Ein Katholischer Kanzelaltar – Die St. Pankratius-Kirche in Groß Förste

Von Jan Christian Dickhaut

Die katholische Kirche St. Pankratius in Groß Förste nördlich von Hildesheim hat ein ganz besonderes Ausstattungsstück: einen Kanzelaltar. Die Entwicklung des Kanzelaltars beginnt am Ende des 16. Jahrhunderts und entstand aus dem höheren Stellenwert der Predigt im Protestantismus. Um der Kanzel eine entsprechende Position im Kirchenraum zu verschaffen, rückten Kanzel und Altar in eine Achse und wurden schließlich miteinander verbunden. Dies führt zur Gleichstellung von Wort (Kanzel) und Sakrament (Abendmahl), die zu einem Ausstattungsstück – dem Kanzelaltar – zusammengefasst wurden. Die im Protestantismus gewünschte Ausrichtung des Kirchenbaus auf die Kanzel, die auch zu besonderen Kirchenformen führte (siehe zum Beispiel die Winkelhakenkirche St. Nikolai in Elsfleth), gab es für den Katholizismus nicht. Die Aufstellung eines katholischen Kanzelaltars ist daher überraschend, insbesondere in einer Region, in der beide Konfessionen in einer ständigen Konkurrenz zueinander standen.

Die St. Pankratius-Kirche ist ein typischer, längsrechteckiger Saalkirchenbau des Barocks, wie er in der Region häufig anzutreffen ist. Der Chor ist dreiseitig, mit Strebepfeilern gestützt und mit einem Satteldach überfangen. Auf der Nordseite schließt sich die Sakristei an. Auf der Westseite tritt ein Turm aus dem Dach, der mit einem achteckigen Zwiebelhelm endet. Die Längsseiten der Kirche sind durch fünf Achsen gegliedert, wovon die mittlere Achse von Süden durch das Hauptportal Zutritt zur Kirche gewährt. Das Hauptportal zeigt einen gesprengten Segmentbogengiebel auf zwei ionisierten Säulen. Über dem Portal befindet sich eine Supraporte mit einer Inschrift, im Giebelbogen das Wappen des Hildesheimer Bischofs Jobst Edmund von Brabeck, der den Kirchenneubau von 1688 bis 1696 anstelle einer mittelalterlichen Kirche errichtete. Die Weihe fand 1698 statt.

Im Inneren der Kirche wird der Kirchenraum von einem Spiegelgewölbe überfangen. Die Rundbogenfenster wurden bei Renovierungsarbeiten ab 1979 erneuert. Die Ausstattung ist überwiegend bauzeitlich. Im Chorbereich sind noch Konsolsteine für ein Gewölbe erkennbar, welches vermutlich 1791 entfernt wurde. Im Chor befindet sich ein prächtiger barocker Hochaltar mit einem Drehtabernakel und einer Christusfigur aus Elfenbein. Das Altarbild zeigt die Himmelfahrt Mariens. Im Altarauszug ist ein Tondo zu sehen, in dem eine Dreifaltigkeitsdarstellung gezeigt wird. Am Altar finden sich eine Vielzahl von Engeln und Akanthusrankenwerk. Seitlich des Altarbilds stehen die Figuren des Heiligen Pankratius mit einem Speer und des Heiligen Augustinus, der als Bischof gekleidet ist. Sein Blick ist auf das Himmelfahrtsgemälde gerichtet und in seiner rechten Hand hält er ein Herz. Der Tabernakel ist von einer Pelikandarstellung bekrönt. Eine Pelikangruppe wurde häufig am Tabernakel aufgestellt, da der Pelikan den Opfertod von Jesus Christus symbolisiert, indem sich der Pelikan den Hals aufreißt, um seine Jungen mit seinem eigenen Blut zu nähren. Die Hostien im Tabernakel stehen folglich für den Leib Christi.

Außerdem befinden sich im Chor zwei prachtvolle Beichtstühle aus der Bauzeit. Am Chorbereich schließen sich zwei Seitenaltäre an. Der vom Chor aus gesehen linke Altar ist einachsig aufgebaut, umfasst aber zwei Geschosse. Der Stipes des Altars ist geschwungen, aber einfach. Darüber befinden sich auf einer mit Engelköpfen behangenen Sockelzone zwei gedrehte Säulen mit korinthischen Kapitellen. Ein mehrfach verkröpftes Gesims ist durch einen gesprengten Segmentgiebel überfangen. Anstelle eines Altarbildes befindet sich hier eine Figur von Jesus Christus mit einem goldenen Herz auf der Brust. Im Auszug des Seitenaltars steht eine Marienfigur in einer Muschelnische, die von sieben Schwertern im Herzen durchbohrt ist. Am Schleierbrett des Altars steht eine Mönchsfigur mit dem Christuskind auf dem rechten Arm, das die Weltkugel in der Hand hält. In der linken Hand hält der Heilige Antonius einen Lilienzweig.

