Die Altstädter Schule in Celle von Otto Haesler

Von Oskar Spital-Frenking

Bereits die Anfänge der Entstehungsgeschichte der Altstädter Schule in Celle sind bemerkenswert. Die städtischen Körperschaften beschließen in ihrer Sitzung am 17. Juni 1926 den Neubau einer 18-klassigen Volksschule. Diese soll nach einem vorgeschalteten Architektenwettbewerb auf dem städtischen Grundstück an der Sägemühlenstraße errichtet werden. Der Wettbewerb ist mit einer erstaunlich kurzen Bearbeitungszeit ausgeschrieben, die dann um eine Woche verlängert wird. Otto Haesler reicht drei Entwürfe ein, wovon zwei Arbeiten einen ersten und einen dritten Preis erzielen. Sein Entwurf „Gesunder Geist muss in gesundem Körper wohnen“, der zusätzlich eine Turnhalle im Gebäudekomplex und ein Rektorenwohnhaus auf dem Grundstück vorsieht, wird mit einem Ankauf gewürdigt. Den Preisrichtern ist es auf Grund der von Haesler veranschlagten Baukosten nicht möglich, diesen von ihnen präferierten Entwurf mit dem ersten Preis auszuzeichnen. Dennoch wird dieser Entwurf die Grundlage für die weiteren Planungen.

Über die beiden mit einem Preis versehenen Arbeiten würden wir an dieser Stelle wahrscheinlich auch nicht sprechen. Es sind eher konventionell gehaltene Entwürfe mit geneigten Dächern, die durchaus architektonische Qualitäten besitzen, aber darüber hinaus nicht besonders bemerkenswert sind. Der dritte Entwurf aber ist spektakulär und darf als ein wichtiges Beispiel des Neuen Bauens benannt werden. Haesler ordnet das geforderte Raumprogramm in einer dreigeschossigen U-Form an. Die Klassenräume liegen an den Außenseiten der seitlichen Flügel, aufgeteilt in einen Jungen- und einen Mädchenbereich. Die riegelförmigen Flügel werden an der im Süden und an der Straße liegenden Stirnseite über einen Flurbereich miteinander verbunden. Dieser niedriger gehaltene Riegel springt in den Obergeschossen etwas zurück und betont somit die Erdgeschosszone mit dem Haupteingang der Schule. Der sich durch diese Grundform bildende Innenhof bietet sich ideal dafür an überbaut zu werden und dadurch kostengünstig weitere Räume zu erhalten. Haesler ordnet hier einen dreigeschossigen großen Raum an, der sowohl als Aula wie auch als Sporthalle genutzt werden kann. Nach Norden wird der Hof mit einem weiteren Querriegel abgeschlossen, der Nebenräume und einen weiteren Unterrichtsraum beinhaltet.

Dieses zusätzliche Angebot ist gut gewählt. Der allgemein schlechte gesundheitliche Zustand der Kinder in den 1920er Jahren, der unter anderem gekennzeichnet ist durch Rückgratverkrüppelung, Rachitis-bedingter Verkrüppelung und Kropfbildung in  Folge von Unterernährung macht es erforderlich, der gesundheitlichen Förderung der Kinder durch das Vorsehen von Turnräumen besonderes Augenmerk zu schenken.

Anfang April 1927 beginnen die Erdarbeiten für die Volksschule und das Rektorenhaus, am 19. Mai 1928 wird die Schule feierlich ihrer Bestimmung übergeben. Sie erhält wie auch die speziell für diese Schule entwickelten und gebauten Stahlrohrschulmöbel sofort nationale wie internationale Aufmerksamkeit. Geschuldet ist dies sicherlich auch einer klugen Vermarktungsstrategie, bei der sowohl die Architektur wie auch die Möbel über gut gestaltete Broschüren bekannt gemacht werden. Der Besucherstrom wird letztlich so stark, dass bereits nach 4 Monaten besondere Besichtigungszeiten eingerichtet werden müssen. Zudem werden Eintrittsgelder erhoben.

