„fg 2000“ ein junges Baudenkmal aus Kunststoff in Erkerode

Von Simone Thulke

Wir befinden uns im Landkreis Wolfenbüttel am westlichen Rand des Höhenzuges Elm. Der Elmwarteweg liegt erhöht über dem historischen Ortskern von Erkerode und wurde vornehmlich in den 1950er und 1960er Jahren zunächst mit Wochenendhäusern bebaut. Die Lage zu dem beliebten Ausflugsort, das Reitlingstal, war sowohl für Urlauber und wurde auch als Dauerwohnsitz sehr beliebt. In diese Siedlung der Nachkriegszeit reiht sich Mitte der 1970er Jahre das Kunststoffhaus am Elmwarteweg ein. Das futuristisch anmutende Wohnhaus mit Weitblick in die Landschaft ist mit seinen heute 48 Jahren samt erhaltener Innenausstattung das jüngste Baudenkmal im Landkreis Wolfenbüttel und trägt den Namen des Fertighaustyps „fg 2000“. Fg steht für Fiberglas (fibre glass) und bildet die elementare Grundlage des speziellen Hauses in Erkerode, welches nach Plänen des Entwicklers Wolfgang Feierbach (1937-2014) errichtet wurde. Dieser Haustyp entstand in einer kurzen Zeitspanne zwischen den Jahren von 1968 bis 1979, von den ursprünglich etwa 39 gebauten Häusern in Deutschland sind heute nur noch wenige vorhanden.

Glasfaserverstärkte Kunststoffe im Bauwesen anzuwenden war keine Erfindung jener Zeit. Bereits ab den 1940er Jahren befassten sich Ingenieure und Chemiker zunehmend mit dem Material, seiner Entwicklung, dessen Herstellungstechniken und wie es in weiterentwickelter Form neben dem Einsatz im Boots- und Flugzeugbau auch als tragender Werkstoff in Architekturen anwendbar war. 1954 wurde in den USA zum ersten Mal in der Geschichte des Bauens faserverstärkter Kunststoff bei der Überkuppelung der Ford Rotunde in der Tragstruktur eingesetzt, um eine große Spannbreite mit einem transparenten Material zu überbrücken. Während die amerikanische Firma Monsanto Chemical Comp. im gleichen Zeitraum erstmals ein Kunststoffhaus entwickeln lässt, tritt die Entwicklung in Europa in der chemischen Industrie aufgrund wirtschaftlicher und infrastruktureller Probleme erst später ein. Die positiven Eigenschaften der glasfaserverstärkten Kunststoffe (GFK), wie beispielsweise das geringe Gewicht, die hohe Ergiebigkeit des Tragverhaltens, die hohe Zugfestigkeit sowie die Dichtigkeit machten deutlich, wie gut GFK als Werkstoff für tragende Strukturen angewendet werden konnte. So entstanden vornehmlich in den 1960er Jahren Bauten und Bauteile wie Überdachungskonstruktionen für die Industrie und Landwirtschaft, für und als Ausstellungsbauten, als Fassadenbekleidungen, Schulbauten, Spielgeräte und eben auch für den modernen Wohnungsmarkt.

Der Erbauer des Kunststoffhauses in Erkerode, Wolfgang Feierbach, war selbst gelernter Modellbaumeister und gründete 1965 eine kunststoffverarbeitende Firma in Altenstadt in Hessen. Seine ersten Produktionen waren Anfertigungen für die Maschinenindustrie. Mit einem Auftrag eines Sessels aus Kunststoff zündete der Gedanke, mehr aus dem Baustoff GFK zu verwirklichen. So entwarf er Sitzmöbel aus Kunststoff in Kombination mit hochwertigen Stoffen und ganze Möbelgruppen, bis er 1972 Großaufträge von Flughäfen an Land zog und unter anderem auch die auffällig farbigen Check-In- Schalter in Frankfurt und Berlin aus GFK fertigte. Aus der eigenen Möbelserie fg Design kam schon früh die Idee auf, ein ganzes Haus aus dem Material Kunststoff zu bauen. Feierbach entwickelte in nur fünf Jahren ein Bausystem, das mit einem Modell auf der Kunststoffmesse 1963 in Düsseldorf seinen ersten Auftritt hatte und mündete 1968 in ein ausgereiftes Bausystem aus nur wenigen Bauelementen, mit denen man Wohnhäuser, Bürobauten, Ferienhäuser und andere Baukörper für das Wohninterieur fertig stellen konnte. Mit dem Bausystem fg 2000 konnte eine Serienfertigung in Gang gebracht werden, für die Wolfgang Feierbach Statiker und Prüfingenieure engagierte, die sich intensiv mit der Statik und der Bemessung der Bauteile befassten. Die durch Experimente und Prüfungen belegten Stabilitätsnachweise sowie die gefundenen Regeln mit der Bemessung von faserverstärkten Kunststoffen für die Tragstruktur speziell für das fg 2000 haben noch heute ihre Gültigkeit. 1973 erlangte Feierbach, der für sein Projekt der Weiterentwicklung des Bausystems Forschungszuschüsse vom Bundesministerium beantragte, eine Zulassung für das Bausystem fg 2000 und konnte somit sein Produkt marktfähig machen.

