Das Archäologische Zentrum Hitzacker – Bronzezeit an der Elbe

Von Jan Joost Assendorp / Ulrike Braun

Auf den ausgedehnten, kiesigen Sandflächen südlich der Altstadt Hitzackers wurden in den 1980er und 1990er-Jahren große Teile einer jungbronzezeitlichen Siedlung ausgegraben. Begonnen als Notgrabungen in der Trasse der Elbuferstraße, erweiterten sich die Untersuchungen auf das Gelände eines Lebensmittelmarktes und des jetzigen Archäologischen Zentrums. Nach Ende der Grabungen wurden die noch nicht untersuchten, umliegenden Grundstücke zwischen Hitzacker, der Straße nach Dannenberg und der Jeetzel von der Bezirksregierung Lüneburg als Grabungsschutzgebiet „Hitzacker-See“ ausgewiesen. Die Schutzverordnung bildet noch heute die Grundlage für die Sicherstellung archäologischer Interessen bei Vorhaben im bronzezeitlichen Siedlungsbereich.

Für Nordeuropa war die Siedlung in Hitzacker nach bronzezeitlichen Begriffen recht groß. Über die damaligen Realitäten sagte viel aus, dass im Areal der Großgrabungen nur vier Hofstellen sicher nachgewiesen werden konnten. Auch wenn wir berücksichtigen, dass an seiner Ostseite ein erheblicher Teil des Siedlungsgeländes durch die Elbe abgetragen worden war, so bleibt die Beobachtung, dass offenbar Weiler oder nach unserem heutigen Verständnis kleinere Dörfer die größten zusammenhängenden Einheiten in der bronzezeitlichen Landschaft bildeten. Ansonsten dominierten verstreut liegende Einzelhöfe, die nur bewohnt wurden, solange die Fruchtbarkeit der umliegenden Felder anhielt. Danach sahen sich die Bauern gezwungen, auf neue Höfe in unberührtem Gebiet umzusiedeln. Soweit wir heute wissen, entstanden Dörfer wie in Hitzacker, mit einer dauerhaften Besiedlung, nur in für Viehbauern günstigen Umgebungen – in diesem Fall am Rande der ausgedehnten Weideländer der Elbtalaue.

Die Grabungsergebnisse aus Hitzacker und später aus Alt Wendischthun (Stadt Bleckede) waren insbesondere deshalb so aufschlussreich, da in Verbindung mit den unzähligen Gruben für die Vorratshaltung, mit denen die Siedler den Boden buchstäblich durchlöchert hatten, auch Befunde zu deren Häusern geliefert wurden. Die Zusammenhänge zeigen, wie auf jeweils etwa 40 Meter breiten Hofparzellen das Haus zentral gelegen war, mit klar abgegrenzten Vorratsarealen anderweitig auf dem Gelände. Im Grabungsbefund von Alt Wendischthun ließ sich sogar ein Weg zum zentralen Gebäude rekonstruieren, der für Fuhrwerke oder Vieh nutzbar war.

Die Hausgrundrisse waren die große Überraschung bei der Grabung in Hitzacker. Mehrere Gebäude wiesen spektakuläre Längen auf, die bis zu diesem Zeitpunkt völlig unbekannt waren. In Niedersachsen kannte man die Bronzezeit fast nur aus Grabhügeln und vielen Gräbern mit zum Teil reichen Beigaben – ein Bild der zugehörigen Lebensbedingungen war im Grunde nicht vorhanden. Schon bei den Führungen während der Ausgrabungen wurde deutlich, dass eine Klarstellung so manches überkommenen Geschichtsbildes keine leichte Aufgabe sein würde.

Der damalige Bürgermeister der Stadt, Christian Zühlke, und der Kreisarchäologe, Arne Lucke, entwickelten die Idee, durch Nachbau der Bauernhäuser auf Basis der Ausgrabungsergebnisse Besuchern einen Eindruck zu vermitteln, wie man sich bäuerliches Leben in der Bronzezeit vorstellen könnte. Insbesondere ließe sich nur so zeigen, wie groß ein solches Gebäude wirklich war und welcher Aufwand seine Errichtung gekostet haben musste. Es galt darzustellen, dass damals keineswegs in primitiven Hütten oder Ähnlichem gelebt wurde und dass die bekannten, reichen Bestattungen aller Wahrscheinlichkeit nach mit einflussreichen Hofbesitzern in Verbindung zu bringen waren.

