Gebietsfreischaltung in der Bau- und Kunstdenkmalpflege: Der Landkreis Hildesheim
Der Landkreis Hildesheim in seiner heutigen Gebietsgrenze zeigt sich einerseits durch den weltlichen Teil des bis 1802 politisch souveränen Hochstiftgebietes von Hildesheim sowie andererseits durch randständige Teilbereiche des ehemaligen Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel. Bis heute haben sich dort überwiegend katholische Pfarrkirchen und eine Vielzahl von Kleindenkmalen als Zeugnisse der katholischen Glaubenspraxis (Prozessions-/Kreuzwegstationen, Marienbilder, Wegekreuze und -kapellen) erhalten, der übrige Teil ist überwiegend protestantisch geprägt. Am Übergang von der Norddeutschen Tiefebene in das Mittelgebirge gelegen, ist der Landkreis Hildesheim naturräumlich in die nördliche Bördelandschaft und das südliche, von Leine und Innerste begrenzte, waldreiche Bergland geschieden. Diese naturräumlichen Gegebenheiten spiegeln sich in der Baukultur wider: fruchtbare Lössböden mit reichem Tonvorkommen lieferten jahrhundertelang die materielle und finanzielle Grundlage für zahllose Ziegelbauwerke, mit vereinzelt örtlichen Gipsvorkommen wurde der Bedarf für Mauerwerk, Mörtel und Bodenestrich seit dem Mittelalter bis in das Industriezeitalter gedeckt. Die vorrangig auftretenden Haufendörfer werden im traditionellen Ortsbild geprägt durch mehrseitige Hofstellen; der für Südostniedersachsen bekannte sog. Erkeröder Typ kommt als Sonderform im Nordosten des Kreisgebietes regelmäßig vor.
Neben landwirtschaftlich geprägten Gebietsteilen stechen vor allem kleinstädtische Siedlungsräume mit prägnanten, oftmals aus Klostergründungen bzw. Burgsitzen heraus entwickelte Ortskerne der Kleinstädte Bad Salzdetfurth, Bodenburg, Gronau, Lamspringe hervor. Nach verheerenden Stadtbränden wurde für die Städte Elze und Bockenem die Stadtmitte klassizistisch neu errichtet.
Die Pfeiler der geistlichen Organisation bildeten seit dem frühen Mittelalter die Klöster, die zur Diözese Hildesheim gehörten. Kloster Lamspringe, im 9. Jahrhundert an der Lamme-Quelle als Benediktinerinnenkloster gegründet, entwickelte sich im Mittelalter zu den reichsten Klöstern des Stifts. Die Klosteranlage Wittenburg war seit Ende des 12. Jahrhunderts bis zur Reformation im Besitz des Hildesheimers Domkapitels. Die Gründung des 1680-1815 bestehenden Dominikanerklosters in Gronau auf dem Gelände der ehemaligen bischöflichen Burg fällt in die Zeit der Restitution des Großen Hildesheimer Stifts ab 1643. Bei Gronau liegt Haus Escherde, ein um 1200 gestiftetes Kloster, 1543 reformiert und im Zuge der Rekatholisierung 1680 und 1751 neu errichtet. 1810 säkularisiert, wurde das Anwesen 1837 an das Welfenhaus verkauft und wird seither als Staatsgut genutzt.
Höhen- und Niederungsburgen sowie Landwehre sicherten als Befestigungsbauten die Militär- und Wirtschaftswege. Der landschaftsbildprägende Königsturm auf einem Höhenzug bei Bockenem gehört dazu ebenso wie die im Ursprung mittelalterliche Poppenburg auf einer Anhöhe am Ostufer der Leine. Letztere fiel mit dem Aussterben der Grafen Poppenburg an das Hochstift Hildesheim und bildete seither den Mittelpunkt des gleichnamigen Amtsbezirks. Die dortige Leinequerung mit der zugehörigen Zollstation galt als wichtiger Verkehrs- und Handelsknotenpunkt der Route Hildesheim – Paderborn. Burg Wohldenberg sicherte am nördlichen Eingang in den Ambergau die wichtigen Heer- und Handelsstraßen Hildesheim – Goslar im Nettetal und Hildesheim – Braunschweig im Innerstetal, Burg Steinbrück war eine strategisch wichtige Festungsanlage im Osten des Hildesheimer Hochstiftsgebiets. Nicht zuletzt gehören zu dieser Kategorie auch diejenigen Niederungsburgen im heutigen Hildesheimer Stadtgebiet (Marienburg, Steuerwald), welche wichtige Amts- und Gerichtsschauplätze waren und als machtpolitische Zentren über Jahrhunderte hinweg auf das Umland ausstrahlten.
