Das Militärhospital in Stade
Mitte des 19. Jahrhunderts entsteht vor den Toren der Stadt Stade das neue Militärhospital, ein architektonisch herausragendes Bauwerk, das auch technisch in die Zukunft weist.
Seit 1823 ist Stade Sitz einer Landdrostei im Königreich Hannover. Zu dieser Zeit tritt die Stadt Stade noch als geschlossene Festung mit gewaltigen Wallanlagen in Erscheinung und ist nur durch vier schmale Stadttore mit dem Umland verbunden. Die Entwicklung der Stadt ist seit langem geprägt von ihrer Bedeutung als Festung und Garnisonsstandort. Im Laufe des 19. Jahrhunderts verlieren die Festungsanlagen jedoch ihre militärische Bedeutung als Mittel der Stadtverteidigung und stehen stattdessen einer Expansion der Stadt und ihrer industriellen Entwicklung zunehmend im Wege. Aufgrund von Platzmangel und Verkehrsproblemen dringt die Stadt ab 1852 auf eine Niederlegung der Wallanlagen. Die Anfrage wird 1855 jedoch seitens des hannoverschen Kriegsministeriums aus „militärischen Rücksichten“ abgelehnt. Die Festung bleibt somit bestehen und wird erst unter preußischer Herrschaft 1867 aufgegeben.
Vor diesem Hintergrund lässt das Militär 1857 nicht nur eine neue Hauptwache am Salztor errichten, sondern beschließt auch den Neubau des Militärhospitals. Ein erstes Militärlazarett befindet sich innerhalb des Stadtkerns unterhalb des Rathauses (Hinterm Hagedorn 14) und bietet vermutlich unzureichende Erweiterungsmöglichkeiten. Das neue Militärhospital entsteht daher außerhalb der Stadt, auf einer Fläche unmittelbar südlich des Festungsgrabens vor der Hohentors-Bastion, wo die hygienischen Verhältnisse günstig sind, ein Brunnen angelegt werden kann und wo die Entwässerung der sanitären Anlagen durch den Burggraben sichergestellt ist.Errichtet wird das Militärhospital für die Stader Garnison in den Jahren 1857-58 nach Plänen des hannoverschen Architekten und Kriegsbaumeisters Hermann Hunaeus (1812-1893). Nach dem Architekturstudium in München bei Friedrich von Gärtner (1791-1847) ist Hunaeus ab 1836 als Kriegsbaumeister für das Königreich Hannover tätig und übernimmt 1851 die Aufgaben des zuvor verstorbenen Architekten Ernst Ebeling (1804-1851), der den florentinischen Palaststil in Hannover eingeführt hat. Wie Ebeling ist Hunaeus ein Vertreter des hannoverschen Rundbogenstils.
Nachdem Hunaeus 1852 auf einer Studienreise zusammen mit dem Architekten Conrad Wilhelm Hase (1818-1902) Hospitalbauten in Italien und der Schweiz studiert hat, übernimmt er von 1852 bis 1856 die Planung und Ausführung des General-Militärhospitals in Hannover (nicht erhalten). 1857 folgt die Errichtung des Militärhospitals in Stade, wo Hunaeus an den Typus des italienischen Palazzo anknüpft. Bei der Wahl des zweifarbigen Sichtmauerwerks, aber auch bei der Gliederung der Fassaden mit Lisenen, Stabwerk und Ecktürmen bedient er sich der charakteristischen Gestaltungselemente des Rundbogenstils hannoverscher Prägung.
Hunaeus plant einen freistehenden, quaderförmigen Backsteinbau mit flachem Walmdach, dreigeschossig und unterkellert. Das Erdgeschoss wird als Sockel aus rotem Backstein ausgebildet, darüber liegend eine zweigeschossige Kolossalordnung mit fünf Feldern aus gelbem Backstein und durch Lisenen mit schlanken Halbsäulen gegliedert. Die Gebäudeecken werden durch pfeilerartige Dreiviertelsäulen betont und das Traufgesims mit Rundbogenfries akzentuiert. Die Front mit Portal und ursprünglich dort mittig gelegenem Eingang ist nach Südosten ausgerichtet. Auf der Rückseite, an der nordwestlichen Längsseite, findet sich ein Mittelrisalit mit polygonaler Apsis zur Aufnahme des Treppenhauses. Die rundbogigen Öffnungen sind symmetrisch angeordnet und mit gekuppelten Fenstern versehen. Fenstergewände, Kapitelle und Gesimse sind in Sandstein ausgeführt. Hunaeus gestaltet die Ansichten so, dass die innere Raumaufteilung in der Fassade ablesbar wird und somit die Struktur des Gebäudes sinnfällig nach außen in Erscheinung tritt.