Das neue Material und die dynamische Form stehen für eine neue Epoche des Bauens und für das neue Wohnen in einem neuen Zeitalter. Dabei sorgten das stützenfreie Bausystem und die leichte Konstruktion für einen flexiblen Grundriss. Das Modell Feierbachs war neben den in Frankreich und Finnland entwickelten Fertighäusern aus Polyesterharz das größte und flexibelste seiner Zeit. Die Dachelemente konnten bis zu zehn Meter überspannen und ließen sich prinzipiell endlos aneinanderreihen. Das Material, die klaren Formen und das offene Nutzungskonzept machten die GFK-Bauten zu modernen Wohnbauten, da die vorgefertigten hochspezialisierten Bauelemente einen schnellen Aufbau zuließen. So konnte der 1969 von Feierbach entwickelte Prototyp an nur einem Tag zu einem Wohnhaus zusammengesetzt werden. Bis zum Jahr 1979 wurden über 30 fg 2000 Bauten hergestellt - alleine zwei davon in der Ausführung des Prototyps und alle weiteren in anderen und weiterentwickelten Varianten unterschiedlichster Art und Größe. Die Ölkrise im Jahre 1973 läutete das langsame Ende des Kunststoffhauses ein, denn sämtliche ölbasierende Kunststoffprodukte verteuerten sich immer mehr. Mit der zweiten Ölkrise 1979 und den immer knapper werdenden Ressourcen endete das Phänomen einer Epoche endgültig.

Das niedersächsische Kunststoffhaus aus dem Jahr 1975/76 zählt zu dem späteren und somit ausgereifteren Typ fg 2000, von denen nur noch sehr wenige in Deutschland vorhanden sind. Kaum eines ist dabei so unverändert, wie es in Erkerode anzutreffen ist. Die Eigentümer lernten Feierbach und seine neue Wohnarchitektur auf einer Messe kennen, besuchten Feierbachs eigenes Wohnhaus und entschieden sich 1975, auf dem Grundstück in Erkerode ein solches Kunststoffhaus errichten zu lassen.

Im Jahr 2008 machte eine Architektin aus Leipzig, die sich mit Bauten und dem Bauen mit Kunststoffen beschäftigte, das Landesamt für Denkmalpflege auf das Kunststoffhaus fg 2000 in Erkerode im Landkreis Wolfenbüttel aufmerksam. Dort standen einst sogar zwei dieser ungewöhnlichen Häuser aus den Jahren 1975/76. Als der Abbau für das zweite Haus schon feststand, engagierte sich die Architektin zusammen mit der Eigentümerin des verbliebenen Exemplars für den Erhalt und für eine Unterschutzstellung. Während das eine Haus im Jahre 2008 abgebaut, eingelagert und 2014 an einem anderen Ort wiederaufgebaut wurde, ist das andere zusammen mit seiner Innenraumgestaltung noch im Jahr 2008 unter Denkmalschutz gestellt worden.

Für Feierbachs Architekturen, und auch für das Erkeroder Wohnhaus, wurden die vorgefertigten glasfaserverstärkten Kunststoffe der Wand-, Decken- und Innenausbauelemente zusammengefügt und als ein freistehendes zweigeschossiges Wohnhaus auf einem massiven Sockel unter Flachdach gestellt. Der leicht auskragende GFK-Korpus ruht hier auf einem klassisch gemauerten Sockelgeschoss. Das allgemeine Tragsystem des fg 2000 besteht aus einem Rahmentragwerk, wobei je zwei Wandelemente und ein Dachelement das Rahmensystem bilden. Diese zweischalige Außenwand erfüllt mit seinem Aufbau aus Laminat, Hartschaum, einer Luftschicht, einer Tischlerplatte, einer Schaumstoffschicht sowie einer Textilbespannung im Inneren mit insgesamt 34cm einen Vollwärmeschutz. Zwischen den Wandschichten verlaufen sämtliche Elektro-, Wasser- und Heizungsinstallationen, wobei beim hiesigen Haus eine Luftheizung installiert wurde. Zu den Stirnseiten öffnen sich große Fensterfronten mit Schiebetüren, die auf den Balkon führen. Diese Anordnung des überdachten Balkons über die gesamte Südwestfront ist eine der Maßnahmen eines fg 2000, mit der eine Überhitzung mittels Verschattung durch das auskragende Bauteil vermindert werden kann.

