Gebietsfreischaltung in der Bau- und Kunstdenkmalpflege: Der Landkreis Lüneburg
Der Landkreis Lüneburg erstreckt sich vom Tal der Elbe im Osten bis zur Lüneburger Heide im Westen. Am östlichen und westlichen Ufer der Elbe liegen das Amt Neuhaus und Bleckede. Durch die Mitte des Landkreises fließt die Ilmenau. Im Landkreis sind heute weit über tausend Denkmale verzeichnet. Der größte Anteil sind Hofanlagen und landwirtschaftliche Bauten. Die Formen der Siedlungen und Höfe wurden durch die zwei großen Landschaftsräume im Landkreis Lüneburg – die Marschgebiete der Elbe und die Geest – unterschiedlich geprägt. Vielfältig waren zudem die historischen Keimzellen für deren Entstehung.
Am Westufer der Ilmenau wurde Bardowick im 8. Jahrhundert als einer der ältesten Handelsplätze Norddeutschlands gegründet. Seine Bedeutung musste der Ort Ende des 12. Jahrhunderts an andere Handelsplätze abgeben, insbesondere an das nur etwa fünf Kilometer weiter flussaufwärts gelegene Lüneburg, das gleichzeitig durch die Salzgewinnung florierte. Bedeutend für die Region blieb das in Bardowick geründete Stift, von dem die mittelalterlichen Bauphasen des sogenannten Doms St. Peter und Paul zeugen. Die Stadt Lüneburg gründete im 13. Jahrhundert direkt vor dem Wall des Ortes die Leproserie St. Nikolaihof, um Ansteckungen mit Lepra innerhalb der Stadt zu vermeiden. Die bis heute durchgängige Nutzung für soziale Zwecke durch die Stadt Lüneburg verdankt die Anlage auch ihre einmalige Überlieferung. Der Flecken selbst, in dem der Gemüseanbau an Bedeutung gewann, bewahrt mit seiner geringen Besiedelungsdichte bis heute den Charakter eines Wiek.
Seit dem 10. Jahrhunderts wurden Burgen in der Region errichtet. Der Turm der Kirche St. Nikolaus in Arltenburg, der Bergfried des Schlosses in Bleckede und der Torbogen des Schlosses Wehningen gelten als Zeugnisse von Burganlagen, die dem Schutz der Elbübergänge dienten. Bleckede wurde 1209 als neuer Handelsmittelpunkt in der Nachfolge von Bardowick gegründet. Als Verwaltungszentren waren die Burgstellen auch Nuklien für die spätere Entwicklung von Rittergütern, wie dem Gutsdorf Lüdersburg oder dem Gut in Barnstedt, und Dörfern wie Thomasburg und Dahlenburg.
Im 16. Jahrhundert wurden die Ämter als oberste Verwaltungseinheit zur Neugliederung und Zentralisierung der Bezirke eingeführt. Auf den Resten der Burganlage in Bleckede entstand daher um 1600 das Fürstliche Haus in Renaissanceformen neu, im 18. Jahrhundert wurde dem Amtssitz ein zweiter barocker Westflügel hinzugefügt. Die Kernstadt Bleckede bestand aus verschiedenen Rechtsbezirken, die sich noch heute in deren unterschiedlichen Bau- und Siedlungsstrukturen widerspiegeln. Die Altstadt ist als Bürgerstadt auf schmalen Parzellen eng mit meist giebelständigen Häusern bebaut. Das ehemalige Burglehen zwischen Altstadt und Schloss weist bedeutend größere Grundstücke auf, die zu den landtagsfähigen adelig-freien Gütern der 'Burgmänner' gehörten. Daneben hatten Stifte und Klöster, wie die Zisterzienser in Scharnebeck, kirchlichen Besitz, der nach der Reformation im 16. Jahrhundert säkularisiert und in die Domäne Scharnebeck umgewandelt wurde. Der Amtshof in Neuhaus entstand nachdem das Amt Neuhaus Anfang des 18. Jahrhunderts von Sachsen-Lauenburg übernommen wurde.
