Der Haghof in Isernhagen (Kircher Bauerschaft) von Ferdinand Eichwede

Von Birte Rogacki-Thiemann

Der Haghof – eine gutshofähnliche Anlage von 1909/10 – im Norden von Hannover ist in mehrerlei Hinsicht ein spannendes Objekt. Es handelt sich um ein an englische Vorbilder erinnerndes Landhaus, wie sie im Hannoverschen Umland ansonsten nicht vorkommen, es hängt eng mit dem Werk und Leben des hannoverschen Architekten (Eduard Karl) Ferdinand Eichwede (1878-1909) zusammen und das Haupthaus besitzt – trotz intensiver und wechselvoller Nutzung in den vergangenen einhundert Jahren – bis heute viele der ursprünglichen Ausstattungsmerkmale.

Das ursprünglich etwa 250.000 qm umfassende Gelände nördlich der Dorfstraße erwarben Ferdinand Eichwede und seine Cousine Alma Eichwede, die mütterlicherseits aus der vermögenden Duisburger Haniel-Dynastie stammte, Anfang des Jahres 1909. Die ersten Entwurfspläne stammen vom 9. März 1909 und sind übertitelt mit „Landhaus für Herrn Dr. Ing. Ferd. Eichwede Isernhagen Kircher Bauernschaft“, als Bauherr und Architekt hat Ferdinand Eichwede persönlich unterschrieben. Diese Pläne wurden mit dem Bauantrag („Bauanzeige des Architekten Dr.-ing. Eichwede in Hannover. An das Königliche Landratsamt Burgdorf“) am 23. März 1909 eingereicht, anschließend in einem Rücklauf noch einmal überarbeitet, um schließlich am 30. April 1909 zur Ausführung genehmigt zu werden. Das „Landhaus“ sollte ein quergelagertes, zweigeschossiges Gebäude werden, das über die Südseite über eine überdachte Terrasse erschlossen werden, westlich einen eigenen Dienstbotentrakt mit Garage und im Osten die großzügigen Wohn- und Arbeitsräume (Atelier und Arbeitszimmer) enthalten sollte; eine ausführliche Baubeschreibung lag dem Bauantrag bei. Hieraus wird nicht nur die geplante Gestaltung des Landhauses deutlich, das mit verschieden behandelten „Ansichtsflächen, teilweise verputzt, teilweise mit Kieslingen verblendet, und die angegebenen Flächen verschindelt oder mit Ziegelbehang versehen“ werden sollte, das Dach als „Gernetz’sche Strohdach vorgesehen“, sondern darüber hinaus auch der Komfort, den Eichwede in Form von einer Warmwasserheizung, Toiletten mit Wasserspülung, einer Wasserleitungsanlage und elektrischem Licht vorgesehen hatte – etwas, das für Isernhagen zu Beginn des 20. Jahrhunderts sicher noch nicht der Standard der Zeit war.

Ferdinand Eichwede nun starb – 30jährig – in der Nacht nach Bewilligung des Bauantrages, in den frühen Stunden des 1. Mai 1909, sodass die Bauausführung einige Monate ruhte und schließlich von seinem ehemaligen Mitarbeiter und Büronachfolger Franz (Ernst) Hoffmann (1881-1948), anscheinend im Auftrag von Alma Eichwede (1883-1969), im Sommer 1909 wieder aufgenommen wurde. Es muss insofern offenbleiben, inwieweit die vor Ort in Isernhagen bis heute vorhandenen Gebäude auf erste Entwürfe Eichwedes zurückgehen oder ob sie im Stile von Eichwede durch Hoffmann entworfen wurden. (Dies trifft im Übrigen auch auf zwei Bauten in der hannoverschen Ludwig-Barnay-Straße [Nr. 1 und 3] zu, die angeblich 1910 von Hoffmann errichtet wurden, in ihren Formen aber sehr stark an die außergewöhnliche Architektur Ferdinand Eichwedes angelehnt sind. Da Hoffmann bis Ende 1910 das Büro von Eichwede abwickelte, ist es durchaus wahrscheinlich, dass er auch noch einige seiner Entwürfe umsetzte. Nachfolgend ist seine Architektursprache – z.B. beim hannoverschen Brüggemannhof – eine deutlich andere.)

