Das Mausoleum für Carl von Alten im Sundern

Von Frank Achhammer

Bis vor wenigen Jahren wusste außerhalb der Gemeinde Hemmingen bei Hannover kaum jemand, dass sich mitten im Naturschutzgebiet Sundern die Ruine eines hochrangigen Baudenkmals befindet. Wer davon Kenntnis bekam und es sehen wollte, hatte Probleme, die Mauerreste zwischen den Bäumen zu finden. Es handelt sich um das Mausoleum für den hannoversch-britischen General Graf Carl von Alten (1764-1840). Es ist die einzige bekannte Zusammenarbeit dieser Art der beiden einflussreichsten hannoverschen Architekten des 19. Jahrhunderts, Georg Ludwig Friedrich Laves (1788-1864) und Conrad Wilhelm Hase (1818-1902). Auf einer künstlich angelegten Insel scheinbar beliebig in den Wald gebaut, befand es sich ursprünglich am Ende des Gartens oder Parks einer Gutsanlage, deren letzte Gebäude wohl in den 1950er Jahren abgebrochen wurden.

Carl von Alten wurde im Jahr seines Todes 1840 seinem Wunsch gemäß nahe seines Gutes Sundern bei Hemmingen beigesetzt. Der königliche Oberhofbaurat Laves legte kurz darauf Entwürfe für ein Mausoleum in neugotischem Stil vor. Die schon Endes des 18. Jahrhunderts besonders in England für den Bau von Land- und Gartenhäusern rezipierte Gotik galt im deutschsprachigen Raum insbesondere nach den napoleonischen Kriegen als genuin deutscher Stil mit Symbolwert für die angestrebte nationale Einheit. Darüber hinaus förderte das erwachende Interesse an der Erforschung historischer Bauten besonders in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts neues Bauen in gotischen Formen sowie die Restaurierung bzw. Vollendung mittelalterlicher Bauten wie des Kölner Doms. Besonderen Bekanntheitsgrad als neugotische Denkmale mit nationaler Bedeutung erlangten die Entwürfe Karl Friedrich Schinkels (1781-1841), die einen Bezug zu den Befreiungskriegen hatten, wie der nicht gebaute Befreiungsdom als Ursprungsidee für das 1821 eingeweihte Denkmal auf dem Kreuzberg. Anlässlich des Todes der Königin der Luise von Preußen, einer Identifikationsfigur des Widerstandes gegen Napoleon, entwarf Schinkel 1810 ein Mausoleum und kurz darauf ein Kenotaph in neugotischem Stil. Ersteres blieb Entwurf, erlangte jedoch hohe Aufmerksamkeit, letzteres wurde im brandenburgischen Gransee ausgeführt.

Aufgrund seines Anteils am Sieg von Waterloo genoss Carl von Alten das Ansehen eines Helden der Befreiungskriege, möglicherweise beeinflusste das die Wahl des vermeintlich nationalen Stils für sein Mausoleum. Der zur Ausführung bestimmte Entwurf sah, einer zeittypisch klassizistischen Auffassung der Gotik gemäß, einen einfachen kubischen Bau auf rechteckigem Grundriss unter Satteldach mit einem ebenfalls einfachen kleinen Vorraum vor. Dieser wurde neugotisch geschmückt mit hohen fialenartigen Ecktürmen, Bogenfriesen an den Traufen und einem Rundfenster mit hölzernem Maßwerk an der Rückwand. Auf alten Darstellungen ist eine der nach Laves benannten Brücken mit Linsenträger zu sehen, die zur künstlich angelegten Insel führt, eine antike Vorstellung des Überwechselns in die Totenwelt in romantischer Weise aufgreifend. Als Sichtmauerwerk wurde unverputzter Backstein gewählt. In nachmittelalterlicher Zeit galt gebrannter Ton lange als geringwertiges Material, das bei Verwendung in Ermangelung von Naturstein im Außenbereich repräsentativer Bauten in der Regel unter Putz und Farbe versteckt wurde. Im späten 18. Jahrhundert setzte von England ausgehend aufgrund der Witterungsbeständigkeit und des geringen Aufwands der Herstellung eine neue Wertschätzung keramischer Baumaterialien ein, nicht zuletzt auch infolge der gestiegenen Aufmerksamkeit für mittelalterliche Backsteinbauten.

