Das Amtschreiberhaus in Rethem an der Aller von 1695

Von Birte Rogacki-Thiemann

Rethem, im norddeutschen Tiefland am westlichen Ufer der Aller gelegen, ist die älteste Stadt des Heidekreises mit einem ab 1353 verbrieften Stadtrecht. Das Amt Rethem, das 1565 durch die Herzöge Ernst und Wilhelm von Lüneburg installiert wurde, hatte durch seine Lage am Allerübergang eine besondere Bedeutung für die mächtige Stadt Lüneburg, die etwa 100 Kilometer nordöstlich von Rethem liegt und die vor allem durch den Salzhandel groß geworden war. Eine wichtige Handelsroute führte über die auf einem Merian-Stich von 1654 abgebildete „lange Brücke“ über die Aller vorbei an der Burg Rethem, die bereits seit 1314 urkundlich belegt ist. Diese Burg diente ab 1565 dann als „Ambthause“, noch im 16. Jahrhundert wurde sie bastionsartig zur Wasserburg umgebaut. Bei der Amtsgründung 1565 blieb der letzte stadtlüneburgische Dost in der Burg, Jürgen von der Wense, weiterhin der erste Beamte, „dem als zweiter Johann Heinrich Lunde beigegeben wurde“ (so im Rethemer Amtserbregister von 1669 formuliert). Der damit zweite Beamte von Rethem trägt den Titel „Amtschreiber“ (nach neuer deutscher Rechtschreibung „Amtsschreiber“) und er war Stellvertreter und Mitarbeiter des eigentlichen Amtmanns; beide vertraten die Fürsten in allen Regierungsangelegenheiten und hatten als Mitarbeiter für allgemeine äußerliche Amtssachen zwei Gohgrefen sowie für alle baulichen und hauswirtschaftlichen Belange einen Hausvogt an ihrer Seite Zu diesem Grundstock des Verwaltungskörpers des Amtes Rethem kamen weitere Hilfskräfte wie v.a. Wach- und dienendes Personal. Die ehemalige Burg war in die unterschiedlichen Räumlichkeiten des Amtes aufgeteilt, die Stube des Amtschreibers lag dabei – wie ein Plan von 1661 (Nachzeichnung) verdeutlicht – im nördlichen Burgflügel. Die gute archivalische Überlieferung zum ehemaligen Amt Rethem, die sich heute im Niedersächsischen Landesarchiv Hannover befindet, macht es möglich, sämtliche Amtschreiber bis zur Auflösung des Amtes 1859 namentlich zu fassen. Dabei lassen sich verschiedene interessante Feststellungen treffen: So gibt es z.B. mehrere Amtschreiber, die zwei oder mehrere nicht aufeinander folgende Amtsperioden amtierten und nicht selten wurde der Amtschreiber später selber zum Amtmann.

Unter Amtschreiber Broyhan (amtierte ab 1693) wurde nun ein eigenes Gebäude für den „2ten Beamten“ errichtet. Als Bauplatz wurde ein Gelände westlich des alten Burghofs an der allerabgewandten Seite genutzt. Über die im Archiv überkommenen Amtsinventare sowie anhand des baulichen Befunds vor Ort ist es möglich, zu diesem Amtschreiberhaus eine fast lückenlose Bau- und Nutzungsgeschichte zu erstellen.

Die erste ergiebige Quelle zum Amtschreiberhaus ist ein Inventar von 1704, welches, da es nur neun Jahre nach dem Bau erstellt wurde, sicher im Wesentlichen den Originalzustand des Hauses beschreibt. Diesem Inventar zufolge wurde das Haus 1695 als eingeschossiges Fachwerkgebäude mit Satteldach in Ziegeldeckung erbaut. Die Erschließung erfolgte von Norden. Über eine zentrale Diele gelangte man nach Osten in die Wohn- (und vermutlich auch Amts-) Stube des Amtschreibers, von dem die Schlafkammer mit seitlichem Abtritt erschlossen wurde. Die Küche ging von der Diele nach Süden ab, hinter ihr lag der Garten und ein erst 1706 angefügter, eingetiefter und daher niedrigerer Kelleranbau, seitlich der Küche gab es noch eine Speisekammer. Die westliche Gebäudehälfte gehörte dem Gesinde und dem Vieh, erwähnt sind die Gesindestube mit anschließender kleiner Kammer und nach Süden der Kuhstall. Interessant ist die eindeutig beschriebene zusätzliche Schlafstelle unter der Treppe zum Dach. Der Bau kostete 1695 727 Reichstaler.

Rethem wurde mehrfach Opfer verheerender Stadtbrände, so auch im Herbst 1704, als große Teile der Stadt vernichtet wurden. Das erst neun Jahre zuvor errichtete Amtschreiberhaus blieb von dieser Katastrophe zwar verschont, war aber dennoch indirekt betroffen, da die Wohnung des Amtmannes Ende 1704 in Folge der Brandschäden abgerissen werden musste und dieser nun ins Amtschreiberhaus umquartiert wurde, sodass der Amtschreiber die Wohnung des Hausvogts übernahm und der Hausvogt in der Stadt zur Miete unterkam. Bis der Amtmann 1724-26 ein neues Amtshaus nach Plänen des Oberlandbaumeisters Johann Caspar Borchmann (1669-1736) an der Ostseite des Burghofs erhielt (dieses ist baulich nicht erhalten), diente das Amtschreiberhaus in Rethem also 20 Jahre lang sogar als offizielles Amthaus.

