Die Restaurierung der Kaiserpfalz in Goslar im Zeitalter von Historismus und Nationalismus
Von Christine H. Bauer
Die UNESCO-Welterbestadt Goslar ist reich an hochwertigen und national bedeutsamen Baudenkmalen, die bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Fokus staatlicher und denkmalpflegerischer Interessen rückten. Vor allem die Goslarer Kaiserpfalz als Zeugnis des mächtigen mittelalterlichen Kaiserreiches gewann im Zeitalter des nationalstaatlichen Gedankens und insbesondere nach der Gründung des Zweiten Deutschen Reiches im Jahre 1871 an Bedeutung.
Das im Laufe der Jahrhunderte nur notdürftig reparierte Gebäude, urkundlich erstmals im 11. Jahrhundert erwähnt, wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts umfassend restauriert. Diese Maßnahme erfolgte unter Mitwirkung des ersten preußischen Denkmalpflegers Ferdinand von Quast sowie des preußischen Oberbaurats Wilhelm Salzenberg. Die Bauleitung vor Ort entstammte dem Kreise der so genannten Hannoverschen Schule um den Architekten und Hochschullehrer Conrad Wilhelm Hase. Hier prallten zum Teil sehr unterschiedliche Auffassungen zum denkmalpflegerischen Umgang mit historischer Bausubstanz aufeinander, die sich im Spannungsfeld zwischen Bewahrung von Originalsubstanz und malerischer Inszenierung bewegten.
Im Folgenden werden die Restaurierungsmaßnahmen an der Kaiserpfalz auf der Grundlage von archivalischen Überlieferungen vorgestellt. Bisher in der Literatur nicht ausgewertete Bauakten im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (Berlin) sowie weitere Bestände im Staatsarchiv Hannover und im Stadtarchiv Goslar, die schon in der Literatur zum Teil Beachtung fanden, geben Aufschluss über die damaligen Maßnahmen und die damit verbundenen methodischen Diskussionen. Der seit 1869 in dichter Folge vorhandene Schriftverkehr zwischen den Behörden sowie die zeitgenössische Berichterstattung über die Maßnahmen am Kaiserhaus sollen hier im Kontext des denkmalpflegerischen Anspruchs der damaligen Zeit analysiert werden.
Administrative Rahmenbedingungen
Vor allem seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist in Deutschland ein wachsendes Interesse am Erhalt von architektonisch und historisch hochwertigen Gebäuden feststellbar, was mit der Entwicklung einer staatlichen Denkmalpflege einherging. Die allgemein zunehmende Beseitigung von kunst- und baugeschichtlich wertvollen Gebäuden im Zuge einer sich durch die beginnende Industrialisierung verändernden Gesellschaft ließ in allen deutschen Landen ein neues denkmalpflegerisches Bewusstsein erwachsen. Eine Vorreiterrolle nahm dabei der Staat Preußen ein, wo bereits im Jahre 1843 mit Ferdinand von Quast ein erster staatlicher „Konservator für Kunstdenkmäler“ eingesetzt und eine systematische Inventarisation der Baudenkmale begonnen worden waren.
Auch im 1814 gebildeten Königreich Hannover, dem die ehemals freie Reichsstadt Goslar zugeschlagen wurde, kam es nach preußischem Vorbild zu einem grundsätzlichen Erforschen und Erfassen der Baudenkmale. Die Aufstellung des Kunstdenkmälerverzeichnisses wurde hier wesentlich durch den „Architekten- und Ingenieurverein für das Königreich Hannover“ und den „Historischen Verein für Niedersachsen“ unterstützt und vorangetrieben. Man beauftragte die Architekten Conrad Wilhelm Hase und Hector Wilhelm Heinrich Mithoff mit der Bestandsaufnahme der Baudenkmale in Niedersachsen. Die Ergebnisse der Inventarisation wurden im „Archiv für Niedersachsens Kunstgeschichte“ publiziert, wobei sich der 1862 veröffentlichte Band 3 mit den „mittelalterlichen Kunstwerken“ in Goslar befasste und bereits auf die Bedeutung der Kaiserpfalz als einzigem noch nahezu komplett vorhandenen mittelalterlichen Profanbau hinwies. Darüber hinaus berief die Landdrostei Hildesheim, eine mittelbehördliche Instanz im Königreich Hannover, der auch die Bauverwaltung beziehungsweise Bauaufsicht in Goslar oblag, im Jahre 1865 eine Kommission mit der Aufgabe ein, zu untersuchen, welche Goslarer Baudenkmäler aus architektonischen oder historischen Gründen der Nachwelt zu erhalten seien.
