Kloster Walkenried – Das älteste Zisterzienserkloster Norddeutschlands und sein Umland
Unten den vielen geistlichen Gemeinschaften, die sich während des Mittelalters in Europa formierten, nimmt der Orden der Zisterzienser in der heutigen Wahrnehmung zweifellos eine besondere Stellung ein. Diese benediktinische Reformbewegung, deren Geschichte mit einer Gruppe von gerade mal 20 Mönchen im Jahre 1098 bei Citeaux beginnt, entwickelte sich während des 12. Jahrhunderts zu einem der größten Orden Europas. Bis zum Ende des Hochmittelalters brachten es die Zisterzienser auf mehr als 500 Klostergründungen, allein 100 davon in Deutschland. Für diesen steilen Aufstieg hatte vor allem die große spirituelle Anziehungskraft von Bernhard von Clairvaux gesorgt, durch dessen Tat- und Überzeugungskraft angelockt zahlreiche junge Männer und später auch Frauen dem Orden beitraten. Die vorwiegend in stadtfernen und bis dahin nur spärlich besiedelten Regionen gegründeten Klöster betätigten sich intensiv im Landesausbau und erlangten – durch ihre Grangien – zum Teil große wirtschaftliche Bedeutung.
Ein Paradebeispiel hierfür ist Kloster Walkenried, 35 km südöstlich von Osterode am Harz gelegen. Die 1127 durch Adelheid von Walkenried gestiftete und 1129 mit den ersten Mönchen besetzte Abtei war neben Altenkamp in Nordrhein-Westfalen (1123) und Ebrach in Bayern (1127) eine der frühesten Gründungen des Reformordens in Deutschland. Walkenried entwickelte sich schnell zu einer der wichtigsten monastischen Institution in Norddeutschland, wobei nicht zuletzt die große wirtschaftliche Bedeutung des Klosters eine Rolle spielte. Die Abtei hatte großen Grundbesitz vor allem im südlichen Harzraum erworben und besaß viele Grangien und Klosterhöfe, als Streubesitz zudem bis nach Brandenburg und in das Maingebiet (Würzburg). Seine wirtschaftlich herausragende Stellung verdankte das Kloster aber vor allem seinen Anteilen am Bergbau im Oberharz und am Goslarer Rammelsberg. Im frühen 13. Jahrhundert, der Blütezeit des Konvents, wurde Walkenried durch Kaiser Otto IV. (1209) in den Rang eines Reichsklosters erhoben. Der Konvent von insgesamt etwa 300 Mönchen und Konversen genoss hohes wirtschaftliches, kulturelles und spirituelles Ansehen und strahlte mit seinen Tochterklöstern und deren Filialgründungen weit in den mittel- und ostdeutschen Raum hinein. Von dieser Bedeutung zeugt auch die im 13. Jahrhundert neuerrichtete Klosteranlage mit ihrer imposanten Kirche im Stil der Frühgotik – zu seiner Zeit einer der größten Sakralbauten Norddeutschlands und einer der wichtigsten Bauten für die Entwicklung der norddeutschen Gotik. Diese hervorgehobene Position vermochte das Kloster im Spätmittelalter nur unter Anstrengungen zu halten. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts schwanden die Einkünfte aus dem Montanwesen. Die Folgen der Pest und wiederholte Überfälle auf das Kloster und seine Ländereien stürzten die Abtei in eine finanzielle Krise. Ein Ende setzten der ruhmvollen Geschichte von Walkenried schließlich massive Zerstörungen im Bauernkrieg von 1525 und die Auswirkungen der Reformation.
Nach der Aufhebung der Zisterzienserabtei im Jahr 1546 wurde im Kloster eine Schule eingerichtet, die bis 1668 bestand. Später verfielen die Klostergebäude und dienten als Steinbruch, wobei vor allem die gotische Kirche zu großen Teilen abgetragen wurde. Erst im 19. Jahrhundert setzten Bemühungen zur Wiederinstandsetzung des Klosters ein. 1817 wurde die Abtragung der Kirche verboten, 1876 begannen Renovierungsarbeiten innerhalb der gotischen Klausur. Um 1900 kam es dann zu ersten Ausgrabungen, bei denen durch Baurat H. Pfeiffer Reste der romanischen Klosterkirche freigelegt wurden.
