Gebietsfreischaltung in der Bau- und Kunstdenkmalpflege: Die Stadt Lüneburg
Von Birte Rogacki-Thiemann
Die Stadt Lüneburg entwickelte sich aus den drei Siedlungskernen um die mindestens seit dem 9. Jahrhundert betriebene Saline, den Kalkberg, den Markgraf Hermann Billung um die Mitte des 10. Jahrhunderts mit einer Burg besetzte, und das an einem Ilmenau-Übergang gelegene Dorf Modestorpe um die St. Johanniskirche, die als karolingische Taufkirche bereits ebenfalls im 9. Jahrhundert existierte. Unter der Bezeichnung „Luniburc“ als gemeinsame Siedlung ist der Ort dann 956 erstmals greifbar und entwickelte sich bis zum Ende des 12. Jahrhunderts (verstärkt nach der Zerstörung des nahe gelegenen Bardowicks durch Heinrich den Löwen 1189) zu einer Siedlung mit städtischem Charakter, deren wirtschaftliche Grundlage das Salzgewerbe bildete und die über einen Markt, eine Münze und einen Hafen verfügte; die einstigen Siedlungskerne, zu denen als vierter das Wasserviertel um den Hafen hinzukam, wuchsen nach 1200 sukzessive zusammen. Das Stadtrecht wurde 1247 durch Herzog Otto das Kind bestätigt und erweitert. Mittelpunkt der wirtschaftlichen Macht Lüneburgs bildete die Saline, die ursprünglich dem Herzog gehörte, während die ersten Sülzbegüterten Klöster, Hospitäler und Stifte waren. Die Siedepfannen wurden zu dieser Zeit an die Lüneburger Bürger verpachtet, die als „Sülzmeister“ bezeichnet wurden und nach und nach in den Besitz der Pfannen gelangten. 1273 verzichtete schließlich der Herzog auf alle Eigentumsrechte und sicherte dem Rat der Stadt das Salzmonopol zu. Hinzu kamen verschiedene städtische Eigenbetriebe wie Ziegeleien, der Bauhof, Kalk- und Gipsabbau, Holzhuden und Ratsmühlen, wodurch sich die Macht der Lüneburger Bürger gegenüber den Herzögen nach und nach festigte. Die Sülfmeistergeschlechter galten schließlich ab dem Ende des 14. Jahrhunderts als alleine ratsfähig und bildeten damit ein städtisches Patriziat, das sich bis ins 17. Jahrhundert behaupten konnte.
1371 erhoben sich die Lüneburger Bürger gegen Herzog Magnus Torquatos und zerstörten in der Nacht vom 20. auf den 21. Oktober die herzogliche Burg auf dem Kalkberg sowie das nebenliegende Michaeliskloster, das 1376 am heutigen Standort der Michaeliskirche dann neu erbaut wurde. Nach dem Ende des sogenannten „Erbfolgekriegs“ 1388 war Lüneburg, das 1381 zudem der Hanse beigetreten war, damit nahezu „reichsunabhängig“ und konnte sich weiter entfalten. Es entstanden ab dem frühen 15. Jahrhundert die Bauten des Rats, aus denen sich das weitläufige Rathaus entwickelte, die Erweiterung der Stadtbefestigung, die Johanniskirche als älteste der Stadtkirchen ab 1406 sowie zahlreiche große und prächtige Bürgerhäuser.
Wenngleich während der Reformation bereits erste Spannungen zwischen der Stadt Lüneburg und den Herzögen auftraten, konnten in Lüneburg im 16. Jahrhundert weitere Bauprojekte wie die prächtig ausgestattet Große Ratsstube im Lüneburger Rathaus oder auch die Ratsapotheke in der Großen Bäckerstraße realisiert werden.Die relative Eigenständigkeit der Stadt Lüneburg endete schließlich 1639 und damit mitten im Dreißigjährigen Krieg mit der neuen Stadtverfassung, die Herzog Georg von Braunschweig-Lüneburg festlegte und die dem Herzog fortan die uneingeschränkte Oberaufsicht in geistlichen, finanziellen und administrativen Angelegenheiten verlieh. Seinen Anspruch und seine Präsenz unterstrich der Herzog durch den Bau einer Festung auf dem Kalkberg mit einer ständigen Garnison. Lüneburg wurde hierdurch bis zu den Napoleonischen Kriegen zu einer welfischen Erb- und Landstadt degradiert, viele herzogliche Reglementierungen und Anordnungen folgten, infolge derer u.a. das seit dem 10. Jahrhundert bestehende Michaeliskloster auf dem Kalkberg in eine Ritterakademie umgewandelt wurde. Schließlich setzte der Landesherr mit dem Bau des herzoglichen Hauses am Markt ab 1695 auch hier ein deutliches Zeichen der Präsenz und selbst im Rathaus wurden für ihn zwei neue Säle eingerichtet.