Ab dem 18. Jahrhundert wurden die Gutsanlagen zunehmend symmetrisch, als U- oder H-förmige Anlagen mit zentralem Gutshaus angelegt, wie beispielsweise die Gutshöfe in Neetze oder Vrestorf. In einigen Fällen sind noch die zu den Gütern gehörenden großen Zehntspeicher- und Scheunen erhalten, wie die des Gutes Süschendorf. Eine eigene historische Entwicklung nahm ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die sogenannte Gutsanlage in Barendorf, die durch Lüneburger und Hamburger Kaufleute und Bankiers nach Entwürfen namenhafte Architekten und Landschaftsplaner zu einer großflächigen Parkanlage mit repräsentativem Herrenhaus ausgebaut wurde.
Eine Besiedlung mit Dorfanlagen war in den Überschwemmungsgebieten der Elbe vor deren Entwässerung und Eindeichung nur auf natürlichen Sanddünnen möglich. Die alten Orte wie St. Dionys liegen daher rings um eine natürliche Erhöhung, auf deren höchsten Punkt sich die Kirche erhebt. Eine planmäßige Kolonisation der Elbmarschen mit Marschhufendörfern setzte gleichzeitig mit der Kultivierung des Landes in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhundert ein. Die Marschhöfe zeichnen sich durch schmale, langestreckte Parzellen und die auf ihnen aufgereihten Wirtschaftsbauten aus, wie sie noch heute in Konau gut nachzuvollziehen sind. Bei den Wohn-/Wirtschaftsgebäuden war wie in Barförde der Wohngiebel der Haupthäuser zum Deich und der Wirtschaftsteil zusammen mit den Nebengebäuden zur Straße ausgerichtet wurde. Die Elbfischer wohnten in kleinen Ansiedlungen, die wie in Hohnstorf auch auf der Elbseite des Deiches liegen konnten. Reihensiedlung sind auf der Geest in den Niederungen der Flussläufe zu finden, beispielsweise in Neetze, Soderstorf oder Oldendorf an der Luhe. Die Hofanlagen orientieren sich mit ihren Wirtschaftshöfen auf die Verkehrsadern, einige Orte sogar auf die Flüsse selbst, wie in Süttorf oder Kirchgellersen. Die Grundstücke erlaubten eine freie funktional begründete Anordnung der Bauten. Rundlinge, die auf eine slawische Siedlungstradition zurückgehen, sind allein im Südosten des Landkreises Lüneburg zu finden. In dieser Struktur noch heute gut erkennbare Orte sind Walmsburg und Tosterglope. Im 19. Jahrhundert sind zahlreiche Rundlinge durch die Neuordnung der Parzellen und die Anpassung der Straßenführung umgewandelt worden, wie z.B. in Ellringen.
Bei den Wohn-/Wirtschaftsgebäuden handelt es sich um Hallenhäuser in zumeist Zwei- aber auch in Vierständerbauweise mit Backsteinausfachung und Reetdächern. Gut erhaltene Beispiele aus dem 18. und 19. Jahrhundert sind u.a. in Jürgenstorf zu sehen. Hinsichtlich der Nebengebäude der Hofanlagen sind im Landkreis Lüneburg die erhaltenen Schafstelle hervorzuheben, die in unterschiedlichen Typen u.a. als Wandständerbauten in Rullstorf und Deutsch Evern aber auch als Nurdachstall in Betzendorf erhalten sind. Eine weitere typologische Besonderheit, die vor allem im Süden des Landkreises verbreitet ist, sind Treppenspeicher in Hochrähmzimmerung. Gut erhaltene Beispiele sind u.a. in Westgellersen und Holtorf zu finden. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm die Bauweise in Backstein und die Deckung in Hohlpfannen oder Faserzementrauten zu. Mit diesen Baumaterialien wurden Fachwerkwände und Dachdeckungen älterer Wohn-/Wirtschaftsbauten ersetzt und neue repräsentative Wohn-/Wirtschaftsgebäude errichtet, wie beispielsweise in Rullstorf und Reinstorf. Die Fachwerkbauweise wurde Anfang des 20. Jahrhunderts als traditionelle Bauweise der Region durch die Heimatschutzarchitektur wiederentdeckt und als Schmuckfachwerk mit dem Backsteinbau kombiniert. Bekannt sind vor allem die Werke des Architekturbüros Wilhelm Matthies und Leo von der Berg aus Bardowick, wie der Hof Thansen oder Wohnbauten in Bardowick.
