Der Architekt Franz Krüger (1873-1936) und seine niedersächsischen Bauten
Von Birte Rogacki-Thiemann
Franz Adolf Krüger war kein gebürtiger Niedersachse. Er kam am 6. Januar 1873 in Berlin auf die Welt, sein Vater war ein Holzschneider im Druckgewerbe. Die Familie siedelte nur kurze Zeit später nach Leipzig über, wo Franz Krüger aufwuchs. Nachdem er die Leipziger Bürgerschule abgeschlossen hatte, besuchte er für die Ausbildung zum Maurer und Techniker die dortige Baugewerkeschule und ging 1893 nach Hannover, um hier bei Conrad Wilhelm Hase (1818-1902) an der Technischen Hochschule Architektur zu studieren. Noch im selben Jahr trat Krüger in die „Bauhütte zum Weißen Blatt“ ein, wodurch sich bereits seine tiefe Verbundenheit mit Hase, dessen Maximen und denen der neugotischen Schule Hannovers zeigt. Über Hases Empfehlung gelangte Krüger 1895 als Berufsanfänger zunächst nach Doberan und Charlottenburg, bis er schließlich – wahrscheinlich auf Anraten des Lüneburger Stadtbaumeisters Richard Wilhelm Kampf (1859-1919, Stadtbaumeister in Lüneburg seit 1900), der ebenfalls ein Haseschüler war – 1899 nach Lüneburg zog und hier den Rest seines Lebens wohnte und wirkte. Krüger war als freischaffender Architekt tätig, wurde jedoch immer wieder auch zu städtischen Bauaufgaben herangezogen. Sein erster (niedersächsischer) Auftrag war – neben der Bauleitung an der Lüneburger Provinzial Heil- und Pflegeanstalt (heute: Psychiatrische Klinik) – der Bau eines Treppenturmes am Lüneburger Rathaus. In seinen regelmäßig und jahrgangsweise geführten (und im Stadtarchiv Lüneburg erhaltenen) Tagebüchern schrieb Krüger hierüber: „1899 – der zur Kämmerei gehörende runde Treppenturm wurde im October in seinem oberen Theil ausgebaut und erhöht. Derselbe liegt hofwärts an der Ostseite des Gebäudes, der neue Aufsatz ist sechseckig geschlossen mit Pyramidendach versehen, welches mit so genannten Zungensteinen belegt, trägt einen Knopf und endigt oberhalb mit einer eisernen Blume.“ Neben einem nicht verwirklichten Entwurf von Krüger für den südlichen Giebel des Stadtarchivs 1898 ist diese bauliche Änderung die erste am Lüneburger Rathaus, die auf Krüger zurückzuführen ist und es ist zugleich die erste Maßnahme in der Geschichte des Lüneburger Rathauses, die von außerhalb, also durch einen nicht bei der Stadt angestellten Architekten oder Lüneburger Stadtbaumeister durchgeführt wurde. Es handelt sich natürlich nur um eine untergeordnete Bauaufgabe, jedoch zeigte bereits dieser in historistisch gestalteten Formen obere Aufsatz des Turmes deutlich die Maximen, nach denen Krüger arbeitete und die im Übrigen auch denen der „Hannoverschen Schule“ entsprachen. Der bis heute erhaltene rückwärtige Treppenturm an der Rückseite des Kämmereiflügels des Lüneburger Rathauses diente in seiner ursprünglichen – mittelalterlichen – Anlage der Erschließung dieses „Flügels“ vom Keller bis zum Dach. Seine eigenständige bauliche Bedeutung erhielt der Turm somit erst durch die Ergänzung des oberen Aufsatzes durch Krüger, der fünf Fensteröffnungen in den fünf südlichen und östlichen Segmenten des Oktogons vorsah sowie einen ziegelgedeckten oktogonalen spitzen Dachhelm aufsetzte. Im Zuge dieser Umbauarbeiten am Treppenturm ließ Krüger auch große Teile des Erdgeschossmauerwerks in der Ostfassade des Kämmereiflügels ausbessern und „verschönerte“ damit auch diesen Bereich; neu ist auch die in den Hof eingebrochene Tür. Am Lüneburger Rathaus war Krüger auch an der „Verschönerung des Haupteinganges“ am Ochsenmarkt (1899-1909) beteiligt und mit dem Umbau der „Sparkasse“ (1899/1900), dem Ausbau des Ratskellers (1899-1900, mit Erweiterung nach Westen und Ergänzung einer Spülküche sowie von Sanitärräumen 1928) beschäftigt, nicht selten in enger Zusammenarbeit mit Stadtbaumeister Richard Wilhelm Kampf.
