Kunst und Kontext: Ein neues Vermittlungskonzept für das Museum Kunststätte Bossard

Von Eva Lütkemeyer

Das Museum Kunststätte Bossard, südlich von Hamburg in der Kulturlandschaft der Lüneburger Heide gelegen, ist ein einzigartiges Gesamtkunstwerk. Ab 1911 verwirklichten Johann Michael Bossard (1874–1950) und seine Frau Jutta Bossard (1903–1996) hier ihre Vision eines allumfassenden Kunstorts, der Architektur, Bildhauerei, Malerei, Kunsthandwerk und Landschaftsgestaltung zu einem organischen Ganzen verbindet. Das etwa drei Hektar große Gelände umfasst neben dem Wohn- und Atelierhaus, dem Kunsttempel, dem Neuen Atelier und dem sogenannten Schweizer Schuppen auch eine aufwändig gestaltete Gartenanlage mit Baumtempel, Steinhalbkreis, Monolithenallee, einem großen Baumkreis (Omega),  Heide-, Obst- und Nutzflächen sowie Skulpturengruppen. Ziel war es, durch die räumliche Einheit von Bauwerk und Innengestaltung eine Art „Sinneslandschaft“ zu schaffen, in der Besuchende in eine bewusst zeitferne, nahezu mythische Welt eintauchen.

Architektonisch zeichnet sich das Gesamtkunstwerk Kunststätte Bossard durch eine charakteristische Formensprache aus: Das in den 1910er-Jahren errichtete Wohn- und Atelierhaus orientiert sich am sogenannten Heimatschutzstil mit Bezug auf regionale Bautraditionen. Der in den 1920er-Jahren entstandene Kunsttempel hingegen zählt zum Backsteinexpressionismus und ist sowohl architektur- als auch kunsthistorisch einzigartig.

Das Gesamtkunstwerk ist Spiegel seiner Entstehungszeit: ein Ort, an dem Kunst, weltanschauliche Ideen und gesellschaftliche Strömungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zusammenkommen. Es ist untrennbar mit den gesellschaftlichen Umbrüchen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts verbunden. Die Idee des Gesamtkunstwerks war nicht nur ein künstlerisches Konzept, sondern diente auch als Gegenentwurf zur Moderne und deren urban geprägten Gesellschaftsmodellen. Bossards Werk drückt sowohl die Suche nach alternativen Lebensentwürfen aus als auch eine ablehnende Haltung gegenüber der industriellen, kapitalistischen Moderne – eine Haltung, die in Teilen anschlussfähig an völkische und später auch nationalsozialistische Weltbilder war.

Seit 1997 ist das Areal als Museum öffentlich zugänglich. Den Erhalt des unter Denkmalschutz stehenden Gesamtensembles sichert die Stiftung Kunststätte Johann und Jutta Bossard. Neben der Besichtigung des Gesamtkunstwerks bietet das Museum Kunststätte Bossard auch Führungen, Sonderausstellungen und Vortragsreihen an und lädt zur kritischen Auseinandersetzung mit diesem vielschichtigen Ort ein.

Trotz der zweifellosen architektur- und kunsthistorischen Bedeutung des Gesamtkunstwerkes wirft das Werk von Johann Michael Bossard Fragen zum Umgang mit ideologisch belastetem Kulturerbe auf. Viele seiner künstlerischen Bezüge erfordern neben der kunsthistorischen auch eine zeithistorische Einordnung. Angesichts der Prägung Johann Michael Bossards durch Reformbewegungen des frühen 20. Jahrhunderts und völkische Einflüsse ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem Werk unerlässlich.

Ein Beispiel bildet das Bodenmosaik im sogenannten Eddasaal: In dem 1934 umfassend ausgestalteten Raum, der künstlerisch die altisländische Götter- und Heldensaga verarbeitet, findet sich auch ein 40 x 40 Zentimeter großes Bodenmosaik, das in abstrakter Form eine Swastika bzw. ein Hakenkreuz zeigt. Um dieses Objekt entbrannte im Jahr 2020 eine intensive öffentliche Debatte.

Vor diesem Hintergrund beauftragte die Stiftung Kunststätte Johann und Jutta Bossard im Jahr 2021 das Institut für Zeitgeschichte München–Berlin (IfZ) mit einer wissenschaftlichen Untersuchung zur weltanschaulichen Haltung des Ehepaars Bossard während des Nationalsozialismus. Die Ergebnisse zweier Gutachten betonen die Notwendigkeit, diese historischen Zusammenhänge auch an die Besuchenden der Kunststätte Bossard zu vermitteln.

