Stiftskirche Königslutter - "Kaiserdom" mit Kreuzgang und Refektorium
- Landkreis
- Helmstedt
- Gemeinde
- Königslutter am Elm, Stadt
- Gemarkung
- Königslutter a.E.
- Orts-/Stadtteil/Lage
- Königslutter
- Adresse
- Vor dem Kaiserdom 5
- Objekttyp
- Klosteranlage
- Denkmalstatus
- Einzeldenkmal (gemäß § 3 Abs. 2 NDSchG)
- Bedeutung
- geschichtlich, künstlerisch, wissenschaftlich, städtebaulich
- Im Denkmalverzeichnis
- Ja
- Objekt-ID
- 32654846
- Objekt-Nr.
- 162
- Fachbereich
- Bau und Kunst
- Beschreibung
- Die dreischiffige Pfeilerbasilika erstreckt sich hinter einer offenen Halle im Westwerk, dessen Bauform dem sogenannten sächsischen Westriegel entspricht, über sechs nahezu quadratische Arkadenjoche hinweg. Im Osten der Kirche befindet sich das mit einem Vierungsturm bekrönte Querhaus sowie der ebenfalls dreischiffige Chor, der mit einer Haupt- und zwei Nebenabsiden abschließt, die am Querhaus optisch von zwei weiteren Seitenapsiden begleitet werden. Nach der Grundsteinlegung 1135 für den Chor baute man bis circa 1220/30 Kirche und Kloster, wölbte den Chor ein und schloss das Langhaus mit einer flachen Decke. Im 15. Jahrhundert folgte die Vollendung des Westwerkes sowie die Einwölbung des Langhauses, die nach schweren Bauschäden 1690-95 teilerneuert wurde. Die qualitativ ungewöhnliche Steinmetz- und Mauertechnik sowie die künstlerisch außergewöhnlichen Bildhauerarbeiten an Chor, Querhaus und nördlichem Kreuzgangflügel gehören der ersten Bauphase an. Kunstgeschichtlich werden sie mit oberitalienischen Bauhütten in Verbindung gebracht. Von der einst reichen Ausstattung der Stiftskirche in Königslutter kennen wir heute außerdem den Osterleuchter und den bergkristallbesetzten Bronzeleuchter für den Hauptaltar aus der Erbauungszeit, dazu eine Messingtaufschale vom Ende des 15. Jahrhunderts sowie den Taufstein aus dem frühen 17. Jahrhundert. Auch eine der Glocken stammt aus dem Mittelalter, das Kaisergrabmal aus dem frühen 18. Jahrhundert, Altargerät wie drei Zinnteller aus dem späten 18. Jahrhundert. Vom Kreuzgang sind nur der zweischiffige Nord- und der einschiffige Westflügel, aus dem ein zweigeschossiges Brunnenhaus in den Hof ragt, sichtbar erhalten. Ausgestattet ist der Kreuzgang mit der außergewöhnlichen Kapitellplastik der frühen Bauzeit, die 1858-60 sowie 1876 instandgesetzt bzw. erneuert wurde, und einigen Grabepitaphien des 15. bis 18. Jahrhunderts. Vom Westflügel aus gelangt man in das vierjochige, in zwei Schiffe geteilte Refektorium, das ebenfalls der ersten Bauzeit zuzuordnen ist, jedoch im 15. Jahrhundert eine spätgotische Einwölbung erhielt. Die ganzheitliche Ausmalung des Kirchenraums ist ein Raumkunstwerk des ausklingenden Historismus, das mittelalterliche Wandmalereien des 13. Jahrhunderts einbezog, jedoch tatsächlich erst zwischen 1886 und 1894 entstand. August von Essenwein, der als Spezialist für romanische Kunstgeschichte galt, hatte das Konzept erarbeitet. Der Braunschweiger Hof- und Dekorationsmaler Adolf Quensen führte den Auftrag aus, der von der allerhöchsten Familie Kaiser Wilhelms protegiert wurde. Mit der ikonographischen Interpretation als gebäudeintegrierter "Prozessionsweg", der in der Steigerung des Raumerlebnisses vom westlichen Langhaus in Richtung Chor zu begreifen ist, symbolisiert die