Das Muthaus der Burg Hardegsen

Von Benjamin Rudolph

Die Stadt Hardegsen liegt etwa 15 km nordwestlich von Göttingen auf den äußersten südöstlichen Ausläufern des Sollinggewölbes, einem Buntsandsteinmassiv zwischen dem westlichen Weser- und dem östlichen Leinetal im Landkreis Northeim.

Die Burg erhebt sich in der Nordwestecke der Stadt an der höchsten Stelle, wobei die Einbeziehung in deren Grundriss auf eine zeitgleiche, d. h. einheitliche Planung bzw. Anlage deutet. Der Ort Hardegsen wird erstmals um 1015/36 erwähnt. Zufolge der Vita des Bischofs Meinwerk von Paderborn (amt. 1009 – 1036) schenkte damals ein Adeliger namens Richard mit Zustimmung seines Erben Wiris dem Bistum Eigengüter in Hiridechessun und in fünf weiteren, bei diesem gelegenen Dörfern. Der Ortsname leitet sich von dem Personennamen Heridag, gebildet aus dem altsächsischen heri ‘Heer’ und dem altsächsischen dag ‘Tag’, sowie dem Grundwort -hausen ab. Nach dieser Erstnennung ist Hardegsen über zweihundert Jahre in den Schriftquellen nicht fassbar. Die immer wieder behauptete Gründung der Burg, deren überlieferter Name übrigens Hardegsen – und nicht Hardeg (!) – lautet, ist im 11. Jahrhundert weder urkundlich, noch anhand baulicher bzw. archäologischer Befunde belegbar.

1266 erscheint die Burg zum ersten Mal, als Ludwig II. von Rosdorf, Ritter, als „Herr der Burg Hardegsen“ (Ludovicus miles dominus castri Herdegessen) urkundete. Die Herren von Rosdorf – benannt nach ihrem Stammsitz bei Göttingen – sind seit dem frühen 12. Jahrhundert bekannt. Der Mainzer Ministerialität angehörend und mit den benachbarten Adelsgeschlechtern von Bovenden, Escherde, Falkenberg, Freden, Gittelde und Hardenberg verwandt, erlangten einzelne Familienmitglieder vor allem im 13. und 14. Jahrhundert bedeutende geistliche Stellungen als Propst, Domherr, Archidiakon und sogar Bischof.

Zufolge der Bauinschrift an dem mittleren Erdgeschoss-Fenster der Westtraufe errichtete man 1324 einen stattlichen Wohnbau in der Burg, der später als „Muthaus“ bezeichnet wird. Die Inschrift benennt als Bauherren Conrad V. und Ludwig III. von Rosdorf. Anlass für den Ausbau der Burg in Hardegsen dürfte die kurz zuvor, im Jahre 1319, erfolgte Zerstörung der Stammburg in Rosdorf gewesen sein. Die Entstehungszeit ist durch Einschlagdaten von Hölzern aus dem Erd- und ersten Obergeschoss, die nach 1323/24/25/31 -6/+8 (d) datieren (Eißing, Dendrochronologischer Bericht 2017/2018) abgesichert.

Baubeschreibung

Das so genannte Muthaus, dessen Name sich von mhd. muos – Speise (= Speisenhaus, d. h. Wohnbau) herleitet, ist ein stattlicher hochgotischer Werksteinbau mit rechteckiger Grundfläche (etwa 13,50 x 25,50 m) und drei Vollgeschossen (zuzüglich Kellergeschoss) unter Satteldach; die Mauerdicke liegt im Sockelbereich (Keller) bei 2,70 m und verjüngt sich in den oberen Geschossen auf 2,50 m, 2,10 m bis auf 1,70 m. Die Gesamthöhe beträgt vom rezenten Laufhorizont des Kellers bis zur Firstlinie etwa 31,40 m. In typologischer Hinsicht handelt es sich um einen turmartigen Wohnbau (Kemenate) von außergewöhnlicher Größe und Qualität.

Der Bau wird durch einen gekehlten Sockelabsatz zwischen Keller- und Erdgeschoss sowie ein profiliertes Gurtgesims (Wasserschlag) in Höhe der Sohlbank der Obergeschossfenster gegliedert. Weitere Gliederungselemente stellen abgerundete Konsolsteine kurz unterhalb der Traufe, denen eine abgefaste Steinreihe am Nordgiebel entspricht, und das profilierte Traufgesims selbst dar. Die Fassaden bestehen aus sorgfältig gefügtem glattem Quaderwerk mit zumeist durchgehenden Lagerfugen; oberhalb des Sockels tragen die Steine Hebewerkzeugspuren in Gestalt von Zangenlöchern sowie Steinmetzzeichen. Insgesamt lassen sich im Inneren mindestens zehn verschiedene Steinmetzzeichen nachweisen.

