Die ältesten Holzwaffen des Menschen von Schöningen – Dokumentation und Untersuchung
Einleitung
Die Entdeckung der ältesten, vollständig erhaltenen Holzwaffen des Menschen ab 1994 im Braunkohletagebau von Schöningen, Lkr Helmstedt, hat die Vorstellungen zu den technisch-kognitiven Fähigkeiten des frühen Menschen in Europa revolutioniert (Abb. 1). Da während der Grabung die Hölzer aus dem sogenannten Speerhorizont (Fpl. Schöningen 13 II-4) nahezu vollständig geborgen wurden, steht für die Auswertung ein einzigartiges Inventar zur Verfügung. Über viele Jahre stand die konservatorische Behandlung der Hölzer im Mittelpunkt, doch parallel konnten wichtige Vorarbeiten zur Auswertung wie die Artbestimmung der meisten Hölzer realisiert werden. Auch eine systematische Fotodokumentation wichtiger Objekte wurde im Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege (NLD) erarbeitet (vgl. Beitrag Elke Behrens). Eine Durchsicht der über 700 Holzfundeinheiten aus dem Speerhorizont, die in vielen Fällen noch in nassem Zustand – also unkonserviert – vorliegen, ergab neben den bekannten Holzwaffen weitere bearbeitete Exemplare. Eine umfassende Untersuchung dieser Hölzer war im Rahmen des denkmalpflegerischen Alltags allerdings nicht zu leisten.
Seit 2021 werden mit finanzieller Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und in Kooperation mit der Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie der Universität Göttingen (Arbeitsgruppe Prof. Dr. Holger Militz) die Hölzer des Speerhorizontes systematisch ausgewertet. Die Arbeiten konzentrieren sich vor allem auf die Objekte aus Fichte und Kiefer sowie in geringem Umfang aus Lärche, da nur diese Holzarten für die Herstellung von Waffen und Geräten Verwendung fanden; Weiden- und Pappelhölzer aus diesem Horizont gehören offensichtlich zur natürlichen Vegetation. Die Hölzer aus dem Speerhorizont werden in standardisierter Form untersucht sowie – insbesondere die eindeutigen Artefakte – ausführlich beschrieben und mit bildgebenden Verfahren dokumentiert (siehe unten). Darauf aufbauend wird die Funktion aller bearbeiteten Artefakte bestimmt und vergleichend eingeordnet. Ein wichtiges Ziel besteht in der Erarbeitung der Operationskette, um zu klären, in welchem Zustand die Hölzer auf den Fundplatz gelangten und ob bzw. welche Bearbeitungsschritte vor Ort in Schöningen erfolgt sind. Dafür werden auch Zusammensetzversuche durchgeführt. Darüber hinaus werden mit Hilfe von Partnern Oberflächenveränderungen wie mögliche Brandspuren mit innovativen Methoden analysiert. Mit der Erarbeitung von Jahrringfolgen der Hölzer soll versucht werden, u.a. eine mögliche Überlappungen von Jahrringsequenzen der Holzartefakte zu identifizieren, um Anhaltspunkte für die zeitliche Tiefe der Fundschicht und auch klimatische Aussagen zu gewinnen.
Bisherige Arbeiten
Im Jahre 1997 hat der Entdecker der Fundstelle Schöningen, Hartmut Thieme, ein Wurfholz und drei Speere (I-III) aus dem Horizont Schöningen 13 II-4 in der renommierten Fachzeitschrift Nature vorgestellt (Thieme 1997). In den Folgejahren wurden von ihm weitere Funde publiziert, sowie erste Wurfexperimente mit Repliken der Schöninger Speere durchgeführt (Thieme 2004; 2007; Rieder 2007). Der Archäobotaniker Werner Schoch hat zwischen 1995 und 2013 wichtige Objekte holzanatomisch beschrieben und in Arbeitsberichten dokumentiert. Im Zuge der Dokumentation wurden auch Dünnschnitte, an ausgesuchten Stücken angefertigt, um die Wachstumsbedingungen und das Alter des jeweils verwendeten Baumstammes zu bestimmen. So gelang es, u.a. Frostperioden während der Wachstumsperiode an Artefakten nachzuweisen. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen führten zu einem besseren Verständnis der Konstruktionsweise der Schöninger Speere und der angewandten Bearbeitungsmethoden (Schoch et al. 2015).
Eine visuelle Dokumentation der bekanntesten Objekte des Speerhorizonts erfolgte ab 2004 am NLD durch Elke Behrens, Christa Fuchs und Kerstin Schmidt (siehe Beitrag Behrens). Parallel dazu wurde eine Datenbank der Holzfunde durch Utz Böhner aufgebaut (ca. 1.800 Datensätze Schöningen 13 II/ Horizonte 1-4). Anschließend wurde von ihm und Pascale Richter eine erste Übersicht des Gesamtinventars erstellt, die ebenfalls als Arbeitsbericht vorliegt. Annemieke Milks verdanken wir die ersten systematischen Experimente zur Verwendung der Schöninger Speere als Stoß- und Wurfwaffen (Milks et al. 2016; 2019).
