Gebietsfreischaltung in der Bau- und Kunstdenkmalpflege: Der Landkreis Helmstedt
Von Hubertus Gerhardt
Der Landkreis Helmstedt, der sich an der östlichen Grenze Niedersachsens zu Sachsen-Anhalt befindet, gehört heute zum Verwaltungsbezirk Braunschweig und war Teil des früheren Herzogtums Braunschweig-Lüneburg. Am Nordfuße der mitteldeutschen Gebirgsschwelle gelegen verband es früher die großen Handelszentren miteinander. Die Zeit der Industrialisierung mit vor allem dem Ausbau der Eisenbahn bestätigte diese günstige Verkehrslage und begünstigte die wirtschaftliche Entwicklung der Region, bis durch die Teilung zwischen Ost- und Westdeutschland der Landkreis sich zur Zonengrenze entwickelte, und somit die reichen Beziehungen unterbunden wurden mit daraus resultierenden Zerreissungsschäden. Mit seinem Bestand von rund 1937 Baudenkmälern blickt der Landkreis auf eine 1000-jährige Geschichte zurück.
Bereits im Mittelalter war der Landkreis Helmstedt als Grenzregion nicht unbedeutend gewesen, die zwischen den Stammesherzogtum Sachsen und den Erzbistum Magdeburg verlief. Bis heute sind einige ehemalige Burgsitze bzw. Grenzfesten erhalten geblieben, die einst in dichter Verteilung eine militärisch-territoriale Verteidigungslinie bildeten. Viele davon sind später verfallen oder in Amtssitze oder Domänen aufgegangen. Die „Neue Burg“ Warberg ist in ihrem fortifikatorischen Weichbild gut überliefert, die Domäne Bahrdorf besitzt den Kern einer Wasserburg, das Areal des Schlosses Schöningen bildet bis heute einen städtebaulichen Kern. Die Bestandteile des Kreises Helmstedt haben bei den Erbteilungen des Welfenhauses weitestgehend dieselbe Geschichte wie die der Kreise Braunschweig und Wolfenbüttel gehabt, das heißt sie sind in der Regel mit ihnen zusammen in einer Hand vereinigt gewesen. Den Hauptstock dieser Besitztümer bildeten nebst den Grafenrechten die Vogteien von Klöstern und Stiften. Zu den bekanntesten Klosteranlagen der Region gehört gewiss das ehemalige Benediktinerkloster in Königslutter, dessen romanische Stiftskirche – der Kaiserdom – als Grablege des sächsisch-welfischen Interimskaiser Lothar III von Süpplingenburg ein Kulturdenkmal von europäischen Rang darstellt.
Ab dem Mittelalter bis zur Einführung der modernen Kreisverfassung im 19. Jh. sind die Amtsbezirke unverändert geblieben, aus deren Gliederung die heutige Aufteilung der Gemeinden erwachsen ist. Der Sitz der Ämter wurde von den Burgen in die Städte oder in feste Gutshäuser verlegt, von wo aus die zumeist in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung aus landesherrschaftlich verwaltet wurde.
Zu den größeren Städten des Landkreises gehören – neben der ehemaligen Universitätsstadt Helmstedt– Königslutter und Schöningen, die beide vor allem für ihr historisches Ortsbild bekannt sind. Die Prosperität von Königslutter begünstigte die Lage an der Handelsstraße zwischen Braunschweig und Magdeburg, die Wallfahren zum Kaiserdom sowie der lokal abgebaute Duck- und Elmkalkstein. Bis in das 19. Jh. hinein wurde dieses Material vorwiegend in der regionalen Baukultur verwendet. Ein weiterer wichtiger Wirtschaftsfaktor der Stadt war das Braugewerbe, das mit der Lutter entspringenden kalkhaltigen Wasser gebraute „Ducksteinbier“ machte die Stadt überregional bekannt. In der Neuzeit war Königslutter ein beliebtes Ausflugsziel der Helmstedter Studenten, noch heute prägen die in Fachwerk errichteten ehemaligen Brau- und Gasthäuser das historische Ortsbild, wie auch die zum Mahlvorgang benötigten von der Lutter gespeisten örtlichen Wassermühlen.