Das 19. Jahrhundert schließlich verwandelte Lüneburg erneut. Mehrere mittelalterliche Kirchen (Kirche des Klosters Heiligenthal 1801, Marienkirche 1818, Lambertikirche 1861) wurden niedergelegt, ab 1820 wurden die Wälle eingeebnet und die Garnisonen verstärkt – ein bauliches Zeichen hierfür ist der Bau der Lüner Kaserne ab 1827. 1847 wurde Lüneburg an das Eisenbahnnetz (Uelzen – Harburg) angeschlossen, 1874 wurde der zweite Bahnhof für die neu eröffnete Linie von Buchholz nach Wittenberge errichtet. Bis 1869 wurden schließlich die Reste der mittelalterlichen Stadttore niedergelegt. Mit der Reichsgründung 1871 erlebte auch Lüneburg einen großen baulichen Aufschwung, in dessen Folge zahlreiche neue Wohngebiete erschlossen und neue Siedlungen errichtet wurden, zugleich aber auch zahlreiche neue Kulturbauten (wie das Museum für das Fürstentum Lüneburg), Versorgungsgebäude (wie der Lüneburger Wasserturm, das Hospital zum Graal oder die Provinzial-Heil und Pflegeanstalt), Schulen (wie die Bürgerschule Katzenstraße, die Schule an der Neuen Sülze und die höhere Töchterschule) und auch Industrieanlagen. Lüneburg bildet dabei einen deutlichen Schwerpunkt mit Bauten der Hannoverschen Architekturschule, wozu die Stadtbaumeister Eduard August Friedrich Maske von 1859 bis 1889 und sein Nachfolger Richard Wilhelm Kampf (Amtsantritt 1890) sowie zudem einige herausragende Lüneburger Architekten, wie die Haseschüler Franz Krüger und Hermann Matthies oder auch dessen Bruder Wilhelm Matthies erheblich beitrugen. Daneben gibt es zahlreiche Zimmer- und Maurermeister, die für besondere Bauten der Hannoverschen Schule verantwortlich zeichneten; zu nennen sind hier z.B. Otto Püschel, August Pepper und Friedrich Havemann. All diese Bauschaffenden waren auch Mitglieder des 1903 gegründeten Vereins für Denkmalpflege, dessen Verdienst es war, dass bereits 1907 ein Ortsstatut aufgesetzt wurde, das Straßen und Plätze „von geschichtlicher und künstlerischer Bedeutung“ in Lüneburg vor „Verunstaltung“ bewahren sollte. Wesentlich hierzu bei trug auch die von Franz Krüger und Wilhelm Reinecke (1866-1952, Historiker und Leiter des Museums für das Fürstentum Lüneburg) erarbeitete Veröffentlichung der „Kunstdenkmäler der Stadt Lüneburg“. Mehrere Großprojekte der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg (wie das Eichamt östlich der Johanniskirche, das evangelische Gemeindehaus und die Reichsbank südlich der Altstadt oder das Königliche Lehrerseminar im Roten Feld) nahmen Reformgedanken und sachlichere Formen auf, die in verschiedenen Siedlungen (Schillerstraße, Van der Mölen-Straße, Meinekenhop) nach 1918 dann im Wohnungsbau fortgeführt wurden.Neuere Denkmale gibt es in Lüneburg kaum. Eine Siedlung am südwestlichen Rand der Altstadt dokumentiert die große Wohnungsnot, die auch in Lüneburg nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Zuzug von Flüchtlingen auftrat. Es handelt sich um die vier 1949 durch den Architekten Hajek entworfenen Zeilenbauten der Arbeitersiedlung Hinter der Sülzmauer. Dabei ist deren Schlichtheit als typisch für die Zeit und die Umstände zu sehen, obwohl anstelle von hier ursprünglich geplanten Baracken aufgrund der schnellen Lieferfähigkeit einer Baufirma Massivhäuser errichtet wurden.
Östlich der Ilmenau liegt das 1171 gegründete Benediktinerinnenkloster Lüne, das einen weiteren bauhistorischen und auch kirchengeschichtlichen Höhepunkt Niedersachsens darstellt und heute zur Stadt Lüneburg gehört. Der Klosterhof ist in ungewöhnlich dichter und exemplarischer Weise erhalten: Die umfangreiche, in wesentlichen Teilen aus der Spätgotik stammende, aber immer wieder umgebaute und erweiterte Anlage mit der Klosterkirche und dem südlich davon um einen Kreuzgang angeordneten Klostergebäude (ehemalige Klausur) im Zentrum stammt aus den Jahren nach 1373. Zu diesen Kernbauten kommen eine Propstei des 15. Jahrhunderts sowie die Klostermühle, der Klosterkrug und mehrere Wirtschaftsgebäude. Die östliche Begrenzung des Geländes ist der Lüner Weg, an dem sich der Mühlenteich mit Wasserlauf zum Kloster befindet. Durch die Teilhabe aller nichtstädtischen Klöster am mittelalterlichen Landesausbau besitzt auch das Kloster Lüne eine landesgeschichtliche Dimension, war es doch ganz wesentlich für die erstmalige Kultivierung der Umgebung entscheidend.
Die lange und detailreiche Geschichte Lüneburgs, die sich in zahlreichen gut erhaltenen Bauwerken, aber auch in der nahezu unveränderten Struktur der Altstadt abbildet, ist auf jeden Fall jederzeit einen Besuch wert!