Kapelle Westerode
- Landkreis
- Göttingen
- Gemeinde
- Duderstadt, Stadt
- Gemarkung
- Westerode
- Orts-/Stadtteil/Lage
- Westerode
- Adresse
- Westeröder Straße 32
- Objekttyp
- Kapelle (Bauwerk)
- Baujahr
- 1900
- bis
- 1901
- Personen
- Bollweg, Otto
- Denkmalstatus
- Einzeldenkmal (gemäß § 3 Abs. 2 NDSchG)
- Bedeutung
- geschichtlich, künstlerisch, städtebaulich
- Im Denkmalverzeichnis
- Ja
- Objekt-ID
- 35203220
- Objekt-Nr.
- 934
- Fachbereich
- Bau und Kunst
- Beschreibung
- Repräsentative evangelische Dorfkapelle, erbaut 1900-01 nach Entwurf des Architekten Otto Bollweg aus Hannover. Chor genordet, Turmfront zur Durchgangsstraße. Neugotische Saalkirche mit eingezogenem Chor und Westturm. Im Innern bauzeitliche Ausstattung (offenes Dachwerk, Lesepult, Liedertafel, Sitzbänke, Orgelempore). Mit Zauneinfriedung des Vorplatzes. 2019-20 umgenutzt zu einem 'Raum der Stille'. Bestimmend ist die eingeengte Lage auf einer schmalen Parzelle, die vom linken Nachbargrundstück des Gasthofs abgetrennt worden war. Anlass des Kirchenbaus war die Zunahme der Dorfbevölkerung, u.a. angeblich durch den Eisenbahnbau mit vermehrt evangelischen Einwohnern, die zuvor ihre Bibelstunden provisorisch im benachbarten Gasthof abhielten. Westerode war auch nach dem Kapellenbau keine selbständige evangelische Kirchen- oder Kapellengemeinde; wegen der Nähe wurde der Ort stets von den Duderstädter Pfarrern mit versorgt. Planungs- und Baugeschichte: Vorplanungen 1899, Grundsteinlegung 25.07.1900; Bauausführung durch Maurermeister Borchardt aus Duderstadt; Einweihung der Kirche 04.08.1901. Glockeneinweihung 13.09.1903. Innenraum ursprünglich ausgelegt für 80 Sitzplätze; Gesamtkosten 8.925 Mark. Zur Einweihung stiftete Kaiserin Auguste Viktoria eine Bibel mit handgeschriebener Widmung (jetzt im Pfarrarchiv Duderstadt). Aus der Literatur überlieferte größere Baumaßnahmen: 1959 Veränderung des Turmhelms sowie Neuausmalung des Kircheninnern mit Umgestaltung des Altars, Erneuerung der Chorfenster, „Neuanlage eines Lichtnetzes“, Einbau von „Holzpaneelen“ (später nochmal erneuert) und einer Ölheizung; 1982/83 abermalige Innenrenovierung mit Neuausmalung und Einbau einer Gasheizung. (Die ursprünglichen Entwurfs- und Baupläne sind weitgehend verschollen. Eine undatierte und unsignierte Blaupause befindet sich Stadtarchiv Hannover im Nachlass des Baumeisters und Bollweg-Lehrers Conrad Wilhelm Hase, die in wenigen Details vom ausgeführten Kirchenbau abweicht. Erhalten sind im Pfarrarchiv Kostenschätzungen von 1899 und 1900 zum Ausführungsentwurf, die ersatzweise Auskunft auch zur ursprünglichen Ausstattung geben. Die derzeit älteste bekannte Innenansicht ist aus der Zeit um 1960.) Die Gründe zur Architektenauswahl des Hase- und Hotzen-Schülers Otto Bollweg (1857-1927), der in Westerode einen kunstvollen Entwurf für ein neugotisches Dorfkirchlein schuf, sind nicht überliefert, doch dürfte ein Vorschlag der Landeskirche aus Hannover entscheidend gewesen sein, denn am 07.06.1899 nahm Konsistorialbaumeister Karl Mohrmann (ebenfalls 1857-1927) gegenüber dem Königlichen Konsistorium zu zwei Vorentwürfen Bollwegs positiv Stellung und betonte dabei, dass „unter der kundigen Hand des Architekten (…) aus dem Betsaal eine ansprechende Kapelle und bei dem etwas größeren Plane mit geringem Mehraufwand ein kleines Kirchlein geworden (sei), das seine Bedeutung in anmutender Weise zum Ausdruck bringt ohne kleinlich zu werden. Die Arbeit erweist, wie richtig es war, die Aufgabe von vornherein einer berufenen Kraft anzuvertrauen. (…) Zum Zwecke der Ersparnis Vereinfachungen vorzunehmen, kann ich nicht empfehlen, da der Reiz der Entwürfe nicht durch besonderen Aufwand sondern das künstlerische Geschick des Entwerfenden erzielt ist.