Von einer die auszog, eine Leibzucht zu retten

Von Katrin Strube

Ortstermine an Baudenkmalen, für die ein Abbruchwunsch im Raum steht, gehören nachvollziehbarerweise zu den unliebsamen Aufgaben eines jeden Denkmalpflegers. So war dann auch die Stimmung gedrückt, als im Sommer 2016 die Leibzucht der Hofstelle Dorfstraße 25 in Niedernwöhren im Rahmen solcher Abrissüberlegungen besichtigt werden sollte. Der Eigentümer hatte die Hofstelle geerbt und keine nachhaltige Perspektive dafür. Von der Denkmaleigenschaft hätte niemand etwas gewusst. Die Leibzucht soll seit mindesten 40 Jahren leer gestanden haben. Bei den Kaufinteressenten für die Hofstelle würde gerade der Zustand der Leibzucht regelmäßig die Frage aufwerfen, ob das Gebäude als einziges ausgewiesenes Baudenkmal der Liegenschaft nicht auch abgerissen werden dürfe.

Also traf man sich vor Ort, um möglichst alle offenen Frage zu klären: die zuständige Denkmalschutzbehörde und die ehrenamtlichen Denkmalpfleger des Landkreises Schaumburg, das Landesamt für Denkmalpflege, die Gemeinde und der Eigentümer. In einer gründlichen Begehung wurde die gesamte Hofstelle besichtigt und die Mängel offenbar: die Dachdeckung war undicht, etliche Feuchteschäden zeigten sich bereits im Inneren. Am dramatischsten wirkten die eingestürzten Decken im Kammerfach. Aber auch die Lambries im Wohnbereich waren völlig durchfeuchtet, die Fußböden (Decken über dem Keller) teilweise nicht zu betreten. Der provisorische Behang am Steckwalm  – eine sogenannte Schaumburger Mütze – zur Straße war abgängig. Das Haus bot einen durch und durch maroden Anblick. Aber dennoch wird ein Abbruchantrag nicht eben im Vorbeigehen entschieden, sondern es müssen verschiedene Nachweise erbracht werden. Unter anderem müssen zunächst Verkaufsbemühungen über einen gewissen Zeitraum belegt werden. Hier war noch kein angemessener Zeitraum eingehalten und – wie sich später zeigen sollte – war dies auch die Rettung des Gebäudes. Die ansonsten notwendige wirtschaftliche Unzumutbarkeit des Erhalts war für die ganze Hofstelle leider offensichtlich. Die Abrissgenehmigung konnte daher im Ergebnis des Ortstermins in Aussicht gestellt werden.

Niedernwöhren

Die Gemeinde Niedernwöhren liegt westlich von Hannover im Landkreis Schaumburg. Südlich des Schaumburger Waldes und heute auch des Mittellandkanals, bildete eine Reihe von Rodungshöfen am Schaumburger Wald die Anfangskette des Ortes, die heutige Dorfstraße. Eine erste Erwähnung als Nederenworden ist aus dem Jahr 1232 in einer Leibzuchtverschreibung bekannt. Die heutige Schreibweise bürgerte sich erst im 19. Jahrhundert ein. 1559 wurde der evangelische Glauben eingeführt, der Ort selbst besitzt allerdings kein Kirchengebäude. Bei der Teilung der Grafschaft Schaumburg 1648 kam der Ort zum lippischen Teil und gehörte zum Amt Stadthagen. Bereits 1766 war Niedernwöhren das größte Dorf im Amtsbereich.

Trotz der Lage tief im Binnenland gibt es in Niedernwöhren eine Besonderheit: den „Seemannsverein Niedernwöhren und Umgebung e.V. von 1902“. In Ermangelung von Arbeitsplätzen vor Ort verdingten sich die Männer des Ortes bereits ab dem 17. Jahrhundert in Holland zur Grasmaat. Später - von 1830 bis 1967 - fuhren zahlreiche Männer als Heringsfänger in den Fangzeiten zur See. In dieser Zeit stellte allein das Gebiet um Niedernwöhren nachweislich 104 Kapitäne.

Das Bauwerk

Das Gebäude ist die Leibzucht der Hofstelle. Es ist also das Altenteil oder auch Auszugshaus oder Leibgedinge. Wenn die alten Herrschaften an den Jungbauern abgaben, zogen sie vom größeren Haupthaus in ein kleineres Nebenhaus. Durch die Vereinbarung eines Leibgedinges beim Generationswechsel wird eine lebenslange Versorgung des Übergebenden durch den Übernehmer als Gegenleistung sichergestellt. Das Haupthaus ist im Fall der Dorfstraße 25 jünger als das Altenteil, sodass das heutige Altenteil möglicherweise zuerst das alleinige Wohnhaus war oder übergangsweise bis zur Fertigstellung des jetzigen Haupthauses um 1902 genutzt wurde.