In den 1970er Jahren rückte das ehemalige Kloster wieder in den Fokus der Forschung. Einen ersten Höhepunkt markiert dabei die Dissertation von B. Nikolai, der sich ausführlich mit der architekturgeschichtlichen Stellung der Walkenrieder Kirche innerhalb der frühgotischen Architekturentwicklung beschäftigte. Die wichtigsten archäologischen Forschungen zum Kloster fanden in den 1970er- bis 1990er Jahren statt. Im Zuge einer umfangreichen Sanierungs- und Instandsetzungsmaßnahme mit dem Ziel, die Liegenschaft für kulturelle und musealische Zwecke nutzen zu können, wurden durch das Institut für Denkmalpflege des Niedersächsischen Verwaltungsamtes (heute NLD) in vielen Teilen der gotischen Klausurgebäude archäologische Ausgrabungen durchgeführt. Bauforschungen an Teilen des gotischen Bestandes, etwa der sogenannten Abtskapelle und dem östlichen Flügel des Kreuzgangs (Obergeschoss), ergänzten diese Arbeiten.
Die Ergebnisse wurden bislang in wenigen Vorberichten und einer knappen populären Darstellung präsentiert. Die Einrichtung des Zisterziensermuseums Walkenried (2005) und die Aufnahme in das UNESCO-Welterbe als Teil der Oberharzer Wasserwirtschaft (2010) verlieh der Liegenschaft neue Ausstrahlung. Erforderliche Gestaltungsarbeiten wurden dem Rang des Objektes entsprechend durch die Kreisarchäologie Osterode begleitet (2012-2015).
In der über 100 Jahre währenden Forschung zu Kloster Walkenried überwiegen mediävistische, landes- und wirtschaftsgeschichtliche Arbeiten, während Beiträge aus den Bereichen Archäologie und Bauforschung sich allenfalls auf Vorberichte beschränken. Dies ist besonders schmerzlich, denn Walkenried ist dank der genannten archäologischen und bauhistorischen Forschungen eines der am umfangreichsten untersuchten Zisterzienserklöster überhaupt. Ein weiterer Mangel ist, dass die bisherigen Untersuchungen nicht im interdisziplinären Verbund erfolgten und nur ausgewählte Aspekte behandelten. Neben den mit der Gründung des Klosters verbundenen Vorgängen lag der Schwerpunkt auf den wirtschaftlichen Aktivitäten des Klosters und der Verwaltung seiner weiträumigen Besitzungen sowie der Landeserschließung. Die Untersuchungen zu den Grangien von Walkenried haben dabei Modellcharakter, wurden doch maßgebliche Theorien zur Rolle dieser Wirtschaftsgüter mit der Analyse der Walkenrieder Verhältnisse begründet. Vergleichbares gilt für die Stellung Walkenrieds im Montanwesen des Harzes. Ähnlich eingehende Betrachtungen zur nachreformatorischen Geschichte des Klosters (auch aus Sicht der Archäologie) oder zu den weiteren Gebäuden im Gesamtareal fehlen völlig. Zudem wurde bislang der Kontext zu den nahegelegenen zeitgleichen Wüstungen nicht gewürdigt. Dies verwundert umso mehr, als dass diese Wüstungen durchaus in der zeitgenössischen Überlieferung aufscheinen und auch im Gelände zu lokalisieren sind.
