"Haus der Gemeinde"; ehem. Landwirtschaftsschule Steinhorst
- Landkreis
- Gifhorn
- Samtgemeinde
- Hankensbüttel [Sg]
- Gemeinde
- Steinhorst
- Gemarkung
- Steinhorst
- Orts-/Stadtteil/Lage
- Steinhorst
- Adresse
- Metzinger Straße 1
- Objekttyp
- Landwirtschaftsschule
- Baujahr
- um 1905
- bis
- um 1910
- Denkmalstatus
- Einzeldenkmal (gemäß § 3 Abs. 2 NDSchG)
- Bedeutung
- geschichtlich, künstlerisch
- Im Denkmalverzeichnis
- Ja
- Objekt-ID
- 33940433
- Objekt-Nr.
- 44
- Fachbereich
- Bau und Kunst
- Beschreibung
- Das Gebäude und die Anlage wurden 1911/12 von der Alexander und Fanny Simonschen Stiftung nach einem Entwurf des Architekten Heinrich Tessenow (1876-1950) als Lehrlingswohnheim mit Schulungsräumen mit Garten errichtet. Ziel der aus dem Erbe des hannoverschen Bankiers Alexander Moritz Simon (1837-1905) gegründeten Stiftung war es, jungen Juden eine Ausbildung in der Landwirtschaft zu geben und ihnen damit ein Berufsfeld zu eröffnen, das ihnen bis weit ins 19. Jahrhundert weitgehend verschlossen war. Moritz Simon betrieb seit 1893 mit der „Israelitischen Erziehungs-Anstalt zu Ahlem bei Hannover“ (ab 1919: „Israelitische Gartenbauschule Ahlem“) die bis zur Zeit des Nationalsozialismus größte und einflussreichste Ausbildungsstätte für angehende jüdische Gärtner im Deutschen Reich. In den Jahren kurz vor dem Ersten Weltkrieg gründete die Stiftung in Peine und Steinhorst weitere Ausbildungsstätten. In Steinhorst erwarb sie 1909 ein landwirtschaftliches Gut, um hier jüdische Lehrlinge zu Landwirten auszubilden. Die Ausbildungstätigkeit der Simonschen Stiftung endete in Steinhorst jedoch bereits 1919, das Haus wurde verkauft. Anschließend diente es verschiedenen Funktionen, u.a. als Ferien-Wohnheim des Hamburger Sportbundes, und derzeit als Verwaltungssitz der Gemeinde Steinhorst. Eingebettet in die Bestrebungen der Lebensreform-Bewegung, orientierte sich die Simonsche Stiftung bei der Wahl ihres Architekten an der zeitgenössischen Reformarchitektur. Sie beauftragte Heinrich Tessenow mit drei Projekten: den Lehranstalten in Steinhorst und Peine (1913, verändert erhalten) sowie einem Kindergarten in Hannover (1913, zerstört). Tessenow gehörte in dieser Zeit zu den Protagonisten der früh-modernen Architektur. Mit dem gleichzeitig zu den Bauten für die Stiftung errichteten Festspielhaus in Dresden-Hellerau, den dortigen Wohnhäusern sowie mit seinen Publikationen beeinflusste er die Entwicklung einer schlichten, zurückgenommenen Architektur in hohem Maße. Die ehem. Landwirtschaftsschule in Steinhorst steht exemplarisch für Tessenows Schaffen in der Zeit um 1910. Das Gebäude ist in einen Garten eingebettet, der zur Grundkonzeption einer entsprechenden Bildungseinrichtung gehört. Es entfaltet durch seine spezifische Gestaltung zudem eine gewisse städtebauliche Wirkung im Zentrum des Dorfs Steinhorst. Der zweigeschossige, von einem Walmdach abgeschlossene Baukörper mit seinen beiden eingeschossigen, nach Westen vorgezogenen Flügeln ist weitgehend symmetrisch aufgebaut; auf der Südostecke ragt ein ursprünglich offener Vorbau mit Terrasse vor dem Obergeschoss in den Garten hinein. Ein umlaufendes Gesims zeigt die Geschossteilung des Hauptbaukörpers an; die Fenster des Obergeschosses sind durch ein weiteres Gesims auf Höhe der Sohlbänke zusammengefasst. Die im Detail unregelmäßige Verteilung der rechteckigen Fenster folgt den inneren Nutzungsanforderungen. Der auf der Westseite, in der Mittelachse des Gebäudes, gelegene Haupteingang führt in einen langen Flur mit einer seitlich angeordneten Treppe zum Obergeschoss. Von diesem Flur aus sind die meisten Räume des Erdgeschosses direkt zugänglich; hier befanden sich u.a. der Speisesaal, die Küche, mehrere kleinere Säle und weitere Räume. Im Obergeschoss wiederholt sich der lange Flur, hier erschloss er die Wohn- und Waschräume der Bewohner des hauptsächlich als Wohnheim gedachten Gebäudes. Die Räume sind und waren auch ursprünglich weitgehend