Die Leibzucht wurde laut Inschrift am Dielentor 1888 errichtet. Dies war eine Zeit des Umbruchs im Bauwesen im Schaumburger Land, wie der Straßengiebel anschaulich zeigt. Denn der Giebel wurde „modern“ gebaut: Sichtmauerwerk aus rotem Backstein mit einem Zierband über dem Erdgeschoss und Stichbögen über den Fenstern prägt die Straßenansicht des Bauwerks. Die Traufseiten und die rückwärtige Giebelwand sind mit einem Fachwerkgefüge abgezimmert und mit rotem Backstein ausgemauert. Typisch für die Bauzeit: die Gefache sind fast quadratisch und nur jeweils eine Strebe wird in den Gefachen an den Gebäudeecken von der Schwelle zum Eckständer geführt. Sorgsam bearbeitete Sandsteinquader bilden einen umlaufenden Sockel. Das Satteldach war mit roten Hohlziegeln gedeckt. Die vorhandenen Fenster entstammten verschiedenen Zeiten und waren zum Teil nicht denkmalgerecht. Die historischen Fenster öffneten nach außen und waren teilweise mit, aber auch ohne Sprossen.

Der Grundriss des Gebäudes folgte dem bewährten Modell in der Region: Von der Diele aus wurden die unterschiedlich breiten Stallbereiche (für verschiedene Tierarten) und die notwendigen Nebengelasse erreicht. Es gab eine zweite, niedrigere Ebene, die Lagerflächen bot. Das große Dielentor war auf die Ackerflächen ausgerichtet. Das Kammerfach war zweigeschossig und wurde über eine bauzeitliche, einläufige Treppe erschlossen. Der Wohnteil besaß einen separaten Eingang an der Traufseite. Wohnbereich und Wirtschaftsteil waren durch eine Wand klar getrennt. Teilbereiche des Gebäudes waren unterkellert.

Sanierung

Durch den schlechten Ist-Zustand, der auf den langen Leerstand und die durch den unterlassenen Bauunterhalt entstandenen Schäden zurückzuführen ist, war hier eine alle Gewerke umfassende Grundsanierung nötig. Allerdings waren auch eine nachhaltige und umweltgerechte Bauweise und ein hoher energetischer Standard gewünscht. Durch den Einsatz natürlicher Baustoffe konnte gleichermaßen der denkmalgerechte Umgang mit dem Gebäude wie auch der ökologische Ansatz der Sanierung sichergestellt werden. Ganz im Sinne der Denkmalpflege konnte bei dieser Baustelle viel bauzeitliche Substanz erhalten bleiben oder fach- und materialgerecht erneuert werden.

Mit Hilfe der ELER Förderung von zwei Bauabschnitten war dies auch bis zu einem gewissen Grad wirtschaftlich darstellbar. In Schaumburg gab es seit der ersten EU-Förderung des Kulturellen Erbes im ländlichen Raum eine Vereinbarung, dass die notwendige Kofinanzierung des Landes Niedersachsen mit festgelegten Prozentsätzen auf das Land, den Landkreis Schaumburg und die jeweilige Gemeinde aufgeteilt wird. Zur Abstimmung über die Förderprojekte wurden Entscheidungsrunden und Bereisungstermine mit dem Landkreis, den Ehrenamtlichen Denkmalpflegern, dem Landesamt für Denkmalpflege und dem Amt für Regionale Landesentwicklung durchgeführt. Im vorliegenden Fall wurde wie in ähnlich gelagerten Fällen einer erhöhten Förderung zugestimmt, da hier aktiv der Abriss verhindert werden sollte.

Durch die Sanierung wurde einerseits das äußere Erscheinungsbild wieder hergestellt. Es sind nicht nur die beiden Schaumburger Mützen wieder mit roten Ziegeln behängt, auch das Dach ist wieder dicht und mit roten Hohlpfannen belegt. Bis auf zwei kleine Dachflächenfenster im historischen Design sind die Dachflächen weiterhin ungestört und der Dachraum ist nach wie vor lediglich eine Abstellfläche. Die neuen Fenster sind nun einheitlich gestaltet, öffnen auch wieder nach außen. Auch im Inneren ist die Raumstruktur nachvollziehbar geblieben. Das Fachwerkgefüge wurde zimmermannsmäßig repariert, der Lehmputz und teilweise sogar Wandfassungen wurden ergänzt oder repariert. Etliche historische Bauteile –Treppen, Türen, das Dielentor und die innen liegenden Fenster konnten erhalten bleiben. Das Gebäude ist somit wieder vollständig erlebbar.

Das größte Problem für den Erhalt ländlicher Gebäude ist häufig, ein passendes Nutzungskonzept zu finden. Die Gebäude sind meist zu groß für heutige Familien. Zudem sind die oberen Etagen oft ziemlich niedrig, was nicht nur für das heutige Empfinden, sondern auch bauordnungsrechtlich schwierig werden kann. Die Leibzucht in Niedernwöhren hatte Glück und fand eine engagierte neue Eigentümerin, die aus dem Abrisskandidaten einen Ort zum Wohlfühlen geschaffen hat. Der Ausbau erfolgte mit dem Ziel, ein gemeinschaftliches Wohnprojekt zu schaffen. So befindet sich in der Diele ein großer Wohn- und Aufenthaltsraum mit einem neuen Glaselement hinter dem historischen Dielentor zur Belichtung. In den größeren Stallbereichen sind Schlafräume und in den kleineren Stallbereichen Sanitärräume und der Heizungsraum entstanden. Im Kammerfach sind nun ebenfalls Schlafräume. Die Küche blieb am historischen Standort erhalten.



Der Text wurde erstmals veröffentlicht in den Berichten zur Denkmalpflege in Niedersachsen, 43. Jg. (2023), Heft 1.

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