Der Gartenfriedhof in Hannover
Geschichtliche Entwicklung
Durch die rasche Zunahme der hannoverschen Bevölkerung zu Beginn des 18. Jahrhunderts gerieten die bestehenden Friedhöfe an den äußersten Rand ihrer Kapazität. Zudem wurde die Bestattung innerhalb der Stadtmauern aus hygienischen Gründen aufgegeben. Im Jahr 1741 wurde deshalb der Grundstückskauf für einen neuen Gartenfriedhof durch den Magistrat der Stadt Hannover vollzogen. Da sich vor den Toren der Stadt zahlreiche Geringprivilegierte, sogenannte Gartenleute ansiedelten, welche die dortigen Hopfen- und späteren Gemüsegärten bewirtschafteten, erhielt der Friedhof die Bezeichnung Gartenfriedhof. Die Fläche betrug ursprünglich rund 6 Morgen. Als Einfassung dienten eine Hainbuchenhecke und ein vorgelagerter Staket-Zaun. Durch die Zunahme der Gartenbewohner und bislang fehlende Zugehörigkeit zu einer Kirche wurde in Folge auch der Beschluss zur Gründung einer Kirchengemeinde gefasst. Dies geschah im Jahr 1746. Bereits im Jahr 1749 konnte mit der Grundsteinlegung der Kirche begonnen werden. Der Entwurf stammte von Peter Carl von Lüde, der unter der Aufsicht des königlichen Oberbaumeisters Johann Paul Heumann stand.
Gesicherte Informationen über die Gestaltung des Friedhofs liegen erstmalig für den Zeitraum ab 1749 vor. Ein Stadtplan Hannovers zeigt die Grundfläche des Areals. Nähere Informationen sind maßstabsbedingt nicht möglich. In einem weiteren Stadtplan aus der Zeit zwischen 1770 und 1780 ist der Grad der zeichnerischen Darstellung deutlich höher. In der Umgebung der Stadtbefestigung, und des Gartenfriedhofs können formal gestaltete Gärten ausgemacht werden. Eine solche formale oder gezielte Gestaltung ist für den Friedhof nicht erkennbar. Vom Grundsatz her erinnert die Gestaltung an typische ländliche Friedhöfe, wie sie in abgelegenen Gebieten noch heute existieren. Dies ist in gewisser Weise nicht verwunderlich, da das Umfeld des Friedhofs zu dieser Zeit intensiv ländlich-landwirtschaftlich geprägt war. Auch dürfte sich das von den Herrnhutern stammende Ordnungsprinzip einer formalen Friedhofsgestaltung zu dieser Zeit im hannoverschen Raum noch nicht durchgesetzt haben.
Weitere spätere Planunterlagen decken sich inhaltlich weitgehend mit den bisherigen Informationen. Auffällig ist allerdings die zunehmende Verstädterung der Umgebung und die Entstehung von Wohnquartieren. So nahm etwa die Bevölkerungszahl zwischen 1860 von 61.000 Einwohnern auf 87.000 Einwohner im Jahr 1870 zu. Dies und die fehlenden Erweiterungsmöglichkeiten des Friedhofsgeländes führten dazu, den Friedhof im Jahr 1864 zu schließen und Bestattungen künftig auf dem neu eingerichteten Engesoder Friedhof durchzuführen. Durch den Anstieg der Bevölkerung und bestehende bauliche Mängel, entschloss man sich ebenfalls für den Neubau der Gartenkirche an ihrer bisherigen Position. Die alte Saalkirche wurde 1886 entweiht und abgerissen. Der Neubau im neugotischen Stil erfolgte schließlich durch Eberhardt Hillebrand, einen Schüler Conrad Wilhelm Hases, der im Februar 1891 eingeweiht werden konnte.