Mit dem Projekt „Neustart Kunststätte Bossard. Konzept für die Vermittlung eines schwierigen Erbes in Niedersachsen“, gefördert im Rahmen des Landesprogramms Pro*Niedersachsen – Kulturelles Erbe – Forschung und Vermittlung in ganz Niedersachsen, nahm sich das Museum dieser Aufgabe an. Das Projektziel: ein neues Vermittlungskonzept, das die Kunststätte nicht nur in ihrer künstlerischen Qualität, sondern auch als kontroversen Ort verstehbar macht. In Kooperation mit dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege entwickelte das Museum ein Konzept, das sowohl die ästhetischen als auch die ideengeschichtlichen Dimensionen des Ortes berücksichtigt. Dabei stand die Frage im Zentrum, wie analoge und digitale Vermittlungsansätze sinnvoll und zeitgemäß kombiniert werden können, um ein wissenschaftlich fundiertes, zugleich aber niedrigschwelliges Angebot für eine kritisch-interessierte Öffentlichkeit zu schaffen.

Die zwölfmonatige Projektphase begann im März 2024 und mündete in die Entwicklung und Umsetzung eines neuen digital-analogen Vermittlungskonzepts für das Museum Kunststätte Bossard unter der Leitung von Dr. Eva Lütkemeyer. Basierend auf den formulierten Fragestellungen und den neuesten Forschungsergebnissen wurden in der Konzeptphase verschiedene Vermittlungsformate entwickelt, die sowohl analoge als auch digitale Vermittlungswege verknüpfen. So werden neben klassischen Führungen und textlichen Erschließungsmedien auch multimediale Stationen und eine mobile App umgesetzt, die kunsthistorische und zeitgeschichtliche Kontexte gleichermaßen zugänglich und verständlich machen:

  1. Erweiterung analoger Vermittlungsangebote – Bestehende Texttafeln wurden überarbeitet und an aktuelle Forschungsergebnisse angepasst. Ergänzend stehen wie zuvor auch gedruckte Flyer, Broschüren und weitere Publikationen zur Verfügung. Führungen und Vorträge ermöglichen wie gehabt persönliche, dialogische Zugänge; Kreativkurse fördern eine aktive Auseinandersetzung mit kunstbezogenen Themen.
  2. Einführung digitaler Module – Eine App bietet den Benutzern digitalen Zugang zu Informationen rund um die Kunststätte Bossard. Dazu gehören interaktive Karten, vertiefende Texte, Audioguides und Audiosequenzen sowie Videoinhalte. Diese lassen sich sowohl mobil als auch vor Ort über QR-Codes oder Zahlencodes an ausgewählten Standorten in den Gebäuden oder auf dem Gelände des Museums abrufen. Im Eddasaal des Wohn- und Atelierhauses ermöglicht eine interaktive Medienstation einen 360°-Rundgang, bei dem Informationen zu einzelnen Bildinhalten per Touch-Funktion abgerufen werden können. In verschiedenen Menüpunkten werden die Inhalte des Eddasaals und sein Entstehungskontext sowohl kunsthistorisch als auch zeithistorisch eingeordnet. 
  3. „Hybride“ Auseinandersetzung mit kontroversen Themen – Eine neu konzipierte Vermittlungsstation im Eddasaal widmet sich in hybrider Form dem Hakenkreuz-Mosaik im Fußboden des Raums: Ein über dem Mosaik angebrachter Glaskorpus mit QR-Codes an allen Seiten ermöglicht es, via Smartphone vier Expert*innen-Perspektiven auf die kontroverse Debatte abzurufen. Ziel ist eine multiperspektivische, kritisch-reflektierte Annäherung, die den Besucherinnen und Besuchern Raum für eine eigene Meinungsbildung lässt.

Mit diesem Vermittlungskonzept setzt das Museum Kunststätte Bossard seinen Weg der institutionellen Weiterentwicklung fort. Die Verbindung analoger und digitaler Vermittlungsmethoden erweitert das bestehende Angebot, erschließt neue Perspektiven und Fragestellungen und berücksichtigt zugleich denkmalpflegerische Interessen, indem der äußere Gesamteindruck der Kunststätte erhalten bleibt. Das Projekt versteht sich als Beitrag zur musealen Verantwortung im Umgang mit herausfordernden, historisch belasteten Themen und möchte Impulse liefern für eine offene, kritisch-reflektierte Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.

 

Zum Weiterlesen:

Tobias Hof: Vorgutachten zur Frage des Verhältnisses von Johann Michael Bossard und Jutta Bossard zum Nationalsozialismus im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München–Berlin, München 2022.

Tobias Hof: Weiterführendes Gutachten zur Geschichte der Kunststätte Bossard und zum Leben und Werk des Künstlerehepaars Johann Michael Bossard und Jutta Bossard im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München–Berlin, München 2024.

Erscheint in Kürze: Tagungsband der Tagung „Herausforderndes Vermitteln“ am 20. und 21. Januar 2025 am Museum Kunststätte Bossard, hg. von Eva Lütkemeyer / Miriam Röttger, darin auch mehrere Beiträge zum Museum Kunststätte Bossard.




Die Historikerin Dr. Eva Lütkemeyer war von März 2024 bis Februar 2025 Projektleiterin des neuen Vermittlungskonzepts für das Museum Kunststätte Bossard, gefördert wurde das Projekt "Neustart Kunststätte Bossard" durch die Förderlinie Pro*Niedersachsen. 

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