Das Renaissanceportal des Strombeckschen Hauses
In der ehemaligen Gördelinger Straße 43, unmittelbar nordwestlich des Geschäftshauses Neue Straße 20, befindet sich ein vereinzelt stehendes Portal, eingelassen in einem Mauerteilstück, von Geschäftshäusern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts umgeben. Es ist eines der vielen Renaissanceportale der Braunschweiger Innenstadt, welche nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges im Stadtbild erhalten geblieben sind, indem sie im Zuge der Wiederaufbaubewegung wiederaufgerichtet oder transloziert und an einem neuen Standort als Spolie verbaut wurden, unter anderem auch mithilfe der damaligen städtischen Denkmalpflege. Doch warum ist dieses exemplarische Portal so wichtig für das historische Stadtbild der Stadt Braunschweig und was verbirgt sich hinter dieser Schmuckform?
Hierzu muss man sich in die Wiege der niederländischen Renaissance begeben, speziell in das Verlagshaus Aux quatre Vents von Hieronymus Cock (1518-1570) in Antwerpen. Als Maler, Stecher und Kunsthändler lebte Cock vermutlich eine längere Zeit in Rom, wo er raffaelische Kompositionen sammelte, die er später in Antwerpen als Stiche herausgab. Seine besondere Bedeutung für die Kupferstechkunst lag jedoch in seiner Rolle als Kunsthändler: Er beschäftigte zahlreiche Künstler in seinem Antwerpener Grafikverlag und seiner Kunstwerkstatt, darunter unter anderem Cornelius Cort (1533-1578) und Pieter Bruegel den Älteren (um 1525-1569). Antwerpen etablierte sich so um die Mitte des 16. Jahrhunderts als wichtigstes nordeuropäisches Zentrum des Buchdrucks und der Druckgrafik. Das namenhafte Verlagshaus von Cock verlegte unter anderem Bücher von Cornelis Floris (1514-1575) und Hans Vredeman de Fries (1527-1609), die maßgeblich auf die Entwicklung des Ornaments sowie der Architektur in der Nordischen Renaissance einwirkten. Hans Vredeman de Fries´s Verdienst war es, die Architekturlehren von Vitruv und Serlio zu studieren und die Architekturbücher in eigener sowie deutscher und französischer Sprache zu übersetzen und zu veröffentlichen, ähnlich wie zuvor schon Pieter Coecke van Aelst (1502-1550). Charakteristisch hierbei ist, dass Hans Vredeman de Fries nie selbst in Italien war und somit auch nie italienische Architektur gesehen hatte, sodass er die klassische Proportionslehre mit Eigeninterpretationen kombinierte, die sich in den bezeichnenden Ornamentarten der Maureske, Groteske sowie Roll- und Beschlagwerk niederschlugen. Die gedruckten Bücher enthielten vor allem qualitative Grafiken von Architekturansichten, Architekturdetails und dekorierten Objekten sowie reine Ornamentstiche. Das Werk Corinthia et Composita umfasst ausschließlich Kupferstiche von Architekturzeichnungen, die Säulen, Architrave, Postamente, Trauffriese sowie Ädikulaaufsätze in verschiedenen Variationsarten vorstellen. Diese fanden durch Handelsmessen europaweit Verbreitung und schließlich unmittelbare praktische Verwendung bei Bau- und Handwerksmeistern. Vredemann de Fries wird zudem persönlich auf Braunschweig und Wolfenbüttel einen großen lokalen Einfluss gehabt haben, da er nach der Eroberung von Antwerpen 1585 für den Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel tätig wurde und für ihn unter anderem ein Grachtensystem in Wolfenbüttel anlegte. Im Konvolut der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel finden sich sämtliche architekturtheoretischen Bücher sowie auch die Musterbücher von Hans Vredeman de Fries aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Anschließend an seine Beschäftigung in Braunschweig-Wolfenbüttel wurde Vredeman de Fries noch in der Hansestadt Danzig und am kaiserlichen Hof in Prag als Baumeister tätig.
