Das Ehrenmal in Rüstersiel - Gedenken und Trost

Von Elke Onnen

Schon während des 1. Weltkrieges kam die Frage nach einem angemessenen Gedenken an die gefallenen Soldaten auf. Ging man zunächst noch von Siegesmalen aus, wie sie nach dem gewonnenen Deutsch-Französischen Krieg 1870/1871 vielerorts entstanden, so ändert sich nach dem verlorenen Krieg auch die Form des Gedenkens. Die Soldaten sind nicht mehr die siegreichen Helden, die in den Kriegerdenkmälern des 19. Jahrhunderts mit Schwert und Siegeskrone dargestellt werden. Nun treten das Opfer der jungen Männer und auch das Leid der Angehörigen in den Vordergrund, das auf den Denkmälern ebenfalls dargestellt wird. Ein weiterer Umstand, der sich zu dem Gedenken an 1870/1871 geändert hat, ist die hohe Anzahl der Toten in den einzelnen Gemeinden, die nicht in der Heimat bestattet werden können. Um den fehlenden Grabstein zu ersetzen, ist für die Hinterbliebenen ein Ort des Gedenkens umso wichtiger und daher ist die Namensnennung von zentraler Bedeutung. Die Krieger- oder Gefallenendenkmäler werden auf Dorfplätzen, an Straßenkreuzungen und ähnlich markanten Stellen errichtet. Die Bezeichnungen Kriegerdenkmal, Gefallenendenkmal oder Ehrenmal werden teilweise bis heute synonym verwendet – wobei in den kleineren Ortschaften einfach nur vom „Denkmal“ die Rede ist.

Die Initiative für die Aufstellung der Denkmäler geht von den Gemeinden, aber vor allem von den örtlichen Kriegervereinen, in denen sich nach dem Deutsch-Französischem Krieg Veteranen und Soldaten zusammengefunden haben, um das Andenken an Gefallene und Vermisste zu bewahren, aus. Es bilden sich sog. „Denkmalausschüsse“, in denen Vertreter der örtlichen Vereine und Honoratioren der Orte sitzen. Die Finanzierung der Denkmäler erfolgt durch Spenden, Losverkäufe und Erlöse von Eintrittskarten für verschiedene Veranstaltungen. Wichtig ist die Wahl des Aufstellungsortes, der auch Raum für einen Aufmarsch, beispielsweise für die Kranzniederlegung am Volkstrauertag bieten muss. Aber vor allem sind Form und Aussehen ein zentrales Thema: Im Ministerium des Inneren des Freistaates Oldenburg, zu dem Rüstringen gehört, ist eine Staatliche Beratungsstelle für Kriegerehrungen angesiedelt, die ihre Zustimmung für die Gestaltung gibt. Rüstersiel ist im Jahr 1922 ein Stadtteil der eigenständigen Stadt Rüstringen geworden. Erst 1937 wurde Rüstringen mit der Stadt Wilhelmshaven zu dem heutigen Wilhelmshaven vereinigt. Die Entwürfe stammen in der Regel von örtlichen Baumeistern und Architekten, aber es werden auch Wettbewerbe ausgeschrieben. Vielerorts entstehen Ehrenmale in Form von Torhäusern, Rundtempeln, Baldachinen oder Mauern mit Namensziegeln und - wie in Rüstersiel - Pfeilerringhallen. Diese Kleinarchitekturen sind in der Weser-Ems-Region in der Regel aus dem heimischen Klinker errichtet worden. Die Denkmäler weisen üblicherweise eine Auflistung der Namen der Gefallenen der Gemeinde auf, meist in Verbindung mit Adlern, Eisernen Kreuzen, Eichenlaub und Schwertern, nun nicht mehr siegreich gereckt sondern auf den Boden weisend.