Da die neue Kirche deutlich veränderte Proportionen aufwies, kam es bereits zu diesem Zeitpunkt zur Aufgabe beziehungsweise Verlegung einiger Grabstätten. Die Grabsteine wurden an oder in der Gartenkirche aufgestellt und blieben als Gestaltungs- und Erinnerungselemente erhalten. Durch die zunehmende bauliche Verdichtung Hannovers war auch eine Anpassung der städtischen Infrastruktur erforderlich. Mit der Verbreiterung der Warmbüchenstraße und der Entstehung der Arnswaldtstraße Ende des 19. Jahrhunderts büßte der Friedhof nicht unerhebliche Flächen ein. Aus der Zeit der Jahrhundertwende und des frühen 20. Jahrhunderts sind eine Reihe guter Fotografien erhalten. Sie zeigen einen leicht morbiden Charme und Rasen- beziehungsweise Wiesenaufwuchs zwischen den Gräbern. Die vorhandenen Großgehölze sind in der Vielzahl höchstens 50 Jahre alt. Verwendet wurden typische Sorten, unter denen sich Trauereschen oder Säuleneichen befinden. Die Wege bestanden aus Sand möglicherweise wassergebundenen Materialien. Beschreibungen aus den 1920er Jahren geben wieder, dass die Bodendecke vollständig mit Gänseblümchen bedeckt war. Ebenso werden unter den Gehölzen Goldregen, Holunder und Akazie erwähnt.
Durch die nicht mehr bestehende Nutzung als Begräbnisstätte und die anhaltende Verdichtung der Bebauung kommt dem Friedhof zunehmend eine wichtige Bedeutung als Naherholungs- und Grünfläche zu. Ein Tatbestand, der sich bis heute nicht geändert hat. Vermutlich auf Veranlassung von Stadtgartendirektor Julius Trip wurde um die Jahrhundertwende damit begonnen, den Friedhof als Grünelement in die städtischen Parkanlagen zu integrieren. Möglicherweise entstand hierzu erstmals ein komplexeres Wegesystem. In den 1930er Jahren gab es erste Bestrebungen die Grabmale des Friedhofs zu inventarisieren. Hier war der Heimatbund Niedersachsen mit seinen Mitgliedern federführend. Namentlich Studienrat Hesse, dessen Erhebungen von rund 540 Grabmälern bis heute eine wichtige Basis sind. Mit der Inventarisation durch Hesse und der fachlichen Auseinandersetzung durch den Heimatbund stellt man ab 1938 Bemühungen zur Erhaltung und Aufwertung von Gräbern, insbesondere namhafter Persönlichkeiten, an.
Es sind Aufzeichnungen erhalten, dass im Mai 1939 Instandsetzungsarbeiten vollzogen wurden, bei denen man Grabsteine sanierte, Wege verbreiterte, mit Kanten einfasste und Laternen aufstellte. Gleichzeitig kam es aber zur Beseitigung der einfassenden Zaunanlage, Metallgrabkreuzen und Eisengittern, um das Metall der Rüstungsindustrie zuzuführen. An Stelle des Zaunes sollte fortan eine neu gepflanzte Hecke den nötigen Schutz erbringen. In der Nacht vom 08. auf den 09. Oktober 1943 erfolgte die Bombardierung Hannovers. Dabei kam es nach Hinweisen in den Akten des Gartenamtes zu keinen nennenswerten Schäden am Friedhof. Allerdings wurde die Kirche schwer in Mitleidenschaft gezogen.
In der Zeit des Wiederaufbaus beschäftigte man sich intensiv mit der Wiederherstellung zerstörter Gebäude. Darunter auch der Gartenkirche die wenige Jahre später wieder eingeweiht werden konnte. Auf dem Gartenfriedhof traten unterdessen ganz andere Probleme auf. Immer wieder wird über die unsachgemäße Nutzung des Areals zu Zwecken der Lagerei oder durch spielende Kinder berichtet. In einem Schreiben der Kirchengemeinde an die Landeshauptstadt Hannover wird deshalb im März 1949 darum gebeten, das ehemals für Kinderspielzwecke freigegebene Areal dem Kindergarten für Spielzwecke zur Verfügung zu stellen. Diesem Antrag wird unter der Auflage schonend zu verfahren entsprochen. 1955 wurde die Marienstraße ausgebaut. Dies hatte zur Folge, dass erneut Friedhofsfläche abgetrennt wurde. Neben dem Areal, welches der Straßenverbreiterung zum Opfer fiel, musste weitere Friedhofsfläche an die Kirchengemeinde abgegeben werden, um den dortigen Flächenverbrauch zu kompensieren.
