Geteiltes Land
Von Utz Böhner, Dirk Leder und Thomas Terberger
Unverhofft hat ein Schülerpraktikum für eine kleine und feine Überraschung gesorgt. Unter zu inventarisierenden Altfunden fand sich ein kleiner Karton mit Steinartefakten. Darin befanden sich nicht weniger als zwei Faustkeile und ein Faustkeilblatt, die vor längerer Zeit nahe Scheden im Landkreis Göttingen aufgelesen worden waren. Die Artefakte sind von sorgfältiger Machart, aber nur 6,7 bis 8,5 cm groß – fast Faustkeilzwerge. Auch wenn es sich um Oberflächenfunde handelt, so kann an ihrer mittelpaläolithischen Zeitstellung nicht gezweifelt werden. Eine nähere Einordnung ist schwierig, aber zumeist datieren Fundstellen des Neandertalers in Niedersachsen in die letzte Eiszeit (vor ca. 115.000 bis 40.000 Jahren). Interessant ist das Rohmaterial: die Artefakte wurden aus einem hellen Quarzit gefertigt. Im nördlichen Teil Niedersachsens dagegen war der Neandertaler durch die Moränen stets mit gutem Feuerstein versorgt. Die Keilmesser und Faustkeile von Fundstellen wie Lichtenberg (Lkr. Lüchow-Dannenberg) und Ochtmissen (Lkr. Lüneburg) gehören zu den schönsten Funden die das Mittelpaläolithikum im Norden zu bieten hat. Das Rohstoffparadies endet allerdings am Südrand der Tiefebene mit der Gletscherrandlage der Saaleeiszeit.
In der Mittelgebirgszone standen weniger homogene Gesteine wie etwa Kieselschiefer zur Verfügung. Das Quarzitvorkommen nahe Scheden war hier eine willkommene Ausnahme. Das Rohmaterial lässt sich verlässlich zurichten und ist reichlich verfügbar. Die Rohstoffquelle muss sich unter den Neandertaler herumgesprochen haben, denn um Scheden finden sich insgesamt 15 mittelpaläolithische Fundstellen! Im nördlichen Hessen mit der bekannten mittelpaläolithischen Fundstelle Buhlen wurden ebenfalls lokale Tertiärquarzite durch den Neandertaler genutzt. Dem heutigen Betrachter erscheinen die kleinen Faustkeile von Scheden mit ihren regelmäßigen Schneidekanten nicht nur funktional gelungen, sondern auch ästhetisch ansprechend. War das für den Neandertaler von Relevanz? Spätestens mit der Entdeckung eines verzierten Riesenhirschknochens aus der Einhornhöhle wissen wir, dass der niedersächsische Neandertaler ein Bewusstsein für Gestaltung und Ästhetik hatte. Das Rohmaterial war offensichtlich so gut, dass man immer wieder in das Gebiet von Scheden zurückkehrte, doch an Feuerstein reichte die Qualität von Quarzit nicht heran. Der Neandertaler versorgte sich in der Regel mit regional verfügbaren Gesteinen. Nur selten lässt sich ein Transport über größere Entfernung beobachten. In den Niederlanden wurde bei Baggerungen am Grunde der Nordsee ein Faustkeil aus Wommersom-Quarzit ans Tageslicht geholt, der aus einer >150 km entfernten Lagerstätte in Flandern stammt.