Das Pestruper Gräberfeld – Typisch und herausragend
Von Jana Esther Fries / Michael Wesemann
Das Pestruper Gräberfeld ist vermutlich das größte bronze- und eisenzeitliche Grabhügelfeld im nördlichen Mitteleuropa. Nach der aktuellsten Zählung umfasst es 637 rundliche Grabhügel und auch 16 sogenannte Langbetten, langgestreckte Aufschüttungen. Hinzu kommen noch 27 sehr kleine Hügel, möglicherweise völkerwanderungszeitliche Buckelgräber, außerdem Wegespuren und Reste alter Ackerfluren. Eine von sechs besonders ausgeprägten Erhebungen enthielt nicht nur Gräber, sondern auch die Reste zahlloser Scheiterhaufen. Die Toten wurden offenbar hier verbrannt und dann in den Hügeln bestattet.
Seit dem 19. Jahrhundert wurden mehrfach Hügel untersucht, wissenschaftlich auswertbare Befunde und Funde allerdings nur im 20. Jh. ergraben. Auch zu ihnen liegen nur unzureichende Unterlagen vor. So ist beispielsweise nicht mehr zu ermitteln, welche Funde aus welchem Hügel stammen. Weitere Untersuchungen mit nicht-zerstörerischer Maßnahmen von Luftbildern bis zu Laserscanning erfolgten seit den 1950er Jahren. Der älteste bekannte Fund ist ein Bronzeschwert. Aus jüngeren Zeitabschnitten stammen zahlreiche Urnenbestattungen und Beigaben wie Schmuckgegenstände aus Bronze oder Eisen sowie Waffen. Das Gräberfeld ist Teil eines Grabungsschutzgebietes, das sehr viel größer ist, weitere Grabhügel und Hügelgruppen sowie die beiden Megalithanlagen bei Kleinenkneten (FStNr. Wildeshausen 600 und 601) umfasst. Neben Grabungsschutzgebiet ist die Denkmalfläche, die unter Heide liegt, auch Naturschutzgebiet.
Grabhügel sind in Niedersachsen seit dem späten Neolithikum über die Bronzezeit bis zur Eisenzeit typische Bestattungsformen. In Pestrup liegt der zeitliche Schwerpunkt auf der Eisenzeit, wie mehrere Grabungen zwischen 1876 und 1959 ergeben haben, wenngleich die ältesten Hügel vermutlich bereits in der Jungbronzezeit angelegt wurden. Neben rundlichen Hügeln sind hier auch sogenannte Langbetten erkennbar, lang gestreckte Aufschüttungen. Von den sechs besonders großen Erhebungen des Gräberfeldes wurde 1958 eine untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass in ihr zwar einzelne Bestattungen lagen, es sich aber um eine Verbrennungsplattform handelt, unter deren Oberfläche etliche Reste von Scheiterhaufen liegen. Heutzutage sind Ausgrabungen im Gräberfeld, das Teil eines Grabungsschutzgebietes ist, aber nicht mehr vorstellbar, da der Erhalt wichtiger ist als neue Erkenntnisse. Aber der technische Fortschritt erlaubt dennoch hier und anderswo neue Einsichten: Geomagnetik und -elektrik, Georadar, Falschfarben- und Luftfotogrammetrie, Boden- und Vegetationsmerkmalkartierung, Laserscanning und Structure-from-Motion lassen mithilfe immer feinerer bildgebender Verfahren Bodendenkmäler in neuem Licht erscheinen und bisher unbekannte Strukturen sichtbar werden. Aus den Daten eines terrestrischen 3-D-Laserscans des Gräberfeldes, erstellt von der Firma denkmal3d/Laserscan Berlin vor wenigen Jahren, konnte im NLD ein digitales Geländemodellberechnet werden, das zu bedeutsamen neuen Ergebnissen geführt hat.
So erhöhte sich etwa die Zahl der bekannten Grabhügel von 531 auf 637. Hinzu kommen noch 27 sehr kleine Grabhügel, bei denen es sich vielleicht um sehr viel jüngere, völkerwanderungszeitliche Buckelgräberhandelt. Eine auffallend interessante Struktur befindet sich im Südwesten des Gräberfeldes. Dort steigt das Gelände nach Südwesten und Westen in einer Stufe relativ steil um bis zu 2 Meter an. Auf dem Rand dieser Geländestufe reihen sich 20 Grabhügel wie auf einer Perlenkette auf. Solche markanten Geländeformen wurden in ganz Nordwesteuropa immer wieder für die Anlage von Grabhügeln genutzt – es ging den Erbauern häufig auch um deren gute Sichtbarkeit in der stellenweise schon weit geöffneten bronze- und eisenzeitlichen Kulturlandschaft.
Die Zahl der Langbetten im Gräberfeld ist durch das neue Geländemodell ebenfalls gestiegen. Daneben lässt sich nun nachweisen, dass einige von ihnen an ältere runde Grabhügel angefügt wurden. Hinzu kommen offenbar auch Überhügelungen in Schlüssellochform. Zudem sind Kreisgräben als Grabeinhegungen deutlich geworden.
