Sternwarte Göttingen
- Landkreis
- Göttingen
- Gemeinde
- Göttingen, Stadt
- Gemarkung
- Göttingen
- Orts-/Stadtteil/Lage
- Göttingen
- Adresse
- Geismar Landstraße 11
- Objekttyp
- Sternwarte
- Baujahr
- 1803
- bis
- 1816
- Denkmalstatus
- Einzeldenkmal (gemäß § 3 Abs. 2 NDSchG)
- Bedeutung
- geschichtlich, künstlerisch, wissenschaftlich, städtebaulich
- Im Denkmalverzeichnis
- Ja
- Objekt-ID
- 35858344
- Objekt-Nr.
- 2148
- Fachbereich
- Bau und Kunst
- Denkmalthema
- Gauss-Steine
- Denkmalthema Gauß: Gauß berechnete 1801 den Verlauf des Kleinstplaneten Ceres, der erst kurz vorher entdeckt worden war, sich aber weiteren Beobachtungen entzogen hatte. Diese Berechnungen machen ihn überregional in Astronomenkreisen berühmt. 1807 erhält er einen Ruf nach Göttingen als Professor der Astronomie und Direktor der Sternwarte. Bis zu seinem Lebensende wird er beide Stellungen beibehalten. Die Sternwarte ist 1807 gerade erst im Bau. Die Vollendung wird sich durch die Wirren der Napoleonischen Kriege noch bis 1816 hinziehen. Einer der zentralen Punkte der Hannoverschen Gradmessung ist in der Sternwarte angelegt und wird als Theodolitplatz des Jahres 1823 geführt. Carl Friedrich Gauß wohnte mit seiner Familie in der Sternwarte. Hier starb er am 23.2.1855 in einem Lehnstuhl sitzend.
- Beschreibung
- Königliche Sternwarte, erbaut 1803-1816 als klassizistische Dreiflügelanlage auf einer Beobachtungsterrasse mit nach Norden geöffnetem Hof Baugeschichte und Nutzung: Der 1803-1816 mit Unterbrechungen errichtete Neubau der Universitäts-Sternwarte entstand außerhalb des Stadtwalls auf einem noch unbesiedelten Gelände an der Ausfallstraße der Geismar-Chaussee (heute Geismar Landstraße). Die vorangegangene Sternwarte von 1751 auf einem Turm der Göttinger Stadtmauer an der Turmstraße, an der Carl Friedrich Gauß als Student ausgebildet worden war, entsprach nicht mehr den modernen Anforderungen. Der neue Standort war 1802 auf Anraten des damals in Hannover wirkenden badischen Architekten Friedrich Weinbrenner bestimmt worden. Ursprünglich entwerfender Architekt der neuen Sternwarte war Universitätsbaumeister Georg Heinrich Borheck, der seine Entwurfsüberlegungen „Grundsätze über die Anlage neuer Sternwarten mit Beziehung auf die Sternwarte Göttingen“ 1805 für die Veröffentlichung in einem zweibändigen Werk vorbereitete (publiziert erst 2005). Die technisch und baukünstlerisch anspruchsvolle Aufgabe löste Borheck mit Hilfe des Gothaer Hofastronomen Franz Xaver von Zach und des Justizrates Johann Hieronymus Schröter sowie anhand von Angaben aus dem „Observatorium“-Artikel in der Enzyklopädie von Christian Ludwig Stieglitz. Vorbildlich für die damals noch neue Bauaufgabe ‚Sternwarte‘ wurde in der Disposition als Dreiflügelanlage auf einer Terrasse die von v. Zach konzipierte und 1790 in Betrieb genommene Sternwarte auf dem Seeberg bei Gotha, einer der ersten speziellen Sternwarten-Bauten Europas. 1810 wurde der Göttinger Bau nach einem Regierungswechsel durch ein Edikt von König Jérôme Bonaparte von Westphalen wieder aufgenommen und konnte nach einer weiteren Unterbrechung während der napoleonischen Kriege und nochmaligem Regierungswechsel (nunmehr Königreich Hannover) ab 1814 unter Borhecks Nachfolger Justus Heinrich Müller erst 1816 fertiggestellt werden. Dabei realisierte Müller eingreifende Entwurfsänderungen am äußeren Erscheinungsbild, die auf Müllers Lehrer in Kassel Johann Heinrich Jussow und den damals ebenfalls in Kassel wirkenden Mathematiker-Architekten August Leopold Crelle zurückgingen. Die Göttinger Sternwarte wurde Wirkungs- und Forschungsstätte des 1807 an die Georgia Augusta Universität als ordentlicher Professor und Sternwarten-Direktor berufenen, bedeutenden Mathematikers, Astronomen, Physikers und Geodäten Carl Friedrich Gauß, der auch bis 1855 im Nordwestflügel mit seiner Familie wohnte und dort starb. Gauß widmete sich in seiner Sternwarte u.a. der Positionsastronomie