Auch musste mit der Verbreiterung der Straße der ehemalige Haupteingang in die Kirche aufgegeben werden. Dieser befindet sich seitdem unter dem Westturm und ist vom Friedhof aus erreichbar. Weite Teile des heutigen Wegesystems sind somit ein Produkt der 1930er und der 1950er Jahre. In den Folgejahren werden erneut zahlreiche Grabmale restauriert. 1984 stehen endlich die ersten Mittel zur Errichtung eines „neuen“ Zaunes entlang der Marienstraße bereit. Zwei weitere Bauabschnitte werden bis 1989 folgen. Diese Zaunanlage besteht aus ehemaligen Geländern von Brücken über den Mittellandkanal aus der Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert und ersetzt die zu Rüstungszwecken in den 1930er Jahre entfernte Einfassung. In den 1990er Jahren konnte man sich schließlich auch der Aufwertung des Kirchenvorplatzes widmen. Bei dieser Gelegenheit wurde die unpassend eingebrachte Schwarzdecke aus einigen Wegeabschnitten entfernt. An ihre Stelle gelangten eine Pflasterung aus Naturstein und wassergebundene Wegedecken. Zudem wurde 2007 ein Restaurierungskonzept für die Grabmale in Auftrag gegeben um künftige Handlungsansätze zu erhalten. Da der Friedhof im Besitz der Stadt Hannover blieb, wird er heute durch den Fachbereich Umwelt und Stadtgrün gepflegt.
Denkmalpflegerische Konzeption
Um eine umfassende Basis für eine fachliche Auseinandersetzung mit dem Objekt zu erhalten, war als erster Arbeitsschritt eine vertiefende Quellenrecherche erforderlich. Parallel hierzu wurde eine Bestandsaufnahme des Status quo vorgenommen. Hierbei wurden sämtliche vegetabilischen, gestalterischen und baulichen Elemente erfasst. Anschließend war es möglich, die aktuelle Situation mit historischem Planmaterial zu überlagern. Anhand dieser Überlagerung und weiterer historischer Unterlagen (Fotos, Aufzeichnungen, Rechnungen usw.) konnte erstmals eine umfassende Bestandsanalyse erfolgen. So konnten Abweichungen und Gemeinsamkeiten des heutigen Bestandes zu früheren Entwicklungsstadien festgestellt werden. Die Überlagerung, gestützt durch eine anlagengenetische Karte ergab, dass insbesondere die Grundstruktur des Friedhofs noch zahlreiche Gemeinsamkeiten mit den Situationen der 1930er und 1950er Jahre aufweist.
Diese Erkenntnis war für die spätere Zielkonzeption von nicht unwesentlicher Bedeutung. Zu den Anforderungen die durch den Auftraggeber gestellt wurden, zählte auch ein Nutzungskonzept. Die Nutzer einer historischen Freifläche stellen sehr abweichende Ansprüche an die Funktion und das Erleben. So gibt es etwa Kulturinteressierte, die das Objekt vorrangig oder ausschließlich aufgrund seiner historischen Qualität und der dort Bestatteten aufsuchen. Dem gegenüber stehen Erholungssuchende, die unter dem grünen Blätterdach einen Nachmittag oder die Mittagspause verbringen möchten. Oder aber Personen, die den Friedhof lediglich queren, da er eine angenehme Abkürzung auf ihrem Fußweg darstellt. Weiterhin können die Nutzungsformen im Einklang mit einem Denkmal stattfinden, oder sich auch negativ auswirken. Dies ist etwa bei Übernutzung oder unsachgemäßer Benutzung möglich.1. Bewahrung, Instandsetzung und Aufwertung der historischen Grabmäler als älteste und markante Relikte des historischen Friedhofs
2. Auseinandersetzung, Konservierung und Wiederherstellung der historischen Friedhofsfläche
Anhand der fachlichen Auseinandersetzung konnte nachgewiesen werden, dass der Friedhof wiederholt Fläche einbüßen musste. Dies hing ursächlich mit der Expansion Hannovers ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre zusammen. Sowohl in der Funktion als wichtige innerstädtische Grünfläche, als auch zur Erschließung bedeutender Grabstätten wurde ein Wegesystem auf dem Friedhof angelegt. Der Friedhof besaß zunächst nur vereinzelte Wege. Etwa ab 1900 wurde das Wegesystem deutlich ausgeweitet, was sicherlich mit der neuen Funktion als Grünfläche zusammenhängt. Das heute bestehende Wegesystem besteht noch weitgehend aus der Struktur zwischen 1900 und 1950. Aus diesem Grund wird dessen Erhaltung und Restaurierung vorgeschlagen. Bereiche, etwa im Umfeld des Grabes von Charlotte Kestner geb. Buff, sollen in ihrer Ursprünglichkeit wiederhergestellt werden, Wegedecken sind durchweg zu erneuern und mit neuen Verschleißschichten nach historischem Vorbild zu versehen.