Viele der im Matrikel eingetragenen Rittergüter haben bis heute als landwirtschaftlich betriebene Güter bzw. ehem. Vorwerke Bestand, dazu zählen u.a. die Gutshöfe Banteln, Heinsen, Heinde, Walshausen. Als repräsentativer Höhepunkt der Denkmallandschaft im Landkreis Hildesheim gelten die häufig mit großen Gärten ausgestatteten Schlösser und Herrensitze des Fürstbistums. Beispielhaft zu nennen sind die Neuplanungen und Umbauten anstelle des ehemaligen Augustinerklosters Derneburg am Hang des Nettetals für die Grafen von Münster durch Georg Ludwig Friedrich Laves (1788-1864). In einem Seitental der Nette entstand 1742 unter Moritz von Brabeck Schloss Söder, das - mit aufwändig gestaltetem Landschaftsgarten und wertvoller Kunstsammlung ausgestattet - zum kulturellen Mittelpunkt des Hildesheimer Landes avancierte. Innerhalb der Parklandschaften sind als besondere Zeugnisse der Sepulkral- und Memorialkultur die Grabpyramide von Laves für die Grafen von Münster im Landschaftspark Derneburg und das Mausoleum von Conrad Wilhelm Hase (1818-1902) in Volkersheim zu nennen. Das Barockensemble von Schloss Brüggen, Schloss Bodenburg, das renaissancezeitliche Schloss Nettlingen sowie das etwa zeitgleich entstandene von Saldernsche Schloss Henneckenrode sind weitere herausragende Bauwerke der Residenz- und Repräsentationsbaukunst.
Das Barockschloss Wrisbergholzen, eingebettet in authentisch erhaltenen Strukturen eines Gutsdorfes, hat eine weit über die Grenzen des Landkreises hinausstrahlende Wirkung aufgrund seiner bau- und kunsthistorischen Schauwerte. Das im Gutsbezirk ebenso erhaltene Manufakturgebäude, ein Fachwerkbau, in welchem von 1738 bis 1834 Fayencen hergestellt wurden, ist ein in Niedersachsen kulturgeschichtlich einmaliges erhaltenes Zeugnis für die wirtschaftskonjunkturellen Tendenzen des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts.
Innerhalb der architekturgeschichtlichen Vielfalt des Landkreises sind im Bereich der Technik- und Industriegeschichte rund 40 authentisch im Bestand überlieferte Mühlenstandorte zu betonen. Zu den ältesten Mühlenstandorten gehören Sarstedt, Königsdahlum und Brüggen. Allein in der Gemeinde Söhlde gab es rund 14 Windmühlen, in denen Steinmaterial zu Kreide, Kalk und Gips gemahlen wurde. Weitere Zeugnisse früher Industrialisierung befinden sich in Bornum und Glashütte, wo 1792 die Stendersche Glasfabrik den Betrieb aufnahm und kurz darauf bereits für den Export produzierte. Aus der Roheisenproduktion aus dem in Bornum am Harz vorhandenen Eisenerz entwickelte sich Ende des 18. Jahrhunderts die Wilhelmshütte mit einem der deutschlandweit frühesten Hochöfen. Bad Salzdetfurth prosperierte im 16.-18. Jahrhundert durch den Salzhandel, erblühte im 19. Jahrhundert mit der intensivierten Stein- und Kalisalzgewinnung und erlangte zugleich als Sole- und Moorheilkurort Bedeutung.
Die Inbetriebnahme der bedeutenden Nord-Süd-Eisenbahnlinie als sog. Hannöverschen Südbahn (Hannover-Alfeld-Göttingen) 1853/54 begünstigte einerseits mit dem Transport von Waren und Gütern das Erstarken der Wirtschaftsleistung, andererseits trug die Personen-Beförderung zur Mobilität der (Land)bevölkerung bei. Um die Jahrhundertwende wurden zahlreiche Nebenbahnstrecken wie die der Lamme- oder Almetalbahn eröffnet. Bauliche Zeugnisse wie Eisenbahnbrücken, Straßendurchlässe, Lokomotiven, Empfangsgebäude und Güterschuppen kennzeichnen das verkehrstechnisch geprägte Bahnhofsumfeld. Das Bahnhofsensemble in Nordstemmen hat als besonders repräsentatives Empfangsgebäude besondere geschichtliche, städtebauliche, wissenschaftliche und zudem künstlerische Qualität von nationalem Rang. Am 1. August 1854 fertig gestellt, erfolgte ab 1858 der Umbau als königlicher Empfangsbahnhof unweit südlich der neuen Residenz Schloss Marienburg. Der Bau ist stilgeschichtlich ein Initialbau der den norddeutschen Raum prägenden Hannoverschen Schule sowie als Inselbahnhof der Frühphase des Eisenbahnbaus in Deutschland bautypologisch einzigartig.
Insgesamt machen über 3.200 geschützte Objekte der Bau- und Kunstdenkmalpflege die Denkmallandschaft des Landkreises aus. In ihrer Vielfalt spiegelt sich exemplarisch eine über 1200-jährige Landes-, Kultur- und Baugeschichte wider, welche sich nun fast vollständig virtuell im Denkmalatlas erkunden lässt. Kleindenkmale wurden in der Bearbeitung zunächst zurückgestellt.