Zentren der Orte sind oft die Kirchen. Sie wurden in romanischer Zeit zunächst aus Feldsteinen errichtet und als schlichter Rechtecksaal angelegt. Dieser ist jedoch nur noch bei der Kapelle St. Laurentius in Dahlenburg noch heute vollständig zu erkennen. Einige romanische Kirche besaßen wehrhafte Rundtürme, wie diejenigen in Betzendorf und Barskamp. In der Gotik wurden viele dieser Kirchen in Backstein umgebaut und mit polygonalen Chören und in einigen Fällen auch mit einem quadratischen Westturm versehen. Beispiel sind neben Betzendorf und Barskamp u.a. die Kirchen in Raven, Radegast und Embsen. Eine nicht minder schöne Ausnahme ist die rechteckige Kapelle in Adendorf. Im 16. Jahrhundert sind einigen Kirchen, wie derjenigen in Embsen, freistehende hölzerne Kirchtürme hinzugefügt worden. Aus der Renaissance sind die Gutskapelle in Heiligenthal und die besonders reich ausgeschmückte Gutskapelle von Barnstedt erhalten. Beide aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammenden Bauten zeugen von der neuen Patronatsrolle der Gutsbesitzer nach der Reformation. Diese zeigt auch die barocke Ausstattung der Kirche in Lüdersburg. Die spätbarocken Stadt- und Dorfkirchen wurden den Ansprüchen protestantischer Gottesdienste folgend mit einer U-förmigen Holzempore und einem Kanzelaltar ausgestattet. Wie in St. Jacobi in Bleckede oder St. Hippolyt in Amelinghausen wurde der Saal häufig durch die Stützen der Emporen in drei Schiffe geteilt und das mittlere mit einer Holztonne überfangen. Klassizistische Kirchen sind außer in Nahrendorf, hauptsächlich im Amt Neuhaus in Neuhaus, Haar und Kaarßen zu finden. Es handelt sich um schlichte, nun aus Fachwerk errichtete Saalkirchen mit einem Westturm. Mitte des 19. Jahrhunderts waren viele, insbesondere mittelalterliche Kirchenbauten so baufällig, dass sie durch neogotische Neubauten ersetzt wurden. Wie die Kirchen in Hittbergen und St. Dionys zeichnen sie sich durch ihre konstruktiv aufwendigen und dekorativen, der englischen Gotik entlehnten Holzdecken aus. Eine außergewöhnliche und eine idealtypische neogotische Dorfkirche der Hannoverschen Architekturschule sind die von Conrad Wilhelm Hase 1864 umgebaute Kirche in Tripkau und die 1870 errichtete Kirche in Echem. Besonders für den Landkreis Lüneburg sind die von dem Bardowicker Architekten Wilhelm Matthies entworfenen Kirchenumbauten in Dahlenburg und Thomasburg sowie die Kapelle auf dem Handorfer Friedhof[23]. Als ein Vertreter der Reform- und Heimatschutzarchitektur vermochte er es in enger Anlehnung an den Bestand eine schlichte und spannungsreiche Architektur zu schaffen.
Zudem sind die zahlreichen, die Ortsbilder prägenden Wind- und Wassermühlen im Landkreis Lüneburg zu erwähnen – insbesondere auch vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um die Gewinnung von Wind- und Wasserenergie. Wieder in Funktion ist die Windmühle in Bardowick, noch immer Wasserkraft – heute für die Gewinnung von Strom – erzeugt die Wassermühle in Neetze. Die Nadelwehre der Schleusen in der Ilmenau aus dem 19. Jahrhunderts sind ein nur noch selten erhaltene technische Denkmale. Als Sonderanlage für die Verkehrsgeschichte dieser Zeit zeugen die Hohnstorf-Lauenburger Elb-Trajekt-Anstalt und der Kaiserbahnhof Göhrde. Beispiele innerdeutscher Geschichte sind die im Amt Neuhaus und in Bleckede unter Denkmalschutz stehenden DDR-Grenztürme. Das Amt Neuhaus und Teile von Bleckede gehörten von 1945 bis 1993 zur Sowjetischen Besatzungszone und später zum Territorium der DDR. Per Staatsvertrag kamen sie 1993 zurück nach Niedersachsen. Im grenznahen Sperrgebiet wurden zu DDR-Zeiten einige Höfe und ganze Dorfteile zwangsausgesiedelt und zum Teil abgetragen. Außergewöhnlich ist daher der Bau der St.-Lukas-Kapelle auf dem Elbdeich bei Konau/Popelau. Sie wurde 1953 und 1957 auf Eigeninitiative der Anwohner errichtet und ist der einzige Kirchenneubau, der im Sperrgebiet der DDR genehmigt wurde.