und der Berechnung der Bahnen der Gestirne. Unter Gauß galt die Göttinger Sternwarte als eine „der Ersten in Europa“. Den außer der Astronomie anderen Arbeitsgebieten von Gauß verdankt die Göttinger Sternwarte weitere Bedeutungen: 1833 fand vom Dach der Sternwarte aus mit einer Drahtleitung über 1.100 m hinweg die weltweit erste elektromagnetische Datenfernübertragung statt. Gauß entwickelte den elektromagnetischen Telegrafen zusammen mit dem Physiker Wilhelm Weber (siehe: Gauß-Weber-Denkmal, 152012.02056). Ferner leitete Gauß als Geodät 1820 bis 1828 die Hannoversche Landesvermessung, deren Nullpunkt in der Göttinger Sternwarte (im westlichen Meridiansaal) angelegt war. Nachfolgend wirkten an der Sternwarte Göttingen weitere wissenschafts-geschichtlich bedeutende Astronomen als Direktoren, u.a. Wilhelm Weber, Wilhelm Klinkerfues, Wilhelm Schur und der Wegbereiter der modernen Astrophysik Karl Schwarzschild, an die (bis auf Schur) an der Sternwarte mit marmornen Fassadentafeln gedacht wird. 1887/88 erfolgte unter Direktor Schur ein großer Umbau der Sternwarte nach Plänen des Kreisbauinspektors beim Universitätsbauamt Hans Breymann, wobei u.a. die beiden Meridianspalte von 44 cm auf 80 cm verbreitert und das Attikageschoss ausgebaut und durchfenstert wurde sowie Ersatz der zuvor flacheren Kuppel durch eine Drehkuppel geschaffen wurde. Astronomische Beobachtungen fanden seit 1933 nicht mehr in der Sternwarte statt; hierzu dienten seither die neuen Gebäude der Außenstation auf dem nahen Hainberg. 1924 Einbau einer Bibliothek mit Empore im westlichen Hauptflügel. 1926 und 1932 Umbauten, u.a. mit Einzug von Zwischendecken in den Meridiansälen; 1937 Schließung der beiden Meridianspalte. 1993-95 Fassadensanierung mit umfangreichen Steinerneuerungen. 2005 Auszug des Instituts „Universitäts-Sternwarte Göttingen“ aus der alten Sternwarte. 2007-2010 Instandsetzung außen und innen, geleitet vom Baumanagement der Universität unter Rainer Bolli, u.a. mit Freilegung der Meridiansäle und der Meridianspalte, Einbau einer Fußbodenheizung in den Meridiansälen, Instandsetzungen der Malereien in der Mittelrotunde, Instandsetzung der originalen (weißen) Südflügel-Fenster sowie Erneuerung fast aller anderen (grünen) Fenster. 2014-18 Instandsetzung der Drehkuppel mit der originalen Linoleumbespannung von 1888. Seit 2008 wird die historische Sternwarte genutzt für Tagungen und Veranstaltungen sowie Lichtenberg-Kolleg und Graduiertenschulen der Universität Göttingen. - Baubeschreibung: Das Gebäude erhebt sich über einer hohen podiumsartigen Terrasse und bildet eine nach Norden geöffnete Dreiflügelanlage. An der Südseite liegt der exakt in Ost-West-Richtung errichtete eigentliche Sternwarten-Hauptflügel, dessen breit gelagerte, aus Sandsteinquadern sorgfältig gefügte Schaufassade sich nach Süden zur Gartenseite orientiert. Das mittige Hauptportal ist von eingestellten dorischen Säulen gerahmt. Links und rechts befinden sich je zwei große Fenster und dazwischen die charakteristischen beiden Meridianspalte der zwei seitlichen Meridiansäle sowie weiter außen gerahmte Nebenportale zu den Vorbereitungsräumen. Die Fassaden des hohen Hauptgeschosses schließen oben mit dem klassischen Vokabular eines Triglyphen-Metopen-Gebälks samt Gesims und Mutulus-Platten sowie darüber einer Attika und dem begehbaren Flachdach ab. Die Mitte der Fassade bekrönt ein Tambour mit halbrunder, blechgedeckter Drehkuppel. Wenngleich die Wände der seitlichen Gebäudeschmalseiten weniger anspruchsvoll mit Putzfeldern versehen sind, wird dennoch die klassische Gebälk- und Mezzaninzone der Front seitlich um die Ecken herumgeführt. Nach Norden schließen sich an den Sternwarten-Hauptflügel die beiden etwas nach außen versetzten, zweigeschossigen und unterkellerten Seitenflügel mit den ehemaligen Wohn- und Arbeitsräumen der Astronomen an. Obwohl diese Baukörper anders ausgebildet und mit Putzfassaden sowie flachen Walmdächern versehen