Der andere Seitenaltar ist einachsig aufgebaut und bleibt eingeschossig. Der Stipes ist wie der des anderen Seitenaltars gestaltet, darüber befindet sich ebenfalls das Sockelgeschoss mit geflügelten Engelsköpfen. Über dem Sockel tragen erneut zwei gedrehte Säulen das Gebälk. Zwischen dem architektonischen Aufbau des Altars ist ein Kanzelkorb angebracht, der durch den im Gebälk untergebrachten Schalldeckel bekrönt ist. Unter den Schalldeckel ist die Taube des Heiligen Geistes gehängt. Der Kanzelkorb zeigt sowohl ein Kruzifix als auch eine darüber befindliche Deesis-Darstellung. Hier sitzt Christus als apokalyptischer Weltenrichter auf einem Thron, der die Verstorbenen in den Himmel oder in die Hölle schickt. Flankiert wird er von der Gottesmutter Maria und Johannes dem Täufer. Beide leisten Fürbitte und bitten, dass Christus gnädig mit den Verstorbenen sei. Die Kanzelrückwand ist mit einem Gemälde von Christoph Andreas Zesschwitz ausgestattet und zeigt eine Kopie der Mariahilf-Darstellung des Künstlers Lucas Cranach dem Älteren. Auch diese Darstellung steht für das Gnadengesuch der Gläubigen. Im Auszug des Altars ist eine Darstellung Mariens auf der Weltkugel, die von einer Schlange umwunden ist. In der Hand trägt Maria einen Lilienzweig. Diese Maria-Immaculata-Darstellung symbolisiert die Reinheit der Gottesmutter, die die Erbsünde aus dem Alten Testament besiegt. Sie zertritt den Kopf der Schlange, die Adam und Eva im Paradies verführte. Die Darstellungsform spricht Maria von der Erbsünde frei, da sie als natürlich geborener Mensch eigentlich eine Sünderin wäre. Am Schleierbrett des Kanzelaltars ist die Figur des Heiligen Josef mit dem Christuskind auf dem linken Arm gezeigt, das ebenfalls die Weltkugel in der Hand hält. In der rechten Hand hält Josef auch einen Lilienzweig, der die Keuschheit und Reinheit symbolisiert.

Das Bildprogramm des Kanzelaltars geht eindrücklich auf die Sünde der Menschen ein. Die gezeigten Personen symbolisieren alle die Freiheit und Reinheit von der Sünde. An der Deesis-Gruppe entscheidet sich die Zugehörigkeit zum Himmel oder zur Hölle. Hier leisten Maria und Johannes der Täufer schon einen ersten Gnadenersuch bei Jesus Christus. Auf der Kanzel steht der Priester, der seinen Gläubigen den rechten Weg weist, unterstützt vom Gnadenbild Mariahilf. Auch Josef steht auf der gleichen Höhe wie der Priester und richtet den Lilienzweig auf diesen. Bekrönt wird das Ganze von Maria Immaculata, die als Gottesmutter ohne Erbsünde geboren wurde. Zu ihr blicken die Gläubigen hinauf und zu ihr beten sie für ihre Gnade und um die Gnade Gottes.

Unklar bleibt schließlich, warum eine katholische Kirche ein originär protestantisches Ausstattungsstück hat. Vermutlich führte der Wunsch nach Symmetrie zur Aufstellung des Kanzelaltars. Die Aufstellung einer einzelnen Kanzel hätte an anderer Stelle erfolgen müssen bzw. hätte die Aufstellung des Seitenaltars verhindert. Um zu verhindern, dass eine merkwürdige Anbringung der Kanzel im Kirchenschiff nötig wäre, wird die Kanzel mit dem ansonsten üblichen Seitenaltar verbunden. Die Symmetrie der beiden Seitenaltäre bleibt folglich erhalten und die Kanzel findet am Seitenaltar ihren Platz. Die Anbringung eines Kanzelaltars ist für eine katholische Kirche zwar ausgesprochen selten, doch nicht einmalig (siehe zum Beispiel St. Peter und Paul in Immendingen, Baden-Württemberg).

Die Kirche St. Pankratius in Groß Förste zeigt ein prachtvolles Beispiel einer katholischen Kirche im ländlichen Raum. Der symmetrisch gestaltete Chorbereich glänzt durch die farbenfrohen Altäre, den Figurenreichtum und die ikonographische Bedeutung seiner Ausstattungen. Eine große Besonderheit und beinahe singuläres Merkmal stellt die Aufstellung eines Kanzelaltars in einem katholischen Sakralraum dar.

 

Zum Weiterlesen:

Gerd Weiß, Kurt Eichwalder, Georg Dehio und Ernst Gall: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bremen, Niedersachsen, München/Berlin 1992, S. 568

Hartmut Mai: Der evangelische Kanzelaltar. Geschichte und Bedeutung, Halle, Saale 1969, S. 15-27; 56-59; 93-98; 110-121

Rolf Bothe: Kirche, Kunst und Kanzel. Luther und die Folgen der Reformation, Köln/Weimar/Wien 2017, S. 97f.

Claudia Günther: Bistumsarchiv Hildesheim, Kunstinventar der Pfarrkirche St. Pankratius in Giesen – Groß Förste und der Filialkirche St. Johannes der Täufer in Harsum – Klein Förste. Unveröffentliche Erfassung im Auftrag der Kirchlichen Denkmalpflege im Bistum Hildesheim, Sarstedt 2008, S. 11-24

Die St. Pankratius-Kirche im Denkmalatlas Niedersachsen

 

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