Der Kronenhirsch – Zur Provenienz einer Helmstedter Statue

Von Hubertus Gerhardt

Im Zuge der Qualifizierungsarbeiten der Denkmal-Verzeichnislisten im Regionalreferat Braunschweig hat sich aufgrund der lokalen Nähe wie auch typologischer Verwandtschaft eine Parallele zwischen dem Reichsjägerhof in Braunschweig und dem Kreisjägerhof in Helmstedt aufgetan. Diese begründete sich nicht nur durch die in der zur NS-Zeit idealisierten Architektur des Heimatstiles, sondern vor allem in der erhaltenen arrangierten Torplastik. Während vor dem Helmstedter Kreisjägerhof eine annähernd lebensgroße Statue eines schreitenden Hirsches steht, so sind dem Tor-Areal des Reichsjägerhofes „Hermann Göring“ in Riddagshausen zwei miteinander kämpfende Hirsche vorangestellt. Bei der Recherche zu dem bis dato nur bei der zweiten Statue bekannten Künstler, dem Dresdner Bildhauer Johannes Darsow (1877-1940), stellte sich heraus, dass es sich bei dem Guss der Helmstedter Statue um einen von bislang drei bekannten Ablegern handelt.

Der in Berlin geborene Bildhauer Johannes Darsow studierte von 1897 bis 1905 an der Dresdner Kunstgewerbeschule und an der Akademie in Berlin. Nach seinem Studium bereiste er Italien und stellte ab 1906 vor allem in Berlin und München seine der Genreskulptur verschriebenen Werke aus. Im Jahre 1937 präsentierte Darsow auf der internationalen Jagdausstellung den Bronzeguss eines überlebensgroßen Hirsches. Modell für das Tier soll ein von Hermann Göring im Jahre 1936 auf der Rominter Heide geschossener Hirsch gewesen sein, der den Namen „Raufbold“ erhalten hatte. Dieses Jagdgebiet war mit dem Rominter Schloss zuvor nur den preußischen Landesherren vorbehalten gewesen, der in den Niederlanden im Exil befindliche abgedankte Kaiser Wilhelm II. soll Göring ausdrücklich dort die Jagd untersagt haben. Dort ließ Göring jedoch als preußischer Ministerpräsident den zweiten Reichsjägerhof nach Riddagshausen errichten. Nach der Jagdausstellung wurde der Bronzeguss auf den Waldhof Carinhall gebracht, wo er im Platzgefüge am Ende der westlichen Kastanienallee aufgestellt wurde. Als eine der wenigen Statuen des schließlich am 28. April 1945 gesprengten Anwesens blieb der Hirsch unversehrt. Nachdem er sich bis 1950 auf dem Schloss Sanssouci befand, wurde er später im Tierpark Berlin-Friedrichsfelde aufgestellt, wo er sich bis heute befindet.

Eine Formanalyse nach der Methode der Ikonik bestätigt, dass es sich bei den beiden Statuen um Güsse aus denselben Entwurf handeln muss. Die weichen Konturenzüge, die Kopfhaltung, die Anzahl und Stellung der Geweihenden sowie die Stellung der Hinterbeine sind identisch. Ein anderer möglicher Urheber wie der Bildhauer August Waterbeck, der ähnliche Tierplastiken in Hannover Eilenriede in den 1920er Jahren schuf, konnte aufgrund der diesem eigenen impressionistischen Oberflächentextur ausgeschlossen werden. Folglich sollte eine Anfrage beim Stadtarchiv Helmstedt hinsichtlich der Objektbiografie und Autorschaft der Plastik Klarheit bringen. Da jedoch sich weder in den städtischen Archivbeständen, noch in den Archivalien des Schützenvereins weder historische Fotografien, noch ein genauer Ursprungskontext vorfinden ließen, wurde die Statue von der Archivmitarbeiterin mal näher inspiziert: es konnte am Guss die Signatur „Darsow“ wie auch der Name der Gießerei „Lauchhammer“ festgestellt werden.

Die brandenburgische Kunst- und Glockengießerei Lauchhammer besteht seit dem Jahre 1725 und erlangte eine weltweite Berühmtheit für ihre Antikenrezeptionen sowie Industrie- und Kunstgüsse. Im 19. Jh. spezialisierte sie sich auf die Herstellung von monumentalen Bronzegüssen, Eisenkunstgüssen und der Tradition des Glockengusses, namenhafte Bildhauer wie Christian Daniel Rauch oder Ernst Rietschel ließen ihre Werke in den Werkhallen in Lauchhammer fertigen. Zu den bekannten Plastiken der Gießerei gehören unter anderem das Lutherdenkmal in Worms, das Buchenwald-Denkmal von Fritz Cremer, wie auch die ebenfalls im Berliner Tierpark befindlichen Löwen vom ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal. Auch der Bau- und Industrieguss, wie die ursprüngliche Michaelbrücke über die Spree in Berlin, oder der Maschinenbau, wie im Falle der berühmten Lauchhammer Chargier-Maschine, gehörten zu Beginn des 20. Jh. zu den vielfältigen Produktionszweigen der Lauchhammer-AG.