1866 wurde das Königreich Hannover durch Preußen annektiert und zur preußischen Provinz Hannover. Obgleich noch am 10. Juni 1864 der Konservator des königlichen Welfenmuseums, Dr. Müller, als staatlicher „Conservator der Altertümer“ in Hannover eingesetzt worden war und diese Regelung auch nach der Annexion Hannovers bestätigt wurde, gewann der preußische Denkmalpfleger Ferdinand von Quast seit 1866 auch in der preußischen Provinz Hannover zunehmend an Bedeutung. Sämtliche in der Zeit zwischen 1866 und 1877 durchgeführten Sanierungsmaßnahmen in der Stadt Goslar wurden durch von Quast, der dem Kultusministerium zugeordnet war, begleitet. Eine weitere wichtige Rolle spielte der preußische Oberbaurat Wilhelm Salzenberg als Dezernent für Kirchenbau und Baudenkmäler im Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten unter dem Minister Heinrich Friedrich August von Itzenplitz (1862–1873). Als Verwalter der öffentlichen Mittel hatte Wilhelm Salzenberg vor dem Denkmalpfleger von Quast, der über keinen eigenen Etat verfügte, eine gewichtige Stellung inne. Salzenberg weilte – wie von Quast – mehrfach in Goslar, um über den Fortgang von Restaurierungsarbeiten in der Stadt zu beraten.
Die Restaurierung der Kaiserpfalz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Im Zentrum der denkmalpflegerischen Bemühungen des 19. Jahrhunderts stand in Goslar die Restaurierung der Kaiserpfalz. Die Kaiserpfalz wurde zwischen 1040 und 1050 unter Kaiser Heinrich III. wohl an Stelle eines älteren Königshofes errichtet und fungierte vor allem im frühen und hohen Mittelalter als Ort zahlreicher Hof- und Reichstage deutscher Könige und Kaiser. Im Laufe der Jahrhunderte wurde sie mehrfach umgebaut und erweitert. Im Mittelpunkt der Anlage steht der zweigeschossige Saalbau mit der repräsentativen Aula Regia im Obergeschoss. Einzelne Teile dieses Saalbaus – vor allem im Bereich des unteren Mauerwerks – entstammen wohl noch der Ursprungsphase. Im Jahre 1132 wurden größere Bestandteile des Gebäudes zerstört und mussten neu aufgebaut werden. Ein Brand im Jahre 1289 zog das Gebäude abermals in Mitleidenschaft, so dass in der Folgezeit wieder bauliche Veränderungen anzunehmen sind. Im Rahmen dieses Wiederaufbaus erhielt der untere Saal eine Einwölbung aus spitzbogigen Quertonnen. 1477 wurde die Aula Regia mit einer Deckenbalkenkonstruktion ausgestattet. An den Saalbau schlossen sich nach Norden und Süden vermutlich Wohnpaläste an. Den südlichen Abschluss der Anlage bildet die Ulrichskapelle, deren kunstgeschichtliche Datierung zwischen 1050 und 1220 schwankt. Die nachmittelalterliche Zeit ist durch eine mangelhafte Bauunterhaltung gekennzeichnet. Das Erdgeschoss der Aula Regia nutzte man als Lagerraum für Erze und Vitriole des nahe gelegenen Bergwerks Rammelsberg, das Obergeschoss als Kornmagazin. Marode Teile der ursprünglich repräsentativ gestalteten Fassade wurden aus Kostengründen lediglich in Fachwerk wieder aufgeführt. Im 18. Jahrhundert stürzte der nördliche Wohntrakt ein. An dieser Stelle wurde 1822 ein neues Magazingebäude errichtet. Um 1860 traten auch an der Rücktraufe des Hauptgebäudes massive Bauschäden auf, so dass ein weiterer Substanzverlust drohte (Abb. 2). Um einen fortschreitenden Verfall des als besonders hochwertig anerkannten Baudenkmals zu verhindern, erwarb die hannoversche Regierung im Jahre 1866 das Kaiserhaus von der Stadt Goslar. Bereits 1868 begann man mit ersten Restaurierungs- und Sicherungsarbeiten, die 1907 mit einer Neugestaltung der Außenanlagen abgeschlossen wurden. Federführend für die Restaurierung der Kaiserpfalz war die Landdrostei Hildesheim, die zur Begleitung der Baumaßnahmen eine Kommission unter Vorsitz des Oberlandbaumeisters Mittelbach eingerichtet hatte. Weiterhin beauftragte Landdrost Wasmuth im Jahre 1867 den Oberlandbaukondukteur Adelbert Hotzen mit der Ausarbeitung eines Restaurierungskonzeptes und