Ausmalung einen panoramaartigen Bilderraum für die imperiale, vermeintlich die Welt umspannende Machtvollkommenheit des deutsch-römischen Kaisers Lotharaus dem 12. Jahrhundert, auf den man sich mit der Reromanisierung in diesem "Kaiserdom" bezog. Verständlich wird das Raumkunstwerk als Beitrag zur kulturellen Restauration, das in den Monumenten des ersten deutschen Kaiserreichs eine sichtbare und zeitlich weit zurückreichende Legitimation für das zweite suchte. Als Reaktion auf jahrzehntelange Geringschätzung, Übermalung, Vernachlässigung und Unverständnis erfolgten von 1996 bis 2010 interdisziplinäre Schadensuntersuchungen, bauliche Instandsetzungen und eine umfassende Restaurierung der Wandmalerei. Bemerkungen der NLD-Restaurierungswerkstatt zur Ausmalung: Apsis Seit 1886 Freilegung und Wiederherstellung mit starken Ergänzungen durch A. v. Essenwein; nach dessen Tode 1892 Fortsetzung der Arbeiten nach dem Konzept v. Essenweins durch A. Quensen bis zum Abschluß 1894. 1974 Fixierung der Malereien. Westbau Mittelraum Seit 1886 Freilegung durch A. v. Essenwein, ohne Ergänzungen vorzunehmen. 1975 Restaurierung. Langhaus 1956/57 Übertünchung, 1975 erneute Freilegung. Pfeiler der Langhausnordseite Seit 1886 Freilegung und Wiederherstellung der spätgotischen Aposteldarstellungen durch A. v. Essenwein. Anmerkungen zum historistischen Bildprogramm: Das von August von Essenwein, einem der besten Kenner mittelalterlicher Kunst, 1887 entworfene Ausmalungsprogramm ging von mittelalterlichen Befunden aus. Er schuf ein Gesamtkunstwerk, das den Raum zu einer mittelalterlichen Prozessionsstraße gestaltet. Ihr Ziel ist die Maiestas Domini in der Apsis. Die Ausführung des historistischen Programms übernahm Adolf Quensen 1890-1894. Die 1956 stark reduzierten Darstellungen im Langhaus zeigen eine Interpretation des Gesanges der drei Männer im Feuerofen (Daniel 3) mit jochweise angeordneten Verkörperungen der vier Elemente (Südwand) und der vier Tageszeiten (Nordwand); im Obergaden früchtetragende Palmen mit Öllampen an den Blättern. Im Querhaus zeigen die Darstellungen singende und musizierende Engelschöre, denen im südlichen Kreuzarm alttestamentarische Texte, im nördlichen neutestamentarische zugeordnet sind; am Übergang zum Chor über den Basen der Vierungspfeiler großfigurige Idealporträts der Kirchenstifter, des Kaisers Lothar III. und seiner Gattin Richenza, am Übergang zum Langhaus Johannes der Täufer und Moses; im Obergaden zwei Engel mit dem Siegel des allmächtigen Gottes, ihnen zur Seite Feigenbäume. Inhaltlich auf diesen Darstellungskomplex bezogen an den Chorwänden friesartig aufgereiht sieben Tugenden, auf überwundene Laster tretend; im Chorgewölbe Himmlisches Jerusalem, umrahmt von der die Vision des Johannes schildernden Textstelle (Offenbarung 21,2 ff.); in den Gewölbezwickeln Personifizierungen der vier Paradiesflüsse Phison, Geon, Euphrat und Tigris, aus radial in den Mauern angelegten Toren treten zwölf Propheten mit Schriftbändern hervor; auf dem das Chorjoch begrenzenden östlichen Gurtbogen das Lamm Gottes, umgeben von zwölf Widdern, Sinnbilder der zwölf Apostel. Auf der Kalotte der Hauptapsis, auf eine Ausmalung des 13. Jh. zurückgehend, als Ziel des Darstellungsprogrammes die Maiestas Domini, zugeordnet Petrus und Paulus; unter