“ Der enge ideelle Zusammenhang der Kirchenbauentwurfs zur sogenannten Hannoverschen Schule mit deren Absicht zur Wiederbelebung der mittelalterlichen Baukunst ist erkennbar auch durch das mehrfach am Gebäude verwendete Kennzeichen der „Bauhütte zum weißem Blatt“, so am Hauptportal neben dem Türschloss und an der Liedertafel. Umnutzung 2019/20: Nachdem in der Kapelle schon seit 1993 keine regelmäßigen Gottesdienste mehr stattfanden, kam es im April 2017 zur kirchlichen Entwidmung und 2018 zum Verkauf an Privatleute. 2019-20 Sanierung und Umnutzung zu einem "überkonfessionellen, spirituellen Raum der Stille" (Planung und Mit-Bauherr: Architekt Michael Schmutzer, Duderstadt). Baubeschreibung: Die Lage des Kapellengebäudes mit Chor im Norden und Turmfront ist nach Süden zur Durchgangsstraße orientiert, nicht weit entfernt von der ähnlich ausgerichteten katholischen Kirche, die kurz zuvor 1899-1900 entstanden war. Vor dem Kapellengebäude befindet sich ein schmaler Vorplatz bzw. Vorgarten, der von einem bauzeitlichen Eisengitter mit Torflügel eingefriedet ist; die beiden seitlichen Ziegelpfeiler sind erneuert, weisen aber die alte Sandstein-Verdachung auf. Rechts verläuft außerhalb des Grundstücks ein schmaler Weg, der mit einem historisierenden Metallzaun von 2020 (zuvor Maschendrahtzaun) abgegrenzt ist. – Äußeres: Neugotisch gestaltetes Saalkirchlein mit eingezogenem Chor und vorgesetztem Turm. Backsteinbau mit Putzfelderungen in den Fassaden, gelagert auf Sockel aus Natursteinquadern. Eine Besonderheit des Grundrisses ist die selten verwendete Lösung eines 4/6-Chorschlusses, die im Innern eine fensterlose Raummittelachse und außen einen Chorscheitel-Strebepfeiler ergibt. Der Kapellenbau setzt sich aus drei Hauptgebäudeteilen (Kapellenschiff, Chor und Turm) sowie zwei Nebengebäudeteilen zusammen, wobei letztere (Treppenanbau und Sakristei-Anbau) in der Gestaltung bewusst zurück genommenen wurden. Alle Gebäudeteile sind in den Fassaden durch abweichende Detailformen voneinander unterschieden. Sämtliche Bauformen nehmen stilistische Anleihen an der Norddeutschen Backsteingotik des Mittelalters. Hier kam eine moderner wirkende Ausformung zum Einsatz, mit Hauptgliederungen in Sichtziegelmauerwerk (im Binderverband und unter sparsamer Verwendung von Formsteinen), während die in den oberen Fassadenbereichen zurückliegenden Wandfelder mit hellen Putzflächen abgesetzt sind. Herausgehoben kräftig gegliedert sind die mit gestuften Strebepfeilern und Rundbogenfenstern versehenen Fassaden der Schiffseitenwände und des Chors. Das Dach des Kirchenschiffs ist als Satteldach ausgebildet, im Norden gegen den Chor mit Anklängen eines Schildgiebels. Der niedrigere Choranbau ist polygonal abgewalmt und der Sakristei-Anbau daran angeschleppt. Die Dachdeckungen aus Doppelmuldenfalzziegeln und der einfache Metallfirstknauf auf dem Chordach dürften noch bauzeitlich sein. Der Helm auf dem gedrungen wirkenden Glockenturm verjüngt sich mit einer Abstufung nach oben, die als Laterne mit Schallluken ausgebildet ist. Bis zur Erneuerung der Schieferdeckung 1959 war das Laternengeschoss deutlicher durch ein unteres Gesims und obere Walmdächlein akzentuiert. Auf der Turmspitze sitzt ein Knauf mit Wetterhahn (Kopf fehlt). Die Türflügel beider Gebäudeeingänge (Turmportal und Sakristei) sind bauzeitlich erhalten; über dem Portal sitzt die Baujahresinschrift „1901“. Die Spitzbogenfenster im Kirchenschiff, Chor und Turm sind mit noch bauzeitlichen Eisenrahmen ausgestattet; die ursprüngliche Verglasung der Erbauungszeit mit rautenförmigen Gläsern ist wohl bei der großen Instandsetzung von 1959 im Chorraum durch Rechteckscheiben ersetzt worden. Inneres: Nach dem Vorraum des Turm-Erdgeschosses betritt man den kleinen