der anschließenden Bauleitung. Adelbert Theodor Hotzen (1830–1922) hatte an der Polytechnischen Schule in Hannover ein Architekturstudium absolviert und war von 1857–1858 Mitarbeiter bei Conrad Wilhelm Hase, u. a. bei der Restaurierung der Marienburg bei Nordstemmen. Seit 1860 war Hotzen zudem Gründungsmitglied der Niedersächsischen Bauhütte und als überzeugter Anhänger seines Lehrers Hase der neugotischen Stilrichtung verhaftet („Hannoversche Schule“). Das Restaurierungskonzept Hotzens von 1867 ist selbst nicht in den Archivalien erhalten, doch aus noch vorhandenen Kostenvoranschlägen, späteren Zeichnungen (Abb. 3) und einem Modell ist zu entnehmen, dass er nicht nur die Restaurierung der zum Teil in Fachwerk erneuerten Fassade vorsah, sondern auch die Schaffung eines südlichen und eines nördlichen Treppenvorbaus vor der Aula Regia, einen umfangreichen Um- beziehungsweise Neubau des 1822 errichteten Magazinflügels (ehemals nördlicher Wohnflügel) und den Neubau eines südlichen Wohnflügels. Dieses Konzept bedeutete, dass nicht nur die vorhandene Bausubstanz gesichert und restauriert werden sollte, sondern auch ehemals vorhandene Gebäude beziehungsweise Anbauten ohne Wissen ihres Aussehens wieder errichtet werden sollten. Dieses Konzept wurde dem preußischen Denkmalpfleger Ferdinand von Quast vorgelegt, als dieser im August 1867 in Hannover weilte. Entgegen bisheriger Annahmen in der Literatur gab er zu der Maßnahme keine offizielle Stellungnahme ab, sondern wurde lediglich mündlich befragt. Nach späteren eigenen Angaben begrüßte von Quast grundsätzlich die Absicht, das Kaiserhaus in Goslar zu restaurieren. Er konnte den Plänen jedoch nur insofern zustimmen, als sie sich auf die eigentliche Herstellung des alten Baus bezogen. Dagegen sprach er sich entschieden „gegen die nicht in der ursprünglichen Anlage begründeten Zusätze und Vergrößerungen aus, welche mehr aus modernen Ansichten gleichseitiger Wiederholungen hervorgegangen sind.“ Damit lehnte er die Neubauten von nördlichen und südlichen Wohnpalästen ab. Modifikationen könnten sich nur ergeben, wenn während des Baus neue bauhistorische oder archäologische Befunde zu Tage träten. In diesem Zusammenhang habe von Quast noch weitergehende Untersuchungen insbesondere der großen Mittelarkade in der Ostfassade verlangt, die zum größten Teil in Fachwerk erneuert worden war und kaum noch Anhaltspunkte ihres früheren Aussehens aufwies. Auch sollten vor dem Bau der Freitreppenanlagen archäologische Grabungen durchgeführt werden, um Anhaltspunkte für die angenommenen Freitreppen zu finden. Schließlich soll von Quast gefordert haben, vor dem Bau neuer Wohnflügel den nördlichen und südlichen Giebel des Saalbaus näher zu untersuchen, um Spuren dieser früheren Anbauten zu erhalten.
Tatsächlich wurden in den Jahren 1868 und 1869 neben Sicherungsarbeiten auch weitere bauhistorische und archäologische Untersuchungen durchgeführt (Abb. 4). So entdeckte man vor dem Saalbau wahrhaftig die Fundamentreste einer südlichen Außentreppe. Weiterhin wurden im Erdgeschoss des Hauptgebäudes Reste von Querarkaden freigelegt, die im Widerspruch zu den vorhandenen Spitztonnengewölben standen. Diese Querarkaden schnitten aus dem langen unteren Saal ein Querschiff heraus, das mit einer Balkendecke versehen war. Weiterhin fand man heraus, dass das Erdgeschoss der Aula Regia ursprünglich ebenfalls mit einer Balkendecke versehen war, da man die Balkenkammern in der West- und der Ostmauer freilegen konnte. Unterstützt wurde diese Balkendecke vermutlich durch mittlere Längsarkaden. Auch entdeckte man im Saal des Obergeschosses eine zum Erdgeschoss analoge Querachse. Fundamentreste deuteten an, dass hier ebenfalls zur Betonung der Mittelachse jeweils zwei – vermutlich steinerne – Säulen ein Gewölbe trugen, während die nördliche und südliche Saaldecke durch eine mittlere Säulenreihe mit Unterzug unterstützt wurde.