Die Wandflächen von östlicher und westlicher Traufseite als Hauptfassaden zeigen regelmäßig und axial angeordnete Maßwerkfenster mit geschossweiser Variation, die sich trotz späterer Vereinfachung gut rekonstruieren lassen. Der Grundtyp bestand in der mittleren Ebene aus zwei gefasten Lanzetten, die im Erd- und zweiten Obergeschoss von einer rechteckigen, gefasten Blende umgeben sind. In den oberen Ecken befinden sich dreieckige Zwickel, die bei den kleineren und schmaleren Erdgeschossfenstern eingetieft, bei den Fenstern des zweiten Obergeschosses tatsächlich durchbrochen sind. Dass die Lanzetten selbst nochmals mit einbeschriebenen Elementen – wohl Dreipässen – versehen waren, bezeugen steinerne Ansätze in deren Untersicht. Die sehr schlanken Fenster des ersten Obergeschosses sind von einer gekehlten, stichbogig schließenden Blende gerahmt und dürften analog den kleineren Fenstern zwei Lanzetten in der mittleren Ebene gehabt haben. Die Zwickel und die Ansätze der Lanzetten sind bei den meisten der Fenster von Erd- und zweitem Obergeschoss erhalten, bei denen des ersten Obergeschosses wurden sie sekundär abgearbeitet. Die seitlichen Gewände der Fenster werden aus den anstoßenden Quaderlagen gebildet.

Unregelmäßigkeiten in der bemüht axialen Fensteranordnung bestehen auf der östlichen Traufseite im Erdgeschoss, deren äußere Fenster nach innen verschoben sind, sowie auf der westlichen Traufseite, bedingt durch die Einfügung des Hauptzugangs, einer Spitzbogenpforte mit gekehltem Werksteingewände, die von einer einläufigen Freitreppe erreicht wird. Die Luftöffnungen des Kellergeschosses – östlich vier, westlich drei – haben ebenfalls keinen Achsenbezug. Das mittlere Erdgeschossfenster der westlichen Traufseite trägt auf der Fase der rechteckigen Blende die schon erwähnte umlaufende Bauinschrift in gotischer Minuskel.

Nord- und Südgiebel werden durch geschlossene Wandflächen bestimmt – mit Ausnahme eines Rechteckfensters im ersten Obergeschoss des Südgiebels sowie kleineren rechteckigen Fenstern und mehreren Pforten im Dachgeschoss. In der östlichen Achse des Nordgiebels befinden sich zwei ausgekragte gemauerte Aborte, die – versetzt angeordnet – dem ersten und zweiten Obergeschoss zugeordnet sind. Der untere von beiden liegt genau in Höhe des Gurtgesimses und wurde von diesen in verkröpfter Form umschlossen. Auch der obere war ehemals durch ein Gurtgesims zoniert, von dem ein Fragment überkommen ist.

Dem Befund an beiden Giebeldreiecken zufolge hatte das Muthaus erstbauzeitlich zwei etwas niedrigere Giebel, zwischen denen sich das Dachwerk befand; der nördliche war mit einem Schlotkopf bekrönt, über den der Kamin im ersten Obergeschoss entraucht wurde. Ein Wasserspeier an der Nordostecke indiziert, dass die Traufe des Daches offensichtlich ein Stück nach innen versetzt von der äußeren Mauerflucht der Längsseiten ansetzte und dieses über eingearbeitete Rinnen auf der Mauerkrone entwässert wurde. Horizontale Abgleichungen auf den Außenseiten beider Giebel sind als Indiz für eine umlaufende gemauerte Attikazone zu interpretieren, die den Traufpunkt des Daches kaschierte und sicherlich ebenfalls aufwändiger (mit Maßwerk?) gestaltet war. An beiden Giebeln lassen sich ferner oberhalb der Kehlbalkenlage des primären Dachwerks drei Rechteckpforten nachweisen, von denen aus vorgekragte Holzkonstruktionen/Blockhäuser zugänglich waren bzw. die als Beschickungsöffnung für den Dachboden dienten. Der profilierte Gesimsstein oberhalb der Pforte des Nordgiebels markiert wahrscheinlich den Dachanschlag eines solchen Blockhauses. Wie die Ortgänge der beiden Giebel ausgebildet waren, entzieht sich der Kenntnis. Denkbar sind sowohl glatte profilierte Decksteine in Reihung (wie an der Hildesheimer Marienburg) als auch die Ausbildung von Stufengiebeln.