Von der Ausgrabung zum archäologischen Freilichtmuseum 1989 war es dann so weit: Der Startschuss für die Gründung eines archäologischen Freilichtmuseums fiel mit der Planung des ersten Langhauses. Als erster Schritt wurde aus der Ausgrabungsdokumentation zunächst der Grundriss eines Wandgräbchenhauses als Basis für eine Hauskonstruktion im Maßstab 1:1 ausgewählt. Da bei den Ausgrabungen lediglich die im Boden verborgenen Grundstrukturen erhalten waren, nicht aber die aufgehenden Gebäudeteile, wurde zunächst ein Team aus verschiedenen Handwerkern, Archäologen, Archäotechnikern und einer Architektin zusammengestellt. Es galt aus den vorhandenen archäologischen Informationen sowie aus den technischen und statischen Notwendigkeiten ein Gebäudemodell zu entwickeln.

Erste bautechnische Problematiken wurden anhand eines vorher erstellten Hausmodells im Maßstab 1:10 aufgedeckt. Diese Hinweise konnten dann in den eigentlichen Hausbau einfließen. Mit der Errichtung der inzwischen vier Langhäuser im Archäologischen Zentrum wurden jeweils unterschiedliche Fragestellungen verbunden, die mithilfe der experimentellen Archäologie eruiert wurden. So konnten beispielsweise Informationen zur Effizienz der Stein- und Bronzewerkzeuge, zum Arbeitsaufwand, zur benötigten Rohstoffmenge etc. gewonnen werden.

Ziel war und ist es, einem interessierten Laienpublikum die Welt der vorgeschichtlichen Menschen ganzheitlich zu vermitteln. Neben dem Erleben der Langhäuser als begehbare Hausmodelle im Maßstab 1:1 wurden, zur Beförderung des allgemeinen Verständnisses für diese schriftlose Zeit, haptische Angebote und Vorführungen bronzezeitlichen Handwerks angeboten. Schon zu Beginn des archäologischen Freilichtmuseums verfolgte der damalige Museumsleiter Arne Lucke den pädagogischen Ansatz der Selbstständigkeit und des manuellen Tuns. Durch aktive Beteiligung in der Vermittlung von Erkenntnissen, das selbstständige Arbeiten und die Ermöglichung eigener Erfahrungen durch Einbindung aller Sinne bleiben dem Besucher die vermittelten Informationen deutlich besser verhaftet und nachhaltig abrufbar. Zwar ist die Informationsmenge geringer, dafür aber als selbst gemachte Erfahrung verinnerlicht. Inzwischen begrüßen wir junge Lehrer, die sich daran erinnern, dass sie damals bei uns Getreide gemahlen haben und das selbst gebackene Brot so gut geschmeckt hat.

Seit der Eröffnung des Freilichtmuseums 1990 hat sich viel getan: Es wurden insgesamt vier Langhäuser errichtet, wobei eines 2008 leider einer Brandstiftung zum Opfer fiel. Ergänzt wird das Ensemble durch ein Totenhaus und ein Grubenhaus sowie durch verschiedene Stationen zu Leben, Handwerk und geistiger Welt. Auch die Umwelt und die anthropogene Landschaftsgestaltung werden im Rahmen der Ausstellung auf dem ca. 1,5 Hektar großen Gelände und in der Museumspädagogik thematisiert. Die Forschung im Rahmen der experimentellen Archäologie musste allerdings nach Vollendung der Gebäude sukzessive zurücktreten – es konnte nur noch partiell geforscht werden (z. B. zu den Themen Doppelpfostensetzungen, Abbildung des Schadfeuers in der archäologischen Dokumentation). Der Schwerpunkt des Archäologischen Zentrums Hitzacker verlagerte sich auf die Vermittlungsarbeit. Neue Programmangebote für Gruppen, aber auch für Einzelbesucher mussten entwickelt werden. Basis der Aktionsprogramme bilden immer die archäologischen Erkenntnisse zur Jungsteinzeit und Bronzezeit, die auch die Lehrpläne sinnvoll ergänzen. Das Spektrum reicht vom Feuermachen auf bronzezeitliche Art bis zur deutschlandweit einzigartigen Einbaumexkursion auf der Jeetzel und dem Hitzacker See. Andere Angebote zielen darauf ab, der lokalen Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, sich mit „ihrem“ Museum zu identifizieren und Schwellenängste abzubauen.

Das Archäologische Zentrum Hitzacker wurde 2020 30 Jahre alt und ist noch lange nicht an das Ende seiner Möglichkeiten angekommen. Sowohl regional als darüber weit hinaus ist die Institution stark vernetzt, von lokalen Wirtschaftsunternehmen bis zu Universitäten, Museumsverbänden oder dem Biosphärenreservat „Niedersächsische Elbtalaue“. Gemeinsam mit dem langjährigen Träger des Freilichtmuseums, der Stadt Hitzacker (Elbe), werden neue Ideen entwickelt, um es für die nächsten 30 Jahre fit zu machen.


Der Text wurde erstmals veröffentlicht in den Berichten zur Denkmalpflege in Niedersachsen, 39. Jg. (2019), Heft 4, S. 116-119.

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