeschichte, an der Christian Krohn den wesentlichen Anteil hatte, wurden die Ausgrabungen durch bürgerschaftliches Engagement begleitet. Das war besonders wertvoll, weil die archäologischen Untersuchungen in Rullstorf zu allen Zeiten durch den Sandabbau bedroht waren. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an die besonders schwierigen Jahre, als der Sandabbau die Grabungen zu überholen drohte und nur mit Hilfe der Auflagen des Naturschutzes die Grabungsfläche vor dem Abbau geschützt werden konnte. In dieser Zeit erfolgte die Finanzierung nur noch mit geringer Beteiligung der Staatlichen Denkmalpflege. Die Ausgrabungen wurden größtenteils durch Bundesmittel mit Hilfe von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen durch das Arbeitsamt in Lüneburg finanziert. Diese wurden Jahre später durch „Ein-Euro-Beschäftigungsverhältnisse“ abgelöst.
Im Verlauf der Ausgrabungen hatte sich auch Hilfe aus der örtlichen Bevölkerung eingestellt. Das bürgerschaftliche Engagement war großartig. Es gab vor allem wieder Mut, weiter zu machen. Aus wissenschaftlicher Sicht hatten sich die archäologischen Untersuchungen inzwischen zum Forschungsprojekt entwickelt. Die Grabungen und die Aufarbeitung wurden mit der Unterstützung von Privatpersonen, Vereinen und Jugendgruppen sowie durch Zuwendungen der Staatlichen Denkmalpflege bis 2008 vor Ort fortgesetzt. Die Auswertungen und Publikationen sind weit fortgeschritten, teilweise abgeschlossen. An einigen Untersuchungen wird noch gearbeitet.
Zur Topographie und zur Lage der Fundstellen.
Der Kronsberg ist eine etwa 300 X 800 m große, und zu allen Zeiten siedlungsgünstige Geländekuppe am Rand der Elbmarsch. Sie gliedert sich in drei große Grabungsflächen(Abb. 1). Die erste umfasst Siedlungsflächen der jüngeren Bronzezeit, der Vorrömischen Eisenzeit, der Römischen Kaiserzeit und der Völkerwanderungszeit. Sie wird als Fundstelle unter der Bezeichnung 5 geführt und erstreckt sich über eine Fläche von etwa 4 Hektar (Abb. 2). Drei Publikationen mit den Funden aus dieser Fläche liegen bereits vor. Die vierte Ausarbeitung zur Methodik und Auswertung der Keramik ist in Vorbereitung.
Die zweite, fast gleich große Grabungsfläche, schließt in westlicher Richtung an. Sie wird unter der Fundstellenbezeichnung 8 geführt. Auf diesem Gebiet setzt sich die Siedlung der jüngeren Kaiserzeit fort. Sie verläuft bis zu einem Areal, in dem ein Urnenfriedhof der Jungbronzezeit vollständig ausgegraben werden konnte.
Südlich an die genannten Fundgebiete der jüngeren Bronzezeit und der jüngeren Römischen Kaiserzeit schließt sich eine Fläche von etwa zwei Hektar mit Gräbern eines gemischt belegten Gräberfeldes der sächsischen Zeit (6-8. Jahrhundert n. Chr.) an. Wegen der fast vollständigen Überdeckung mit Flugsand sind in diesem Gräberfeld nicht nur hervorragende Erhaltungsbedingungen, sondern auch einmalige Funde und Befunde der spätsächsischen Zeit angetroffen worden (Abb. 4). Durch Ausstellungen und einen Begleitkatalog ist über diese Fundstelle berichtet worden. Die spätsächsischen Gräber erstrecken sich über ein Gebiet, das durch mesolithische und neolithische Befunde und Funde geprägt ist. In diesem Bereich konnte auch das erste Langhaus der Trichterbecherkultur in Niedersachsen freigelegt werden.
Die kleinste Grabungsfläche wird unter der Fundstellenbezeichnung 9 geführt. Sie umfasst etwa 600 Quadratmeter eines Urnenfriedhofs der Vorrömischen Eisenzeit. Dieser Friedhof ist nicht vollständig ausgegraben. Er dürfte eine wesentlich größere Fläche einnehmen. Der Urnenfriedhof liegt innerhalb einer Siedlung der jüngeren Steinzeit, die nach der abgeschlossenen Prospektion auf einer Fläche von ca. drei Hektar verbreitet ist. Wegen der in diesem Bereich oft meterhohen Sandüberwehung ist – trotz der Beackerung – mit besten Erhaltungsbedingungen zu rechnen.
Die wohl in allen Zeiten begehrte Siedlungsfläche auf dem Kronsberg ist noch nicht einmal zur Hälfte ausgegraben, hat aber bereits ganz neue Gesichtspunkte für eine historische Deutung der Besiedlungsvorgänge geliefert. Ich fasse im Folgenden bereits abgeschlossene oder absehbare Auswertungsergebnisse für die Metallzeiten grob zusammen.