Die inneren Wandflächen sind nicht in Werkstein, sondern weniger aufwändig in Hau- und Bruchsteinwerk aufgeführt; Werksteingliederungen beschränken sich auf die Kanten der Laibungsnischen von Fenstern und Pforten.

Das Kellergeschoss ist in zwei Schiffe untergliedert und schließt mit einem achtjochigen Kreuzgratgewölbe. Belichtet wird der Keller durch sieben Schlitzfenster in den Schildbögen der Längswände: vier auf der Ostseite und drei auf der Westseite. Vor der Südwand befindet sich die gemauerte Einhausung zur Aufnahme der einläufigen Treppe, die von Ost nach West ansteigend im Erdgeschoss mündete. Den Zugang in diese bildet eine Rundbogenpforte mit Werksteingewände, deren zwei im Scheitel gestoßene Bogensteine entsprechend dem ansteigenden Treppengewölbe gearbeitet sind.

Das Erdgeschoss öffnet sich östlich und westlich mit je drei Maßwerkfenstern, die in stichbogig gewölbten, nahezu raumhohen Laibungsnischen (die analog den beiden Obergeschossen hier zu vermutenden Fensterverschlüsse über Riegelbalken bzw. - kanäle wurden 1974 zugesetzt) mit konischem Grundriss angeordnet sind. Zwischen dem südlichen und dem mittleren Fenster der Westseite befindet sich der Zugang des Wohnbaus: eine Spitzbogenpforte mit gekehltem Werksteingewände und stichbogiger Laibungsnische. Der Erdgeschossraum schließt mit einer Balkendecke, deren Hölzer in Ost-West-Richtung spannen und auf Streichbalken oberhalb von Mauerabsätzen an den Längswänden aufliegen (Raumhöhe 4,35 m). Der in der Mittellängsachse angeordnete Unterzug wird in den Viertelspunkten von profilierten Stützgliedern getragen und ist an beiden Enden in die Wand eingebunden. Die Aussteifung in Längsrichtung erfolgt über gezapfte bzw. gegen die Wand gestoßene Kopfbänder. Bemerkenswert ist die Gliederung der oktogonalen Stützen in Basis, Schaft und Kopfzone. Die gebrochenen Kanten des Schafts laufen oben und unten mit Karniesprofil an, Basis und Kopf – beide mit quadratischem Querschnitt – sind dagegen ungegliedert. Das Motiv des abgefasten Schafts wird von den Kopfbändern an deren Unterseite aufgegriffen und fortgeführt. Der Stützenkopf ist für die Aufnahme des Unterzugs gegabelt; die Sicherung dieses Knotenpunkts erfolgt über zwei Holznägel. Balkendecke, Unterzug und Stützkonstruktion bestehen aus Eichenholz und datieren nach 1331 -6/+8 (d), was der Bauinschrift des Mittelfensters auf der Westseite (1324) entspricht. Aus den datierten Hölzern ist also zu schließen, dass die erstbauzeitliche Holzkonstruktion des Erdgeschosses aus dem frühen 14. Jahrhundert noch weitgehend in situ vorhanden ist. Dies legen auch die kräftigen (liegenden) Querschnitte der Deckenbalken und deren relativ dichte Folge nahe – typische Kennzeichen von mittelalterlichen Holzbalkendecken.

Die Erschließung des ersten Obergeschosses muss über eine innen liegende Treppe erfolgt sein, denn an den Fassaden findet sich keine weitere Pforte, die auf ein außen liegendes Treppenhaus verweisen würde. Erfahrungsgemäß ist die Lage der Treppe im Bereich hinter der Spitzbogenpforte als Hauptzugang zu erwarten. Befunde für eine kleinteilige Untergliederung des immerhin 180 m² großen Erdgeschosses gibt es im rezenten Bestand nicht.