Der Neubau des ersten und einzigen Kreisjägerhofes in Helmstedt in den Jahren 1936-1938 geht unweigerlich auf den im Jahr zuvor errichteten Riddagshausener Komplex zurück, welcher dem Projekt als Vorbild diente: Details wie die Torplastik, der Kamin im Schützensaal und die Heimatschutzarchitektur sind direkte Rezeptionen. Die Verbindung zwischen den dem Braunschweiger Herzog zugewandten Schützenverein und der SA sowie der SS war zuvor bereits angespannt, im Zuge des Bedarfes eines neuen Schießstandes im Jahre 1935 wurde das Gelände und die Schießstände vom Braunschweigischen Staatsminister Friedrich Alpers 1936 höchstpersönlich begutachtet. Daraufhin sollte der Grundbesitz der Schützen mit allen Gebäuden und feststehenden Einrichtungen an die „Hermann Göring-Stiftung“ übertragen werden, welche eben auch den Reichsjägerhof in Riddagshausen errichten ließ. Ein historisches Foto aus den Archivbeständen der Gießerei Lauchhammer aus dem Jahre 1939 dokumentiert eine erst nachträgliche Aufstellung der Hirschplastik. Eine dritte Statue befand sich im ebenfalls im Jahre 1936 errichteten „Sächsischen Jägerhof“, der im Jagdschloss Grillenburg vom Gauleiter Martin Mutschmann in Auftrag gegeben, und im Jahre 1938 gegossen wurde. Heute befindet sie sich auf dem Kurplatz im Kurort Hartha.

Die Reichsjägerhöfe wie auch der Kreisjägerhof entstanden in der Hochphase des Nationalsozialismus, im Sommer 1936 fanden die Olympischen Spiele in Deutschland statt. Die Residenzen sollten in erster Linie für Tagungen und für Staatsjagden dienen, insbesondere für die des „Reichsjägermeisters“ Hermann Göring. Der Riddagshäuser Reichsjägerhof, als Geschenk vom Dietrich Klagges und Fritz Alpers an Hermann Göring, sollte nach dem Willen der Nationalsozialisten als Muster für weitere derartige Anlagen in allen Gauen dienen, eine Idee die sich nicht durchsetzen konnte. In seinem Familien- und Repräsentationssitz Carinhall inszenierte sich Hermann Göring nicht nur als Staatsmann und Reichsjägermeister, sondern präsentierte sich vor allem wie ein barocker Fürst bzw. adeliger Landesherr. Der Forsthof war ein Kunsthort in dessen Räumen er nicht nur die in weiten Teilen Europas zusammengeraubten Kunstwerke sammelte, sondern auch die Hof-, Park- und Torareale des Anwesens mit Plastiken opulent bestückte. Es reihten sich neben dem nun bekannten Kronenhirsch auch ein Guss Franz von Stucks „Reitender Amazone“ als Brunnenfigur wie auch eine Replik des Braunschweiger Burglöwen in die Sammlung ein. Offenbar sollte ein Filiationssystem entstehen, in dem Göring als „oberster Jäger“ mit seinem prunkvollen Hauptsitz und gehobenen Anspruch auf die Konzipierung der übrigen Jägerhöfe durchwirkte.

Der Helmstedter Kronenhirsch ist somit nicht nur ein Zeugnis der systematischen Infiltration, mit der sich das NS-Regime sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens einverleibte, in dem Falle die Einrichtungen für Kultur, Sport und Freizeit, sondern auch für den „blendenden“ Prunk, mit dem sich die NS-Funktionäre öffentlich in Szene setzten.


Literaturverzeichnis und Internetquellen:

  • Volker Knopf, Stefan Martens: Görings Reich- Selbstinszenierungen in Carinhall, Berlin 2015.
  • Helmut Streubel: 275 Jahre Eisenwerk Lauchhammer, Großenhain 2000.
  • Der Löwe unterm Hakenkreuz-Reiseführer durch Braunschweig und Umgebung 1930-1945, Hrsg. Reinhard Bein und Ernst-August Roloff, Göttingen 2010.
  • Helmut Weihsmann: Bauen unterm Hakenkreuz-Architektur des Untergangs, Wien 1998, S.305 ff.
  • Eintrag zu „Kronenhirsch“ in der Datenbank BiB-Bildhauerei in Berlin (URL: https://bildhauerei-in-berlin.de/bildwerk/kronenhirsch-8335/) (letzter Zugriff 11.08.2023).
  • Film von der Internationalen Jagdausstellung 1937 (URL: https://www.youtube.com/watch?v=3HIbpeu-CgI) (letzter Zugriff 11.08.2023).

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