Diese bauhistorischen und archäologischen Funde ließen Überlegungen laut werden, die nunmehr nachgewiesene hochmittelalterliche Innengestaltung der Kaiserpfalz wieder zu rekonstruieren. Theodor Unger, ein Mitarbeiter Hotzens und ebenfalls der „Hannoverschen Schule“ entstammend, publizierte in der Deutschen Bauzeitung einen im Juli 1871 verfassten Bericht, in dem er diesen Restaurierungsvorschlag unterbreitete (Abb. 5). Von Quast hatte von diesen neuen Entdeckungen Kenntnis, war jedoch in eine Modifikation des anfänglichen Restaurierungsplans nicht eingebunden. Eine Wiederherstellung der entdeckten ursprünglichen Anordnung der Säulenstellungen des Innenraumes konnte nach seiner Meinung ohne genaue architektonische Aufnahme des Vorhandenen und Gefundenen nicht ins Auge gefasst werden. Eine Zeichnung mit der Idealprojektion der Anlage reiche als alleinige Entscheidungsgrundlage nicht aus. Diese fachliche Diskussion geschah zugleich unter dem Umstand, dass die Bauarbeiten infolge mangelnder Geldmittel ins Stocken geraten waren. Im Jahre 1870 waren die noch von der Regierung in Hannover bereitgestellten Mittel von 6000 Talern verbraucht und man wandte sich an die preußische Regierung zwecks Weiterfinanzierung. Das preußische Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten forderte den königlichen Oberpräsidenten von Hannover auf, über das Vorhaben Kaiserhaus zu berichten beziehungsweise die Akten zur Verfügung zu stellen. Daraufhin berichtete Oberlandbaumeister Mittelbach ausführlich über die Bedeutung der Kaiserpfalz und den Stand der Arbeiten. Er verwies auf die umfangreichen Ausgrabungen und Nachforschungen zur Bauentwicklung des Kaiserhauses, die als Grundlage für eine umfassende Restaurierung herangezogen werden könnten. Mittelbach befürwortete in seinem Schreiben ausdrücklich eine Restaurierung analog zur thüringischen Wartburg – im Sinne der „Bewahrung des Gebäudes in seiner vollen Würde als historisches Denkmal“, was zugleich Neu- und Ergänzungsbauten einschloss. Zur Erläuterung wurde eine bereits im März 1869 verfasste Gegenüberstellung der baulichen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen dem Goslarer Kaiserhaus und der Wartburg beigelegt, die in der Feststellung mündete, dass es in beiden Fällen um die Wiederherstellung eines repräsentativen Denkmals gehe.
Die preußische Regierung schickte daraufhin den Geheimen Oberbaurat Salzenberg, der sich gerade auf einer Dienstreise am Rhein befand, nach Goslar zur Besichtigung der Baustelle. In einem internen Bericht beschrieb Salzenberg das Saalgebäude und die Kapelle, wies jedoch darauf hin, dass von den frühen Wohnbauten nichts mehr vorhanden sei. Auch die beabsichtigten Maßnahmen im Saalgebäude, wie die Erneuerung der Fußböden und Decken, könnten dazu führen, dass wichtige Anhaltspunkte für die historische Forschung verdeckt würden. Die Restaurationsarbeiten sollten sich deshalb auf das geringste Maß beschränken und der gegenwärtige Zustand des Hauses sollte aus Pietät für das alte Gebäude tunlichst belassen werden. Damit sprach er sich eindeutig gegen die umfangreichen Rekonstruktionspläne und die Errichtung von Neu- beziehungsweise Ergänzungsbauten aus. Dies rief wiederum den Widerspruch Mittelbachs hervor, der vehement „keine dürftige, sondern eine würdige Restaurierung“ forderte. Zur Schlichtung dieses Streites forderte die preußische Regierung nunmehr die Übermittlung der bauhistorischen Bestandsaufnahme des Kaiserhauses inklusive der durch Grabungen gefundenen Fundamentreste. Ferdinand von Quast wurde beauftragt, eine Begutachtung des Restaurationsprojektes „Kaiserhaus“ unter Berücksichtigung der neuen Aufdeckungen vorzunehmen. Adelbert Hotzen lieferte die gewünschten Zeichnungen und umfangreiche Baubeschreibungen im Juli 1871 ab, obgleich er bereits am 16. April in den Baukreis Göttingen versetzt worden war. Inzwischen hatten die städtischen Kollegien Goslars, die wegen der Unterbrechung der Bauarbeiten in Sorge waren, eine Petition an den Reichstag zur Weiterführung der begonnenen Arbeiten gerichtet. Man hoffte Kaiser Wilhelm dazu bewegen zu können, das Goslarer Kaiserhaus als Denkmal des alten Kaisertums in würdiger Weise wieder aufzubauen. Zur Verdeutlichung der Maßnahme wurde im Lesesaal des Reichstages ein Modell des Kaiserhauses im geplanten restaurierten Zustand ausgestellt (vgl. Abb. 3). Die Auseinandersetzung um die „richtige“ Restaurierung der Kaiserpfalz schlug sich auch in der Deutschen Bauzeitung nieder, wo im Jahre 1872 die unterschiedlichen Sichtweisen thematisiert wurden. Sollte sich die Kaiserpfalz etwa als ein „modernes Gebäude im alten Stil“ oder als eine „klar gestellte Ruine“ präsentieren? Einig war man sich darin, dass es eine Verpflichtung der preußischen Regierung war, „für die Erhaltung des ehrwürdigen Denkmals deutscher Kunst und deutscher Geschichte zu sorgen“ – und entsprechende Geldmittel bereitzustellen.