Neue Methoden
Im Rahmen des DFG–Projektes „Dokumentation und Untersuchung der ältesten Holzwaffen des Menschen von Schöningen (Fundstelle 13 II, Grabung H. Thieme)“ wird seit Mitte 2021 das gesamte Holzinventar des Speerhorizontes (Schöningen 13 II-4) untersucht. Für die systematische Beschreibung der Hölzer war es zunächst erforderlich, ein einheitliches Vokabular zur Ansprache holzanantomischer und taphonomischer Merkmale, sowie der menschlichen Bearbeitungsspuren zu erarbeiten. Während sich in der Forschung zum Paläolithikum (Altsteinzeit) für die Analyse von Steinwerkzeugen über Jahrzehnte eine Terminologie etabliert hat, fehlte für den Werkstoff Holz eine solche Grundlage. Inzwischen konnte die Arbeitsgruppe ein Glossar in englischer und deutscher Sprache als Grundstock der Kommunikation zu archäologischem Holz in Schöningen vorlegen (Milks et al. 2022).
Die Analyse des Schöninger Fundinventars erfolgt deskriptiv auf Basis des einzelnen Fundobjekts. Die Dokumentation der Einzelfunde folgt dabei dem Konzept der chaîne opératoire, also der Abfolge von Arbeitsschritten in fünf Phasen, beginnend beim Rohmaterial, über die Bearbeitung und Verwendung, bis hin zu taphonomischen Faktoren und modernen Veränderungen. Ziel dieser detaillierten Aufnahme ist es, den Einfluss einer jeden Phase auf das aktuelle Erscheinungsbild der Fundobjekte nachzuvollziehen. Im Mittelpunkt stehen dabei die ersten drei Phasen, die für den paläolithischen Menschen von Bedeutung waren: das Rohmaterial, die Bearbeitung und die Verwendung.
Für die Dokumentation der Fundstücke kommen verschiedene Methoden zur Anwendung. Makroskopische Beobachtungen und die photographische Dokumentation der Einzelfunde stehen dabei am Anfang. So kann bereits entschieden werden, ob z.B. ein Ast- oder ein Stammholz vorliegt, es können Bearbeitungsspuren identifiziert sowie taphonomische Veränderungen dokumentiert werden (Abb. 2). Somit lassen sich bei guter Erhaltung bereits relativ verlässlich Aussagen dazu treffen, ob ein Objekt vom Menschen bearbeitet wurde. Die visuelle Dokumentation erfolgt mithilfe vielfältiger Fotoaufnahmen. Längere Objekte wie die Schöninger Speere werden von professionellen Fotographen in einem kombinierten Stacking- und Stitchingverfahren aufgenommen (siehe Beitrag Behrens). So können diese Hölzer verzerrungsfrei und detailgetreu mit maximaler Tiefenschärfe aufgenommen werden; ein Verfahren, das bereits seit 2004 am NLD angewendet wird (siehe Beitrag Behrens).
Mikroskopie und µm-Verfahren
Im Rahmen des DFG-Projektes werden Bearbeitungs- und Verwendungsspuren an Holzartfakten routinemäßig mithilfe eines Stereomikroskops dokumentiert (Leica S9D ausgestattet mit einer Leica Flexacam C3 Kamera). Unter dem Mikroskoplicht sind Farbunterschiede, die zum Beispiel zum Erkennen von Jahrringen vorteilhaft sind, sehr gut zu erkennen (Abb. 3). Topographische Merkmale wie Schnitt- und Schabspuren lassen sich hingegen besser unter Streiflicht identifizieren (Abb. 4). Zu diesem Zweck werden Handlampen eingesetzt, die eine Einstellung der Beleuchtungsstärke und Farbtemperatur ermöglichen.
Die dreidimensionale Dokumentation von Spuren der Bearbeitung, Verwendung und Taphonomie erfolgt durch den Kooperationspartner an der Georg-August-Universität Göttingen mithilfe eines Keyence VHX 5000 3D-Digotalmirkoskops (Abb. 5-6). Diese Methode bietet nicht nur den Vorteil von Bildaufnahmen dreidimensionaler Objekte ohne einen Verlust an Tiefenschärfe, sondern der aufgenommene Bildausschnitt kann auch dreidimensional dargestellt und beispielsweise Höhenprofile erstellt werden.
Zur Analyse der Wachstumsbedingungen und Jahrringsequenzen der Stämme/Äste werden zur maximalen Schonung der originalen Substanz zerstörungsfreie Methoden wie µCT-scan und MRT Scans angewandt (Abb. 7-8). Dabei ist zwischen trockenkonservierten Hölzern und nasskonservierten Hölzern zu unterscheiden. µCT-scans wurden an der Abteilung Holzbiologie und Holzprodukte der Georg-August-Universität Göttingen mithilfe eines Phoenix|x-ray, GE Nanotom s und von der Firma Waygate Technologies mithilfe eines Phoenix V|tome|x M330 angefertigt. Während trockenkonservierte Hölzer hier sehr gute Ergebnisse erzielen, sind nasskonservierte Hölzer anspruchsvoller und führen zu einer geringeren Auflösung und Schärfe. Folgerichtig wurden zusammen mit dem Fachbereich Biologie/Chemie der Universität Bremen und dem Deutschen Primatenzentrum (DPZ) in Göttingen Testreihen mit nasskonservierten Hölzern in MRT Scannern durchgeführt. In Bremen stand ein Bruker BioSpec 70/20 USR mit 7 Tesla Leistung und 7 cm Röhrendurchmesser zur Verfügung. Am DPZ stand ein Bruker BioSpec 94/30 US/R mit 9 Tesla Leistung und 4 cm Röhrendurchmesser zur Verfügung. Beide Testreihen führten zu guten Ergebnissen, wobei eine schmalere Spule eine höhere Auflösung ermöglicht und gerade bei sehr eng gestaffelte Jahrringsequenzen bessere Ergebnisse erzielt.