Es wurden wenigstens 16 schwache Senken identifiziert, in denen offenbar Boden entnommen wurde. Unübersehbar geworden sind auch Schäden an den Hügeln. Das sind zum einen mindestens 56 sogenannte „Kopfstiche“, bei denen gezielt im Zentrum Schächte gegraben wurden, um an die dort unter dem Hügel vermuteten Zentralbestattungen heranzukommen. Zum anderen wird in dem Modell durch die Begehung Erosion erkennbar. An einigen Stellen sind Wege und Trampelpfade zu größeren offenen Sandstellen erweitert, die teils auch die Grabhügel tangieren. Woanders schlängeln sich die Pfade zwischen dicht beieinander liegenden Hügeln hindurch, sodass auch dort die Randbereiche erodiert werden. Im schlimmsten Fall führen sie direkt über die Grabanlagen.
Neben den Spuren der Bestattungen sind auch solche der Agrarwirtschaft greifbar geworden. Im Zentrum und im Südosten lassen sich mittelalterliche Wölbäcker erkennen, die die dortigen Hügel sichtbar geschädigt haben. Die lang gezogenen Ackerfluren sind nur noch bis 20 Zentimeter hoch und waren durch bisherige Kartierungsmethoden nicht erkennbar. Allerdings kann die Beackerung des Areals nicht allzu lange angedauert haben, sonst wären die Grabhügel ganz verschwunden. Auch Spuren historischer Wege sind nun konkret, die vorher nicht bekannt waren.
Außer neuen digitalen Techniken bietet auch die Analyse historischer Kartenwerke noch neue Einsichten. Immer wieder ist gemutmaßt worden, das Pestruper Gräberfeld sei früher erheblich größer gewesen als heute. Auf der ältesten Karte des Gebietes, dem Blatt HL 40b der Kurhannoverschen Landesaufnahme von 1773, sind die Grabhügel bereits summarisch als eine Ansammlung von Hügeln wiedergegeben, die in ihrer Ausdehnung schon recht exakt verzeichnet ist. Ein Vergleich mit dem heutigen Zustand ergab, dass kaum Verluste an Grabhügeln im Gräberfeld selbst zu verzeichnen sind. Leider kann dies von einer überwältigenden Zahl anderer Gräberfelder nicht gesagt werden, die zum Teil großflächig oder gar vollständig vernichtet wurden.
In Pestrup gab es Verluste vor allem außerhalb der heutigen Denkmalfläche. Viele der dort auf dem historischen Kartenwerk dargestellten kleineren Grabhügelgruppen und hauptsächlich einzelne Grabhügel sind heute nicht mehr erkennbar. Dies wird auch durch die Analyse von Luftaufnahmen der 1970er- und 1980er-Jahre sowie Satellitenbildern unterstrichen. Sie ergab drei obertägig nicht mehr erhaltene Grabhügel im nördlich anschließenden Acker und vier, vielleicht fünf in einer südlich anschließenden Fläche.
Die genannten Zahlen der verschiedenen Objekte in der neuen Kartierung des Pestruper Gräberfeldes sind noch nicht endgültig, denn das Ergebnis der hier vorgestellten Analyse soll zu einem späteren Zeitpunkt im Gelände überprüft werden. Doch schon die jetzigen Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, wie das Wissen um das Pestruper Gräberfeld immens erweitert werden konnte – ganz ohne Ausgrabungen!
Künftig soll auch ein hochaufgelöstes aktuelles Luftbild in die Betrachtung einbezogen werden, denn nicht nur Relief-, sondern auch Vegetationsmerkmale liefern Hinweise auf anthropogene Strukturen wie z. B. Grabeinhegungen. Zu den neuesten technischen Möglichkeiten der Datengewinnung gehört die LiDAR-Vermessung (Light Detection and Ranging, Laserscan-Vermessungen aus der Luft). Dem NLD stehen inzwischen diese Daten für ganz Niedersachsen zur Verfügung. Sie sollen in eine künftige Untersuchung der weiteren Umgebung des Gräberfeldes eingehen, denn erst die Einbindung in die prähistorische Landschaft mit weiteren Grabhügelfeldern, Celtic Fields (prähistorischen Ackerflächen), Wölbäckern, Altstraßen, Abbaugruben, Großsteingräbern, Befestigungen usw. wird es erlauben, alles aktuell ermittelbare Wissen über das Pestruper Gräberfeld im Zusammenhang auszuwerten und so den Bestattungsplatz umfassend zu begreifen.
Der Text wurde erstmals veröffentlicht in den Berichten zur Denkmalpflege in Niedersachsen, 39. Jg. (2019), Heft 2, S. 106-110.
Zum Weiterlesen:
Das Pestruper Gräberfeld im Denkmalatlas Niedersachsen
Jana Esther Fries, Michael Wesemann, Das Pestruper Gräberfeld, Typisch und herausragend. Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 2/2019, 106-110.
Michael Wesemann, Ein geschärfter Blick in neuem Licht: das Grabhügelfeld bei Pestrup in neuen bildgebenden Verfahren. Oldenburger Jahrbuch 118, 2018, 257-277.