Unter dem Eindruck dieser Geschehnisse wurde für den Oktober 1872 ein Lokaltermin in Goslar vereinbart, an dem Landdrost Wastrup (Nachfolger von Landdrost Wasmuth), Oberlandbaumeister Mittelbach, Oberbaurat Salzenberg, Bauinspektor Schulze, Ferdinand von Quast und der Goslarer Bürgermeister Tappen teilnehmen sollten. Von Quast ließ sich entschuldigen, da er erkrankt war. Aus dem Protokoll des Treffens vom 22. Oktober 1872 ist das nunmehr leicht modifizierte Restaurierungskonzept zu entnehmen: Demnach sollte die Restaurierung des Saalbaus wie bisher geplant erfolgen. Einstimmig sprach man sich für die Erhaltung des vorhandenen Quergewölbes im Erdgeschoss aus – unter Andeutung der alten Pfeilerfundamente sowie der gefundenen Hypokaustenkanäle. Dies bedeutete eine Absage an Ungers Konzept zur Rekonstruktion einer mittleren Pfeilerreihe im Erdgeschoss des Kaiserhauses. Auch im Kaisersaal sollte die vorhandene mittige Holzpfeilerreihe des 15. Jahrhunderts erhalten bleiben. Die Wände sollten einfach dekoriert, die Holzwerke der Decke mit Wachsfirnis überzogen und die Fensteröffnungen mit Glas in einem eisernen Rahmen verschlossen werden. Der nördliche Anbau von 1822, den Hotzen neu errichten lassen wollte, war zu erhalten beziehungsweise wiederaufzubauen. Die Errichtung eines südlichen Wohnbaus wurde dagegen vorerst zurückgestellt. Stattdessen beschloss man das Hochziehen der Einfriedungsmauer zwischen Saalbau und Ulrichskapelle. Unstimmigkeiten gab es bei der Frage, ob eine einläufige oder eine zweiläufige Außentreppe errichtet werden sollte.
Der erkrankte von Quast reichte am 21. November eine schriftliche Stellungnahme zur Restaurierung des Kaiserhauses nach. Darin betonte er, dass er den am 22. Oktober in Goslar gefassten Beschlüssen in allen wesentlichen Punkten zustimme. Konkret sprach er sich für die Realisierung einer südlichen, zweiseitigen Treppenanlage aus. „Solche Treppenanlagen zu fürstlichen Palästen pflegten immer doppelarmig zu sein, und an Ort und Stelle kann man sich aufs vollständigste davon überzeugen, dass auch hier die Anlage ursprünglich in dieser Art war“. Der Ausbau des vorhandenen nördlichen Gebäudes sollte sich an der künftigen Bestimmung orientieren. Hinsichtlich der Gestaltung des Saales brachte von Quast seine bauhistorisch begründete Vorstellung zum Ausdruck, indem er die Frage offen ließ, „ob man nicht, namentlich in der Mitte das ursprüngliche Querschiff mit hölzernem Tonnengewölbe wieder herzustellen habe, und zwar in Verbindung mit Stützen durch romanische Säulen, wovon noch mehrfach Spuren an Wänden und im Fußboden vorhanden sind.“
Von Quast begleitete die Maßnahmen am Kaiserhaus in Goslar bis 1875, konnte sich mit seinen Vorstellungen allerdings nur teilweise durchsetzen. Am 9. März 1874 schrieb er: „Ein wiederholter Besuch des Kaiserhauses zu Goslar hat mir gezeigt, dass die Herstellung desselben in letzter Zeit sehr wesentliche Fortschritte gemacht hat.