schmucklos; die von Tessenow konzipierten Türen, Fenster (mit zugehörigen Drückern und Beschlägen), Einbauschränke, Treppen und Geländer, die zu großen Teilen erhalten sind, zeigen schlichte, funktionale Formen. Spätere Veränderungen (v.a. im Bereich der Küche und der ehemals offenen Veranda) und Reparaturen bzw. Ersetzungen beeinträchtigen das ursprüngliche Erscheinungsbild kaum. Das ehem. Lehrlingswohnheim der Landwirtschaftsschule, die darüber hinaus bestehende Bauten nutzte, hat in zweierlei Hinsicht eine besondere Bedeutung als Baudenkmal. Zum einen ist es ein Zeugnis der deutsch-jüdischen Geschichte: Es bezeugt es die zeitweilig erfolgreichen Bemühungen jüdischer Institutionen, jungen Juden auf dem Feld der Landwirtschaft neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu eröffnen, um ihre prekäre wirtschaftliche Situation zu verbessern, zugleich steht es für den Anspruch, antisemitischen Vorurteilen wie dem, dass Juden für die Landwirtschaft ungeeignet seien, mit praktischen Erfolgen entgegen zu treten. Die aus dem gesamten Deutschen Reich und aus weiteren europäischen Ländern stammende Schülerschaft der Bildungseinrichtungen der Simonschen Stiftung zeigen die Reichweite und Bedeutung dieser Ideen. Zum anderen steht das Gebäude mit seinem weitgehend unveränderten Erscheinungsbild, bauzeitlichen Materialien und Konstruktionen sowie ursprünglichen Ausstattungselementen in herausgehobener Weise für die produktivste und im Ergebnis einflussreichste Phase im Schaffen des Architekten Heinrich Tessenow. In Niedersachsen ist kein weiteres Bauwerk Tessenows erhalten, das seine Grundsätze einer schlichten, funktionalen und zugleich in die umgebende Architektur und Landschaft eingepassten Architektur in dieser Klarheit zeigt – vom Gesamtentwurf bis ins Detail. Die betonte Schlichtheit ist das besondere Kennzeichen der Tessenow’schen Baukunst aus dieser Zeit. Sein späterer Einfluss als Architekt und Lehrer, u.a. an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg, fußt vor allem auf den Projekten der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg; Wirkungen seiner Entwurfsprinzipien lassen sich als eine Architekturentwicklung parallel zur Klassischen Moderne bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgen.
- Denkmalbegründung
- An der Erhaltung der ehem. Landwirtschaftsschule und ihres Gartens besteht aus geschichtlichen, städtebaulichen und künstlerischen Gründen ein öffentliches Interesse. Die Einbettung des Bauwerks in den umgebenden Garten und seine gewisse städtebauliche Wirkung für das Straßenbild des Ortes Steinhorst verleihen der ehem. Landwirtschaftsschule eine städtebauliche Wirkung. Dass der Auftraggeber, eine jüdische Stiftung mit aufklärendem, die Lebensgrundlagen der jüdischen Bevölkerung reformierenden Programm, an diesem Ort einen solchen „Musterbau“ realisierte, macht das Bauwerk zu einem überregional bedeutenden Denkmal der deutschen Kulturgeschichte. Als Werk aus der produktivsten Schaffensphase des Architekten Heinrich Tessenow hat die ehem. Landwirtschaftsschule eine hohe künstlerische Bedeutung: Auch wenn die Steinhorster Bauaufgabe mit ihrem beschränkten Umfang keine repräsentativen Formen erlaubte, wie sie vom gleichzeitigen Festspielhaus in Dresden-Hellerau bekannt sind, ist Tessenows Intention, einen funktional und gestalterisch angemessenen, mustergültigen Bau der Bildung (und damit der lebensreformorientierten Aufklärung) zu schaffen, dennoch grundlegend für den Entwurf. Als einziges gut erhaltenes Objekt Tessenows für die Simonsche Stiftung kommt der ehem. Landwirtschaftsschule eine besondere Bedeutung als Zeugnis des Schaffens des Architekten für die jüdische Stiftung zu.
- Gruppen (ID | Typ | Beschreibung)
- 47247832 | Landwirtschaftsschule | "Haus der Gemeinde"; ehem. Landwirtschaftsschule Steinhorst
- Literatur
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ADABweb
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