Zur Besiedlung in der jüngeren Bronzezeit
Die jüngere Bronzezeit ist mit zwei Siedlungsabschnitten vertreten, zu denen vier Langhäuser und eine große Anzahl von Vorratsgruben gehören (Abb. 3). Jeweils zwei Häuser stellen eine Siedlungseinheit. Die Bewohner der älteren Siedlungsperiode, die in die Periode IV nach Montelius datiert werden konnte, sind in den Gräbern des o. g. Urnenfriedhofs der Fundstelle 9 bestattet worden. Ein Radiokarbondatum vom Urnengräberfeld bestätigt für die Belegung einen Zeitabschnitt zwischen 967 und 869 v. Chr. Beide Ansiedlungen gingen durch Brandereignisse zugrunde. Sekundär gebrannte Tonware belegt diese Begebenheiten, die zu kurzen Unterbrechungen der Siedlungstätigkeit geführt haben.
Die Siedlungen der Vorrömischen Eisenzeit
Ohne Kontinuität – zumindest innerhalb der bislang untersuchten Bereiche – folgt auf die Siedlung der jüngeren Bronzezeit eine Fläche, deren Siedlungsbefunde in die Vorrömische Eisenzeit datieren. Die Siedlungsareale aus der Vorrömischen Eisenzeit überschneiden sich teilweise mit denen der jüngeren Bronzezeit. Es handelt sich um mindestens fünf Langhäuser mit den zugehörigen baulichen Anlagen in Form von Vorratsgruben und Darranlagen. Auch in der vorrömischen Eisenzeit gehören offensichtlich jeweils zwei Langhäuser zu einer Siedlungseinheit. Die Untersuchungen zur Frage, ob die Häuser zeitgleich errichtet wurden, oder ob es sich um drei zeitversetzte Siedlungsabschnitte aus der Vorrömischen Eisenzeit handelt, dauern z. Zt. an. Auch diese Siedlungsperioden sind durch ein oder durch mehrere Brandereignisse zugrunde gegangen.
Die Siedlungen der Römischen Kaiserzeit
Die nun folgende Ansiedlung aus der Römischen Kaiserzeit überschneidet sich nur teilweise mit den Gebieten, die auch in der Vorrömischen Eisenzeit besiedelt waren. Zu Beginn dieser Ansiedlung, die in die ältere Römische Kaiserzeit datiert, werden neue Siedlungsräume im Osten des Kronsberges erschlossen. Diese überschneiden sich nicht mit den Siedlungsflächen, die in der Vorrömischen Eisenzeit benutzt wurden. Allem Anschein nach handelt es sich um eine Neugründung, die sich mit zwei weiter auseinander liegenden Langhäusern auf eine weitgehend unerforschte Siedlung bezieht. Weil diese Siedlung durch die Grabung nur angeschnitten ist, kann wenig über ihre Struktur gesagt werden. Es könnte sich um zwei zeitgleiche, aber auch um selbständige Gehöfte handeln. Ob diese Siedlung sich aus der Vorgängersiedlung entwickelt hat, oder ob es sich um eine Neugründung handelt, ist noch nicht entschieden. Viele Merkmale der Keramik der beiden Ansiedlungen zeigen große Ähnlichkeiten, die auch eine zeitliche Nähe andeuten.
In der Folgezeit wird die Siedlung der älteren Römischen Kaiserzeit, die wir bereits den Langobarden zurechnen können, aufgegeben. Die Häuser der folgenden Siedlung, die nach den keramischen Funden in die jüngere Römische Kaiserzeit datiert, haben sich stark verändert. Sie sind über 60 m lang und es lassen sich die Boxen von Viehställen anhand von Einbauten nachweisen. Es handelt sich um vier Langhäuser, bei denen sich die aus älteren Zeiten bekannte Struktur von Doppelhäusern noch wiederfindet. Dafür spricht, dass zwei dieser Höfe durch Zäune miteinander verbunden sind, und eine zusammenhängende Anlage bilden. Eine Vergrößerung dieser Siedlung erfolgt an der Wende zur Völkerwanderungszeit. Dabei werden die Gebäude der bestehenden Ansiedlung in Teilen erneuert. Die Siedlung wird nach Westen bis zum jungbronzezeitlichen Urnengräberfeld erweitert und durch mindestens drei Langhäuser mit den zugehörigen Grubenhäusern vergrößert. Diese Siedlung hat sich noch im Aufbau befunden, als der gesamte bebaute Bereich durch einen Brand zugrunde ging. Wir erfassen hier wohl das entscheidende Ereignis, das für die Rullstorfer Langobarden das Ende der Siedlungstätigkeit besiegelte und mit dem Beginn der Völkerwanderung verbunden werden kann. Wir dürfen dieses Ereignis mit Hilfe der Befunde auch historisch werten. Der Bau neuer Häuser war gewiss mit dem Zuzug neuer Siedler verbunden. Die langobardischen Neusiedler hatten bestimmt nicht vor wegzuziehen. Davon zeugen die neu erbauten Häuser. Bei den weiter auseinander liegenden Häusern ist auch nicht zu erwarten, dass ein lokales Brandereignis die ganze Siedlung erfassen konnte. Es ist vielmehr damit zu rechnen, dass die ältere Ansiedlung und die Neugründung durch Brandschatzung zugrunde gingen.