“ So war zum Beispiel das gesamte Dachwerk 1873 unter Wiederverwendung des historischen Holzes neu errichtet worden. Entsprechend seinen Vorstellungen, aber auch analog zu den ursprünglichen Planungen wurde in der Mittelachse ein hölzernes Quertonnengewölbe eingezogen, allerdings verzichtete man auf die von ihm angeregten romanischen Stützpfeiler in der mittleren Querachse und errichtete stattdessen die über dem Scheitelpunkt der im Erdgeschoss aufgefundenen Arkade angeordnete mittlere Stütze. Ein weiterer Streitpunkt war die Gestaltung des großen Mittelfensters der Ostfassade. Während für die Gestaltung der Fensteröffnungen seitlich der großen Mittelarkade Ansatzspuren für Bögen, die wieder rekonstruiert werden konnten, vorhanden waren, bot sich im Mittelbau selbst ein gänzlich anderes Bild. Dessen Vorderseite war durch eine Fachwerkwand komplett verschlossen worden. Selbst eine Zeichnung von 1810, die der Bauleitung und von Quast als Grundlage für das Restaurierungskonzept diente (Abb. 6), bot keine Anhaltspunkte für eine Gliederung der ehemals wohl vorhandenen rundbogigen Öffnung. Nach den Plänen der örtlichen Bauleitung sollte diese Öffnung mit zwei übereinander stehenden Bogenreihen geschlossen werden. Von Quast forderte jedoch auch hier weitere Untersuchungen an den Laibungen der großen Öffnung, um eventuell Spuren von früheren Bogenansätzen zu finden. Nach weiteren intensiven Untersuchungen wurde deutlich, dass keine derartigen Spuren vorhanden waren. Von Quast berichtete hierzu am 21. April 1874: „In Bezug auf die Ausfüllung des großen Mittelfensters dürfte zunächst als sicher feststehend anzunehmen sein, dass die projektierte Anordnung von zwei übereinander stehenden Arkaden, jede von zwei Mittelsäulen gestützt, und an den Seiten durch Bögen mit den Laibungen der großen Fensteröffnung verbunden, in der gezeichneten Weise nicht vorhanden war. Eine Bogenverbindung kann erst oberhalb des jetzt noch vorhandenen Anschlussmauerwerks, das heißt oberhalb des ersten Bogensteins des großen Bogens stattgefunden haben. Wenn innerhalb dieses Bogensteins sich beiderseits eingemeißelte Vertiefungen vorfinden, so deuten diese auf eine Querverbindung oberhalb des Bogenanfangs, sei es durch Holz oder durch Metall, da sie für Steinbalken nicht ausreichend Maß darbieten.“ Von Quast schlug daher nur eine Säulenreihe vor, deren Kämpfer noch in den großen Bogen hineinreichen sollten. Allerdings widersprach er in diesem Zusammenhang heftig der Vorstellung, dass die große Öffnung eventuell ohne jede Säulengliederung verbleiben sollte. Diese Vorstellung war wohl bei der großen Besprechung vom 22. Oktober 1872, an der von Quast wegen „Unwohlsein“ nicht teilgenommen hatte, von einem „anderen gegenwärtigen Herrn“ (gemeint ist wohl Wilhelm Salzenberg) ausgesprochen worden. Er selbst sei der Überzeugung, dass man nach der neuen Befundlage die Planung nun ändern müsse und „dass man einen erkannten Fehler wieder gut machen müsse, so lange es noch möglich ist“. Die Landdrostei erwiderte jedoch darauf, dass man auf die Änderungswünsche von Quasts nicht mehr eingehen könne, da bereits sämtliche Teile des Ausbaus bis auf zwei Kapitelle fertig bearbeitet seien. Daraufhin unterbreitete von Quast seine Entwürfe für die Gestaltung des Mittelfensters unter Verwendung der bereits gefertigten Säulenbasen und Kapitelle. Dieser Entwurf sah nur eine Säulenreihe vor. Damit diese Säulen nicht zu schlank erschienen, sollten sie in der Mitte mit Wulsten versehen werden. Die horizontale Verbindung zwischen den Säulen sollte durch eiserne Schienen in Höhe der Verknotungen und Kapitelle gewährleistet werden (Abb. 7).