Auch die große Diele hinter der „Grünen Tür“ am Ochsenmarkt geht in ihrem heutigen Erscheinungsbild auf Entwürfe von Krüger 1908 zurück. Dabei war Krüger nie ein Vertreter des reinen Historismus, sondern er wollte seine Bauten auch immer als ortsbezogen verstanden wissen. Besonders markant ist in dieser Hinsicht der Lüneburger Wasserturm, der 1907/08 errichtet wurde und als qualitätvoller Bau des späten Historismus mit der modernen Interpretation lokaler Bautraditionen gelten kann. In dieselbe Kategorie gehört auch die 1912/13 auf dem jüdischen Friedhof errichtete Trauerhalle von Krüger, die zugleich eine besondere Bauaufgabe im Gesamtwerk von Krüger bildet.
In Zusammenarbeit mit Richard Kampf entstanden auch einige Schulen, von denen die Volksschule Vor dem Neuen Tore in Lüneburg ein gut erhaltenes Exemplar darstellt. Krüger, der hier explizit für die Fassaden zuständig war, entwarf die Schule 1901 als breitgelagerten symmetrischen Bau mit traufständigem Mitteltrakt und zwei giebelständigen Kopfbauten. Der vergleichsweise sparsam ausgeführte historistische Schmuck geht auf die eingeschränkten finanziellen Mittel für Schulbauten zurück.
Das reiche bauliche Oeuvre von Krüger umfasst daneben auch zahlreiche Umbauten (wie am Herrenhaus des Lüdersburger Gutsdorfes), Kirchenerneuerungen (z.B. der Turm der St.-Georg-Kapelle in Winsen/Luhe), öffentliche Bauten, Grab- und andere Denkmäler, aber auch zahlreiche Wohnbauten, von denen sich ein gut erhaltenes Exemplar im Kloster Lüne befindet. Franz Krüger entwarf das Wohnhaus 1901 für die Konventualinnen, da die vorhandenen Wohnzellen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ausreichten. Auch hier verwendete Krüger überwiegend Backstein, akzentuierte jedoch einzelne Bereiche wie den zweigeschossigen Nordgiebel und den östlichen Risalit der Südseite in Fachwerk. Mit diesen Elementen bezog sich Krüger sowohl auf das Kloster als Bauort als auch auf den späthistoristischen großbürgerlichen Villenbau, womit dem damaligen Anspruchsniveau der in der Regel aus gutsituierten Bürger- oder Adelsfamilien stammenden Konventualinnen entsprochen wurde. Ein in der neugotischen Formensprache weitergeführtes Wohnhaus ist die Villa für den Lüneburger Arzt Richard Hölscher an der Volgerstraße in Lüneburg, die ebenfalls Backstein und Zierfachwerk aufweist, zur Straße jedoch zudem einen hohen siebenfachen Staffelgiebel mit Spitzbogenfüllungen und hellen Blendfeldern besitzt. Spätere Villenbauten von Krüger weisen bereits Anklänge an den Reformstil auf, so beispielsweise die Villa am Wilschenbrucher Weg in Lüneburg von 1909/10.