Geplant wurden neben dem Landhaus, das etwa 100 m nördlich der Straße im Zentrum der Anlage errichtet werden sollte, ein „Gewächshaus für Alma Eichwede“ im Westen, ein Wirtschaftshof mit Stallungen und Remisen im Osten sowie ein „Gärtnerwohnhaus“ im Süden, direkt an der Straße. Von den 250.000 qm war die Hälfte als Acker- und Wiesenflächen vorgesehen, etwa 75.000 qm entfielen auf den Ziergarten und etwa 7.000 qm auf den Obst- und Gemüsegarten. Erhalten haben sich bis heute große Teile der bauzeitlichen Einfriedung aus Raseneisenstein und schmiedeeisernen Gittern, der nördlich an das Landhaus anschließende Park mit großer Wiesenfläche, altem Baumbestand und künstlichem Teich, die im Süden befindliche Zufahrt mit Rondell, Reste der Gartenterrassierungen, des ehemaligen Gewächshauses sowie des Wirtschaftshofes, das ehemalige Gärtnerwohnhaus und das 1909/10 errichtete Hauptgebäude. Letztes wurde, anders als ursprünglich geplant, umgekehrt orientiert erbaut: Der Wirtschaftsflügel steht heute an der Ostseite des Gebäudes, entsprechend sind das Wohn- und Schlafzimmer von der Südostecke in die Südwestecke verrutscht, zudem gibt es kleinere Änderungen in der Fassadengestaltung.

Im Sinne von Eichwede wurden im Innern vielfältige Ausstattungsdetails verwirklicht. Hierzu gehören ein goldenes Deckenmosaik im Eingang, marmorne Wand- und Bodenverkleidungen, verschieden ausgeführte Türen mit unterschiedlichen phantasievollen Beschlägen, eine Holzbalkendecke über dem ehemaligen Atelier mit Balken, die im Detail alle individuell gestaltet sind, die Gestaltung des oberen Flures mit (zum Teil historischen) Kacheleinfassungen und einem Handwaschbecken, dessen Wasserhahn dem Maul eines Tierkopfes entspringt, unterschiedlichen Fensterformen und -griffen sowie individuell gestalteten schmiedeeisernen Fenstergittern und die mit verschiedenen Tierdarstellungen gestaltete Toranlage. Alle diese Details haben sich bis heute gut erhalten.

In einer zeitgenössischen Würdigung des Vaters von Ferdinand Eichwede, Christian Eichwede (1853-1936) heißt es zum Haghof: „Es ist dies eine Anlage, die sich den englischen Landhäusern würdig an die Seite stellen lässt und einen ungemein malerischen Eindruck macht, besonders durch das grosse, meist bis auf das Erdgeschoss herabgezogene Rohrdach.“ Und der Publizist Robert Breuer (1878-1943) ergänzte: „Die Gesamtdisposition, die Gruppierung der Häuser und der Grünanlage, alles von bedeutsamen Abmessungen, sichert uns den Eindruck, dass Eichwede zuzufassen wusste und auch vor ihm völlig neuen Aufgaben nicht ratlos stand, sie vielmehr nach dem architektonischen Prinzip, das er in praktischer Arbeit errungen und erlöst hatte, zu gestalten wusste.“ Beide Aussagen können bis heute am Bau und an der Gesamtanlage nachvollzogen werden.

Alma Eichwede heiratete ein Jahr nach dem Tod von Ferdinand Eichwede dessen Freund und Studienkollegen, den Architekten Karl Wach (1878-1952), den man als Vertreter des Neuen Bauens der 1920er und 1930er Jahre in Düsseldorf kennt. Mit den zwei Töchtern (geb. 1914 und 1915) lebte die Familie Eichewed-Wach – wohl nur zeitweise – etwa bis Ende des Ersten Weltkriegs auf dem Haghof, anschließend wurde der Gesamtkomplex verkauft und unter dem neuen Besitzer zu einer Musterlandwirtschaft mit Pferden und Kühen umgenutzt. Spätestens unter dem Fabrikanten Fritz Beindorff jun. (1891-1938), der den Haghof 1929 erwarb, wurden der Wirtschaftshof und die Gärtnereianlagen einzeln verpachtet und damit das eigentliche „Landgut“ aufgesplittet. Der Mitinhaber der Pelikanwerke in Hannover zog im ehemaligen, über zwei Geschosse reichenden Atelier in der Nordwestecke des Hauses eine Zwischendecke ein und verewigte sich im Bauwerk selbst mit zwei steinernen Pelikanen an der neuen Flurtür im Obergeschoss. Nach seinem Tod wurde das Haus als Erholungsheim für die Belegschaft der Pelikanwerke genutzt. 1953 übernahm die Pestalozzistiftung das einstige Landhaus bis Mitte der 1980er Jahre als Kinderheim, in den 1990er Jahren hatte der Sender FFN hier sein Domizil. Die zahlreichen ehemaligen Balkone und Freisitze des Bauwerks sind in den Jahren der Intensivnutzung zu Räumen umgebaut worden, ansonsten ist auch das äußere Erscheinungsbild des Landhauses gut überkommen und kann als Zeugnis großbürgerlichen Lebens auf dem Lande – vielleicht darüber hinaus sogar als Zeugnis des um 1900 stetig wachsenden Bedürfnisses nach einem (idealisierten) Leben fernab von Industrie und den wachsenden Städten – dienen. Das Objekt ist seit 1986 in das Verzeichnis der Baudenkmale in Niedersachsen eingetragen.

 

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