Nicht nur im Hinblick auf die architektonische Gestaltung, sondern auch vom medizinischen Standpunkt her entsteht ein Gebäude auf der Höhe der Zeit. Dazu zählen fortschrittliche sanitäre Anlagen wie Waschbecken mit fließendem Wasser in jedem Krankenzimmer sowie Wasserklosetts auf jeder Etage. Dabei fließen die Erfahrungen ein, die Hunaeus beim Bau des General-Militärhospitals in Hannover gemacht hat. In sanitären Fragen beruhen beide Gebäude auf den Vorgaben des Generalstabarztes und Chef des Hannoverschen Heeressanitätswesens Dr. Louis Stromeyer, der ein Verfechter der Stockwerksbauweise ist, welche aufgrund größerer Kompaktheit und geringerer Kosten der eingeschossigen Pavillonbauweise vorzuziehen sei. Weitere Prämissen Stromeyers liegen in einer vor Wind geschützten Südausrichtung der Krankenzimmer mit einer einbündigen Erschließung („Korridor-System“), welche eine Querlüftung der Krankenzimmer von der Korridorseite ermöglichte. Stromeyer plädiert zum ausreichenden Luftaustausch für eine Zimmerventilation, bei der die Frischluft über die Zimmertüren angesaugt, ggfs. durch installierte „Wind-Öfen“ weiterbefördert und schließlich über Abluft-Öffnungen unter der Decke in vertikalen „Dunströhren“ zum Dach hinaus abtransportiert werde.
Aufgrund des Grundstückzuschnitts wird in Stade zwar von der avisierten Südausrichtung zugunsten einer südöstlichen Ausrichtung leicht abgewichen, aber dies schmälere die Vorteile nicht, wie der Leiter des Stader Militärhospitals Dr. Reinbold 1860 berichtet: „Der Süd-Ostwind ist wohl so sehr nicht zu fürchten, und jedenfalls haben hier die Kranken den Vortheil, die Sonne früher am Morgen zu haben und Nachmittags eher wieder los zu werden.“ Insgesamt zeigt sich Dr. Reinbold mit dem Bau überaus zufrieden, wenn er resümiert: „Das neue Militair-Hospital vor Stade, (…) ist, inmitten seines freundlichen, in englischem Geschmacke angelegten Gartens, unter den größeren Bauwerken unserer Provinz unstreitig das Schönste.“
Das Gebäude behält seine Nutzung über 60 Jahre lang. Während des Ersten Weltkriegs reichen die Kapazitäten des Militärhospitals, inzwischen Reserve-Lazarett, nicht aus, so dass vor dem Gebäude an der Hospitalstraße zehn Holzbaracken errichtet werden. Nach dem Krieg und Abzug der Garnison aus Stade wird auch das Reserve-Lazarett aufgegeben und es erfolgt ein Umbau für die Nutzung des neu gegründeten Finanzamtes, welches 1921 das Gebäude übernimmt. Möglicherweise erfolgt in dem Zusammenhang auch die Erhöhung der Dachpartie, die den Ausbau des Dachgeschosses ermöglicht und die Herstellung von Dachgauben zur Folge hat. Als das Finanzamt Mitte der 1970er Jahre in ein neues Dienstgebäude umzieht, wird das ehemalige Militärhospital für die Nutzung als Arbeitsamt erneut umgebaut und mit einem 1983 neu errichteten Nebengebäude verbunden, wo sich seitdem auch der Haupteingang befindet.
Die Ausweisung als Baudenkmal erfolgt 1988. Das ehemalige Militärhospital veranschaulicht nicht nur den militärischen Krankenhausbau im Königreich Hannover Mitte des 19. Jahrhunderts, sondern demonstriert auch die Bedeutung Stades als Garnisonsstandort. Zugleich stellt es ein herausragendes Beispiel für die Ausprägung des hannoverschen Rundbogenstils und damit für die frühe hannoversche Schule dar. Die Erhaltung des Bauwerks liegt aufgrund der besonderen geschichtlichen und städtebaulichen Bedeutung im öffentlichen Interesse.Zum Weiterlesen:
Das General-Militair-Hospital zu Hannover,
in: Zeitschrift des Architecten- und Ingenieur-Vereins für das Königreich Hannover. Band VI. 1859, Heft 1, S. 21–51
Das Militär-Hospital in Stade,
in: Zeitschrift des Architecten- und Ingenieur-Vereins für das Königreich Hannover. Band VI. 1860, Heft 1, S. 34–41
Schlichtmann, Hans-Otto (1984): Das alte Stade um die Jahrhundertwende in Bild und Text, Band 2, Stade. S. 116
Kuhn, Oswald (1897): Militär-Hospitäler 1825-1865,
in: Durm, Josef (Hs): Handbuch der Architektur, 4. Teil, 5. Halb-Band, Heft 1 (Krankenhäuser), S. 215f.