dem Hauptgesims drei Engel mit Zepter; in den Feldern zwischen den Apsisfenstern erscheinen vier weitere Patrone, von denen nur Johannes der Täufer von v. Essenwein eindeutig identifiziert werden konnte; darunter Wandbehangmalerei. Auf dem Chor und Apsis trennenden Gurtbogen sieben Tauben als Sinnbilder der Sieben Gaben des Heiligen Geistes. Das mittelalterliche Bildprogramm: 1 Innerhalb des mehrschichtigen Wandmalereiaufbaues u.a. Maria und Heilige als Halbfiguren, die aus Blütenkelchen wachsen, in flächendeckendem Rankwerk; im oberen Bereich der Westwand zwischen den Fenstern Verkündigung an Maria 2, 3 Vermutlich Bartholomäus mit Messer und Matthias mit Beil als Standfiguren an Baldachinarchitekturen 4 Die Ausmalung von 1890-94 geht auf ein Bildprogramm des 13. Jh.zurück: in der Apsiskalotte die Maiestas Domini und die Kirchenpatrone Petrus und Paulus, in der Fensterzone vier stehende Heilige (lediglich Johannes der Täufer identifiziert); darunter gemalte Draperie.
- Denkmalbegründung
- Als Familiengrablege des sächsisch-welfischen Interimskaisers Lothar III. von Süpplingenburg, der 1135-37 zwischen der salischen und der staufischen Kaiserdynastie die Herrschaft über das römisch-deutsche Reich erlangte, kommt dem ehemaligen Benediktinerkloster in Königslutter eine geschichtliche Bedeutung von europäischem Rang zu. Mit der monumentalen, bautechnisch auf höchstem Niveau errichteten Architektur, der italienisch geprägten Bauplastik an der Kirche und im Kreuzgang sowie einigen Werken der Klosterausstattung besitzt das Bauensemble um die Stiftskirche in Königslutter auch künstlerische Bedeutung. Nur wenige Monumente des 12. Jahrhunderts erreichen in Deutschland eine vergleichbar hohe Qualität. In Verbindung von romanischer Architektur und neuromanischer Innenraumgestaltung spiegelt die Stiftskirche das wilhelminische Kulturverständnis als Anschauungsobjekt zweier weit auseinander liegender Kulturepochen wider. Als einer der hochrangigsten kaiserlichen Klosteranlagen des 12. Jahrhunderts nördlich der Alpen ist das Bauensemble auch Gegenstand vielfältiger kunst- und geschichtswissenschaftlicher Fragestellungen, aus denen heraus eine umfängliche wissenschaftliche Bedeutung resultiert. Die Lage des ehemaligen Klosters auf der Anhöhe oberhalb der Altstadt von Königslutter, das aufragende Volumen der Stiftskirche macht die Klosteranlage sowohl von den Hügeln des Elm als auch aus der Braunschweiger Börde weitläufig sichtbar und begründet somit seine städtebauliche Bedeutung. Die Erhaltung der ehemaligen Klosteranlage liegt einerseits wegen ihrer künstlerischen Bedeutung und andererseits als hochmittelalterliches Zeugnis der römisch-deutschen Kaisergeschichte in öffentlichem Interesse. Darüber hinaus ist die Stiftskirche in Königslutter ein erstrangiges Beispiel für die monumentale Raumkunst des späten 19. Jahrhunderts in Deutschland – in diesem besonderen Fall als Anschauungsobjekt zweier weit auseinander liegender Kulturepochen.
- Gruppen (ID | Typ | Beschreibung)
- 32628871 | Klosteranlage | "Kaiserdom" Königslutter mit Klostergebäuden und Freiflächen
- Literatur
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- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ADABweb
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