Der stützenfreie Innenraum wird durch variable, teilweise textilbespannte Wände und je nach den Vorstellungen und Bedürfnissen der Hausbewohner unterteilt. So wurden auch in Erkerode im Laufe der Zeit die Wände das eine oder andere Mal versetzt und somit der Grundriss variabel genutzt. Die Deckenbespannungen, die zusätzlich auch der Vermeidung von Kondenswasser dienten, wurden im Stil der 1970er Jahre gehalten und die zugehörigen Möbel aus dem Feierbach-Programm passend zum Wohnhaus ausgesucht. Sie wurden den Möbeln des dänischen Architekten und Designers Verner Panton nachempfunden, der in den 1960er Jahren die Pop Art auf Möbel und weitere Innenausstattungselemente übertrug. Er vereinte die neuartigen Kunststoffe mit kräftigen Farben und klaren Formen zu individuellen Möbeln, wie sie auch in Feierbachs Kunststoffbauten eingesetzt wurden. Die komplette in gelb, orange und braun gehaltene Badezimmerausstattung ist im Original erhalten. Die Wohn- und Esszimmereinrichtung mit typischen Farbmotiven der Designepoche aus poppig gelben, orangenen und roten Kunststoffmöbeln machen das außergewöhnliche Wohnhaus zu einem Unikat.

Doch auch an einem vermeintlich langlebigen Baustoff wie Kunststoff geht die Zeit nicht spurlos vorbei. Die der Witterung und Temperaturschwankungen ausgesetzte Außenhaut, und ganz besonders die Dachhaut, führen im Bereich der Fugen durch die ständigen Dehn- und Schrumpfbewegungen zu Dichtheitsproblemen. Ein partielles Abdichten stellten erste Hilfemaßnahmen dar, bis 2012 nun die gesamte Dachhaut mit einer durchgängigen und flexiblen Schutzschicht überzogen wurde und die originale Beschichtung der Kunststoffteile somit erhalten werden konnte. Alle zwei bis drei Jahre sind die Eigentümer damit beschäftigt, die Kunststoffaussenhaut behutsam und per Hand zu reinigen, um den Grünspan einigermaßen im Griff zu halten.

Seit 2019 steht neben dem Wohnhaus ein weiteres kleines „Geschwisterchen“, ebenfalls ein Gebäude aus Kunststoff, welches die Eigentümer aus dem Nachlass von Wolfgang Feierbach erworben haben und nun als Gartenhaus zum werkeln genutzt wird. Ursprünglich von Feierbach als Hausboot für den Bodensee gedacht, diente es zunächst als Spielhaus, später als Büro der Firma Feierbach, bis es abgebaut und in Erkerode wieder aufgebaut wurde.

Das Wohnhaus fg 2000 dokumentiert noch heute außen wie innen in anschaulicher Weise die bedeutende Architektur- und Designepoche mit Verwendung von Kunststoffen im Bauwesen und in der Wohnkultur, die mit Liebe und Leidenschaft seit 1975 von den Eigentümern gelebt und gepflegt wird.

 

Zum Weiterlesen:

Genzel, Elke: Zur Geschichte der Konstruktion und der Bemessung von Tragwerken des Hochbaus aus faserverstärkten Kunststoffen 1950 – 1980. Dissertation, Bauhaus-Univ. Weimar, Fakultät Architektur (Herausgeber); 2006.

Voigt, Pamela: Die Pionierphase des Bauens mit glasfaserverstärkten Kunststoffen (GFK) 1842 bis 1980. Dissertation, Bauhaus-Univ. Weimar, Fakultät Gestaltung (Herausgeber); 2007.

Wohnen 60 70 80. Junge Denkmäler in Deutschland. Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland (Herausgeber); Berlin/München (Deutscher Kunstverlag); 2020.

Weiterführende Links:

https://kunststoffbauten.de/bauen/fg2000

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.