Bedeutende Bauwerke in Sichtbacksteinbauweise wurden bereits vor 1840 u. a. von Schinkel in Berlin, Friedrich von Gärtner (1791-1847) in München und August Heinrich Andreae (1804-1846) in Hannover errichtet. Da man aber Backstein epochenübergreifend nur als Surrogat begriffen hatte, musste man sich die technischen und handwerklichen Voraussetzungen für die Herstellung hochwertiger Baukeramik mühsam zurückerwerben. Insbesondere die serielle Produktion von gebrannten Formsteinen gotischen Stils stellte eine große Herausforderung dar, häufig griff man deshalb zu Stuck, Naturstein oder Gusseisen in Kombination mit Backstein. Schinkel stand beim Bau der Friedrichswerderschen Kirche und der Bauakademie eine hochentwickelte Terrakottenindustrie zur Verfügung, die es in Hannover um 1840 noch nicht gab. 1842 überließ der damals vielbeschäftigte Laves seinem Bauleiter Christoph August Gersting die Verantwortung für das aufwändige Anfertigen der noch fehlenden Detailzeichnungen und der Formsteine zum Bau des Mausoleums. Gersting stellte dafür seinen ehemaligen Lehrling und jungen Architekten Conrad Wilhelm Hase ein, der gerade von einer Wanderschaft quer durch Deutschland und einem Studienaufenthalt in München zurückgekehrt war. In seinen Memoiren beschreibt Hase die Arbeit am Mausoleum, „wozu ich die schön geformten Backsteine in Herrenhausens damaliger Ziegelei teils selbst modellierte, teils durch geeigneten Mann schneiden ließ. Erster Anfang der Hannoverschen Backstein Architektur“. Die Pionierleistung, die hier offenbar zu erbringen war, ist an einigen der noch erhaltenen Teile deutlich erkennbar. So wurden etwa die übergroßen Steine der Turmhelme einzeln aufgemessen und vor dem Brand für den Versatz nummeriert, in eingeschnittene Aussparungen wurden anschließend mit Mörtel kleine handmodellierte Krabben eingesetzt. Die Blattkonsolen des Bogenfrieses unter den Traufen stammen aus einer Form, deren Positiv mit der Inschrift „C. W. Hase 1842“ signiert worden war. Somit befand sich offenbar die Signatur des damals noch jungen und kaum bekannten Hase grob geschätzt über 40 Mal an einem Bau, der eigentlich ein Entwurf des hochangesehenen Baumeisters Laves war. Dieser einzigartige Vorgang dürfte schon damals aufgefallen sein, hatte jedoch keinen negativen Einfluss auf die Karriere des Architekten, der später mit Sichtziegelbauten wie dem Künstlerhaus großen Erfolg hatte und mit der Christuskirche eine Referenz für eine auch konstruktiv angewandte Neugotik und gleichzeitig den protestantischen Kirchenbau setzte. Cornelius Gurlitt beschreibt 1899 rückblickend die Bedeutung Hases und der von ihm begründeten Hannoverschen Schule für die Architektur des 19. Jahrhunderts: „Hase [schritt], am Alten lernend und eine stets wachsende Schar begeisterter Schüler lehrend, immer weiter zu einer klaren Entwickelung seiner Ansichten. Die unlösliche Verbindung von Konstruktion und Form zu völlig folgerichtiger Durchbildung zu bringen, schien ihm die Aufgabe der Gotiker des Mittelalters gewesen zu sein, wurde nun die seinige. [...] Er und seine Schule kamen zu einem Eifer für die Ziegelarchitektur, daß sie auch dort, wo Haustein zur Verfügung stand und den Zweck besser erfüllte, an ihr festhielten. Ja selbst ins Innere der Räume trugen sie den Ziegelbau hinein“. Für fast ein halbes Jahrhundert bestimmte die von Hase geprägte Neugotik die Backsteinarchitektur in seinem Einflussbereich wesentlich, den protestantischen Kirchenbau ebendort dominierte sie geradezu vollständig. Hases eigene Einschätzung der Bedeutung des Mausoleums im Sundern für diese Entwicklung ist darin begründet, dass er dort offenbar zum ersten Mal die Gelegenheit hatte, sich eigenverantwortlich mit der Herstellung von Ziegelformsteinen für einen neugotischen Bau auseinanderzusetzen.

Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das bis dahin unversehrte Mausoleum aufgebrochen und die Bestattungen beschädigt und geplündert. 1958 wurden aufgrund von weiteren, barbarischen Eingriffen die Gebeine des Grafen Carl von Alten in die Neustädter Hof- u. Stadtkirche überführt, zusammen mit dem ursprünglich im Ostgiebel angebrachten Familienwappen aus Sandstein. Als Günther Kokkelink in den 1960er Jahren im Rahmen seiner Arbeit über Hase das Mausoleum untersuchte und dessen architekturgeschichtliche Bedeutung erkannte, befand es sich zumindest äußerlich in einem weitgehend intakten Zustand. Seine Bemühungen um eine Sicherung des Objektes konnten nicht verhindern, dass es zu einem Verfall des Gebäudes bis teilweise auf die Grundmauern kam. Im Jahr 1985 wurde die Ruine in das Verzeichnis der Baudenkmale in Niedersachsen eingetragen; einem 1987 gegründeten Förderverein ist es zu verdanken, dass die Zerstörungen zunächst zumindest eingedämmt und wertvolle Teile gesichert wurden. 2013/14 schließlich gelang es, mit einer Anschubfinanzierung der Gemeinde und weiteren Spenden von Stiftungen, privaten Geldgebern u. a. sowie erheblichem ehrenamtlichem Arbeitseinsatz eine größere Maßnahme zur Erhaltung des Mausoleums durchzuführen. Dabei wurde der Ringgraben der künstlichen Insel entschlammt, Grundsicherungen am erhaltenen Mauerwerk und eine Teilrekonstruktion unter Verwendung der zuvor gesicherten Backsteine durchgeführt. Einer der vier Ecktürme konnte fast vollständig mit originalen Steinen wiederhergestellt werden. Aufgrund der medialen Bewerbung und Beschilderung finden inzwischen viele Interessierte den Weg zum Mausoleum im Sundern. Der Verein bemüht sich darüber hinaus intensiv um eine didaktische Vermittlung der Bedeutung des Kulturdenkmals, beispielsweise in Kooperation mit der Carl-Friedrich-Gauß-Schule Hemmingen. Dem Prozess des jahrzehntelangen Zerfalls ist dank aller Beteiligten damit in beispielhafter Weise und hoffentlich langfristig ein Ende gesetzt.


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