Exemplarisch für das Gedenken an die Gefallenen steht das Rüstersieler Ehrenmal (Wilhelmshaven, Am Siel), das sich durch seine Gestaltung und besondere Symbolik jedoch von den landläufigen Denkmälern absetzt. Die Initiative zur Errichtung eines Ehrenmales geht von dem Rüstersieler Heimatverein aus, vor allem von dem Vorsitzenden Georg Coldewey. Es wird 1922 nach dem Entwurf des Rüstringer Stadtbaurats Diedrich Suhr auf dem Karussellplatz am Rüstringer Siel errichtet. Suhr wählt für seinen Entwurf eine offene aus Klinkern gemauerte Ringhalle, die auf einem kreisförmigen, abgestuften Sockel steht, der mit einer Bruchsteinmauer eingefasst und mit Rosenbüschen bepflanzt ist. Innerhalb des Rings wird eine Eiche gepflanzt, eine halbrunde Holzbank lädt zum Verweilen ein. Die sieben Pfeiler stehen für die sieben Ortsteile Rüstersiels, hier sind auf Keramikplatten die Namen der Gefallenen aus den jeweiligen Ortsteilen Rüstersiel, Kniphausersiel, Coldewei, Himmelreich, Altengroden, Neuengroden und Fedderwardengroden verewigt.

Der eigentliche Ring mit einem Durchmesser von 5,5 m ist innen und außen mit Keramikplatten verkleidet; oberhalb der Pfeiler mit den Ortsteilnamen sind außen Reliefs mit christlichen Darstellungen angebracht: Rüstersiel (Pelikan); Kniphausersiel und Fedderwardergroden (Engel), Altengroden (Lamm), Coldewei (Adler), Himmelreich (Taube), Neuengroden (Löwe) und ein zweites Mal Neuengroden (Pilger). Verbunden werden die Reliefs mit Musterplatten, die ein wellenartiges Zickzackband bilden.

Innen befindet sich die Inschrift: UNSEREN ♦ GEFALLENEN ♦ SÖHNEN ♦ GEWIDMET ♦WELTKRIEG ♦1914 BIS ♦1918.

Die Inschrift zeigt deutlich den Umschwung des Gedenkens vom Kriegerdenkmal mit der Glorifizierung der Taten und dem Bezug zu Kaiser und Vaterland, hier wird der gefallenen Söhne, Enkel, Brüder und Ehemänner gedacht. Dieser persönliche Bezug wird durch die Darstellungen der Trauernden in Form von sieben Köpfen (Soldat, Vater, Mutter, Witwe, Großmutter, Großvater, Urahn) deutlich. Die Köpfe erinnern in ihrer Frontalansicht und den teilweise blicklosen Augen an (Toten-)Masken. Aber nicht das Leid sondern der Trost stehen in Rüstersiel im Mittelpunkt – Die Darstellungen symbolisieren das Opfer und die Auferstehung Christi: Der Pilger wandert durchs Leben bis zum Tod und Auferstehung; der Pelikan rettet mit seinem Blut seine sterbenden Jungen und ist ein Symbol für Christus am Kreuz; der Engel mit dem Palmzweig steht für Gerechtigkeit und Ewiges Leben; das (Opfer-)Lamm mit Fahne bezieht sich auf den Sieg über den Tod; der Löwe versinnbildlicht die Allmacht und Auferweckung, der Adler die Aufnahme ins Himmelreich und schließlich verkündet die Taube den Frieden.