sind, werden alle drei Gebäudeflügel architektonisch durch einen gemeinsamen Fassadensockel und das umlaufende Gesims mit Mutulus-Platten verbunden. Die Seitenflügel umschließen einen nördlichen Innenhof, wobei die Podiums-Terrasse hier nicht um das Gebäude herumgezogen ist. Die Fassaden sind also an der Hofseite höher, sodass drei Freitreppen vom Innenhof zu den Eingängen hinaufführen. Die in der Literatur geschilderte minderwertige Funktion „Wirtschaftshof mit Brunnen und Abfalldeponie“ sowie „Zugang für Gesinde und Anlieferungen“ (Förster 2005, S. 46) dürfte unzutreffend sein, da die Fassaden ebenfalls sehr repräsentativ ausgebildet sind und von hier aus die beiden Wohnflügel erschlossen werden. Die besonders breite Freitreppe vor dem Mittelflügel hat gelegentlich auch als Beobachtungsplattform gedient. Im Innern sind die historischen Grundrissstrukturen erhalten bzw. wiederhergestellt. Repräsentativer Mittelpunkt ist die Eingangsrotunde mit ihrer (wiederhergestellten) farbigen Ausmalung. Die beiden Meridianspalte sind bei der Instandsetzung 2007-10 in ihren Abmessungen von 1888 freigelegt worden, allerdings nur in den Fassaden bzw. Außenwänden, denn die zugehörigen Dachspalte blieben mit der Flachdachdichtung geschlossen. In der Drehkuppel von etwa 8 m Durchmesser mit der 2014-18 restaurierten, inneren Linoleumbespannung steht ein Refraktor (Linsenteleskop) aus der Zeit um 1900. Im Gebäude sind weitere historische Mess- und Beobachtungsgeräte, teilweise noch aus der Gauß-Zeit, ausgestellt. Der gemäß Kulturgutschutzgesetz 2015 unter der Verzeichnis-Nummer 09909 als „national wertvolles Kulturgut“ ausgewiesene Vizeheliotrop von 1821 befindet sich außerhalb im Physikalischen Institut der Universität Göttingen. Die großen Meridiankreise in den Meridiansälen wurden 2008 ff. nicht nachgebildet; einer der ehemals vier mächtigen Sandsteinpfeiler wurde 2009 bei Erdarbeiten im Garten wiederentdeckt und anschließend dort ausgestellt. Unter einer Fußbodenklappe des westlichen Meridiansaals ist der auf Gauß zurückgehende Nullpunkt der Hannoverschen Landesvermessung (erneuert 1887) sichtbar.
- Denkmalbegründung
- Die Göttinger Sternwarte mit der zugehörigen Podest-Terrasse und dem eingefriedeten Garten ist von großer kulturgeschichtlicher Bedeutung. Ihre Erhaltung liegt wegen der geschichtlichen, künstlerischen, wissenschaftlichen und städtebaulichen Bedeutung im öffentlichen Interesse. Die geschichtliche Bedeutung resultiert aus der internationalen Forschungs- und Wissenschaftsgeschichte wegen der weltweit bekannten Forschungsstätte von Carl Friedrich Gauß und anderen. Baugeschichtlich bedeutend ist der deutschlandweit frühe Sternwartenbau, dessen aufwändiger Entwurf von Borheck und auch die kostspielige Instrumentenausstattung auf die Konkurrenzsituation zur Stadt Braunschweig zurückgehen, von wo aus man sich ebenfalls um eine Berufung von Gauß bemüht hatte. Der von Jussow und Crelle überarbeitete und schließlich von Müller ausgeführte Borheck-Entwurf war im Ergebnis der „erste Göttinger Bau […], für den die griechisch-antiken Formen eines archäologisch getreu recherchierenden Klassizismus verbindlich wurden“ (Freigang 2005, S. 24). Wissenschaftlich bedeutend ist die Sternwarte als Gegenstand der Baugeschichts- und Technikforschung und wegen der Seltenheit von historischen Sternwarten in Niedersachsen. Die künstlerische Bedeutung beruht auf der baukünstlerischen Qualität der klassizistischen Fassaden sowie der bedeutenden Innenraumgestaltung. Und schließlich ist die auf einem Podium emporgehobene Sternwarte von städtebaulicher Bedeutung wegen ihres straßen- und ortbildprägenden Einflusses. Die Sternwarten-Anlage weist einen für Göttingen sehr hohen Identifikationswert auf.
- Gruppen (ID | Typ | Beschreibung)
- 47990454 | Sternwarte | Sternwarte Göttingen
- Literatur
-
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
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