Doch auch dieser Entwurf kam nicht zur Ausführung. Salzenberg sprach sich gegen die „überschlanken“ Säulen aus und favorisierte nun wieder den Entwurf der örtlichen Bauleitung. Unterstützt wurde er durch einen Bericht der technischen BauDeputation (30. März 1875), in dem der Entwurf von Quasts als unharmonisch bezeichnet wird. Stattdessen gab man dem Entwurf, welcher von dem Oberbaurat Salzenberg revidiert worden war, den entschiedenen Vorzug. „Er mache sich indessen bei sorgfältiger Prüfung der verschiedenen aufgestellten Projekte zu dem fraglichen Ausbau die Ansicht geltend, dass der ursprüngliche Entwurf des Baumeisters Hennecke (Nachfolger von Adelbert Hotzen als Bauleiter, d. V.) für den Mittelbau, vom 1. Januar 1873, in jeder Beziehung in den Formen am meisten mit den Seitenflügeln im Einklang stände und es daher auch wünschenswert sei, dass dieser Entwurf zur Ausführung gelange.“ Außerdem könne die Umarbeitung einiger schon vorhandener Sandsteine, wie es von Quast empfohlen hatte, kaum in Betracht kommen, wenn es sich darum handele, „ein Gebäude wie das Kaiserhaus wirklich stylvoll herzustellen“. Eine letzte Niederlage erlitt von Quast in Bezug auf die Ausgestaltung der Kaiserpfalz. Während die bisherigen Restaurierungspläne eine grundsätzlich schlichte Ausgestaltung insbesondere des großen Saales vorgesehen hatten, machte die Landdrostei Hildesheim 1875 den Vorschlag, „anstatt der in dem genehmigten Anschlage für die Restauration des Kaiserhauses zu Goslar berücksichtigten einfachen Decoration des in dem Gebäude befindlichen Reichssaales eine reichere Ausschmückung des Letzteren mit historischen Gemälden“ vorzunehmen. Vorgeschlagen wurde ein Bilderzyklus, der die in Goslar residierenden mittelalterlichen Kaiser und Könige (von Kaiser Heinrich III. bis Wilhelm von Holland) und die Krönung Kaiser Wilhelms I. 1871 in Versailles darstellen sollte.
Auch von Quast sprach sich nun für eine Ausmalung des Kaiserhauses aus – allerdings in romanischer Art und Weise. Er wies darauf hin, dass die Wandflächen romanischer Bauten in der Regel verputzt waren, worauf die Darstellung einzelner Figuren vor neutralisierendem Hintergrund (tiefblau und goldfarben) durchaus möglich wäre. Eine Darstellung der Reihenfolge deutscher Kaiser hielt er für angemessen, allerdings sprach er sich konkret gegen die Gemäldeform aus und empfahl den Maler Fischbach, mit dem er bereits mehrere Denkmalobjekte gemeinsam restauriert hatte, für die Ausgestaltung. Nach einer öffentlichen Ausschreibung erfolgte zwischen 1879 und 1897 schließlich die Ausmalung der Aula Regia durch den deutschen Historienmaler Hermann Wislicenus, der in dieser Arbeit sein Lebenswerk sah. Entgegen den Empfehlungen des inzwischen verstorbenen von Quasts kam die Darstellung in Gemäldeform zur Anwendung. Diese umstrittene Ausmalung der Kaiserpfalz stellte den vorläufigen Abschluss der kontrovers diskutierten Pfalzrestaurierung in Goslar dar (Abb. 8).
Die Kaiserpfalz als nationales Denkmal
Nach Abschluss der baulichen Instandsetzung hatte am 15. 08. 1875 Kaiser Wilhelm I. die Kaiserpfalz in Goslar besucht. Die „Goslarsche Zeitung“ verband mit diesem Besuch ein bewusstes Anknüpfen des neuen deutschen Kaiserreiches an die ruhmreichen Zeiten der Kaiserstadt im Mittelalter mit dem Hinweis: „…auf die Zeiten, wo mächtige Kaiser hier Reichstage hielten, folgten die Zeiten der Ohnmacht und Zerrissenheit unseres deutschen Vaterlandes, folgten Zeiten der Entweihung unseres Goslarer Kaiserhauses. Nun ist die Stätte durch den Besuch unseres Kaisers und Kronprinzen neu geweiht, eine ruhmreiche Gegenwart mit einer denkwürdigen Vergangenheit verknüpft“. Das heutige Erscheinungsbild der Kaiserpfalz ist wesentlich geprägt durch den Richtungsstreit in der Denkmalpflege der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Während die preußische Regierung insbesondere mit Wilhelm Salzenberg die bauhistorisch-archäologische Vorgehensweise favorisierte, traten die von der Hannoverschen Schule geprägten verantwortlichen Bauleitungen für die repräsentative Wiederherstellung der Gesamtanlage ein. Bemerkenswert ist, dass der Denkmalpfleger Ferdinand von Quast dabei zum Teil zwischen diesen beiden gegensätzlichen Sichtweisen zu stehen schien. Anfänglich den Entwürfen der örtlichen Bauleitung grundsätzlich zugetan, musste er sich in der Folgezeit gegen die interne Kritik Salzenbergs rechtfertigen und manche eigene Ansicht relativieren.