Aussicht
Die Kombination der unterschiedlichen Dokumentationsmethoden und die damit einhergehende systematische Auswertung eines jeden Einzelobjekts führt zu einem vollumfänglichen Verständnis der Artefakte, ihrer Herstellungs- und Nutzungswiese und fördert den Erkenntniszuwachs zum Holzartefaktinventar von Schöningen 13 II-4, dem Speerhorizont. Bereits zeichnet sich ab, dass das Inventar der bearbeiteten Hölzer und das Spektrum der Bearbeitungsmethoden umfangreicher ist als bislang gedacht. Auch im Detail zeigen die Analysen, dass die Menschen von Schöningen eine umfassende Kenntnis und Erfahrung im Umgang mit der Ressource Holz hatten.
Arbeitsgruppe:
Thomas Terberger, Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Seminar für Ur- und Frühgeschichte an der Georg-August-Universität Göttingen
Holger Militz, Abteilung Holzbiologie und Holzprodukte der Georg-August-Universität Göttingen
Dirk Leder, Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege
Annemieke Milks, Department of Archaeology, University of Reading,
Tim Koddenberg, Abteilung Holzbiologie und Holzprodukte der Georg-August-Universität Göttingen
Jens Lehmann, Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege
Michael Sietz, Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege
Matthias Vogel, Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege
Unser Dank gilt:
Elke Behrens, NLD, Fotodokumentation Schöninger Hölzer
Anna-Laura Krogmeier, Forschungsmuseum Schöningen
Sebastian Scharnweber, Universität Greifswald, Jahrringanalysen
Susanne Boretius, Deutsches Primatenzentrum Göttingen, MRT-scans
Wolfgang Dreher, Ekkehard Küstermann, Universität Bremen, MRT-scans
Matthias Günther, Mevis Bremen, MRT-scans
Waygate Technologies, µCt-scans
Carl Zeiss GOM Metrology, µCT-scans, 3D structured light scans
Bernhard Schartel, Volker Wachtendorf, Bundesanstalt für Materialforschung und –prüfung, FTIR-Messungen
Volker Minkus, MINKUSIMAGES, Fotodokumentation Schöninger Speere
Literatur
Milks, A., Champion, S., Cowper, E., Pope, M., Carr, D., 2016. Early spears as thrusting weapons: Isolating force and impact velocities in human performance trials. Journal of Archaeological Science Reports 10, 191–203. https://doi.org/10.1016/j.jasrep.2016.09.005
Milks, A., Parker, D., Pope, M., 2019. External ballistics of Pleistocene hand-thrown spears: Experimental performance data and implications for human evolution. Scientific Reports 9(1), 820. https://doi.org/10.1038/s41598-018-37904-w
Milks, A., Lehmann, J., Böhner, U., Leder, D., Koddenberg, T., Sietz, M., Vogel, M., Terberger, T. 2022. Wood technology: a Glossary and Code for analysis of archaeological wood from stone tool cultures. OSF Preprints, x8m4j, ver. 7. https://doi.org/10.31219/osf.io/x8m4j
Rieder, H., 2007. Zur Qualität der Schöninger Speere als Jagdwaffen: Aus der Sicht der Sportwissenschaft. In: H. Thieme (Hrsg). Die Schöninger Speere. Mensch und Jagd vor 400 000 Jahren. Begleitband zur Landesausstellung Niedersachsen. Konrad-Theiss Verlag, 2007. 159-162.
Schoch, W. H., Bigga, G., Bohner, U., Richter, P., Terberger, T., 2015. New insights on the wooden weapons from the Paleolithic site of Schoningen. Journal of Human Evolution 89(C), 214–https://doi.org/10.1016/j.jhevol.2015.08.004
Thieme, H., 1997. Lower Palaeolithic hunting spears from Germany. Nature 385, 807-810. https://doi.org/10.1038/385807a0
Thieme, H., 2004. Lower Palaeolithic Weapons from Schöningen, Germany: The Oldest Spears in the World. In: R.L. Ciochon, J.G. Fleagle (Hrsg.) Human Evolution Source Book. Routledge, 460-466.
Thieme, H. (Hrsg.), 2007. Die Schöninger Speere. Mensch und Jagd vor 400 000 Jahren. Begleitband zur Landesausstellung Niedersachsen. Konrad-Theiss Verlag, 2007.