Während der gesamten Renaissancezeit verblieb in Deutschland das Giebelhaus im städtischen Bau dominierend. Unsicherheit in der Gestaltung zeigte sich jedoch vor allem in der Lockerung des formellen Zusammenhangs der Bauglieder: Im Gegensatz zu den Niederlanden, wo die Renaissancebauwerke opulent mit Dekor ausgestattet wurden, wurde in Deutschland die Dekoration einzelner Bauglieder (Portal, Erker, Giebel) bevorzugt. Materialtypische Formen wie Beschlagwerk oder Diamantierung wurden nicht nur auf Stein oder Holz übertragen, sondern fanden auch in der Innenausstattung sowie -ausmalung als Imitation ihren Platz, wie sie heute noch in Bürgerhäusern in Lüneburg oder Lübeck erhalten sind. Zudem befanden sich im 16. und 17. Jahrhundert die Adelsburgen in einer Umwandlung, die mittelalterlichen Burgsitze wurden niedergelegt und wichen prächtigen Schlossbauten sowie Herrenhäusern, das Patriziat sowie auch das Bürgertum adaptierte die neuen Gestaltungsformen in der städtischen Architektur. Trotz der teilweisen Übernahme des Formenkanons der niederländischen Renaissance verblieb der Fachwerkbau in seinen deutschen Hochburgen Franken, Schwaben und Niedersachsen nach wie vor ein wesentlicher Bestandteil der Baukultur, sodass sich Mischformen – wie beispielhaft am Braunschweiger Strombeckschen Haus zu erkennen – entwickelten. Die Massivbauweise war in Braunschweig aufgrund der erheblichen Mehrkosten zu dem altüberkommenen Holzbau sowie wegen des Mangels an Steinhandwerkern seit dem Mittelalter das Privileg der mächtigen und reichen Bürger der Stadt. Zweigeschossige Steinfronten sind ab dem Jahre 1520 überliefert, komplett massive Baukörper lassen sich aus der Zeit nicht feststellen. Grundsätzlich handelte es sich zumeist um ältere, mittelalterliche Steinhäuser, die ähnlich wie die Kemenaten ab der Mitte des 15. Jahrhunderts mit zusätzlichen (Speicher-)Geschossen in Fachwerk aufgestockt und dem Zeitstil entsprechend umgestaltet wurden, im Falle des Strombeckschen Hauses mit zwei Renaissanceportalen sowie Messgewölben über dem Erdgeschoss.
Als Fazit lässt sich zusammenfassen, dass das Portal an der Gördelingerstraße als Rudiment eine wichtige städtebauliche Phase sowie einen Teil eines ursprünglich markanten Gebäudetypus in Braunschweig darstellt, welche ebenso wie das ehemals durch den Fachwerkbau geprägte Stadtbild durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs verloren gegangen sind. Die Renaissanceportale der Adels- bzw. Patrizierpalais sind anstatt musealisiert zu werden bewusst als Mittel der städtischen Denkmalpflege im Stadtbild erhalten geblieben und kontrastieren heute mit ihrer reichen und repräsentativen Gestaltung, deren Entwicklung durch die Blüte des Kupferstiches und der Radierung verstärkt wurde, zu den Bauten der städtischen Nachkriegsmoderne.
Zum Weiterlesen:
- Braunschweig- Das Bild der Stadt in 900 Jahren- Geschichten und Ansichten, hg. Gerd Spieß, Städtisches Museum Braunschweig 1985, Bd. I und II.
- Rudolf Fricke: Das Bürgerhaus in Braunschweig, Tübingen 1975, S. 14ff., S. 154, T 30, T 38a.
- Petra Sophia Zimmermann: Die Architectura von Hans Vredeman de Vries – Entwicklung der Renaissancearchitektur in Mitteleuropa, Deutscher Kunstverlag München Berlin 2002.
- Hans Vredeman de Fries und die Renaissance im Norden, hg. Heiner Borggrefe, Vera Lükes, Paul Huvenne, Ben van Benden, München 2002.