Das nächste Amtsinventar existiert aus dem Jahr 1736, also 40 Jahre nach dem Bau des Hauses. Zu diesem Zeitpunkt war das Vieh bereits ausquartiert (vermutlich hat das auch mit der Zwischennutzung als Amthaus zu tun). Erwähnt ist für die Westseite nun ein „Gemach“, das zwei Fenster und eine doppelte Tür zum Garten besaß und von dem nun die kleine Kammer an der Nordseite erschlossen wurde. Interessant ist in diesem Inventar die Beschreibung des Dachgeschosses, wo ebenfalls bereits eine kleine Stube und Kammer erwähnt werden, beide mit einem Fenster in der östlichen Giebelwand, während sich im Westen der Kornboden befand. das Dach scheint zu diesem Zeitpunkt in einem schlechten Zustand gewesen zu sein, was nach 1736 – zusätzlich war anscheinend auch ein erhöhter Raumbedarf aufgetreten – zu einer ersten größeren Baumaßnahme führte, die wohl zwischen 1741 und 1745 stattfand. Ein Inventar von 1743 beschreibt bereits das überformte Erdgeschoss, das nun in der westlichen Hälfte im Süden ein „Saalzimmer“ besaß und im Norden zwei von einem „Einhitzegang“ beheizte Stuben. Mittlerweile waren zudem jetzt zwei Schlafstellen unter der Treppe zum Dachgeschoss eingerichtet. Bis 1745 wurde zunächst die Südseite des Obergeschosses aufgestockt. Den beschriebenen Raumfolgen nach wurde das Obergeschoss 1743/45 bereits komplett zum Wohnen genutzt, so sind ein Vorplatz, zwei Stuben und vier Kammern erwähnt. Die südliche Teilaufstockung kostete über 1.200 Reichstaler und damit fast das doppelte des ursprünglichen Baus.

1790 wurde dann schließlich auch die der Stadt zugewandte Nordseite des Gebäudes aufgestockt. Im Erdgeschoss sind nun in der Westseite eine Wohn-, eine Kinder- und eine Gesindestube unterschieden, die von einem Gang mit Austritt in den Garten begleitet werden. Sehr gut rekonstruierbar ist im Abgleich mit dem baulichen Befund nun das Obergeschoss. Zu diesem Zeitpunkt war auch der Abtritt an der Ostfassade aufgestockt worden und damit der Komfort auch im Obergeschoss deutlich aufgewertet. Interessant ist Ende des 18. Jahrhunderts nun eine „Visiten-Stube“ in der Nordwestecke des Obergeschosses, deren Bezeichnung impliziert, dass hier auch offizielle Amtsgeschäfte stattfanden. 1798 wurde zudem noch ein eingeschossiger Anbau mit Walmdach für eine Waschküche an der Südostecke angefügt.

Einen letzten offiziellen Amts-Grundriss gibt es aus dem Jahr 1855 und damit nur vier Jahre vor der Auflösung des Amtes Rethem. Zu diesem Zeitpunkt war das ehemalige Amtschreiberhaus als Wohnhaus an den Rethemer Amtsrichter übergegangen und hatte im Wesentlichen bereits wieder zwei Änderungen erfahren. Zunächst wurde der alte südliche Keller erneuert und vergrößert, anschließend verlängerte man das Erdgeschoss um drei Gefache nach Westen. In diesem Zustand ist das Haus auch in dem ältesten erhaltenen Foto von etwa 1910 eingefangen worden (damals im Besitz der Familie Wolter und deshalb vor Ort auch häufig als „Haus Wolter“ bezeichnet). Bis 1930 (und damit nach der Zeit des „Amtes“ Rethem) war dann auch noch das Obergeschoss auf voller Länge ergänzt worden.

Die durchgehende Inventarisierung der Amtsgebäude und damit auch des ehemaligen Amtschreiberhauses ermöglicht somit eine Verfolgung von Raumnutzungen und Nutzungsänderungen über mehr als 150 Jahre. Ein Vergleich der beiden Grundrisse von 1695 (1704) und 1859 (1855) zeigt, dass insbesondere im Hinblick auf die Amtsräume keine großen Veränderungen stattfanden. Die Osthälfte des Erdgeschosses blieb nahezu unverändert, dazu kam lediglich 1798 eine „Visiten-Stube“ im Obergeschoss. Umso größer sind jedoch die Ansprüche an das Wohnen – so scheint es – im Laufe der Zeit geworden: Waren zunächst noch die Kühe im Haus untergebracht, so wurde bis 1859 das Haus beständig erweitert und Kammern, Stuben und Wirtschaftsräume an- und ausgebaut.

1998 stand das Gebäude leer, was einer Untersuchung der Bausubstanz sehr zugute kam. Heute ist es Bestandteil eines Seniorenwohnheims.


Zum Weiterlesen:

Britta Suthmeier, Birte Rogacki: Das Amtschreiberhaus Rethem/Aller und seine Bau- und Nutzungsgeschichte, Diplomarbeit 1998 (Universität Hannover, Prof. Alfons Dworsky, Dr.-Ing. Stefan Amt)

Hans Stuhlmacher: Die alten Ämter Rethem, Walsrode, Ahlden und Essel, Walsrode 1926

Werner Brünecke, Gunther Gerhardt, Wilhelm Richter: Die Erbregister des Amtes Rethem von 1669 – Die alten Gerichte Kirchboitzen, Kirchwahlingen und Cordingen, Walsrode 1992

R. M. Mittelhäusser: Geschichte der Stadt Rethem an der Aller, Rethem 1941

Rethem/Aller: Stadtgeschichte in historischen Aufnahmen bis 1945




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