Die Besonderheit der Schule ist ihre außerordentliche Helligkeit im Inneren. Durch  die gewählte Konstruktionsweise mit Betonstützen und Betonüberzügen sowie ausfachendem Mauerwerk bei den Außenwänden ist es Haesler möglich, eine maximale Befensterung der Klassenräume zu erreichen. Dabei wählt er für die Klassenbereiche Kastenfenster mit einer eigens entwickelten Mechanik für die Be- und Entlüftung und vermeidet so eine zu starke Überhitzung der Räume im Sommer und eine zu starke Auskühlung im Winter. Die Wände der Klassenzimmer zu den Fluren sind mit Oberlichtern versehen, die auch diese Zonen mit Licht versorgen. Der Eingangsbereich ist lichtdurchflutet mit Feldern in den Decken aus Glasbausteinen und führt direkt zu zwei von vier Treppenhäusern, die ebenfalls großzügig mit vertikalen Fensterbändern versehen sind. Die innenliegende Halle hat eine große Lichtdecke aus Glasbausteinen. Dieser besondere Eindruck einer hellen, lichtdurchfluteten Schule begründet auch den Namen der „Glasschule“, den die Altstädter Schule erhält.

Den gleichen modernen Eindruck will die Schule auch in der Außenwahrnehmung bieten. Die bauzeitlichen Fotografien zeigen eine strahlend weiße Schule, die als prägnantes Beispiel der neuen Architektursprache verstanden werden soll. Farbige Akzente zum Beispiel an den Dachkanten erzeugen eine gewisse Farbigkeit, so dass die Schule in der Literatur manchmal auch als bunt beschrieben wird. Die bauzeitlichen Fotografien sind schwarz/weiß. Zum Teil sieht man, dass sie überarbeitet worden sind, wohl um den Eindruck eines makellosen strahlend-modernen Gebäudes nicht zu schmälern.

Der Druck und der Anspruch, das Gebäude möglichst schnell einer Öffentlichkeit präsentieren zu können, sind wohl sehr groß. Gebaut wird sehr schnell und nicht sehr gründlich, und bald gibt es erste Schäden und damit auch erste Kritiken. Der Außenputz wird nur einmal aufgetragen, es fehlt an Elektrizität und somit Beleuchtung für dunklere Stunden und es gibt die ersten Risse in der Fassade. Neben den Befürwortern und Bewunderern für die neue Form des Bauens gibt es auch Skeptiker und ablehnende Haltungen. Diese bekommen mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten ein deutliches Übergewicht. Die Schule wird zwar nicht abgerissen, aber eine besondere Pflege oder Zuspruch wird ihr nun  nicht mehr erteilt. Während der Zeit des Nationalsozialismus wird in ihr die 4. Kompanie des Landes-Schützen-Batallions untergebracht und sie wird als Lazarett und Frauenlager genutzt. Im Westflügel wird eine Lehrerbildungsanstalt eingerichtet. 1946 wird der Schulbetrieb wieder aufgenommen.

Die Schule hat die Wirren des Zweiten Weltkriegs überlebt, aber sie erfährt keine besondere Wertschätzung. Deutsche Gründlichkeit in den 80er Jahren führt dazu, dass bei einer Sanierungsmaßnahme sämtliche bauzeitlichen Fenster – bis auf ein nicht beispielhaftes kleines rundes Fenster in einem Abstellraum – restlos verloren gehen und durch Metallfenster mit Isolierverglasung ersetzt werden. Für die Bauphysik des Gebäudes kein Vorteil. Ebenso eher nachteilig ist das Aufbringen einer neuen Dachdämmung in den 90er Jahren. Die Deckenplatte des obersten Geschosses steht in einem konstruktiven Verbund mit dem Überzug der Fenster, der gleichzeitig auch die Attika bildet. Dieses Bauteil erfährt nun unterschiedliche thermische Beanspruchungen, die sich in deutlich stärkeren Rissbildungen als im bisher gewohnten Maße ausdrücken. Vollkommen verloren gegangen ist der Raumeindruck der Aula. Diese ist heute hinter einer vollflächigen Holzbekleidung einschließlich abgehängter Decke verschwunden, Teile der Ausstattung, wie die Empore über dem Eingang und die Lichtspielkabine, sind nicht mehr vorhanden. Als blendfreie Turnhalle ist sie nun gut zu nutzen, aber der Raumeindruck ist erbärmlich. Ebenso unsensibel ist der Anbau von Pavillons an der Westseite der Schule, die einzelne Klassen der benachbarten Pestalozzi-Schule aufnehmen.

Immerhin hat das Gebäude bis heute – außer bei den Fenstern – keine vollständig umfassende Sanierung erleben müssen. Bei einer 2014 durchgeführten Machbarkeitsstudie werden noch eine Vielzahl bauzeitliche Ausstattungsstücke vor Ort gefunden, unter anderem die Eingangstüren, die ehemals vom Haupteingang in die Aula führten und derzeit an einer anderen Stelle verbaut sind.