Grundsätzlich ist jedoch das denkmalpflegerische Herangehen der damals Verantwortlichen zu würdigen. Bauhistorische und archäologische Untersuchungen gaben wesentliche Aufschlüsse über die verschiedenen Bauphasen der Kaiserpfalz. Vor allem die Entdeckung der ursprünglichen romanischen Baustrukturen stellte eine besondere Herausforderung dar. Noch heute kann man im Erdgeschoss der Kaiserpfalz die damals freigelegten und restaurierten Querarkaden des Mittelbaus erkennen. In der Aula Regia wurde die spätgotische Balkendecke wieder eingebaut. Lediglich die noch vorhandenen Halbsäulen an Ost- und Westwand erinnern an die ehemals vermutlich vorhandenen steinernen Säulen in diesem Raum. Wohl aus Kostengründen, aber vor allem auch aus Respekt vor den gotischen Veränderungen im Kaiserhaus verzichtete man auf die Rekonstruktion des romanischen Raumgefüges und bewahrte somit die verschiedenen Bauphasen des Gebäudes. Ungeklärt bleibt die ursprüngliche Gestaltung der großen Mittelarkade, deren heutiges Aussehen als freie Zutat eingestuft werden muss.
Der Text wurde erstmals veröffentlicht in den Berichten zur Denkmalpflege in Niedersachsen, 32. Jg. (2012), Heft 2, S. 78-83.
Zum Weiterlesen:
- Arndt, Monika, Die Goslarer Kaiserpfalz als Nationaldenkmal. Eine ikonographische Untersuchung, Hildesheim 1976, S. 95 f.
- Auch die Denkmalpflege hat Geschichte. Ferdinand von Quast (1807–1877). Konservator zwischen Trier und Königsberg. Kolloquium anlässlich des 200. Geburtstages des ersten Staatskonservators im Königreich Preußen“, hrsg. durch Jörg Haspel, Ulrike Laible, Hans-Dieter Nägelke, Petersberg 2007. (= Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin; Band 29).
- Behr, Anton von, Das Kaiserhaus zu Goslar, in: Zeitschrift für Bauwesen 50, 1900, S. 161–180.
- Cuno, H./Leimbach, C., Das Kaiserhaus zu Goslar. Kurze Angaben über seine Geschichte, Wiederherstellung und Ausschmückung, (2. Auflage) 1895.
- Die Kunstdenkmale der Stadt Goslar, bearbeitet von Carl Wolf, A. v. Behr und U. Hölscher (Hannover 1901), Nachdruck von 1979, S. 13 ff.
- Frontzek, Wolfgang/Memmert, Torsten/Möhle, Martin, Das Goslarer Kaiserhaus. Eine baugeschichtliche Untersuchung, Hildesheim 1996 (Goslarer Fundus, Veröffentlichung des Stadtarchivs, Band II).
- Gutmann, Chr./Schadach, V., Kaiserpfalz Goslar, Goslar 2002.
- Hölscher, Uvo, Die Kaiserpfalz Goslar, Nachdruck der Ausgabe von 1927, Bielefeld 1996.
- Hotzen, Adelbert, Das Kaiserhaus zu Goslar, Vortrag gehalten in der IV. Hauptversammlung des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde am 30. Mai 1871 zu Goslar, Halle 1872.
- Kokkelink, Günther/Lemke-Kokkelink, Monika, Baukunst in Norddeutschland. Architektur und Kunsthandwerk der Hannoverschen Schule 1850–1900, Hannover 1998.
- Lieb, Stephanie, Der Rezeptionsprozess in der neuromanischen Architektur. Studien zur Rezeption von Einzelformen in restaurierter und in neuromanischer Architektur (= Kölner Architekturstudien, Bd. 82), Köln 2005.
- Meckseper, Cord, Der Palas der Goslarer Kaiserpfalz und der europäische Profansaalbau, in: Goslar. Bergstadt- Kaiserstadt in Geschichte und Kunst. Schriftenreihe der Kommission für Niedersächsische Bau- und Kunstgeschichte bei der Braunschweigschen Wissenschaftlichen Gesellschaft 6, Göttingen 1993, S. 45–61.
- Mithoff, H. Wilh. H., Archiv für Niedersachsens Kunstgeschichte, Abteilung 3, Mittelalterliche Kunstwerke in Goslar, 1862.
- Unger, Theodor, Das Kaiserhaus zu Goslar, in: Deutsche Bauzeitung, Jahrgang V, 1871, Nr. 31, S. 242 ff.