Ein auf drei Jahre angelegtes Forschungsprojekt des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege (NLD) setzt an diesem Punkt an: Die Auswertung der Altgrabungen wird in einem ersten Schritt mit den vorliegenden Ergebnissen der Bauforschung verbunden, und darauf aufbauend werden durch minimal-invasive Sondagegrabungen und weitere Forschungen am Gebäude bislang noch offene Fragen geklärt. Hier ist auch die Auswertung der umfangreichen Archivalien, die NLD zu den Maßnahmen in Kloster Walkenried aufbewahrt werden, eingebunden. Es sind unter der Federführung der Mittelalterarchäologie (Abt. A) auch die Abteilungen Baudenkmalpflege (Abt. B) und Fachübergreifende Dienste (Abt. F) an dem Projekt beteiligt. Die zweite Säule des Projektes ist die Verknüpfung dieser Forschungen mit den modernen Grabungen (2012-2015) und ihren weitreichenden Erkenntnissen zu jenen Teilen der Klosteranlage, die bei den Altgrabungen nicht bzw. nur spärlich untersucht werden konnten. Parallel wird in einem dritten, landschaftsarchäologischen Teilprojekt das Umfeld des Klosters näher erforscht, um so die Wechselwirkung des Klosters mit der umgebenden Landschaft näher zu betrachten. Eine Betrachtung der historischen Überlieferung rundet das Bild ab. Die Finanzierung des Projektes wird ermöglicht durch die großzügige Förderung aus dem Programm PRO*Niedersachsen, einen namhaften Beitrag leistet zudem die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz. Mit Eigenmitteln und Sachleistung unterstützen die einzelnen Projektpartner – so die HAWK Hildesheim und die Universitäten Hannover, Göttingen und Heidelberg – ausgewählte Teilbereiche. Bis zu zehn Studierende der genannten Hochschulen sind im Rahmen der akademischen Lehre oder über Abschlussarbeiten in das Projekt integriert, ferner werden über Lehrveranstaltungen phasenweise größere Gruppen an Forschungsfragen und Aspekte der praktischen Denkmalpflege herangeführt.
In seiner konkreten Umsetzung ist das Projekt in ein weites Partnerfeld eingebunden. Die Unterstützung vor Ort, vor allem durch das Zisterziensermuseum Walkenried / Stiftung Welterbe im Harz und die evangelische Kirchengemeinde St. Maria und Martini, bietet eine stabile Grundlage für die Arbeiten an der Klosteranlage.
Im Rahmen des durch PRO*Niedersachsen finanzierten Projektteils werden die Altgrabungen und die Ergebnisse der Bauforschung ausgewertet; hier ist auch die Verknüpfung zu den modernen Grabungen der Kreisarchäologie Osterode / Harz angesiedelt. Die erforderlichen Nachuntersuchungen werden gemeinsam mit der HAWK Hildesheim durchgeführt, begleitet von der Universität Heidelberg. Hier werden beispielsweise Gesichtspunkte wie die statische Ausführung des Baus oder die Herkunft der verwendeten Baugesteine betrachtet.
Die Dokumentation zu den Altgrabungen ist von hervorragender Qualität. Der umfangreiche Bestand an Zeichnungen, Fotos und Beschreibungen muss als Grundlage aller weiteren Forschungen zu Walkenried angesehen werden. Um die Resultate des Projektes auch im Hinblick auf eine Gesamtauswertung aller archäologischen Forschungen nutzbar zu machen, wurde die Dokumentation vollständig digitalisiert und in einen dreidimensionalen CAD-Plan des Klosters übertragen. Damit ist es möglich, alle Plana und Profile zusammen auszuwerten und – verknüpft mit den Ergebnissen der Bauforschung – eine moderne, zeitgemäße Visualisierung der Klosteranlage mit ihrer vielschichtigen Entwicklung zu entwerfen.
Die umfangreichen Fundlisten fließen in eine Datenbank ein, die mit der Beschreibung und stratigrafischen Zuordnung der Befunde verknüpft ist. Die Aufnahme des im Braunschweigischen Landesmuseum gelagerten Fundmaterials wird hier zunächst eine Überprüfung des Bestandes ermöglichen, aber auch weiterführende Erkenntnisse beispielsweise zur mittelalterlichen Keramik des Südharzgebietes, der baulichen Ausstattung des Klosters oder dem alltäglichen Leben der Mönche.
