Gebietsfreischaltung in der Bau- und Kunstdenkmalpflege: Der Landkreis Vechta

 

Von Jens Reiche

Der Landkreis Vechta bildet zusammen mit dem westlich anschließenden Landkreis Cloppenburg das Oldenburger Münsterland. Das Gebiet gehört nicht nur bis heute auf katholischer Seite zum Bistum Münster, sondern war auch lange, nämlich von 1252 bis 1803, als Teil des Niederstifts Münster ein Teil von dessen Territorium. 1815 kam es zum Herzogtum Oldenburg. Als katholisch geprägtes Gebiet unter evangelischer Landesherrschaft stellt das Oldenburger Münsterland eine Besonderheit dar, ähnlich wie das benachbarte Emsland im Königreich Hannover.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass viele der rund 950 Denkmale des Landkreises Vechta Kirchen und Kapellen, aber auch Bildstöcke und Wegekreuze sind. Die mittelalterlichen Kirchen sind allerdings durchgängig im 19. Jahrhundert durch größere Neubauten ersetzt worden, ein Anzeichen des wachsenden Wohlstandes und des Selbstbewusstseins der Katholiken. Besonders anspruchsvolle neugotische Kirchen sind etwa St. Peter und Paul in Holdorf (1855-1858) von dem damals noch in Köln tätigen, späteren Münsteraner Diözesanbaumeister Hilger Hertel dem Älteren, St. Mariä Himmelfahrt in Osterfeine (1861-1864) von dem Osnabrücker Architekten Johann Bernhard Hensen, St. Vitus in Visbek (1872-1876), wiederum von Hertel, St. Catharina in Dinklage (1875-1878) von dem Münsteraner Architekten August Hanemann, St. Johannes der Täufer in Steinfeld (1897-1899) von Wilhelm Rincklake aus Münster, St. Bonifatius in Neuenkirchen (1902-1905) nach einem Entwurf des Mainzer Dombaumeisters Ludwig Becker, St. Viktor in Damme (1904-1906, angebaut an einen romanischen Turm) von dem Bremer Architekten Heinrich Flügel und schließlich St. Johannes der Täufer in Bakum (1906-1907) von dem Münsteraner Architekten Wilhelm Sunder-Plaßmann. Die beiden spätesten der historistischen Kirchen sind dagegen im neuromanischen Stil erbaut worden, nämlich St. Gorgonius in Goldenstedt (1908-1910), wiederum von Heinrich Flügel, und die Franziskanerklosterkirche St. Bonaventura in Mühlen (1908-1910) von dem Ordensarchitekten Quintilian Borren. Im Landkreis Vechta lassen sich die Vielfalt und der Stilwandel historistischer Kirchenbauten geradezu beispielhaft ablesen. Die verantwortlichen Architekten waren überwiegend in Münster ansässig, doch sind auch viele andere wichtige nord- und westdeutsche Kirchenarchitekten der Zeit beteiligt gewesen.

Der Landkreis Vechta ist zwar ganz überwiegend katholisch, doch wurden schon nach der Reformation drei Orte am Rand des Kreises gemischtkonfessionell, von denen damals zwei zu anderen Territorien gehörten. Die jeweiligen Dorfkirchen wurden als Simultankirchen genutzt. Eine Besonderheit ist dabei das „Goldenstedter Simultaneum“, wo die beiden Konfessionen nicht jede für sich zu festgelegten Zeiten die Kirche nutzten, sondern gemeinsam Gottesdienst feierten. Alle drei Simultaneen lösten sich jedoch um die Mitte des 19. Jahrhunderts durch Auszug einer der beiden Konfessionen in einen Neubau auf, und regelmäßig errichtete die andere Konfession früher oder später ebenfalls einen Neubau: In Goldenstedt baute die evangelische Gemeinde 1847-1850 die Martin-Luther-Kirche im Rundbogenstil; die Katholiken nutzten noch ein halbes Jahrhundert lang die mittelalterliche Kirche. In Neuenkirchen entstand die evangelische Apostelkirche 1890-1891, die Katholiken zogen wenig später mit einem größeren Bau nach. In Vörden entstand 1856-1858 mit St. Paulus ein katholischer Neubau, während die evangelische Gemeinde bis heute die im Kern aus dem 18. Jahrhundert stammende Christophoruskirche nutzt. In allen drei Orten stehen die beiden Kirchen jeweils dicht nebeneinander und die städtebauliche Konkurrenz ist ein konstituierender Bestandteil des Ortsbildes. In den meisten anderen Orten des Landkreises Vechta entstanden dagegen erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg durch Zuzug evangelische Gemeinden, von denen drei einen der berühmten Typenbauten des Architekten Otto Bartning erhielten. Von den „Bartningschen Notkirchen“ des Landkreises ist die Gethsemanekirche in Bakum noch an Ort und Stelle vorhanden.

Der auf der Landwirtschaft beruhende Wohlstand der Gegend hat sich im 18. und frühen 19. Jahrhundert in großen Fachwerkhallenhäusern niedergeschlagen, von denen viele auf profilierten Knaggen mehrfach vorkragende, sehr repräsentativ gestaltete Wirtschaftsgiebel haben; völlig willkürlich sei hier ein Hallenhaus in Wenstrup von 1731 herausgegriffen. Wie groß die Bedeutung von Fachwerk für die Identität des Landkreises war und ist, zeigen nicht zuletzt die vielen modernen Fachwerkbauten. Das Fachwerk-Revival beginnt hier sehr früh und wird stark von dem in Damme ansässigen Architekten Hermann „Mans“ Büld (1906-2000) geprägt, von dem viele Neubauten, aber auch Anbauten an älteren Fachwerkhäusern stammen. Ein besonders originelles, durch überbordendes Schnitzwerk reich verziertes Werk Bülds ist die Kapelle des Hofes Kophanke in Kemphausen von 1956-1957. 

Entsprechend der flachen bis hügeligen Topographie gibt es im Landkreis Vechta sowohl Wassermühlen wie Bredemeyers Hof in Goldenstedt als auch Windmühlen, zu deren am besten erhaltenen die Schweger Mühle in Dinklage und Selings Mühle in Neuenkirchen gehören. Vereinzelt wurden auch beide Antriebsformen kombiniert, wie bei der Kronlager Mühle in Nelllinghof.

Bis heute ist der Landkreis stark landwirtschaftlich orientiert, doch schon früh entwickelte sich, vorwiegend im Umfeld der Landwirtschaft, auch Industrie. Insbesondere Lohne wurde im 19. Jahrhundert zu einer kleinen Industriestadt.

Die Vielfalt der Denkmallandschaft angemessen zu schildern, würde noch sehr viel mehr Worte verlangen. Ein Ausflug oder Zwischenstopp auf der Durchreise lohnt sich auf jeden Fall und ist einfach, denn der Landkreis liegt auf beiden Seiten der Autobahn A 1. Eins der jüngsten Baudenkmale ist sogar der Autobahn zu verdanken, das Brückenrestaurant der Raststätte Dammer Berge von 1967-1969.

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