Kapellen-Innenraum, der von dem holzverkleideten Dachbogen mit auf Sandsteinkonsolen sitzenden Zierbinder-Gespärren sowie dem rippengewölbten Chor geprägt ist. Aus der Erbauungszeit stammen Teile der hölzernen Ausstattung: der kleine Altartisch (Entwurf Christoph Hehl, ursprünglich für eine andere Kirche gestaltet und bis in die 1980er-Jahre mit einem Altaraufsatz versehen; siehe Bollweg-Skizze von 1899; die größere Altartischplatte ist modern; Altartisch 2019 entfernt und nach Duderstadt versetzt), das Lesepult, eine Lesetafel, das in zwei Blöcken auf Holzpodesten aufgestellte Gestühl aus zweimal sieben Bänken (ursprünglich zweimal acht Bänke; 2020 weitere zwei Bankreihen entfernt) sowie die Emporenbrüstung vor dem Turmobergeschoss (ursprünglich eine kleine Orgel aufnehmend). Teile der Ausstattung waren von Architekt Bollweg beim Kirchengerätehandel der Gebrüder Stoffregen in Hannover ausgewählt und zum Ankauf vorgeschlagen worden. Der ebenfalls ausgewählte ursprüngliche Leuchterkranz ist nicht erhalten; die heutigen Wandlampenschirme dürften aus der Renovierungsphase von 1959/60 stammen (2019 entfernt). Zur ursprünglichen Raumfassung heißt es in der Kostenschätzung von 1899, dass eine "ganz einfache Dekoration der Wandflächen" für 50 Mark geplant war, die heute von jüngeren Farb- und Putzschichten verdeckt ist. Für den Anstrich sämtlicher Holzbauteile (Bodenpodest, Raumdecke, Türen) waren Ölfarben bzw. heißes Leinöl vorgesehen. Im Kirchturm hängt eine vom evangelischen Kirchenchor Duderstadt gestiftete und 1903 eingeweihte Glocke aus der Gießerei Gebrüder Ulrich in Laucha-Unstrut (2017 nicht besichtigt. Nach Aussage des Glockensachverständigen Andreas Philipp, Göttingen, ebenfalls ohne Besichtigung: Schlagton g, unter Durchmesser 50 cm, Gewicht rd. 70 kg, Inschrift unbekannt). Im Zuge der Umnutzung von 2019-20 zu einem „überkonfessionellen, spirituellem Raum der Stille“ wurde der Innenraum neu verputzt und farblich neu gefasst sowie der Bodenbelag erneuert. Bankpodeste und zwei Sitzbankreichen wurden entfernt. Der Altartisch blieb in kirchlichem Besitz der St. Servatius-Gemeinde Duderstadt und dient jetzt (2021) im Gemeindehaus-Saal in Duderstadt für Andachten. Die Glocke blieb ebenfalls in Kirchenbesitz, hängt aber noch (2021) im Kapellenturm. Der Vorplatz wurde neu gepflastert. Als äußeres Anzeichen der Kapellen-Umnutzung wurden seitlich des Haupteingangs zwei historisierende Konsolen angebracht, darauf je eine goldfarbene Kunststoff-Sitzfigur „Schutzengel“ des Nürnberger Bildhauers und Konzeptkünstlers Ottmar Hörl.
- Denkmalbegründung
- Die Erhaltung der ehemaligen Westeröder Kapelle aus geschichtlichen, künstlerischen und städtebaulichen Gründen liegt im öffentlichen Interesse. Das Schutzgut umfasst den gesamten mit Baukörper, allen Gebäudeteile und allen Fassaden, die in Erscheinungsbild, Substanz und Konstruktion ungewöhnlich gut überliefert sind; dies betrifft auch die südlich vor der Kirche vorhandene Einfriedung und die im Inneren überkommene bauzeitliche Ausstattung mit Dachwerk, Turmempore, Lesepult, Liedertafel, Sitzbänken und Turmglocke. Das Erhaltungsinteresse liegt begründet in der Bedeutung sowie Zeugnishaftigkeit des Bauwerks für die Ortsgeschichte Westerode, allgemein für die Bau- und Kunstgeschichte, aber auch wegen der beispielhaften Ausprägung eines kleineres Kirchenbautyps und als Werk des überregional bekannten Architekten Otto Bollweg. Besonders hinzuweisen ist auf den Zeugnis- und Schauwert für die Bau- und Kunstgeschichte im Hinblick auf die neugotische Gestaltung, die einen engen ideellen Zusammenhang zur sogenannten Hannoverschen Schule aufweist.
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ADABweb
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