Das 200 m² große erste Obergeschoss ist hinsichtlich Raumhöhe (5,75 m) und Ausstattung als Hauptgeschoss anzusehen. Analog zum Erdgeschoss wurde es durch sechs Maßwerkfenster in den Längswänden belichtet, von denen allerdings nur die schlanken, gekehlten Blenden als äußere Fensterebene überliefert sind. Daneben existiert am Südgiebel ein kleines Rechteckfenster, dessen Werksteingewände außen gefast und innen gefälzt ist. Die Fenster liegen in annähernd raumhohen, stichbogig gewölbten Laibungsnischen mit konischem Grundriss, gequaderten Gewänden und steinernen Seitensitzen (lediglich die Laibungsnische des Fensters im Südgiebel ist mannshoch ausgebildet und weist keine Seitensitze auf). Innenseitig hinter der Fensterebene sind 1,90 m lange Riegelbalkenkanäle aus der Wand ausgespart, denen gegenüberliegend kleine Balkenlöcher zur Aufnahme des Riegels entsprechen. In zwei Fällen – beim südlichen Fenster der Ostwand und dem Fenster der Südwand – sind sogar noch die Balkenschuhe (= mit Brettern ausgekleidete Kanäle), in denen die Holzbalken lagerten, überkommen. Am Nordgiebel steht ein stattlicher Kamin, dessen Rauchfang von zwei geschweiften und gekehlten Wangen mit abgesetzten Basen bzw. Konsolsteinen getragen wird. Der Rauchfang geht in einen aus der Mauerdicke ausgesparten Kanal mit rechteckigem Querschnitt über, der wiederum bis zur Giebelspitze geführt ist und hier in einem Schlotkopf endet. Östlich neben dem Kamin öffnet sich eine Rechteckpforte mit gefälztem Werksteingewände als Zugang zu einem vor dem Nordgiebel ausgekragten Abort. Der in der Mauerdicke liegende Gang als Vorraum zum eigentlichen Abort ist tonnengewölbt und zeigt östlich eine aus der Wand ausgesparte kleine Nische für die Aufnahme von WC-Utensilien (?). Von dort aus führt eine zweite Rechteckpforte, deren Gewände innen gefälzt und durch einen Riegelbalken zu verschließen ist, in den von zwei dreifachen Konsolsteinen getragenen Erker. Sein Gehäuse war offensichtlich aus Werksteinen gemauert und wurde von dem profilierten Gurtgesims umschlossen, wie die verkröpften Ansätze beiderseits des Zugangs indizieren. Auf eine steinerne Verdachung des Erkers (in Satteldachform) verweist ein erhaben gearbeitetes Giebeldreieck im Sturzstein der äußeren Pforte. Einen weiteren nennenswerten Befund stellt ein profilierter Konsolstein zwischen dem mittleren und dem südlichen Fenster der östlichen Längswand dar, der scheinbar eine Entsprechung in einer etwa 2 m daneben befindlichen Ausbruchstelle hat. Offensichtlich bestanden hier zwei Konsolsteine auf gleicher Höhe, deren Funktion man am ehesten mit einer Treppe in Verbindung bringen mag.

Die auf Mauerabsätzen bzw. Streichbalken gelagerte Balkendecke des ersten Obergeschosses ist erneuert, allerdings gehört die gezapfte Stützkonstruktion aus dem Mittellängsunterzug und drei profilierten Stützgliedern noch zum Bestand des 14. Jahrhunderts, wie die Fälldaten der Hölzer für die drei Stützen ergaben (nach 1323/24/25 -6/+8 [d]). Die Konstruktion ähnelt hinsichtlich Struktur und Profilierung jener des Erdgeschosses (Unterzug, von Stützen getragen; Längsverband durch gezapfte Kopfbänder), doch zeigen die oktogonalen Stützen mittels Rundstab absetzte Basen, die mit Karnies in einen quadratischen Querschnitt am Fuß übergehen – also eine etwas aufwändigere Zierform –, und der Unterzug ist an den Schmalseiten auf großen, vorne abgerundeten Konsolsteinen gelagert.

Die sechs Fenster des zweiten Obergeschosses (225 m²) entsprechen formal jenen des Erdgeschosses, sind allerdings etwas breiter und höher. In ihren Laibungsnischen sind die Riegelbalkenkanäle erhalten sowie in Höhe der Sohlbänke kantig behauene Eichenbalken, die seitlich im Mauerwerk aufliegen und wahrscheinlich das eigentliche Fenster oder den Verschluss getragen haben. Seitensitze in den Nischen scheinen vorhanden gewesen und später entfernt worden zu sein. Unmittelbar oberhalb der Bogensteine gab es einen Absatz, der nach der sekundären Übermauerung/Aufhöhung heute nur noch an den beiden Schmalseiten überkommen ist. Demnach lag die Geschossdecke wie in den unteren Geschossen unmittelbar über dem Bogenscheitel der Fensternischen, womit sich eine Raumhöhe von etwa 4,80 m ergibt. Einziger nennenswerter Befund dieses Raumes ist ein zweiter Aborterker im Norden, nahe der Nordostecke, der über eine Rechteckpforte mit gefälztem Gewände zu betreten ist. Der anschließende gewölbte Gang ist nach Nordosten verzogen, damit der Unrat dieses Abtritts nicht auf den unteren im ersten Obergeschoss fällt. Eine zweite Rundbogenpforte mit gefälztem Werksteingewände gestattet den Zutritt in den eigentlichen, über drei Steinreihen ausgekragten Erker, dessen Gehäuse analog des unteren aus Mauerwerk bestand und wohl durch ein Gesims gegliedert war. Sowohl Balkendecke als auch Stützkonstruktion des zweiten Obergeschosses sind jüngeren Datums. Im 14. Jahrhundert war dieser Raum, dem man aufgrund der Lage unter dem Dach und des Fehlens einer Heizmöglichkeit als Saal ansprechen möchte, sicherlich mit einer den beiden unteren Geschossen entsprechenden Konstruktion versehen.

