Abenteuer Dokumentation – die visuelle Erfassung der Holzartefakte von Schöningen (2004-2012)
Von Elke Behrens
Die Vorgeschichte
Die Speere verbrachten ca. 300 000 Jahre im Boden. Am Rand eines Seeufers am Fuße des Elm bei Schöningen wurden sie nach der Jagd auf Pferde liegen gelassen. Der Anstieg des Seespiegels konservierte unter Sauerstoffabschluss den Schauplatz. Die nachfolgenden Eiszeiten mit ihren Sediment-Ablagerungen verschlossen den ehemaligen Lagerplatz in einer Zeitkapsel. Seit 1994 werden die Hinterlassenschaften dieses Jagdlagers auf rund 4.000 Quadratmetern vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege (NLD) mit einem breit angelegten Partnerfeld ausgegraben und erforscht. Eine Auswahl der hervorragend erhaltenen Holzwaffen ist seit 2013 in der ständigen Ausstellung im Forschungsmuseum Schöningen zu sehen.
Die Fotodokumentation ausgesuchter Holzartefakte
Nasse Hölzer visuell und vermessungstechnisch vor der Konservierungs-Massnahme zu dokumentieren, stellte höchste Anforderungen an die Technik der einzusetzenden Verfahren. Das NLD-Team führte diese Bestandsaufnahme im NLD-Fotostudio durch. Es bestand aus vier archäologischen Restaurator:innen, einer Spezialistin für Bildverarbeitung/GIS, einer Fotografin aus der Abteilung Archäologie und einer Fotografin aus dem Niedersächsischen Landesmuseum Hannover. Im Fotostudio trug ein fest verankerter sechs Meter langer Spezialtisch, ein auf Rollen laufendes drei Meter langes Acrylglasbecken. Die Artefakte lagerten in diesem Becken auf variablen Polyethylengranulat und konnten so erschütterungsfrei an der Kamera vorbeifahren. Das Orientierungssystem bestand aus vier Ansichten. Bei stark verformten Artefakten (Speere) sind dafür jeweils acht Acrylmaßstäbe auf der Grundlage von Panorama-Aufnahmen angefertigt worden. Das feucht eingepackte Artefakt wurde nur für den jeweiligen Teilbereich aufgedeckt und mit 60 %iger Überlappung in Abschnitten im Nahbereich orthogonal fotografiert.
Die „Feuchthaltung“ der Hölzer und ihre extrem weiche Konsistenz erschwerten den Arbeitsprozess erheblich. Für die Ausleuchtung kamen Kaltlichtleuchten (Lichtwannen) in Frage, da sie keinen Einfluss auf die Erwärmung des Raumklimas nahmen. Die Lichtsetzung mit einem gleichmäßigen weichen Licht sorgte für harmonische Übergänge in den Einzel-Aufnahmen und reduzierte die Reflektionen in den Feuchtenestern. Die erste Kampagne startete analog im Mittelformat. Mit der Digitalfotografie im RAW-Format verkürzten sich die Produktionszeiten! Die Bild-Rohdaten Masterdatensätze „entwickelte“ ein RAW-Converter, sodass bei diesem Prozess Korrekturen der Kamera-Aufnahmetechnik nachträglich möglich sind. Ein RAW-Editor erzeugte aus diesen Datensätzen automatisiert Kopien im TIF- und JPG-Format.
Mit dieser Prozessbeschreibung lassen sich hochauflösende 2D-Bildpläne von jeder Ansicht herstellen. Und auch Massen an Daten bewegen und sortieren, vorausgesetzt die Hardware-Leistung ist dementsprechend ausgestattet. Jede Einzelaufnahme konnte durch die abgebildeten Acrylmaßstäbe geometrisch mit Fernerkundungsoftware entzerrt werden. Die Montage dieser entzerrten Einzelaufnahmen führte zu einem Gesamtbildplan im Maßstab 1:1 im Geotif-Format. Diese vermessungstechnische Bildgrundlage der Holzartefakte wurde in Software für Geografische Informationssysteme (GIS) eingebunden und diente zur Eintragung und Analyse wichtiger Erkenntnisse von Restaurator:innen und Wissenschaftler:innen.