Die pflanzliche Ausstattung des Areals war zum Zeitpunkt der gutachterlichen Bearbeitung überwiegend willkürlich und unterlag keinem Gestaltungsgedanken. Mitunter konnten sich Einzelgehölze auf Grabstellen zu heute prägnanten Exemplaren entwickeln. Aufnahmen aus dem späten 19. Jahrhundert zeigen, dass das Areal ursprünglich weitgehend frei von Gehölzaufwuchs war. Zudem beschränkten sich die damals vorkommenden Großbäume auf Arten wie z. B. Robinie oder Birke. Keinesfalls kamen jedoch exotisch anmutende Arten vor. Aus diesem Grund wurde zu einer Entnahme von untypischen Gehölzen geraten, die nach 1945 gepflanzt wurden. Hierbei war jedoch zu beachten, dass die ab 1900 inszenierte parkartige Atmosphäre nicht verloren geht. Sodass einerseits auch nachzupflanzen ist, andererseits aber die Beschattung der Sandsteingrabmale nicht zu groß wird. Zusätzlich wurde empfohlen, unpassende Pflanzungen aus den 1980er Jahren zu entfernen. Diese mit Sträuchern, Blühstauden und Bodendeckern bepflanzten Flächen verfälschen den Charakter des Friedhofs, da sie in dieser Form hier ehemals nicht vorkamen. Vereinzelt sind noch Gräber vorhanden, die ursprünglich bepflanzt sind. Hier besteht die Möglichkeit auch solche Qualitäten herauszuarbeiten. Deshalb wurde die Bepflanzung der Grabstellen mit bodendeckenden Stauden empfohlen. Die entsprechende Artenauswahl orientiert sich an Pflanzen, die in der Zeit um 1900 verwendet wurden, wie Maiglöckchen, Immergrün oder Glockenblume.
3. Konservatorische Empfehlungen zum Umgang mit beeinträchtigenden Einflüssen und störenden Ausstattungselementen.
Lagen die Ursprünge des Friedhofs in einem eher ländlichen Umfeld vor den Toren der Stadt, verdichtete sich sein Umfeld bis in die heutige Zeit fortlaufend. Dies wirkte sich auch auf seine Nutzung von der Bestattungs- zur Erholungs- und Gedenkfläche aus. Inzwischen an drei Seiten von Straßen umgeben, kommen Faktoren wie Lärm und Staub hinzu. Um die Erholungsfunktion und Ruhe eines ehemaligen Friedhofs zu erhalten oder zu verbessern, wurde vorgeschlagen, die Einfassung aus Strauchpartien zu erhalten und im Bedarfsfall aufzuwerten. Gleichzeitig soll die Sicht aus und in den Friedhof wieder ermöglicht werden. Zur partiellen Verdichtung des Gehölzbestandes können Sträucher zur Anwendung kommen, wie zum Beispiel Goldregen oder auch Flieder, die sich für das Objekt in alten Archivmaterialien nachweisen lassen.
Neben der Auseinandersetzung mit der Vegetation ist es aber auch notwendig, sich mit dem Mobiliar auf dem Friedhof zu beschäftigen. Die hier überkommenen Laternen erinnern beispielsweise eher an die Beleuchtungsmittel des Grenzstreifen der deutsch-deutschen Teilung, sind aber für diesen historischen Ort nicht angemessen. Ebenfalls gilt dies für die vorgefundenen Banktypen oder Papierkörbe, die nicht der Bedeutung des Objektes entsprechen. Weiterhin ist es notwendig, sich mit dem Nutzungsverhalten auf dem Friedhof auseinanderzusetzen. Ob es soziale Randgruppen sind, die durch ihr Verhalten andere Nutzer abschrecken, oder Fahrradfahrer, die sich rücksichtslos verhalten - es bedarf der Steuerung, um adäquate Nutzungen zu etablieren. Der Friedhof ist schließlich in erster Linie Kulturgut. Dies ändert auch die Tatsache seiner Nutzung als Grünanlage nicht. Die geschichtliche Entwicklung des Objekts hat gezeigt und das wird an dem fortgeschrittenen Verlust an historischer Substanz deutlich, dass nur bei einer angemessenen Nutzung und einem adäquaten Umgang, ein Erhalt gewährleistet werden kann. Mit der erarbeiteten Maßnahmen- und Entwicklungsplanung soll beides gleichermaßen erreicht werden.
Der Text wurde erstmals veröffentlicht in den Berichten zur Denkmalpflege in Niedersachsen, 33. Jg. (2015), Heft 3.