Für die Studie werden verschiedene Archive aufgesucht, Zeitzeugen und heutige Nutzer gesprochen, Pläne, Texte und Fotos gesichtet. Die Entstehungs- und Veränderungsgeschichte des Gebäudes wird erarbeitet und dargestellt, die Probleme werden analysiert und Konzepte für ihre Behebung sowie zukünftige Nutzungschancen aufgezeigt. Es ergibt sich, dass das Gebäude auch heute noch sehr gut für eine Nutzung als Grundschule geeignet ist. Aber sein derzeitiger Ruf ist angeschlagen, die Innenräume sind wenig attraktiv, die Flurzonen sehr dunkel, die Außenräume in einem sehr schlechten und wenig ansprechenden Zustand.

Im Einzelnen werden folgende Schwerpunkte für eine Instandsetzungsmaßnahme vorgeschlagen:

  1. Rückbau der Sporthalle zu einer Turn- und Festhalle in Anlehnung an die ursprüngliche Raumausstattung und Raumwirkung. Für die Akzeptanz des Schulgebäudes wäre es dabei hilfreich, wenn dieser Raum auch durch eine breite Öffentlichkeit außerhalb der Schulzeiten genutzt werden könnte.
  2. Rückbau der Eingangssituation mit Wiederherstellung der Oberlichtfelder und Wiederherstellung des ehemaligen Raumverbunds zu den Nebenzonen.
  3. Überarbeitung des Brandschutzkonzeptes, dabei Verlagerung der Brandschutztüren in den Fluren zu Gunsten einer besseren Erfahrbarkeit des ursprünglichen Erschließungskonzeptes und der damit verbundenen Innenraumqualitäten.
  4. Sanierung der Klassentrakte und Fachklassenräume.
  5. Sanierung der Fassaden, dabei Wiederaufnahme des ursprünglichen Konzeptes der Kastenfenster bei den Unterrichtsräumen.
  6. Thermische Ertüchtigung der Attikazone zur Vermeidung von thermisch begründeten Spannungsrissen.
  7. Instandsetzung der Außenanlagen mit Rückbau der Pavillonanbauten.

Das Ziel soll eine denkmalgerechte Instandsetzung und Überarbeitung des Gebäudes und der Außenbereiche sein, bei der in gleicher Weise die Belange und Ansprüche einer heutigen Schule berücksichtigt und erfüllt werden. Eine denkmalgerechte Herrichtung macht alleine wenig Sinn, wenn das Gebäude nicht auch als Schule qualitätvoll genutzt werden kann.

Die Schule hat seinerzeit für Furore gesorgt, nicht nur in der Region oder im Land sondern weit über die Grenzen Deutschlands hinaus. Es gibt gute Gründe, dass sie  viel Aufmerksamkeit bekommen wird, wenn die Schule wieder ihre Qualitäten zeigen darf, die sie seinerzeit ausgezeichnet hat und die sie auch heute wieder zu einem guten Schulgebäude werden lässt. Die Stadt Celle wird von einem solchen Juwel profitieren. Eine entsprechende Zusage vom Bund ist ausgesprochen worden - jetzt liegt es an den lokalen Akteuren und Verantwortlichen ihren Teil für eine bessere Zukunft zu leisten.


Zum Weiterlesen:

  • "Bauhaus-Stil" in Niedersachsen
  • Die Siedlung Blumläger Feld in Celle von 1930–1931
  • StA Ce, Best. 13A Stadtsachen, Nr. 194, Protokoll der gemeinschaftl. Sitzung der städt. Körperschaften am 17.06.1926.
  • StA Ce, Best. 8, Band 1, Protokolle des Bau- und Kunstausschuss 1916 – 1928, Niederschrift über die Verhandlungen des Bauausschusses in der Sitzung vom 24.08.1926.
  • Cellesche Zeitung, „Einweihung der Altstädter Schule am Sonnabend, de 19.05.1928“, 21. Mai 1928
  • Celler Volkszeitung: „Schulfragen“ 18.08.1926.
  • Berliner Morgenpost, 26. Juli 1928, „Ein Muster-Schulhaus – Nicht in Berlin – sondern in  Celle“.
  • StA Ce, Best. 26, Nr. 410, Neubau der Altstädter Schule 1927-1931.
  • StA Ce, Best. 26, Nr. 406, Neubau der Altstädter Schule 1926–1934, Schriftstück vom 28.09.1928.

Prof. Dr. Oskar Spital-Frenking ist Inhaber eines Lehrstuhls für Architektur an der Fachhochschule Trier.

Der Text wurde erstmals veröffentlicht in den Berichten zur Denkmalpflege in Niedersachsen, 39. Jg. (2019), Heft 1, S. 32-37.

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