Für unruhige Zeiten spricht auch die Eisenverhüttung, die in der jüngeren Römischen Kaiserzeit einsetzt. Sie erstreckt sich mit zahlreichen Öfen und mehreren Tonnen Eisenschlacken über den gesamten Bereich der älterkaiserzeitlichen Siedlung.
Alle Grabungsbefunde sprechen für ein gewaltsames Ende der langobardischen Besiedlung und für einen vollständigen Abzug der auf dem Kronsberg ansässigen Bevölkerung.
Die besondere Situation, die sich durch die Neugründung eines separat gelegenen Siedlungsabschnittes eröffnet, hat ganz neue methodische Ansätze möglich gemacht. Sie bestehen darin, dass im Bereich der Siedlungserweiterung nur die keramischen Funde verbreitet sind, die auf die jüngste langobardische Siedlungszeit zurückgehen und damit zur Datierung der jüngsten langobardischen Siedlung beitragen. Zudem erhalten wir aus der Holzkohle der neu erbauten und abgebrannten Häuser Radiocarbondaten für den Abzug der Langobarden zu Beginn der Völkerwanderungszeit.
Die frühsächsische Siedlung der Völkerwanderungszeit
Nach einer kurzen Wüstungsphase wird der Nordosten des Kronsberges erneut besiedelt. Die Siedlung hat nun eine gänzlich andere Prägung. Neben drei Pfostenhäusern, deren Länge kaum mehr als 20 Meter erreichen, ist eine Vielzahl von Grubenhäusern zu verzeichnen. Einige dieser Häuser waren dem Handwerk vorbehalten. Anhand der Funde lassen sich Schmiede- und Webhäuser erkennen. Neu sind Grubenhäuser mit einer Feuerstelle. Es sind Wohngrubenhäuser, die wir aus den älteren Siedlungsphasen nicht kennen. Gegenüber der jüngeren römischen Kaiserzeit hat sich der Charakter der Siedlung stark verändert. Es handelt sich wohl um die früheste Neubesiedlung, die im Rahmen der sächsischen Landnahme an der Unterelbe erfolgte. Nach den Funden dürfte diese frühsächsische Ansiedlung im Wesentlichen auf das 5. Jahrhundert n. Chr. begrenzt sein. Diese Siedlung fällt nach der Erneuerung aller Baulichkeiten einem Brandereignis zum Opfer. Auch dieses Ereignis, das erneut zu einer kurzen Wüstungsphase führt, dürfte auf Brandschatzung zurückgehen.
Zur spätsächsischen Siedlung
Die Lage der darauffolgenden Ansiedlung auf dem Kronsberg ist noch nicht bekannt. Dass die Besiedlung wieder aufgenommen wurde, ist durch das bedeutende spätsächsische Gräberfeld im Bereich der Fundstelle 8 gesichert (Abb. 4). Seine Belegung reicht vom 7. bis in das 9. Jahrhundert n. Chr. und damit bis in die christliche Zeit.
Durch die Ausgrabungen haben wir auch Kenntnisse zu den bislang noch nicht ausgegrabenen, im Boden verborgenen und noch geschützten Dokumenten aus vor- und frühgeschichtlichen Zeiten erhalten. Wir kennen ihre Lage und können den hohen Wert der noch nicht untersuchten Fundstellen auf dem Kronsberg einschätzen. Bislang hat die Gemeinde Rullstorf den Schutz dieser Flächen durch Anpachtung und Neuvergabe mit Schutzauflagen finanziell getragen. Es ist an der Zeit, dass die Staatliche Denkmalpflege für den Erhalt der Bodendenkmale eintritt und die noch nicht ausgegrabenen Flächen auf den Kronsberg als Denkmalschutzgebiet ausweist!
Literatur:
Gebers / F. Lüth: Rullstorf I. Die archäologischen Untersuchungen im Bereich der Fundstelle 5, Grabungsjahre 1979–1982 (Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens, 25), 1996.
Gebers: Rullstorf IV. Das jungbronzezeitliche Urnengräberfeld der Fundstelle 8 (Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens, 52), 2018.
Gebers: Auf dem Weg nach Walhall. Die Pferde der Altsachsen – Begleiter in Leben und Tod, Lohne 2004.
Gebers: Rullstorf, in: Reallexikon der germanischen Altertumskunde 25, 2003, S. 462–465.
Hornig: Das spätsächsische Gräberfeld in Rullstorf, Ldkr. Lüneburg (Internationale Archäologie, 14), Buch am Erlbach 1993.
Der Text wurde erstmals veröffentlicht in den Berichten zur Denkmalpflege in Niedersachsen, 39. Jg. (2019), Heft 4, S. 220–226.