In Rüstersiel ist nichts dem Zufall überlassen: Die Form der Ringhalle oder eines offenen Rundtempels ist ein antikes Motiv für heilige Stätten, das bis Stonehenge zurückgeht. Die Ikonografie mit ihrer christlichen Symbolik ist nicht mehr heroisch sondern bietet Trost und Hoffnung. Die Bedeutung der Darstellungen ist schon den Zeitgenossen nicht (immer) geläufig gewesen. So fühlt sich die Presse bemüßigt einen Tag nach dem Bericht über die Einweihung am 30.05.1922 einen zweiten Artikel zu bringen, um die Darstellungen zu erklären, wobei auch für den Autor des Artikels nicht alles vollständig zu entschlüsseln ist. Beispielhaft steht das Rüstersieler Ehrenmal auch für das Schicksal der Gefallenendenkmäler nach ihrer Errichtung. Standen diese zunächst in zentraler Lage, werden sie häufig im Laufe der letzten hundert Jahre versetzt und damit auch aus dem Bewusstsein gerückt, obwohl es nach 1945 in der Regel zu einer Erweiterung der Anlagen mit Gedenktafeln für die Gefallenen des 2. Weltkrieges gekommen ist. Eine derartige Erweiterung wird Mitte der 1950er Jahre auch in Rüstersiel diskutiert. Aber auch eine völlige Neugestaltung bzw. ein neues Ehrenmal steht zur Diskussion, da bereits die Pläne zur Erweiterung der Maade und Neubau des Siels und damit die Notwendigkeit der Umsetzung bekannt sind. Das bisher vor einem Packhaus direkt am Siel stehende Ehrenmal muss daher weichen.

Durch die Verlegung rückt das Denkmal zwar städtebaulich aus dem Mittelpunkt Rüstersiels aber durch die Überlegungen, ein neues Ehrenmal zu errichten, rückt es auch wieder in das Bewusstsein. Erneut engagieren sich die Rüstersieler Vereine wie der Siedlerbund und der Kyffhäuserbund. Das Wasserwirtschaftsamt, das für die Verbreiterung der Maade zuständig ist, beauftragt den Architekten Klauke mit einem Entwurf. Klauke entwirft eine zur Rüstringer Straße offene Ehrenhalle mit einer höheren, rechtwinklig zur Halle stehenden Mauer und Fahnenmast. Während die Halle aus Klinkern gemauert werden soll, ist die Mauer aus Sandstein geplant – darauf soll in Bronzebuchstaben „UNSEREN TOTEN“ stehen. Der Entwurf wird (zunächst) angenommen, aber letztendlich doch verworfen, da der Neubau und vor allem der hohe anschließende Pflegeaufwand der Anlage ausschlaggebend für die Entscheidung sind. Die Umsetzung ist günstiger – auch wenn man die Erneuerung der empfindlichen Keramikplatten einrechnet. Und so wird in einer kleinen Grünanlage ein Stück weiter westlich an der Straße „Am Siel“ das Ehrenmal wieder aufgebaut. Die Eiche ist schon vorher gefällt worden und auch die Holzbank existiert nach dem 2. Weltkrieg nicht mehr. Nach der Umsetzung wird die Mitte kreisförmig mit Klinkern gepflastert, eine schlichte, liegende Metalltafel erinnert an die Gefallenen des 2. Weltkrieges. Die neue Einweihung erfolgt am 3.09.1961.

Das Rüstersieler Ehrenmal hebt sich durch seine außergewöhnliche Gestaltung von den landläufigen Gefallenendenkmälern ab oder ist, wie es in der Wilhelmshavener Zeitung vom 30.05.1922 heißt: „… so eigenartig, wie sonst keins der bisher errichteten Denkmale…“.
Gleichzeitig sind sein Entstehen und sein Schicksal jedoch exemplarisch für diese Denkmalgattung.

 

Zum Weiterlesen:

http://www.denkmalprojekt.org/covers_de/d_niedersachsen.htm#B

https://www.uwe-karwath.de/wilhelmshaven_abisz_M.html

Stadt Wilhelmshaven, Stadtarchiv, Bestand 6621/14 Rüstersieler Ehrenmal. Hier u.a. Dokumentation von Ingo Hölzler zur Deutung der Symbole.

Stadt Wilhelmshaven, Archiv Bauordnung, Akte zum Rüstersieler Ehrenmal.

Suhr, Wolfram: Diedrich Suhr – Architekt und Seine Bauten in Schlawe in Pommern, 1921-1929, in: Historia i Kultura ziemi Sławieńskiej. Tom VII Gmina Sławno, Sławno 2003.

Koch, Jörg: Von Helden und Opfer. Kulturgeschichte des deutschen Kriegsgedenkens. Darmstadt 2013.

Wilhelmshavener Zeitung vom 29. und 30.05.1922.

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