Als ein weiterer Schritt zur Gesamtbewertung der Geschichte von Walkenried werden parallel zur Aufarbeitung der archäologischen Grabung auch die in der ADABweb des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege vorgehaltenen Daten hinsichtlich einer möglichen Verknüpfung mit dem Kloster überprüft. Dabei wurden nicht nur die ländlichen, zeitgleichen Siedlungen einbezogen, sondern auch die verschiedenen Burgen im näheren Umland. Hier ist an erster Stelle die Burg Sachsenstein zu nennen: Sie ist eine jener acht Burgen, die unter Heinrich IV. zur Sicherung seiner Herrschaft in Ostsachsen errichtet wurden. Neben der Burg Sachsenstein ist die Staufenburg bei Zorge zu nennen. Diese Anlage wurde nach Ausweis der historischen Überlieferung nur für kurze Zeit genutzt. Der Überlieferung zufolge sollen die Grafen von Hohnstein die Burg im Zuge einer Fehde gegen die Grafen von Klettenberg errichtet haben. Der kleine Staufenberg war aber Klostereigentum, weshalb die Hohnsteiner dem Kloster den Berg abkaufen mussten (1243). Nachdem Ende der Fehde haben die Grafen von Hohenstein den Berg samt Burg dem Kloster wieder zum Kauf angeboten und die Erlaubnis zur Abriss erteilt. Diese Übertragung geschah im Jahr 1253. Im besten Falle bestand die Staufenburg also nicht viel länger als zehn Jahre, womit den hier geborgenen Funden für die Diskussion um die Entwicklung der hochmittelalterlichen Keramik in den Landschaften südlich des Harzes große Bedeutung zukommt. Während für den Sachsenstein eine feintopographische Aufnahme bereits vorliegt, wurde für die Staufenburg in enger Zusammenarbeit mit der Universität Hannover ein entsprechendes Aufmaß erstellt. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung des vorhandenen Fundmaterials wird derzeit vorbereitet. Nach Abschluss dieses Projektteils wird man die die Burgenlandschaft um Kloster Walkenried besser beurteilen können.
Bereits eine Kartierung der relevanten, in das späte 11. und frühe 12. Jahrhundert zu datierenden Plätze zeigt, dass die Gründung von Kloster Walkenried 1127/29 mit einer bereits dicht aufgesiedelten Kulturlandschaft zu verbinden ist. Hier sind mindestens drei größere Wüstungsstellen zu benennen. Wie die Einbindung des Klosters in diese Kulturlandschaft konkret gestaltet war, ist bislang nur ansatzweise und fast ausschließlich aus Perspektive der Mediävistik betrachtet worden. Daher können gerade die archäologischen Prospektionen zu den relevanten Wüstungen helfen, die mehrfach diskutierte Verlegung des Klosters neu zu beurteilen. Hier werden neben der konsequenten Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten die an der Universität Göttingen geplanten Prospektionsmaßnahmen sowie die Aufarbeitung der historischen Überlieferung, namentlich die Analyse des Walkenrieder Urkundenbuchs, weiterführende Ergebnisse erbringen können.
Walkenried bietet ideale Bedingungen, ein hochmittelalterliches Kloster sowohl als Baulichkeit in seiner Gesamtheit zu betrachten als auch das nähere Umfeld in einem interdisziplinären Ansatz zu erforschen. Erst dadurch wird eine umfassende Auswertung der „Klosterlandschaft Walkenried“ möglich, die beispielhaft für ein Kloster europäischen Ranges in Niedersachsen sein könnte.
Literaturhinweise:
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Lehmann / M. C. Blaich / C. Ludwig, Das Buch aus der Gruft – Befunde zur nachreformatorischen Nutzung von Kloster Walkenried. Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 2019, 147-151.
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Rösener 2014: Grangien und Innovationen des Cistercienserklosters Walkenried im Hochmittelalter. Analecta Cisterciensia 64, 2014, 314-334.
Der Text wurde erstmals veröffentlicht in den Berichten zur Denkmalpflege in Niedersachsen, 40. Jg. (2020), Heft 2, S. 25–31.