Bereits mit seiner Übersiedlung nach Lüneburg nahm der unverheiratete Krüger Kontakt zu verschiedenen Vereinen und Institutionen auf, in denen er ehrenamtlich tätig wurde. Hierzu gehörte bereits 1899 die Mitgliedschaft im Museumsverein für das Fürstentum Lüneburg und ab 1900 im Verschönerungsverein von 1887. Ab 1901 war er auch Mitglied im Architekten- und Ingenieurverein Hannover und fungierte 1904 als Gründungsmitglied des Vereins für Denkmalpflege und dessen zweiter Vorsitzender. Ab 1913 bis zu seinem Tod schließlich übernahm Krüger ehrenamtlich die Leitung der Abteilung für Ur- und Frühgeschichte am Museum für das Fürstentum Lüneburg. Diese ehrenamtlichen Tätigkeiten korrespondierten mit einem breiten wissenschaftlichen Werk, dessen Fokus ebenfalls auf geschichtliche, bauhistorische und denkmalpflegerische Themen gerichtet war. Diesbezüglich befasste sich Krüger neben der – gemeinsam mit Archivar und Museumsdirektor Wilhelm Reinecke (1866-1952) durchgeführten – Bearbeitung des Kunstdenkmälerinventars für Lüneburg mit vielen weiteren geschichtlichen Themen, die von den hölzernen Glockentürmen im Regierungsbezirk Lüneburg, über Ziegelstempel und zahlreiche Betrachtungen zu Details des Klosters Lüne bis zu vorgeschichtlichen Themen wie Megalithgräber in der Lüneburger Heide reichen. 1932 wurde er für sein wissenschaftliches Gesamtwerk von der philosophischen Fakultät der Universität Hamburg zum Ehrendoktor ernannt. Franz Krüger war praktisch der erste Bauforscher und Denkmalpfleger in Lüneburg, der sowohl Aufgaben der Inventarisation als auch der praktischen Denkmalpflege übernahm. Die Ergebnisse seiner größtenteils auf Lüneburg bezogenen Forschungen publizierte Krüger regelmäßig in den Blättern des Museumsvereins und dokumentierte auch zahlreiche zum Abriss freigegebene historische Bauten und Denkmale. Dabei konnte es – naturgemäß – auch zu Konflikten kommen zwischen seiner Beschäftigung als Bauforscher und Denkmalschützer auf der einen und der Tätigkeit als freischaffender Architekt auf der anderen Seite. Ein Beispiel hierfür ist das Lüneburger Kontorhaus Am Sande 49, das 1901 von Krüger anstelle zweier älterer Bauten errichtet wurde, die er beim Abbruch untersuchte und dokumentierte.
Franz Krüger starb am 19. Mai 1936 in Lüneburg. Sein vom Museumsverein gestiftetes Ehrengrab befindet sich auf dem Zentralfriedhof in Lüneburg und ist mit einer vom Verein initiierten Ritzzeichnung einer prähistorischen Urne verziert, die an Krügers Forschungen und Veröffentlichungen zur Vorgeschichte erinnern soll. Sein Nachlass, der sich im Museum Lüneburg befindet, besteht aus zahlreichen Zeichnungen, Fotos, Notizen und Briefen, zudem sind weitere Zeichnungen und die umfangreichen Tagebücher Krügers im Stadtarchiv Lüneburg erhalten.
Zum Weiterlesen:
Hans-Herbert Sellen / Dirk Hansen: Franz Krüger 1873-1936 – Architekt und Bauhistoriker, Denkmalschützer und Erforscher der Vorgeschichte des Lüneburger Landes, Hannover 2017
Ulrich Knufinke: Bauwerke jüdischer Friedhöfe in Deutschland, Petersberg 2007, S. 241
Birte Rogacki-Thiemann: Die „stylgemässe“ Erneuerung des Lüneburger Rathauses im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Joachim Ganzert (Hg.): Das Lüneburger Rathaus – Ergebnisse der Untersuchungen 2012 bis 2014 (Beiträge zur Architektur- und Kulturgeschichte Leibniz Universität Hannover Band 10.3), S. 251-335