Das Dachwerk des 14. Jahrhunderts ist nicht erhalten, seine Gestalt jedoch weitgehend rekonstruierbar. Den erhaltenen Öffnungen in beiden Giebeln zufolge, die eine höhenmäßige Unterteilung in drei Zonen erkennen lassen, handelte es sich um ein zweifaches Kehlbalkendach. Zwei im jüngeren Dachstuhl sekundär verbaute Kehlbalken mit je zwei Blattsassen könnten auf dieses primäre Dach zu beziehen sein, denn im 14. Jahrhundert ist von einer geblatteten Konstruktion auszugehen. Die Anordnung der Blattsassen könnte auf Sparrenknechte in der oberen Kehlbalkenlage verweisen, oder aber auf ein Kehlbalkendach mit Aufsparren, wie es z. B. beim Wohnturm der Burg Kriebstein/Sachsen aus dem späten 14. Jahrhundert überliefert ist.

Der Nordgiebel zeigt im unteren Teil zwei, der Südgiebel ein Rechteckfenster mit innenseitig gefälzten Werksteingewänden. Die zugehörigen betretbaren Laibungsnischen sind im Grundriss rechteckig und stichbogig gewölbt. Dieselben Merkmale weisen auch die drei oberhalb der Fenster angeordneten Rechteckpforten auf, die auf ausgekragte hölzerne Vorbauten (Blockhäuser) führten bzw. als Beladeöffnung dienten. An der westlichen Laibung der Nordpforte zieht der Kanal des Kamins aus dem ersten Obergeschoss vorbei und wechselt oberhalb von dieser in die Mittelachse, um schließlich in den Schlotkopf auf dem Giebel überzugehen.

 

Würdigung

 

Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass das Muthaus einen sehr repräsentativen und aufwändigen Großbau des frühen 14. Jahrhunderts darstellt. Die hohe Qualität äußert sich vor allem in der Werksteinfassade und den feingliedrigen Maßwerkfenstern, aber auch in der Gestaltung der inneren Zierformen, wie den Kaminwangen und den geschnitzten Stützen. Aufgrund der Güte ist davon auszugehen, dass der Bau von einer Bauhütte errichtet wurde, die vornehmlich im Sakralbau, bei großen Kirchen und Kathedralen, tätig war.

Dass das Muthaus im Erd- und ersten Obergeschoss große Teile des primären hölzernen Tragwerks bewahrt hat, ist angesichts der geringen Anzahl überlieferter Binnenstrukturen in Profanbauten des 14./15. Jahrhunderts höchst bemerkenswert.

Aufgrund der Ausprägung der Fassade mit Maßwerkfenstern und der Ausstattungselemente Kamin, Aborte, Sitznischen sowie der reich verzierten Stützkonstruktion handelt es sich bei dem Muthaus zweifellos um einen Wohnbau bzw. den Hauptwohnbau der Burg. Die immer wieder behauptete Funktionszuweisung eines Wirtschaftsgebäudes bzw. Speicherbaus (sowohl bei Karl Lechte 1968 als auch nachfolgend in der Denkmaltopographie von 2002) ist daher auszuschließen, zumal es keinerlei Anhaltspunkte für eine derartige Nutzung (mit Ausnahme des Lagerkellers bzw. Dachbodens) gibt.

 

Zum Weiterlesen:

Karl Lechte: Die Geschichte der Stadt Hardegsen, Hardegsen 1968

Benjamin Rudolph: Das Muthaus der Burg Hardegsen (Ldkr. Northeim) – Bau- und Besitzergeschichte eines bedeutenden Saalbaus aus dem 14. Jahrhundert, in: Burgen und Schlösser, Heft 4/2020, S. 214–230

Das Muthaus Hardegsen im Denkmalatlas Niedersachsen

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