Die Stadt Schöningen zählt der ältesten Ortschaften im Landkreis und bereits zur Karolinger Zeit wurde in der dort angesiedelten Saline Salz gefördert. Zusammengewachsen aus den Siedlungsbereichen des Stadtmarktes, dem Straßenzug Westendorf und dem Areal der ehemaligen Klosteranlage St. Lorenz prägen mittelalterliche Sakralbauten und neuzeitliche Fachwerkgebäude (zumeist Handwerkerhäuser) die Schöniger Innenstadt. Zu den einprägsamsten Gebäuden gehört unter anderem die ehemalige Lateinschule Anna Sophianeum, ein von der Herzoginwitwe Anna Sophia gestiftetes neuzeitliches Gymnasium, in dessen Räumlichkeiten sich das heutige Heimatmuseum Schöningen befindet. Zur Zeit der Industrialisierung erlebte die Stadt eine wirtschaftliche Blüte, durch den zusätzlichen Braunkohle-Tagebau erweiterte sich rasch das städtische Areal, unweit der Anbindung zur Eisenbahn entwickelte sich ein Gewerbegebiet in dem unter anderem auch Unternehmervillen und Arbeiterhäuser errichtet wurden.
Bis in das 19. Jh. hinein war der Kreis Helmstedt vorrangig durch die Landwirtschaft bestimmt, die sich zunächst primär auf Getreideanbau und Viehwirtschaft ausrichtete, und später durch den Anbau der Kartoffel und der Zuckerrübe ergänzt wurde. Grundsätzlich zählt der Landkreis Helmstedt zu der Schwellenregion, in der die Bauernhäuser sowohl im Typus des Niedersächsischen Hallenhauses wie auch des Mitteldeutschen Querdielenhauses eine weite Verbreitung fanden. Im Laufe des 19. Jh. wurden die Hallenhäuser älterer Hausstellen jedoch nicht mehr überholt und weitestgehend durch moderne mehrseitige Hofanlagen ersetzt; das Wohn-/Wirtschaftsgebäude in Grafhorst gehört zu den wenigen noch im Landkreis vertretenen Beispielen. Im Süden des Landkreises sind die großen industrialisierten Vierseithöfe mit repräsentativen Wohnhäusern Zeugnis des entscheidenden agrarwirtschaftlichen Strukturwandels durch die Einführung der Zuckerrübe.
Eine weitere regionale Besonderheit bildet die Kulturlandschaft des Dorfes Räbke unmittelbar nordöstlich der Schunterquelle mit seinen zahlreichen Wassermühlen. Im 13. Jh. haben die Mönche des Klosters St. Ludgeri die Schunter bereits mit einem Mühlengraben kanalisiert und aufgrund ihrer starken Quellenschüttung entwickelte sich die Ortschaft zu einem beliebten Mühlenstandort. In der Neuzeit waren dort aufgrund des klaren Wassers vor allem Papiermühlen ansässig, die den Helmstädter Universitätsbetrieb mit frischen Arbeitsmaterial versorgten.
Die Ortschaft Velpke entwickelte sich im Laufe des 19. Jh. zu einem Wirtschaftsstandort von überregionaler Bedeutung. Aufgrund des Eisenbahnverkehrs konnte der 1630 lokal erstmalig abgebaute Buntsandstein in weite Gebiete des Landes befördert werden, der sich noch heute im historischen Baubestand nachvollziehen lässt, in der Ortschaft siedelte sich eine Vielzahl von Naturstein- und Steinmetzbetrieben an. Die in dieser Zeit errichteten lokalen massiven Gebäude bilden somit eine Ausnahme in der sonst von Fachwerkbauweise dominierten Gegend Südostniedersachsens. Heute sind keine Steinbruchbetriebe mehr in Betrieb und die gefluteten Steinbrüche zwischen Danndorf und Velpke wurden zu Naturdenkmälern.
Aus der jüngeren Geschichte des Landkreises sind zwei Gesamtanlagen aus der NS-Zeit nennenswert: Das Fliegerhorst Mariental und die Heeresmunitionsanstalt Lehre, welche aufgrund der Zonengrenze nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr oder bedingt militärisch genutzt werden konnten und somit im authentischen Erhaltungszustand erhalten geblieben sind.
Somit zeigt sich eine Vielschichtigkeit des Landkreises, welche aufgrund der topografischen Lage sowie verschiedenen historischen Epochen eine wechselvolle Kulturlandschaft entstehen ließ.