3D-Scans / Rapid Prototyping / Computertomografie
Neben der fotografischen Erfassung ging das Abenteuer zeitlich parallel mit einem externen Partnerfeld weiter. Hinzugezogen wurden Experten aus dem 3D-Vermessungswesen in der Archäologie und bildgebenden Verfahren aus der Medizin. Die erste berührungsfreie 3D-Erfassung fand schon 2004 auf der Grundlage von 3D-Scans im Streifenprojektionsverfahren (Streifenlichtscans) statt. Die ermittelten Daten von Holzspeer II berechneten ein 3D-Oberflächenmodell, ohne eine Beschädigung des empfindlichen Artefaktes zu riskieren. Dies führte zur Anfertigung einer Replik aus Kunststoff mit dem Rapid Prototyping-Verfahren. Die hohe Auflösung (0,016 mm) wurde durch das Schichtaufbauprinzip „3D-Printing“ mittels uv-empfindlichem Harz erzielt. Es erlaubte die Herstellung eines Präzisionsmodells im Maßstab 1:1. Die Replik wurde schon in den Landesausstellungen 2007/2008 gezeigt.
Zum Einsatz kam auch modernste Computertomografie (CT). Mit diesem Verfahren können Materialdichten der Holzstruktur im Inneren gemessen werden. Die hellste Farbinformationen zeigt die höchste Dichte auf. Je höher die Auflösung, desto mehr Informationen gibt das Nassholzartefakt preis. Ein Testscan mit einem Industrie-Tomografen lieferte damals die höchstmögliche Auflösung. Die acht überlappenden Arbeitsschritte (Teilstrecke von 50 mm) sind mit einer Auflösung von 50 Mikrometer gemessen worden. Da die größte Herausforderung in der Feuchtigkeit des Artefakts lag, waren niedrigere Auflösungen für aussagekräftige Interpretationen nicht empfehlbar. Für kurze Transportwege wurde ein mobiler 3D-Röntgen-Computertomograf im Hof des NLD platziert, um alle ausgesuchten Holzartefakte zu erfassen. Die im Tomografen offen angelegte, horizontale Lagerung der Holzartefakte war optimal für ein schonungsvolles Händling.
2022 liegen rund 41.000 Datensätze für die Endablage in die Langzeitarchivierung des Landes Niedersachsen vor. Davon gehören allein 10.000 Datensätze zur Fotodokumentation. Die Dokumentation von nassen Holzartefakten vor der Konservierung aus der Grabung Schöningen von 2004 bis 2012 war ein echtes Abenteuer für alle Beteiligten!
Zum Weiterlesen
- Behrens, Elke; Fuchs, Christa S.; Lehmann, Monika: Auf lange Sicht. Visuelles Monitoring am Beispiel der Schöninger Speere. – In: Archäologie im 21. Jahrhundert. Innovative Methoden – bahnbrechende Ergebnisse. Sonderheft 2010 PLUS der Zeitschrift Archäologie in Deutschland. Stuttgart 2010.
- Die Geologie der paläolithischen Fundstellen von Schöningen. Hrsg. Thomas Terberger und Stefan Winghart. Mainz 2015.
- Schoch, Werner H.; Bigga, Gerlinde; Böhner, Utz; Richter, Pascale; Terberger, Thomas: New insights on the wooden weapons from the Paleolithic site of Schöningen. – In: Journal of Human Evolution. Volume 89. December 2015.
Unser Dank gilt
- Steinbeis Transferzentrum, Arbeitsgemeinschaft Metallguss, FH Aalen/Hochschule für Technik und Wirtschaft
- Siemens AG, Medical Solution Team Hannover
- rpm-rapid product manufacturing GmbH, Helmstedt
- ArcTron, 3D-Vermessungs- und Softwareentwicklungs GmbH, Altenthann
Das NLD-Team
- Fotografie: Christa S. Fuchs † (Abteilung Archäologie) und Kerstin Schmidt (Niedersächsisches Landesmuseum Hannover)
- Restauratorische Fachberatung: Petra Friedrich, Monika Lehmann, Michael Meier und Can Tegge † (Abteilung Restaurierung, Archäologie)
- Technische Dokumentation / Grafische Datenverarbeitung: Elke Behrens (Abteilung Restaurierung, Bau- und Kunstdenkmalpflege)